Donnerstag, 22. März 2007

Frauen in Männerberufen und Männer in Frauenberufen

Wintersemester 1998/99
Seminar: Arbeitsmarktchancen von Frauen
Prof. M. Buchmann, Lic. phil. I. Kriesi, Lic. phil A. Pfeifer

Frauen in Männerberufen und Männer
in Frauenberufen
Ein Vergleich


Soziologisches Institut der Universität Zürich
betreut durch Prof. M. Buchmann
und Lic. phil A. Pfeifer
Shahanah Schmid
Birmensdorferstr. 93
8003 Zürich
01/ 451 70 59
shani76@yahoo.com
Februar 1999
“Halb plus falsch”:
“Eine Landkarte mit weissen Flecken so gewaltigen Ausmasses
ist aber nicht nur unvollständig, sondern auch auf Grund
dieses Fehlers Fehler-haft, verfehlt, falsch. Denn die
Kartographen sind sich ja der Tatsache nicht bewusst, dass
ihnen ganze Erdteile unbekannt sind, sondern halten das ihnen
Bekannte für den ganzen Erdkreis und verzeichnen und
verzerren daher die Linien in einer Weise, dass sich das Bild
nicht einfach nur durch Ergänzungen herstellen lässt.”
Cornelia Klinger 1986, S. 75; zitiert nach Brück et al., 1997, S. 21)
1. Einleitung
Während im Alltagsverständnis das Geschlecht ein eindeutiges, unveränderliches und grundsätzliches Merkmal eines jeden Menschen ist, das in genau zwei Ausprägungen vorkommt und natürlich ist, also allen sozialen Verhältnissen zuvorkommt und zugrunde liegt, hat sich in der Wissenschaft der Diskurs um das Geschlecht in den letzten Jahren radikal verändert.
Der erste, wichtige Schritt war in den Siebzigerjahren die Unterscheidung zwischen einem ursprünglichen, natürlichen Geschlecht (sex) und der sozialen Ausbildung und Überformung davon (gender). Dies hat es erlaubt, die sozialen Zusammenhänge und Formierungsprozesse zu erkennen und beschreiben. Aufgrund von Protesten von sozial schlechtergestellten und nicht in der entwickelten westlichen Welt lebenden Frauen, die sich von der feministischen Literatur nicht angesprochen fühlten, haben aber im Zuge postmoderner, konstruktivistischer Theoriebildung radikale Feministinnen argumentiert, diese Unterscheidung sei an sich ein Konstrukt und führe in eine Sackgasse.
Es gibt nur eine Art von Geschlecht, und diese hat keine biologische Basis, sondern ist sozial konstruiert. Judith Butler (1991) meint, dass wir nie “für Frauen” sprechen oder uns einsetzen können, ohne grundsätzlich schon akzeptiert zu haben, dass es einen nicht-sozialen Unterschied und damit zwingend auch eine Hierarchie zwischen Männern und Frauen gibt.
Diesen Unterschied, respektive eine Gemeinsamkeit zwischen allen Frauen, zu definieren, ist ihrer Ansicht nach noch niemandem schlüssig gelungen. Deshalb plädiert sie dafür, Geschlecht nicht mehr als starre Eigenschaft anzusehen, sondern als Produkt performativer Tätigkeiten. Wir haben/sind nicht ein Geschlecht, sondern wir machen es, produzieren es ständig in all unseren Handlungen und Diskursen.

Ähnlich wie West und Zimmermann spricht sie von Doing Gender:
“Doing gender involves a complex of socially guided perceptual, interactional, and
micropolitical activities that cast particular pursuits as expressions of masculine and
feminine >natures<. (...) Rather than a property of individuals, we conceive of
gender as an emergent feature of social situations: as both an outcome of and a
rationale for various social arrangements and as a means for legitimating one of the
most fundamental divisions of society.”
(West/Zimmermann 1991, S. 14; zitiert nach Heintz et al. 1997, S. 58)
Dieses flexible Verständnis von Geschlecht hat vielerlei Implikationen. Zum Beispiel müsste es möglich sein, auch andere Ausprägungen von Geschlecht zu “machen” als traditionellerweise männlich oder weiblich, und es müsste auch die Variante geben, gar kein Geschlecht zu machen.
Bevor aber solche Überlegungen sinnvoll angestellt werden können, muss untersucht werden, wie denn konkret Geschlecht produziert wird. Erst wenn wir das verstehen, können wir bewusst anders “geschlechtern”.

Nun fällt es uns aber sehr schwer, Prozesse des Doing Gender zu erkennen, weil die Theorie unseren Alltagsvorstellungen so sehr widerspricht. Wir sind sozusagen durch unsere Sozialisation blind dafür geworden. Hinweise lassen sich bei kleinen Kindern finden, die bis zu einem gewissen Alter ihr Geschlecht für variabel halten und das Geschlecht anderer Personen an für Erwachsene sehr merkwürdig anmutenden Eigenschaften erkennen. Kessler/McKenna haben in diesem Bereich wichtige Forschungen angestellt (Kessler/McKenna 1978)
.
Eine andere Möglichkeit ist das Studium Transsexueller. Menschen, die ihr Geschlecht im Laufe ihres Lebens verändern, müssen lernen, wie man das andere Geschlecht macht, und zwar müssen sie das neue Geschlecht besonders überzeugend machen, da die Umgebung von vorneherein zweifelt. Leider ist die absolute Zahl Transexueller ziemlich begrenzt, und die Forschung gilt als Randgebiet der Soziologie.
Zum Klassiker in diesem Bereich avanciert ist Garfinkels Studie über die Transsexuelle Agnes (Garfinkel 1967).

Nun hat sich aber gezeigt, dass auch in Gruppen, die stark von einem Geschlecht dominiert werden, aber nicht ganz homogen sind, das Geschlecht überzeichnet dargestellt wird (Rosabeth Moss Kanter hat die Bedeutung der Zahlenverhältnisse als Erste formuliert; Moss Kanter 1977).

Deshalb eignet sich die Forschung an Menschen in geschlechtsuntypischen Berufen sehr dafür, Prozesse des Doing Gender zu untersuchen. Auch andere Bereiche, zum Beispiel spezifische Sportarten, in denen ein starkes Ungleichgewicht der Geschlechter herrscht, bieten sich an; der Arbeitsmarkt ist aber soziologisch schon mehr ausgeleuchtet, was eine gute Basis für die
Forschung bildet, und dieses Gebiet ist im Licht der Bemühungen um gleiche Chancen für die Geschlechter auch soziologisch relevanter.

Bevor ich überhaupt weiterschreibe, gilt es, zu definieren, was ein Männerberuf und was ein Frauenberuf ist.

Dabei ist es wichtig festzustellen, dass es keine Berufe gibt, die “von Natur aus” nur von einem Geschlecht ausgeübt werden können; dies würde von einem festen biologischen Geschlecht ausgehen. Ich arbeite mit einem flexiblen Geschlechterbegriff, ein Geschlecht, das nicht den Tätigkeiten und Fähigkeiten zugrunde liegt, sondern deren Resultat ist.
Weiter könnte man einen Männerberuf so definieren, dass es ein Beruf ist, der in den Köpfen der Menschen stark mit Männlichkeit assoziiert wird. Dies wäre eine durchaus legitime Definition. Allerdings wird dies selten gemacht (als Beispiel ist die Arbeit von Herzog über Mathematik zu nennen; Herzog et al. 1997), und deshalb existieren wenig Daten; eine derartige Kategorisierung der Berufe müsste erst durchgeführt werden.

Aus diesem Grund schliesse ich mich der gängigen soziologischen Praxis an, und definiere Männerberufe resp. Frauenberufe als solche Berufe, in denen zu unserer Zeit in unserer Gesellschaft ein grosses Fehlverhältnis zwischen den Geschlechtern besteht. Meist wird 30% als Grenze gesetzt.
Alle Menschen in geschlechtsuntypischen Berufen tragen somit ein gemeinsames Merkmal: Sie befinden sich ausgesprochen in der Minderheit.

Als erstes werde ich einige theoretische Hintergründe darlegen. Ich gehe auf die Tokenism-Theorie von Rosabeth Moss Kanter ein, die als erste die Wichtigkeit der numerischen Verhältnisse betont hat. Sie hat in den Siebzigerjahren in einer breit angelegten Studie Frauen und Männer in einer grossen amerikanischen Korporation untersucht. Vor allem im höheren Management ist sie auf eine starke Männerdomäne gestossen.
Wie Frauen und Männer mit dieser Situation umgehen, hat sie eindrücklich beschrieben.

Leider hat sie die Situation von Männern in Frauenberufen nur theoretisch analysiert. Deshalb befasse ich mich als nächstes mit den Arbeiten von Christine L. Williams (Williams 1989, 92, 93, 95), die gerade dies speziell gewichtet hat. Williams’ Ansatz betont vor allem den Statusunterschied zwischen Männern und Frauen und erklärt diesen entwicklungspsychologisch. Daraus leitet sie geschlechtsspezifische Unterschiede in der Situation von Menschen in geschlechtsuntypischen Berufen ab.

Schliesslich untersuche ich den Ansatz von Bettina Heintz und Eva Nadai (Heintz/Nadai 1998), welche keine Verallgemeinerung der Befunde dieser Extremsituation zulassen will.

Nach diesem theoretischen Überblick gehe ich auf die konkreten Formen ein, wie Geschlecht dargestellt wird. Dabei ziehe ich noch weitere Studien hinzu, welche sich empirisch mit einzelnen Berufen beschäftigt haben.

Grundsätzlich stellt sich für mich die Frage, inwiefern sich Männer und Frauen im Produzieren von Geschlecht unterscheiden.

2. Fragestellung
Männer in Frauenberufen - Frauen in Männerberufen: Ein Vergleich, so lautet der Titel dieser
Arbeit.

Vergleichen liesse sich vielerlei. Interessant wäre zum Beispiel zu untersuchen, welche Attribute Männer und Frauen haben, die einen geschlechtsuntypischen Beruf wählen, von welcher sozialen Schicht sie kommen, ob diese Berufswahl mit einem sozialen Auf- oder Abstieg verbunden ist etc.

Ich beschränke mich in dieser Arbeit auf einen, dafür sehr interessanten, Aspekt:
Wie wird Geschlecht in geschlechtsuntypischen Berufen produziert?
Es ist einleuchtend, dass Frauen Geschlecht anders machen als Männer; schliesslich erkennen wir Frauen als Frauen und Männer als Männer.
Doch welches sind die konkreten Unterschiede, und wo sind sich die Geschlechter gleich?

Fragestellung:
Ich untersuche das mir vorliegende Material daraufhin, wer in welcher Situation wie Geschlecht produziert, und welche Auswirkungen dieses Doing Gender auf die berufliche Stellung hat.

Ich gehe ziemlich explorativ vor. Es gibt keine breiten empirischen Untersuchungen zu diesem Thema, da sich geschlecht-produzierende Tätigkeiten schlecht in Zahlen fassen lassen. Alle von mir gelesene Literatur hat mit qualitativen Methoden gearbeitet. Trotzdem lässt sich von meiner Fragestellung eine - allerdings sehr allgemein gefasste - Hypothese ableiten.

Da Weiblichkeit generell mit tieferem Status verbunden ist, nehme ich an, dass Betonung von Weiblichkeit für
Frauen zu Widersprüchen führen kann.
Meine Hypothese lautet also folgendermassen:

Hypothesen:
Frauen und Männer in geschlechtsuntypischen Berufen betonen ihr Geschlecht durch verstärktes Doing Gender..

http://www.soziologie.ch/resources/texts/docs/seminararbeit2.pdf

1 Kommentar:

Alfi hat gesagt…

Ich glaube das Frauen von Haus aus einen anderen Zugang zu Dingen haben als Männer und umgekehrt. Deswegen sind Frauen in Männerberufen und Männer in Frauen Berufen eine absolute Bereicherung für die gesamte Firma ! Alfi von Alphamann-Blog.com