novo-magazin.de
84 Sept./Okt. 2006
von Sabine Beppler-Spahn
http://www.novo-magazin.de/84/novo8416.htm
Zitat:
Zwei Autoren, die englische Journalistin Jennie Bristow und der deutsche Universitätsprofessor Norbert Bolz, setzen sich dennoch kritisch mit dem Trend hin zu einer Gesellschaft von Singles auseinander. In einer von Bristow herausgegebenen Schriftensammlung mit dem Titel Maybe I do: Marriage and Commitment in Singleton Society, in der, neben ihr, zehn weitere Autoren (u.a. die Schriftstellerin Fay Weldon) Stellung beziehen, fragt sie: Weshalb entscheiden sich in einer Zeit, in der eine Ehe, anders als früher, aus wirklich freien Stücken eingegangen werden kann, immer weniger Menschen für diese Form der stabilen Zweierbeziehung? Auch für Norbert Bolz ist die Familie der Ort für feste Bindungen. In seinem Buch Die Helden der Familie wendet er sich gegen einen Fürsorgestaat, der diese Bindung schwächt, sowie gegen eine moderne Kultur der Selbstverwirklichung. Erfrischend an beiden Werken, die zu sehr unterschiedlichen – fast konträren – Ergebnissen kommen, ist, dass sie die Widersprüche und Dilemmata unserer Zeit aufzeigen sowie eine Diskussion in Gang setzen, die zu führen sich lohnt.
Zitat Ende.
Es lohnt sich, über Familie nachzudenken. Nachdem Großfamilie, Sippe, Clan und Stamm ihre Bindungskraft verloren haben, ist die Familie als letzte "private" Einrichtung übriggeblieben, die den Menschen vor dem Untergang in der anonymen Masse schützt. Ja, es gibt Freunde, Vereine, Clubs, aber uns ist klar, Blut ist dicker als Wasser. Wenn es hart auf hart kommt, dann ist es oft nur noch die Familie, die uns vor dem Absturz sichert.
Das auch der Staat an Grenzen kommt, wenn es drum geht, die Existenz des Einzelnen abzusichern, zeigt sich daran, mit welcher Hartnäckigkeit er versucht im Rahmen der Sozialgesetzgebung familienähnliche Strukturen (Bedarfsgemeinschaften) zu konstruieren, wo de facto keine Vertragsbeziehung und damit auch kein Rechtsanspruch besteht.
Zitat:
Vater StaatSpezielle Agenturen vermitteln seit einigen Jahren Hochzeiten, bei denen man sich das Jawort unter Wasser oder im kongolesischen Dschungel geben kann. Bei diesen so genannten „Eventhochzeiten“ geht es mehr um die Party als um den Akt der Eheschließung. Dies, so Bristow, sei ein Ausdruck dafür, wie sehr die Institutionen (Staat oder Kirche), die einer Hochzeit früher ihre eigentliche Bedeutung verliehen haben, an Einfluss verlieren. Bei den Hochzeitsfeiern der Vergangenheit sollte die Liebe eines Paares eine rechtliche (und in vielen Fällen auch kirchliche) Bestätigung erhalten. Die sich weniger formell gebende Eventhochzeit verwandelt diese Zeremonie in eine persönliche Geste, bei der die Individualität des Paares im Mittelpunkt steht und die gegenseitige Liebe vor allem vor Freunden und Verwandten erklärt wird.Mit diesem Schwinden der größeren sozialen Bedeutung der Hochzeit wird jedoch auch das Konzept der Unantastbarkeit der Ehe untergraben. Das traditionelle Gebot der Heiligkeit der Ehe ging einher mit einer klaren Trennung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen. Der Staat legalisierte die Ehe, danach blieb es weitgehend den Eheleuten überlassen, wie sie ihren Haushalt und ihr privates Leben organisierten. Was hinter verschlossenen Türen geschah, ging niemanden etwas an. Auch wenn dieser Schutz der Privatsphäre zweifelsohne manche Menschen persönlich eingeschränkt, unter Druck gesetzt oder sogar Misshandlungen ausgesetzt hat, so basierte er doch, so Bristow, auf zwei freiheitlichen Prinzipien: einerseits auf der grundlegenden Annahme, dass Erwachsene ihr Leben in aller Regel selbstständig meistern können, und andererseits, dass eine zu große Einmischung von außen die privaten Beziehungen stören und langfristig den Individuen innerhalb dieser Beziehungen großen Schaden zufügen kann.
Da heute die Privatsphäre mit Argwohn betrachtet und hinter verschlossenen Familientüren Unrecht und häusliche Gewalt vermutet wird, werden diese Prinzipien immer weiter verwässert. Der Staat mischt sich zunehmend in die intimsten Bereiche unseres Lebens ein: von der Kindererziehung bis hin zu den Ernährungsgewohnheiten. Es ist eine der großen Stärken von Bolz, dass auch er diesen Trend erkennt und vor ihm warnt. „Das Familiäre wird heute zur Angelegenheit formaler Organisationen“, schreibt er.(3) Dieser Trend weitet sich auf immer mehr Bereiche aus: „ Die Schule wird zum Kinderbetreuungszentrum, in dem die Kinder nicht primär lernen sollen, sondern integriert werden.“ Sie wird, in den Worten von Bolz, immer häufiger „als Sozialagentur“ verstanden. Anders als Bristow sieht er in der Ausweitung des Wohlfahrtsstaates – der Eigeninitiative und Verantwortungsgefühl untergrabe – eine der Hauptursachen: „Seit jeder Einzelne in der Gesellschaft Gegenstand permanenter öffentlicher Sorge geworden ist, dringt der Staat immer tiefer in die Privatsphäre vor.“(4) Dieser Staat ist kein offen diktatorischer, sondern ein therapeutischer. Er traut der Familie nichts zu und drängt daher seine Hilfe auf – in Form von immer mehr Beratungsstellen, subventionierten Erziehungshilfen aller Art, Kampagnen gegen häusliche Gewalt und einer stetig steigenden Zahl von Sozialarbeitern. Wir werden ermuntert, uns als hilfsbedürftig oder überfordert zu sehen: „In der therapeutischen Gemeinschaft, wird jeder angeregt, über sich selbst und seine Probleme zu sprechen – unter der Voraussetzung, dass man nicht nicht verstanden werden kann. So werden wir alle immer sensibler.“(5)
Zitat Ende.
Ich vermute, dass es kein Gemeinwesen gibt, das den Zusammenbruch der Institution Ehe und Familie langfristig überlebt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen