Mittwoch, 31. Januar 2007

Lernfähig, aber nicht belehrbar

Faz.Net


Grundkurs in Soziobiologie (18)

Lernfähig, aber nicht belehrbar

Von Eckart Voland



Lohnt sich das Lernen? Das entscheidet das Gehirn schon im Voraus.
30. Januar 2007
Die soziobiologischen Sichtweisen auf den Menschen, seinen Geist und dessen Leistungen werden häufig mit dem Hinweis auf die außergewöhnliche Lernfähigkeit des Menschen in Frage gestellt. Der Einfluss evolutionär erfolgreicher Gene mag sich zwar gelegentlich in besonders irrationalen, triebhaften Situationen zeigen, aber schließlich sei der Mensch das „noch nicht festgestellte Tier“ wie Arnold Gehlen es formulierte, und als Instinkt reduziertes Mängelwesen ein „Sitzenbleiber der Evolution“, wie es Odo Marquard ausdrückte. Das Ende der Naturgeschichte des Menschen sei eingeläutet worden mit der evolutionären Erfindung des Gehirns. An die Stelle angeborener Instinkte trete erlerntes Wissen, womit sich die Evolution schließlich selbst ausgehebelt habe. Das mache den Menschen zum Schöpfer seines eigenen Geschicks.

Wie dem auch sei: Der Mensch ist außergewöhnlich lernfähig, worin er sich vom Tier unterscheidet und deshalb mit biologischen Kategorien nur äußerst unzulänglich beschreibbar ist, wird vielfach behauptet. Könnte es sein, dass Lernen gar nicht von biologischer Determination befreit, wie man seit Herders Mängelwesen-Philosophie annehmen könnte, sondern sich nahtlos einfügt in die soziobiologische Sicht auf die Umtriebe des Menschen?

Jedes Gehirnmodul ist für eine Aufgabe optimiert

Unser zweites Gesicht

Wie alle anderen Organe ist auch das Gehirn zu einem einzigen biologischen Zweck entstanden. Es soll im Wettbewerb des Lebens Informationen verarbeiten. Deshalb ist es kein von der Biologie fernes Luxusorgan. Denn obwohl es nur rund zwei Prozent der Körpermasse ausmacht, verbraucht das Gehirn über 20 Prozent unserer täglich aufgenommenen Energie. Es sollte also zu etwas gut sein und zwar im Sinne biologischer Nützlichkeit. Die Schwäche der Mängelwesen-Auffassung besteht darin, sich das Gehirn als weitgehend unspezialisiertes Organ vorzustellen, das, wenn schon die Idee von der tabula rasa heutzutage kaum mehr vertreten werden kann, so doch aber bei Geburt noch so weitgehend inhaltsleer ist, dass es auf Grund seiner Unspezialisiertheit für alle möglichen Lernumgebungen offen ist.

Das stimmt nicht wirklich. Denn ganz im Einklang mit der Evolutionstheorie wird zunehmend deutlich, dass jeweils ganz spezifische Hirnfunktionen als adaptive Antworten auf die je spezifischen adaptiven Probleme entstanden sind. Der Fachausdruck für diese Auffassung heißt „Modularität“. Die Psychologin Leda Cosmides und der Anthropologe John Tooby, beide maßgeblich an der Entwicklung dieser Überlegungen beteiligt, vergleichen deshalb das Gehirn lieber mit einem Schweizer Armee-Messer als mit einem Allzweck-Computer. Und zwar deshalb, weil auch das Schweizer Messer aus sehr verschiedenartigen Werkzeugen, den Modulen, zusammengesetzt ist, die jeweils optimal für eine spezielle Aufgabe optimiert sind. Die Gehirnmodule suchen sich gezielt die Information, die sie zur eigenen Entwicklung brauchen.

Persönlichkeit auf Lebenskontext einjustieren

Nehmen wir beispielhaft den Spracherwerb. Die Muttersprache entwickelt sich im Normalfall gleichsam automatisch, das heißt ohne bewussten Aufwand in dem dafür vorgesehen Zeitfenster der ersten Lebensjahre. Das Erlernen einer Zweitsprache in späteren Lebensjahren ist ungleich schwieriger. Die Intonation der erlernten Fremdsprache erreicht niemals ganz die Authentizität der Muttersprache. Welche der rund 5000 Sprachen dieser Welt man erwirbt, ist freilich vom Zufall der Geburt abhängig und biologisch vollkommen bedeutungslos. Es geht ja um eine Verständigung innerhalb der eigenen Sprachgemeinschaft.

Wie neuere Untersuchungen vermuten lassen, werden neben der Sprache auch Aspekte der Gruppen- und Sexualmoral, Nahrungspräferenzen, der Umgang mit Zeit und Risiken, Landschafts- und Heimatliebe, Kinderliebe, Geschlechtsstereotypen, Einstellungen zum Inzest und anderes mehr auf eine vergleichbare, prägungsähnliche Art und Weise gelernt. Prägung wird modern verstanden als Bestätigung bereits vorhandenen Wissens. So gesehen, ist Lernen ein biologisch strategisches, eigen interessiertes Einjustieren der eigenen Persönlichkeit auf den je vorfindlichen Lebenskontext. Technisch formuliert ist es ein Auffüllen von neuronalen Programmen mit externer Information.

Wenn das limbische System Latein nicht mag

Das bedeutet, dass der lernende Mensch schon im Voraus genau „wissen“ muss, wie er mit der Information aus seiner Umwelt umzugehen hat. Aber das hatte uns ja bereits Kant gelehrt, der aus erkenntnistheoretischen Erwägungen heraus zwingend den Schluss gezogen hat, dass Menschen über „angeborene Apriori“ des Weltzugangs verfügen müssen, weil sonst keine Erkenntnis, kein Lernen möglich wäre.

Die Kantschen Apriori lassen sich heutzutage als evolutionär angepasste, modulare Gehirnfunktionen neu beschreiben. Aus alledem folgt: Man lernt nur, was man lernen soll. „Soll“ ist hier natürlich evolutionär gemeint: Man lernt nur, wozu man in langen Evolutionsprozessen eingerichtet wurde, dass man es lernt. Sensible Phasen und Lernschablonen begleiten und regulieren die Lernprozesse. Deshalb entscheidet über den Lernerfolg auch nicht die Intention des Lehrenden, sondern der Lernende als Manager in eigener Sache - beziehungsweise seines limbischen System. Denn wie jüngere Untersuchungen nahe legen, entscheiden jene Hirnstrukturen, die uns bewusstseinsmäßig gar nicht zugänglich sind, bereits im Voraus, ob sich die stoffwechselphysiologische Anstrengung des Lernens überhaupt lohnt oder nicht. Und wessen limbisches System nicht mitspielt, bekommt Schwierigkeiten in Latein, Mathematik oder Ethik.

In der Kultur zeigt sich des Menschen Natur

Zusammenfassend lässt sich also mit guten Gründen argumentieren, dass die Unterscheidung zwischen „evolutionär und deshalb biologisch“ auf der einen Seite und „erlernt und deshalb kulturell“ auf der anderen Seite so gar nicht aufrechterhalten lässt. Die wirklich spannende Frage ist vielmehr, worauf Leda Cosmides und John Tooby immer wieder hinweisen, welche Lernprozesse aus welchen Gründen von der natürlichen Selektion hervorgebracht worden sein könnten. Man sollte sich also nicht täuschen: Lernen befreit keineswegs von dem evolutionären Schatten der Vergangenheit. Im Gegenteil: Lernen exekutiert den biologischen Imperativ auf eine ganz besondere Weise.

Der Irrtum liegt auf der Hand. Er besteht darin, Lernen mit Offenheit gleichzusetzen und Kultur als etwas Naturfernes zu deuten. Gerade in seiner Kultur zeigt sich des Menschen Natur. Und sie mögen außergewöhnlich lernfähig sein, aber dass Menschen deshalb belehrbar wären, heißt das nicht. Das ist im Kern die Auffassung der Soziobiologie.

Text: F.A.Z., 31.01.2007, Nr. 26 / Seite 32
Bildmaterial: F.A.Z., picture-alliance / dpa/dpaweb
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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

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