Donnerstag, 18. Januar 2007

Political Correctness und andere Märchen

„Political Correctness" und andere Märchen

Raumpflegerin und Brennholzingenieur: Die Sprachwissenschaftlerin Christine Weiss über Sinn und Unsinn von politischen Sprachregelungen.

Auch die Märchen sind nicht mehr, was sie einmal waren. Heute liest man Rapunzel und Rotkäppchen auf „politisch korrekt".

Das klingt dann so:

Es war einmal... eine junge Person namens Rotkäppchen, die lebte mit ihrer Mutter am Rand eines grossen Waldes. Eines Tages bat die Mutter sie, einen Korb mit frischem Obst und Mineralwasser zum Haus der Grossmutter zu bringen nicht etwa, weil frau so was tut oder weil dies Frauenarbeit wäre, sondern weil solch grossmütiges Handeln dazu beiträgt, ein Gefühl der Zusammengehörigkeit zu erzeugen... Als der Wolf Rotkäppchen davon abraten will, allein durch den Wald zu gehen, da sie doch ein kleines Mädchen sei, antwortet dieses selbstbewusst: Ich finde deine sexistische Bemerkung äusserst anstössig, bin aber bereit, darüber hinwegzusehen, weil du unter dem Druck deines überkommenen Status als vogelfreier Aussenseiter deine eigene und für dich durchaus gültige Weltanschauung entwickelt hast. Würdest du mich jetzt bitte entschuldigen? Schliesslich wird der Holzfäller als Patriarch entlarvt und geköpft. Die Grossmutter, Rotkäppchen und der Wolf gründen einen auf gegenseitiger Achtung und Kooperation begründeten alternativen Haushalt und leben, wenn sie nicht gestorben sind, noch heute in dem Walde...

Was ist passiert, dass unsere Märchen sich so verwandelt haben? Das Schlüsselwort heisst hier: „Political Correctness".

Das steht einerseits für ein emanzipatorisches politisches Programm und hat andererseits dazu geführt, dass ein bestimmter Sprachgebrauch forciert bzw. tabuisiert wird. Denn wer heutzutage „politically correct" sein will, der wird sich auf die Zunge beissen, bevor ihm ein Wort wie Zigeuner über die Lippen kommt oder er sich eine Redewendungen wie das ist doch eine Milchmädchenrechnung herausrutschen lässt. Das wäre rassistisch und sexistisch.

Ganz zu schweigen von der alleinigen Nennung maskuliner Personenbezeichnungen. Auch Bezeichnungen wie Dritte Welt oder Entwicklungsland sind nicht mehr salonfähig. Sie gelten als eurozentristisch. Angefangen hat all das einmal in den USA. Seit Ende der 60er Jahre hatten sich weite Teile der Frauen-, Schwulen/Lesbenbewegung sowie die unterschiedlichen ethnischen Gruppen enttäuscht von der „civil-rights"-Bewegung abgewandt. Es ging ihnen nicht mehr um die Integration in die dominante US-amerikanische Kultur, sondern um die Betonung der Differenz und der eigenen Herkunft und Zugehörigkeit. Vorerst setzten sich die politisch Aktiven an den Universitäten für geschlechtsspezifische und ethnische Gleichstellung mittels „affirmative action" (vergleichbar mit unseren Quotenregelungen) ein. An den geistesgeschichtlichen Fakultäten wurde die Aufnahme der Literatur von nicht-weissen Schriftstellern gefordert sowie eine revidierte Geschichtsvermittlung, die nicht mehr den „weissen, gesunden Mann" in ihren Mittelpunkt stellte. Die neuen universitären Diskurse haben in der Öffentlichkeit positiven Anklang gefunden. So konnte Political Correctness zum von den Medien stilisierten Sammelbegriff für eine neue emanzipatorische Bewegung werden. Nicht zuletzt aufgrund der engen politischen und kulturellen Verbindungen zu den USA wurde „die" Political Correctness im westlichen Europa aufgegriffen. Grosse Teile der Linken wandten sich hier im Zuge der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der 70er Jahre von dem Konzept der Klassengesellschaft und dem alleinigen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit ab. Sie suchten in antirassistischer und antisexistischer Politik neue Ansätze.

Political Correctness scheint damit für die westlichen Gesellschaften typisch zu sein, in denen der Einfluss der Arbeiterbewegung weitgehend zusammengebrochen ist, und die Zugehörigkeit zu einem grösseren Kollektiv wie einer „Klasse" verweigert wurde. Doch hier soll keine Geschichte der Linken des 20. Jahrhunderts geschrieben werden. Nur eines noch: Dass sich Unterdrückungsverhältnisse kulturell reproduzieren, ist eine wichtige Erkenntnis der fortschrittlich orientierten Strömungen der letzten drei Jahrzehnte. Jedoch eine ihrer Auswirkungen muss scharf kritisiert werden: ihre Sprachpolitik.

Sprache und Herrschaftsverhältnisse
Im Rahmen der Political Correctness wird der Sprache als Baustein von politischen Herrschafts- und Mediendiskursen eine entscheidende Bedeutung zugemessen. Ganz im Sinne von George Orwells kulturpessimistischem Roman „1984", in dem eine ganze Gesellschaft mittels der „Newspeak" in Schach gehalten wird. Es wird in manchen Kreisen behauptet, dass mittels Umbenennungen und Tabuisierungen von Worten Rassismus und Sexismus gemildert und gar bekämpft würden. Um nicht ohne Begründungen dazustehen, werden sprachphilosophische Allgemeinplätze besetzt, die zu regelrechten Denkklischees verkommen sind: Da wir ja über die Sprache die Welt wahrnehmen und unsere Wirklichkeit konstruieren würden, wäre sie auch das Instrument, um Machtpositionen abzusichern und um Unterdrückungsverhältnisse zu tradieren. Wie uns Orwell gezeigt hätte, könnten wir als „Zwangsteilnehmer unserer Sprache" zu einer manipulierten Menschenmasse werden (oder sind wir es bereits?). Dafür gäbe es sogar den historischen Beweis: den deutschen Faschismus. (Auf den sich Orwell im übrigen nicht bezogen hat, denn er wollte die Verhältnisse Englands nach dem Krieg aufzeigen...) Aber hätten uns nicht die Nazis schon gezeigt, wie weit ein Volk mittels Sprache manipuliert werden kann? In feministischen Kreisen hat sich heute der „feminisierte" Sprachgebrauch durchgesetzt. Parallel zu den maskulinen werden explizit die femininen Personenbezeichnungen genannt, beispielsweise ArbeiterIn für das Schriftdeutsch. Dieser Sprachgebrauch wurde nicht zuletzt durch die wissenschaftliche Disziplin der feministischen Linguistik forciert, deren wichtigste Vertreterin in der Bundesrepublik Luise F. Pusch ist. Sie behauptet, dass die deutsche Sprache an sich (und viele andere Sprachen ebenso) ein patriarchal organisiertes System wäre, welches Frauen unterdrücken und erniedrigen würde. Beispielsweise dadurch, dass die grammatische Form des Maskulinum im Plural auch auf Frauen anzuwenden sei. Ihrer Meinung nach würde durch eine sexistische Sprache eine sexistische Wirklichkeit entstehen. Nebenbei: Hätte sie sich nicht nur mit dem West-Deutsch beschäftigt, müsste sie erstaunt feststellen, dass das Femininum als grammatische Form in der DDR so gut wie nicht im Gebrauch war, auch nicht im Singular. Und das trotz des unzweifelhaft fortschrittlicheren Geschlechterverhältnisses! Bedenken wir nur einmal die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und vergleichen damalige Ost- mit Westrealität. Wie war das also mit der Sprache, die die Wirklichkeit konstruiert... Doch nichtsdestotrotz, die Forderungen nach der „Feminisierung" unserer Sprache setzen sich mehr und mehr auf politisch-institutioneller Ebene durch. Selbst die Privatwirtschaft wurde per öffentlichem Dekret gezwungen, Stellen maskulin und feminin auszuschreiben. Die Gretchenfrage ist nun: Wurden dadurch mehr Frauen eingestellt? Leider nein! Schon einer der renommierten Geister der (übrigens herrschenden) Wissenschaft, Wilhelm v.Humboldt, hat im 19.Jahrhundert von dieser angeblich wirklichkeitkonstituierenden Funktion von Sprache berichtet. Er glaubte, dass eine bestimmte Sprache auch ein bestimmtes Weltbild ausmachte. Also alle Deutschsprechenden Angehörige einer deutschen Denkart. Diese Nationaltümlichkeit sollte sich doch für fortschrittliche Politik überholt haben, und das in jeglicher Form! Das allgemein beliebt zitierte Beispiel von den antarktischen Völkern, die deshalb ungemein viele Schneearten wahrnehmen könnten, weil sie dafür dementsprechend viele Worte hätten, geht auf den amerikanischen Wissenschaftler Benjamin Lee Whorf zurück. Er wusste mit seinen ethnolinguistischen Studien die Überlegenheit der weissen Kultur gegenüber indianischen Völkern zu „beweisen". übersehen wird bei diesem Sprachdeterminismus, dass das menschliche Bewusstsein von den Erfahrungen der natürlichen Umwelt geprägt wird. Ein Kind lernt seine Muttersprache im praktischen Umgang mit den Dingen und Verhältnissen, mit und in denen es aufwächst. Die sprachlichen Zeichen sind dabei willkürlich, sie sind dem sie Bezeichnenden nur äusserlich. Woran wir denken, was wir uns vorstellen können (z.B. eine Vielzahl unterschiedlichster Schneearten) und welche Wertungen wir Dingen und Umständen zukommen lassen, wird uns nicht durch Worte vorgegeben, sondern hängt von aussersprachlichen Gegebenheiten ab. Aber erstmal genug der Wissenschaft! Denn um politische Sprache wird ungefähr so lange gestritten, wie es Menschen gibt, die Politik machen. In der Bundesrepublik war seit Ende der 40er Jahre politische Kritik an der Sprache der Nationalsozialisten ein beliebtes Thema. Man wollte aufzeigen, inwiefern die deutsche Sprache die Deutschen zu Nazis gemacht hätte. Und dass das nazistische Denken in den Köpfen der Menschen weiterlebte, die „diese" Sprache noch benützten. Dabei ging es nicht einmal um das typisch faschistische Vokabular, sondern um den allgemeinen Wortschatz. Die damalige Sprachkritik hat mit der Political Correctness einiges gemein: Beide kritisieren einzelne Worte des Deutschen sowie grammatische Konstruktionen (bei den Nazis war es die Umwandlung der Dativ- in die als inhuman geltenden Akkusativ-Verben, z.B. jemandem etwas liefern in jemanden beliefern). Beide begründen ihre Kritik a la Orwell und einigen alle Deutschsprechenden bezüglich unserer Konstruktion von Wirklichkeit bzw. wie wir sie durch die Herrschenden konstruiert bekommen. Aber drängt sich hier nicht die Frage auf, wie jemand das noch feststellen kann, wenn er doch selbst dieser Sprache angehört und folglich ebenso manipuliert sein müssteü Die pseudolinguistischen Erklärungen werden noch absurder, wenn wir einen zweiten Blick in die politische Geschichte werfen, nämlich in die 70er Jahre. Damals entstand infolge der kritischen Studenten-, Umwelt- und Frauenbewegungen der Nährboden für die Political Correctness. In der politischen Sprachwissenschaft spricht man für diese Zeit vom „Semantikkampf". In den Auseinandersetzungen zwischen emanzipatorischen und konservativen Kräften musste die Sprache immer wieder als das manipulierende Machtmittel herhalten. Links wie Rechts wurde die „wahre Bedeutung" von Worten festgelegt und dem Gegner vorgeworfen, dass sein Sprachgebrauch ideologisch, verschleiernd und schablonisierend sei. Die CDU gründete unter Biedenkopf Anfang der 70er Jahre sogar eine „Projektgruppe Semantik". Diese Auseinandersetzungen müssten wenigstens schon einmal zeigen, dass innerhalb einer Sprachgemeinschaft ganz gegensätzliche Kräfte walten und dass es nicht „das" deutsche Denken aufgrund „der" deutschen Sprache geben kann. Die Gleichsetzung von Sprache - Denken - Wirklichkeit ist ein so verbreitetes Denkklischee, dass sich politische Gegner auf der Sprachebene durchaus einigen. Das ist auch bei der Political Correctness der Fall. Beispielsweise spricht Helmut Kohl heutzutage nur noch von Wählern und Wählerinnen und erfällt damit die Forderung eines radikalen Feminismus. Konstituiert sich dadurch unsere Wirklichkeit weniger sexistisch, oder hat sich die CDU infolge ihrer neuen Sprachgewohnheiten emanzipiertü Offensichtlich nicht.

Sprache an sich ist nicht sexistisch
Mal abgesehen davon, dass Sprache an sich sowieso gar nicht sexistisch sein kann. Sie wird hier bloss Mittel, um von Inhalten und Sprechern abzulenken und scheint auch nicht gerade für die Kampfkraft politischer Bewegungen zu sprechen. Wenn durch die Nennung Arbeitnehmer/Arbeitnehmerin die Arbeitnehmerinnen weniger benachteiligt werden, dann, ja dann können wir uns ja beruhigt zurücklehnen! Und wenn die Putzfrau heute Raumpflegerin heisst, ohne dass sich ihre Arbeitsbedingungen oder das Ansehen ihres Berufes verändert hätten, dann haben wir wenigstens unser schlechtes Gewissen beruhigtü Übrigens will auch der Holzfäller in unserem Märchen vom Rotkäppchen lieber Brennholzingenieur genannt werden... Ob Sexismus, Eurozentrismus, Rassismus, Kapitalismus, Imperialismus... ü für alle Bereiche werden im Namen der Political Correctness die besseren Worte gefunden und die angeblich schlechten verworfen. Und je allgemeinpolitischer das Thema ist wie im Falle der Berufsbezeichnungen (übrigens ein sehr beliebtes Feld der Gewerkschaften), desto positiver die gesellschaftliche Resonanz. Auch die Rechte weiss sich in diesem Sinne durchaus mit der Political Correctness zu arrangieren. Es entspricht ihrem eigenen Sprachbild. Das kann dann zum Beispiel dazu führen, dass eine Krankenschwester aus Ostdeutschland eine Stelle in einem Krankenhaus in Westdeutschland nicht bekommt, da sie beim Einstellungsgespäch anstatt Team Kollektiv sagt. Der kritische Punkt innerhalb der noch relativ jungen Bewegung der Political Correctness ist der, dass sie in ihrer Sprachpolitik neue Tabus forciert, gegen die sie sich eigentlich grundsätzlich stellt. Tabuisierung fährt zu Ab- und Ausgrenzung. Infolge ihrer Sprachpolitik wird Political Correctness auf einmal Mittel, um Menschen in ihrem angeblichen Denken zu „entlarven". In feministischen Kreisen z.B. wird man weder Frauen noch Männer finden, die sich nicht an die männlichen plus weiblichen Genus' halten werden. Und welches ideologische Programm wird jemandem zugeschrieben, der statt der für politically correct erklärten Bezeichnung Sinti und Roma noch Zigeuner sagt (und das vielleicht aus Versehen)ü Es war schon immer so, dass sich politische Kreise Identifikationsvokabeln suchten. Das zieht sich durch alle politischen Lager. Ausserhalb der Aktiven-Zirkel lässt auch der reflektierte Sprachgebrauch nach. Leider kann hier dann „das falsche Wort" zu einer Schubladenreaktion führen. „Wie muss ich denn eigentlich jetzt zur Dritten Welt sagen"ü fragte neulich eine Freundin, die im übrigen alles andere als ein eurozentristisches Weltbild vertritt, aber aufgrund ihrer Existenzsicherungsnot nicht in der „Szene" aktiv sein kann. Es muss wohl nicht explizit gesagt werden, dass dieses Abgrenzungs-Verhalten nicht besonders emanzipatorisch ist. Oder muss es dochü Es dient vielleicht dem Zugehörigkeitsgefühl derjenigen, die sich mit den richtigen Worten zu schmücken wissen. Sprachgebrauch ist hier nichts anderes als ein politisches Symbol. So können es auch Farben und Fahnen, Schmuck und Kleidung sein: Erkennungsmittel für „politisch Dazugehürende" Dieses sozialpsychologische Phänomen ist so vehement, dass politisch Aktive sich an Umgangsformen halten, ohne dass sie dafür eine adäquate Erklärung abzuliefern wüssten. Wie auchü Im Falle der Sprache ist keinem eine sprachwissenschaftliche Analyse zuzumuten, die mit den gängigen Sprachklischees aufräumt. Ganz zu schweigen von dem Grossteil der (auch nicht nur reaktionären) Bevölkerung, gegen den sich die politisch korrekte Linke damit sowieso schon abgegrenzt hat. Was sagt das einer sich immer weiter ausdifferenzierenden Bewegungü Schluss mit überflüssiger Sprachhygiene! Die eigentliche Kritik im Namen der Political Correctness muss den Fakten gelten. Wird Political Correctness als Politik der Anerkennung benachteiligter Gruppen und gegen gesellschaftliche Unterdrückungsverhältnisse verstanden, braucht sie ganz andere Vehikel als Sprachsteuerungen. Ein undogmatischer Sprachumgang ist auf jeden Fall sprachadäquater. Wenn man sich überhaupt über Sprache streiten muss, sollte das nicht auf Kosten der Inhalte gehen und nicht dazu führen, dass sich arrogantes Verhalten innerhalb von politischen Gruppen einschleicht, die bei näherem Hinsehen vielleicht sogar untereinander solidarisch sein sollten. Nicht jeder, der nicht den femininen Genus benutzt, ist deshalb antifeministisch oder gar sexistisch. Und übrigens, wie am Beispiel unseres hoffentlich bald abdankenden Bundeskanzlers gezeigt, auch nicht umgekehrt. Denn wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute...

Christine Weiss, Bremen


1 Aus: James Finn Garner: Gute-Nacht-Geschichten politically correct. München 1996.

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