Samstag, 27. Januar 2007

Das eine Drittel Glück

Viele Menschen leben ihr Leben, wie im Traum, gefangen in der Matrix, welche ihr Betriebssystem in ihrem Kopf aufspannt, unfähig, sich aus den zarten Fäden der Macht, gesponnen durch diese Matrix, zu befreien. Diese Menschen sind ihren Emotionen hilflos ausgeliefert, sind nicht in der Lage, sich von diesen zu befreien und diese zu hinterfragen.
Wer an der Macht der Emotion zweifelt, der kann den Cocain-Test machen.
Das Besondere an Cocain ist, dass es als Suchtstoff keinerlei körperliche Abhängigkeit erzeugt, ganz im Gegensatz zu Alkohol oder Morphin, die beide beim Absetzen schwere Entzugssymptome auslösen. Cocain macht das nicht, und doch ist die Cocainsucht einer der schwersten Süchte, wegen der psychischen Abhängigkeit. Das liegt daran, dass Cocain direkt am mesolimbisch gelegenen Belohnungszentrum des Gehirns angreift, also dort, wo die Wurzel unserer Motivation sitzt. Der Cocain-Test geht so, dass der Betroffene eine Woche lang Crack inhaliert und sich dann frei entscheiden kann, ob er weiterhin Cocain nehmen will oder nicht.
In der Regel wird er nicht in der Lage sein, der Sucht zu widerstehen. Nun ist es so, dass unser Betriebssystem auf dieses Belohnungszentrum Zugriff hat. Der hypothetische Cocain-Test zeigt damit, welche Macht über unser Verhalten das Tier in uns verfügt. Und die Vorlieben dieses Tieres sind genetisch determinierbar.
Ich hoffe, dass es den Lesern meines Blogs nach und nach gelingt, indem sie die verschiedenen Artikel lesen, eine andere Einstellung zu ihrer Maschine zu bekommen, die Macht der Emotion und der Täuschung zu erkennen, und sich zumindest ein wenig frei zu machen.
Im der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist wiederum ein hervorragender Artikel aus der Reihe "Grundkurs in Soziobiologie" erschienen, der sich mit dem Glück, d.h. mit den Emotionen beschäftigt.
Ich habe den ganzen Artikel abgelegt, immer in der Sorge, das Original könnte gelöscht oder verschoben werden. Der Link im Titel verweißt auf die Quelle, Faz.Net, woher ich diesen Artikel kopiert habe.

Grundkurs in Soziobiologie (17)

Das eine Drittel Glück

Von Eckart Voland


16. Januar 2007

Die Soziobiologie entwirft ein Bild von den menschlichen Antrieben, das in der Selbstwahrnehmung nicht einmal in groben Konturen aufscheinen will. Immer wieder ist von revolutionären Interessen, Strategien und Zwecken die Rede, von Fitnessmaximierung gar und Kosten-Nutzen-Bilanzen, von Konzepten also, die in der Sprache eines bewussten Kalküls formuliert sind, die aber in der Rationalität des denkenden Menschen so gar nicht vorkommen. Niemand will auch nur mit einem Fünkchen Bewusstheit seine Fitness maximieren, und die Bilanzen des täglichen Lebens mögen sich um alles Mögliche drehen, nur nicht um die Wahrscheinlichkeit genetischer Repräsentanz in der nächsten Generation.
Und dennoch: Menschen gehorchen wie alle anderen Lebewesen der Logik der Evolution. Das zwar nicht mit den Mitteln eines bewussten Kalküls, wohl aber mittels einer von Motiven, Stimmungen und Affekten getragenen Verhaltenssteuerung. Unsere Verhaltenssteuerung arbeitet, „als ob“ sie jene komplizierten Abwägungen vornimmt, von denen in der Soziobiologie so häufig die Rede ist. Sich evolutionär angepasst zu verhalten und dem biologischen Imperativ zu gehorchen, bedarf nicht eines rationalen Entscheiders. Die evolutionäre Weisheit ist die Verhalten steuernde Maschinerie selbst, deren Prozesse und Algorithmen in langen Selektionsprozessen so geformt wurden, „als ob“ sie rational entscheiden könnte.

Neutrale Emotionen gibt es nicht

Eine ganz wesentliche Rolle in der „Quasi-Rationalität“ spielen die Emotionen. Sie sind als Navigationssystem durch die Lebens- und Überlebensprobleme evolviert und damit Teil jenes evolutionären Autopiloten, der uns ganz ohne Verstand, aber im Mittel bestmöglich durch die Fährnisse des Lebens bringt. Und deswegen sind auch nur Situationen emotional wirksam, die mit einem Zugewinn oder einem Verlust reproduktiver Ressourcen einhergehen. Neutrale Emotionen gibt es logischerweise nicht, weil Situationen, die weder bedrohlich noch vielversprechend erscheinen, ohne biologische Bedeutung sind und deshalb kein Navigationssystem brauchen.

Wohl aber bilden Gesundheit, Partner, Nachkommen, Freunde, Besitz, Prestige und die Geschicke der sozialen Bezugsgruppe die Kristallisationskerne für unsere emotionale Klaviatur. Hoffnung, Verlangen, Glück, Vergnügen, Erleichterung heißen die hedonistischen Belohnungen evolutionären Gehorsams, während Angst, Furcht, Trauer, Schmerz, Enttäuschung den Weg auf Risiken weist.

Nicht evolviert, dauerhaft glücklich zu sein

Wenn das alles so stimmen würde, hätten wir doch eine verlässliche Anleitung zum Glücklichsein, mit Erfolgsgarantie. Aber warum sind wir desto trotz nicht immer glücklich? Etwa weil es die Umstände nicht zulassen? Seit 1956 befragt man in den Vereinigten Staaten die Bevölkerung nach ihrer Lebenszufriedenheit, und der Anteil derjenigen, die sich als „very happy“ bezeichnen, bleibt über die Jahrzehnte mit erstaunlich geringen Schwankungen bei dreißig Prozent praktisch konstant. Und dies trotz allen politischen, sozialen, medizinischen, ökonomischen und sonstigen Fortschritts.

Könnte es sein, dass die Umstände doch nicht den Anteil am Glücklichsein ausmachen, den man ihnen leichtfertig zuweist? Nun, wir sind eben nicht evolviert, um dauerhaft glücklich zu sein. Wir sind entstanden als Exekutoren biologischer Programme, und zu deren evolutionärem Erfolg tragen auch Schmerz, Angst, Depressivität, Eifersucht, Wut, Neid und all die anderen Hindernisse des Glücks bei.

Unfähigkeit, Glück zu konservieren

Die Flüchtigkeit des Glücks wird aber durch einen weiteren folgenreichen Umstand begünstigt. Er hat damit zu tun, dass die natürliche Selektion notwendigerweise über Unterschiede arbeitet, und das heißt konkret: Die Vorteile des Einen sind nur allzu oft die Nachteile des Anderen. Aus dieser simplen Tatsache speist sich ein evolutionäres Wettrennen, das eine Homöostase in selbst gewählter Zufriedenheit nicht kennen kann. In dem Maß, wie das Naturgeschehen Unterschiede einebnet, schafft es als unausweichliche Konsequenz des Darwinischen Prinzips neue.
Das spiegelt sich in der weitgehenden Unfähigkeit der menschlichen Psyche, Glück zu konservieren. Der US-amerikanische Psychologe Doug Kenrick und seine Mitarbeiter zeigten ihren Probanden Fotos von entweder überdurchschnittlich oder durchschnittlich attraktiven Männern und Frauen. Hinterher sollten die Testpersonen ihre tatsächlichen Beziehungen einschätzen.

Unterschied entscheidet über Selbsteinschätzung

Im signifikanten Unterschied zu Männern, die Fotos durchschnittlich attraktiver Frauen gesehen hatten, bewerteten diejenigen, die Fotos überdurchschnittlich attraktiver Frauen gesehen hatten, nicht nur ihre tatsächliche Partnerin als weniger attraktiv, sondern sie betrachteten sich selbst als weniger gebunden und als weniger zufrieden in der Beziehung. Für Frauen galt Vergleichbares. Ferner erfuhren Frauen, denen man Fotos von überdurchschnittlich attraktiven anderen Frauen gezeigt hatte, eine Reduktion ihres Selbstwertgefühls, ebenso wie Männer, denen man Geschichten von hochrangigen, sozial einflussreichen Männern erzählt hatte. Es war also der Unterschied, der in diesem Test über die Selbsteinschätzung entschieden hat.

Diese Untersuchungen zeigen, dass unser Gehirn mit seinen Modulen der unbewussten Informationsverarbeitung und Verhaltenssteuerung nicht sehr gut darin ist, reale von virtuellen Welten zu unterscheiden. Massenmedien mit ihrer Informationsflut können deshalb möglicherweise eine sehr subtile Wirkung entfalten. Sie machen nämlich alle Teilnehmer faktisch zu einer einzigen kompetitiven Gruppe. Man gerät als Medienkonsument - trotz besseren Wissens - in Wettbewerb mit den „Schönen und Reichen“ dieser Welt. Sie medial zu erleben, bedeutet sie unbewusst der eigenen sozialen Nische zuzuordnen, und dies könnte langfristig eher Gemütslagen erzeugen, die in Richtung Neid als Wohlbefinden gehen.

Das individuelle Leben ist ebenso obligater Wettbewerb, wie die Evolution als ganze obligater Wettbewerb ist. Menschen leben in eine Art hedonistischer Tretmühle, immer angetrieben durch Aussicht auf kurzfristige Belohnung ohne Aussicht allerdings auf einen finalen Höhepunkt. Man mag an Lewis Carrolls „Alice hinter den Spiegeln“ denken: „Alice“, so sagte die Königin, „im Wunderland musst du so schnell rennen wie Du kannst und wirst doch nicht von der Stelle kommen“. Bekanntermaßen hält der emotionale Ausnahmezustand eines Lottogewinners nur eine überschaubare Zeit an.
Text: F.A.Z., 17.01.2007, Nr. 14 / Seite 32
Bildmaterial: F.A.Z., picture-alliance / dpa

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