Mittwoch, 17. Januar 2007

Der Mann auf dem Drahtseil

Grundkurs in Soziobiologie (12)

Der Mann auf dem Drahtseil

Von Eckart Voland



Prototyp des neuen Vaters: Mann im Erziehungsjahr
07. November 2006
Ein oft wiederholter Slogan für eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Lebensentwürfen junger Menschen lautet: Neue Väter braucht das Land. Allerdings, der neue Mensch ist noch niemals aufgetaucht, obwohl es historisch nicht an säkular oder religiös motivierten Versuchen gefehlt hat, den neuen, verbesserten Menschen zu schaffen, damit sich das Glück auf dieser Erde mehre. Solange Menschen nicht in ihre eigenen Konstruktionspläne eingreifen, wird es keine neuen Väter geben können (und danach vermutlich keine besseren). Was aber nichts macht, weil auch der alte Adam das bevorratet, was familienpolitisch derzeit nachgefragt ist. Was also könnte Männer veranlassen, sich so zu verhalten, wie es die Politik will? Oder anders gefragt: Warum sind sie eigentlich nicht regelmäßig das, was man von ihnen erwartet: familienzentrierte Erzieher und Fürsorger?

Nun, Männer haben bekanntlich zwei alternative Möglichkeiten, dem biologischen Imperativ zu gehorchen. Sie können entweder danach streben, das zu erhöhen, was im Laborjargon der Soziobiologie „Paarungserfolg“ genannt wird, oder aber sie konzentrieren ihren Lebensaufwand in die große Liebe und den daraus hervorgehenden Nachwuchs. Beides gleichzeitig geht nicht, jedenfalls nicht auf Dauer. Diese Doppelgleisigkeit männlicher Lebensstrategien ist nun bei Leibe keine Erfindung von Homo sapiens masculinus, sondern altes Primatenerbe.

Vaterrolle und Monogamie aufs engste verbunden

Unser zweites Gesicht

Zwar ist in Säugetiergesellschaften die soziale Vaterrolle eher unbekannt. Böcke und Rammler tun nicht mehr für die Fortpflanzung, als ihr Name aussagt. Aber interessanterweise beginnt bei den Primaten eine evolutionäre Innovation aufzuscheinen, indem sich Paarbindungen auch über die Paarungszeit hinaus zu verfestigen beginnen und Väter ein Interesse an ihren Babies entwickeln. Bei einigen Arten ist die Vaterrolle obligat. Männchen kümmern sich intensiv um ihren Nachwuchs - allerdings zum Preis sexueller Einschränkung. Väterliches Investment und Monogamie sind aufs engste miteinander verbunden.

Wie ein auch nur flüchtiger Blick in die Geschichte und kulturelle Vielfalt des Menschen lehrt, ist die Doppelgleisigkeit männlicher Lebensstrategien unterschiedlich umgesetzt. Es gibt Gesellschaften - Anthropologen ordnen sie in der Regel in die Gruppe der matrilinealen Gesellschaften -, in denen Männer zwar als Gäste der Nacht willkommen sind, aber als Verantwortliche in Erziehungs- und Versorgungsfragen praktisch keine Rolle spielen.

Familienmensch durch Kosten-Nutzen-Abwägung

Auf der anderen Seite gibt es freilich auch genau den gegenteiligen Entwurf: Eine sozial definierte Vaterrolle, angesiedelt irgendwo zwischen partnerschaftlicher Teilhabe und ihrer Überhöhung in der Figur des dominanten Patriarchen. Aber auch in den verschiedenen sozialen Nischen innerhalb ein- und derselben Gesellschaft kann sich diese Doppelgleisigkeit finden lassen, ja, möglicherweise sogar innerhalb ein- und derselben Männerbiografie mag es Wechsel in dem Stellenwert geben, den Familie in der persönlichen Lebenspräferenz einnimmt.

Die Option des „neuen Vaters“ ist also zweifellos vorhanden. Sie gehört zum evolvierten Repertoire männlicher Strategien. Allerdings konkurriert sie mit anderen Optionen desselben Repertoires. Wann also werden aus Männern Familienväter? So trivial es anmutet, aber eine erste Antwort auf diese Frage lautet: Wenn partout kein anderer den Job macht. In dem gleichen Maße wie Omas, Tanten oder der Wohlfahrtsstaat einen fehlenden Vater ersetzen können, wird er entbehrlich. Ökonomen nennen dies ein „Nullsummenspiel“, und soziobiologische Forschung zeigt, daß die Entscheidungen in diesem Spiel ganz konsequent dem quasi-rationalen Kalkül einer Kosten-Nutzen-Abwägung gehorchen. Kurz: Mann wird dann zum Familienmensch, wenn aus der Verweigerung dieser Rolle mehr Schaden erwächst als andere kompensieren können.

Unsicherheiten in der Frage der Vaterschaft

Eine Analyse von Partnerschaftsanzeigen hat ergeben, daß Männer sich sehr gerne mit Vermögen, Einkommen und Besitz bewerben. Dieselbe Analyse zeigt aber weiter, daß wenn es mit diesen Attributen nicht weit her ist, Männer stattdessen verstärkt ihre familiären Tugenden anpreisen. In dieser Beobachtung steckt eine zweite Teilantwort auf die Frage nach der Akzeptanz der Vaterrolle, und diese mutet ebenso trivial an, wie die erste: Wenn es mit der Besitzvermehrung nicht so recht klappt, wird die Vaterrolle interessant und zur ernsten Option. Dies ist nicht nur soziobiologisch plausibles Abbild des harten Wettbewerbs um Arbeits- und Einkommenschancen, sondern in vergleichbarer Weise auch kennzeichnend für andere Ökonomien. Aka-Pygmäen, die auch heute noch einen nicht unerheblichen Teil ihres Unterhalts durch Jagen erwirtschaften, kennen eine ähnliche Differenzierung, indem die weniger geschickten und weniger produktiven Jäger vermehrt die Rolle des fürsorglichen Vaters annehmen.

Die Bereitschaft zu väterlicher Fürsorge hat schließlich auch mit Unsicherheiten in der Frage der Vaterschaft zu tun. Väter wollen sich ihrer Sache sicher sein. Das ist einer der häufigsten Gründe für Gewalt gegen Frauen. So ganz kann das eigentlich nicht stimmen, wird man unter Hinweis auf ethnografische Feldforschung einwenden wollen, denn schließlich gibt es Gesellschaften, die durch eine bemerkenswerte sexuelle Freizügigkeit gekennzeichnet sind. Gewalt gegen Frauen ist also nicht zwangsläufig, auch wenn sich die Verhältnisse der Promiskuität annähern.

Onkelrolle statt Vaterrolle

Natürlich nicht, nur der soziobiologische Clou besteht darin, daß diese Gesellschaften praktisch keine soziale Vaterrolle kennen, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß Männer ihr Leben um das Baby herum organisieren. Stattdessen richten Männer ihre fürsorglichen Affekte und leidenschaftlichen Sympathien auf die Kinder ihrer Schwestern. Die Erklärung für diese soziale Praxis, von Experten als „Avunkulat“ bezeichnet, kommt nicht ohne Hinweis auf die genzentrierte Wirkweise der natürlichen Selektion aus, denn unter sexuell liberalen Verhältnissen sind Männer mit den Kindern ihrer Schwestern im Durchschnitt genetisch enger verwandt als mit den Kindern ihrer Partnerinnen.

Übrigens wird in der deutschen Sprache nicht zufällig zwischen dem Onkel und dem Oheim, dem Mutterbruder, unterschieden, zu dem ein besonders inniges Verhältnis besteht, und Tacitus wußte von den Germanen zu berichten: „Sororum filiies idem apud avunculum qui apud patrem honor“, die Söhne der Schwestern sind dem Oheim ebenso teuer wie ihrem Vater. Womit er unbeabsichtigt einen Hinweis auf eine gewisse sexuelle Freizügigkeit unserer Vorfahren geliefert hat.

Text: F.A.Z., 08.11.2006, Nr. 260 / Seite 38
Bildmaterial: F.A.Z.

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