Dienstag, 23. Januar 2007

Berliner Zeitung Online



Das Kiosk-Gefühl

Almut Klotz

Ständig diese gesellschaftlichen Umstrukturierungen, Wertewandel und vor allem die schwindelerregenden Statistiken darüber. Man legt sich einen Panzer zu, zieht sein Ding so durch und dankt den Veränderungen dafür, dass sie einen in Ruhe lassen, solange man in ihnen steckt und sie nur in Schüben wahrzunehmen sind. So wie man auch Veränderungsprozesse von Menschen, die man täglich sieht, erst mitkriegt, wenn ein alter Bekannter nach langer Zeit vorbeikommt und unter vier Augen sagt: "Mensch, der X sieht aber fertig aus." Man behält dann für sich, dass man das Gleiche von ihm selbst denkt und weiß dadurch, was er für sich behält.

Wiederholungen von Fernsehsendungen lösen einen Schub nach hinten aus, aber mit dem gleichen Effekt der Selbst-Vergegenwärtigung. Sieht man den lieben Erik Ode in einer "Kommissar"-Folge, an die man sich noch erinnern kann, wird einem schlagartig klar, dass er heute in seinem Polizeirevier weder so ungehemmt rauchen könnte noch ständig Cognac trinken, schon gar nicht von Rehlein gebracht. Rehlein würde nämlich sagen: "Das gehört nicht zu meinem Kompetenzbereich", und sie würde sowieso niemals Rehlein heißen. Sie würde Mereth Rosenbaum heißen und als alleinerziehende, aber total taffe Gerichtsmedizinerin ihrem etwas trotteligen, dabei durchaus liebenswerten Polizeikollegen öfter mal das Heft aus der Hand nehmen und am Ende immer recht behalten. Auch Ekel Alfred würde spätestens nach der dritten Folge von seiner Ehefrau verlassen werden, wenn nicht irgendwelche sexuellen Obsessionen ins Spiel kämen. Die ätzende Tristesse der Fassbinder-Serie "Acht Stunden sind kein Tag" würde höchstens 3sat seinen Zuschauern zumuten, aber nicht zur Primetime. Und Pan Tau, der stumme Zauberer aus der Tschechoslowakei, der ständig kleinen Mädchen beim Schaukeln zuschaut, geht in Zeiten des Kindesmissbrauchs gar nicht mehr.

Ja, es hat sich einiges getan. "Gender Mainstreaming" is watching you, junge Talente bilden Bürogemeinschaften und verdienen ihr Geld heimlich im Call-Center, Künstler sind Geschäftspartner von ihren Verwertern.

Und so endet heutzutage für eine Band auf Tournee jeder Abend gleich: mit der Litanei des jeweiligen Veranstalters nämlich, dass keine Sau mehr zu Konzerten käme und man sich solche Abende nur noch als Luxus leisten könne, der von den Ü-30-Partys am Wochenende finanziert würden.

Nach fünf Abenden kann man's nicht mehr hören. Deshalb sieht man zu, nach dem Konzert die Abrechnung und den Abbau zügig hinter sich zu bringen und in eine nette Bar zu kommen. Wenn man Pech hat, läuft der Veranstalter irgendwann dort auf und holt nach, was er vorhin noch alles sagen wollte. Und was er dann sagt, ist so wahr wie grauenhaft. Aber eben auch dasselbe wie gestern und vorgestern.

"Leute, bin ich denn ein Kiosk/ Oder bin ich vielleicht eine Bank/ Oder seh ich aus wie ein Hotel/ Oder wie ein Kassenschrank?"

So fragte einst die Schweizer Musikformation Rumpelstilz und prangerte damit das Schnorrertum an. Im süddeutschen Raum war das ein Hit, und erst viele Jahre später habe ich festgestellt, dass das rachenlastige Schwyzerdütsch ("Chiosk") eine entschärfte Variante für den deutschen Markt gewesen war. Aber egal. Jedenfalls schleicht sich auch so ein Kiosk-Gefühl ein, wenn man ständig frustrierte Veranstalter trösten muss. Soll man im Gegenzug erklären, dass man sich diese Tour auch nur leisten kann, indem man den und den öden Job macht? Dass man die Platte quasi selbst finanziert hat, weil das Label pleite ist?

Lustig ist es manchmal, in ehemaligen selbstverwalteten Jugendzentren anzukommen, wo man früher oft gespielt hat und die heute voll oder halb staatlich getragen werden: Kein Schwein kennt einen, aber man wird aufs Höflichste empfangen und zum Cateringraum geleitet von verschüchterten Azubis, die diese Prozedur gewissenhaft in ihrem Ausbildungsheft verzeichnen und sich später einmal Veranstaltungstechniker nennen dürfen.

Es gibt aber auch positive Beispiele gesellschaftlicher Veränderung. Der Schrecken eines Gerichtsvollziehers und das persönliche Stigma ist für mich verschwunden, seit sich meine sehr nette Vollzugsbeamtin schon mehrmals bei mir blicken ließ, einfach, weil sie in der Nähe war und mal schauen wollte, ob gerade was zu holen sei. Und dann trinkt sie Kaffee bei mir. Auch wenn gerade nichts zu holen ist.

Berliner Zeitung, 22.01.2007

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