Montag, 11. Dezember 2006

Vorsorge - Gut gemeint ist das Gegenteil von gut gemacht

arzneitelegramm 12/2006
37. Jahrgang, 1. Dezember 2006
S. 115-117

Zitat:
Der Enthusiasmus für den geplanten Vorsorgezwang beruht auf der irrigen Annahme, dass Prävention immer gut ist und billiger als Therapie. Es wird zudem oft übersehen, dass Screening häuig keine Vorsorge ist, sondern Früherkennung, bei der eine Erkrankung nicht verhindert, sonder der Zeitpunkt iher Diagnose vorverlegt wird. Seltener werden Vorstufen erfasst. Meist haben nur wenige der symptomlosen Menschen einen Nutzen von Screeningprogrammen, sehr viel mehr erleiden jedoch Schaden durch falsche Befunde, Überdiagnosen und Übertherapien.
Nach aktuelisierten Daten einer Cochrane-Übersicht, i die sieben randomisierte kontrollierte Mammographie-Screening-Studien eingehen, führt regelmäßiges Screening bei Frauen zwischen 50 Jahren und 69 Jahren zu einer Abnahme der Burstkrebssterblichkeit um relativ ca. 15%. Von 2.000 gescreenten Frauen dieser Altersgruppe stirbt in zehn Jahren eine Frau weniger an Brustkrebs. Bei zehn dieser Frauen wird jedoch Brustkrebs diagnostiziert, der ohne Screening zu Lebzeiten nie in Erscheinung getreten wäre (Überdiagnose). Dies ist verbund mit einer entsprechenden Zunahme con chirurgischen Eingriffen, Straheln- und Chemotherapien (Überbahndlungen). Jed fündfte Frau erhält im Verlauf von zehn Jahren (fünf Screening-Runden) mindestens einen falsch positiven Befund mit den dadurch verursachten psychischen Belastungen. Krebssterblichkeit insgesamt und Gesamtmortalität nehmen nicht ab (2). Der Schaden durch das Screening ist daher erheblich.ö Bei einer Nutzenbewertung darf dies nicht unberücksichtigt bleiben.
Die Auswertung der Modellprojekte zum Brustkrebsscreening in Deutschland zeigt, dass zum Teil lediglich die Mindesanforderungen der EU-Leitlinien erfüllt werden. Die Rate falsch positiver Befunde liegt mit etwa 6% bei der ersten Screeningrunde über der erhofften Größernordnung von 2% bis 4%. Ein großer Anteil von Brustkrebserkrankungen wird zudem nicht durch das Mammographie-Screening diagnostiziert: Der Anteil der Invervallkarzinome - Krebserkrankungen, di im Intervall zwischen zwei geplanten Screeninguntersuchungen entdeckt werden - beträgt etwa 30% in den ersten elf Monatien und etwa 50% im zweiten Jahr (3).
Die Umsetzung eines qualitätsgesicherten Screenings ist mit enormem logistischen, personelle und finanzeillen Aufwand verbunden. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung belaufen sich die Kosten auf 400Mio. € jährlich. Trotz dieses Aufwandes schmälern Unzulänglichkeitn den ohnehin fraglichen Nutzen: Im Rahmen eines Expertengesprächs im Deutschen Bundestag wurden vor allem technische Mängel zugelassener digitäler Mammographiegeräte beanstandet. Schlussfolerung eines Beitrags: "Lieber kein Screening als ein schlechtes Screening." (4) Es drängt sich die Frage auf, ob die Gelder, die für Screening eingesetzt werden, nicht sinnvoler und effizienter für die Gesundheit von Frauen genutzt werden können.
Zitat Ende:

Quellen:
(2) GOTZSCHE, P.C., NIELSEN, M.: Screening für breast cancer with mammography. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2006, Issue 4; Stand 12. Juli 2006
(3) Kooperationsgemeinschaft Mammographie. Mammographie-Screening in Deutschland - Abschlussbericht der Modellprojekte. Köln 2006;
http://www.kooperationsgemeinschaft-mammographie.de/cms_upload/datenpool/3abschlussberichtmodellprojekte0611.pdf
(4) SPELSBERG, A.: Welchen Nutzen hat das Screening, was erwarten Frauen von der Teilnahme. Vortrag anlässlich eines Expertengesprächs "Umsetzung des Mammographie-Screenings in Deutschland", Deutscher Bundestag, 19. Oktober 2006

Glossar:

Vorsorge - Maßnahmen zur Verhütung einer Erkrankungen
Früherkennung - Maßnahmen zur frühzeitigen Erkennung einer Erkrankung
Screening - auf eine bestimmte Krankheit gerichtete diagnostische Maßnahme ("Test") mit dem ziel, in der Gesamtbevölkerung oder einem besonders gefährdeten Teil derselben, symptomlose Krankheitsträger zu finden.
Cochrane - Vereinigung, die sich das Ziel gesetzt hat, durch systematische Auswertung klinischer Untersuchungen, zu gesicherten Erkenntnissen in der Medizin zu gelangen
randomisiert und kontrolliert - Bei vergleichenden klinischen Studien wird eine Verumgruppe (erhält die Maßnahme) und eine Vergleichsgruppe (erhält die Maßnahme nicht) gebildet. Die Gruppen dürfen sich nicht systematisch unterscheiden (hier nur Dicke, dort nur Dünne), darum werden die Gruppen durch "Auswürfeln" also durch Zufall (Random) gebildet. Die Studie muss durch statistische Verfahren abgesichert, also kontrolliert sein.
Mammographie - Bildgebende Untersuchung der Brust

Der von mir zitierte Artikel soll darauf hinweisen, dass eine gut gemeinte Maßnahme, hinter der durchaus eine logische Überlegung steht, mehr Schaden als Nutzen erzeugen kann.
Dies gilt nicht nur in der Medizin, sondern generell.
Kindesmißbrauch ist ein seltenes Ereignis. Man muss vorsichtig sein, dass die gegen Kindesmißbrauch getroffenen Maßnahmen nicht mehr Schaden als Nutzen erzeugen. Ich erinnere an Worms, wo eine ganze Familie durch wild gewordene Kinderschützer kriminalisiert wurde, obwohl alle Familienmitglieder unschuldig waren.
Welche Folgen hat es, wenn ich Familien, und hier vor allem die Männer, unter Generalverdacht stelle, wie das im Augenblick bei British Airways, Qantas und New Zealand Airways geschieht, wo Männer und alleinreisende Kinder prinzipiell getrennt gesetzt werden.



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