Sachbuch - Weiblichkeit
Die Rätselfrau
Warum nur überlegt die Republik unaufhörlich, was weiblich ist? Zwei neue Bücher helfen weiter, ein Dauergespräch der deutschen Öffentlichkeit zu verstehen.
Von Ursula März
Man könnte meinen, wir seien in der Pubertät. In der Lage sehr unruhiger junger Geschöpfe, die sich auf der Suche nach einem Plan für ihr Ego befinden und ihn alle zwei Monate versuchsweise neu entwerfen. Alle zwei Monate werden Frauen zum Thema, kommt eine Diskussion auf die Tagesordnung, ein Trend in den Diskurs, ein Buch ins Haus, das über die Vermittlung seines Sachverhalts hinaus vor allem eins leistet: uns daran zu erinnern, dass Weiblichkeit, weibliches Leben, weibliche Identität eine Frage ohne gültige Antwort sind. Gesprächsstoff ohne Ende. Von A wie Arbeitsmarkt und Abtreibung bis Z wie Zeitökonomie und Zitronenmaske. Irgendwas brodelt immer.Feminin oder feministisch, dienend oder dominant: Die Frauenfrage ist ungelöstAbb.: Katharina Sieverding »Ohne Titel/Ultramarine III, 1993«, VG Bild-Kunst, Bonn 2006 BILD
Mal rechnet die Familienministerin den Hausfrauen vor, wie viele Stunden sie in Yogakursen verfaulenzen, die sie besser der Hausmusik mit dem Nachwuchs widmeten. Mal denkt ein Blättchen über den Einfluss von Politikergattinnen auf die Politik des Gatten nach. Mal staunt die Welt, wie viele Verlage, Nachrichtensendungen, Talkshows von Frauen geleitet werden. Mal macht sie die Gegenrechnung auf: Keine Frau ist Chefredakteurin einer großen Tageszeitung, keine war je Bundespräsidentin. Die Nacherzählung des typischen Lebenslaufs einer kinderlosen Karrieristin darf ebenso als unendliche Geschichte gelten wie die xfache Darstellung des Alltagsszenarios verheirateter oder unverheirateter Mütter eines Kindes oder zweier Kinder oder dreier. Man könnte sagen: Weiblichkeitskritik gehört so notorisch zum allgemeinen Denken wie ehemals Gesellschaftskritik.
Das Weiblichkeitsbild, das Mütter und Großmütter vererbten, ist brüchig, auf eine Weise beschädigt, die nur schwer auf den Begriff zu bringen ist. Und doch scheint es bis heute das Unsicherheitsklima der Identitätsbildung zu prägen. Diesen Gedanken fordert die Lektüre zweier neuer Bücher heraus, die formal verschieden sind, aber die gleiche historische Phase in den Blick nehmen: die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und das darauf folgende Jahrzehnt.
Im einen Buch kommen Frauen zu Wort, die in den späten dreißiger, frühen vierziger Jahren geboren wurden und mit Müttern aufwuchsen, deren Männer aus dem Krieg oder der Kriegsgefangenschaft nicht zurückkamen oder, was für die Arbeit der Trauer wie für die Formung des Tochter-Ego die schwerste Bürde darstellte, für lange Zeit als verschollen galten. Vaterlose Töchter ist der Titel des Buches, in dem die Berliner Publizistin und Kritikerin Cornelia Staudacher mit der Methode von Oral History, das heißt ohne wissenschaftlichen, historisch allgemeingültigen Anspruch, zwölf Lebensgeschichten protokolliert und mit einer diskret zurückhaltenden Autorenstimme nacherzählt.
Der rote Faden durch die Geschichten knüpft sich von allein: Das unglückliche Verhältnis zu den Vorgaben des Geschlechts und seiner Rolle. Zu Müttern, die meistens wenig mehr als Last, Not und Benachteiligung darin erkennen konnten, als Familienoberhaupt ein Männerleben zu führen, und sich nicht selten in die Neutralisierung ihres Frauenlebens flüchteten. Zu Vätern, die real abwesend, aber auf phantomhafte Weise umso wirkungsvoller anwesend waren. Es gab sie nicht als Gesicht, Körper, mal liebevollen, mal strengen Erzieher, nicht als Ernährer. Aber es gab sie in der Familienlegende als geopferte Mitwirkende eines katastrophalen, aber pathetisch gewaltigen geschichtlichen Zusammenhangs. Sie lebten unsichtbar mit, als männliche Ideale, deren Substanz aus Vergangenheit bestand.
In der Vergangenheit lebten auch ihre zu Witwen gewordenen Frauen, deren Weiblichkeit sich weniger durch das gegenwärtige als durch ein früheres Leben definierte. Bis in die fünfziger Jahre hinein, erzählt eine heute über 60 Jahre alte Tochter, fiel bei jedem Geburtstag, jedem Weihnachtsfest, ja jedem gelungenen Sonntagsmahl und Sommerausflug der Satz: »Das würde Vati auch gefallen.«
Wenn Töchter für ihre fehlenden Väter einspringen
Was die Vorstellung der vaterlosen Kriegstöchter am männlichen wie am weiblichen Dasein am stärksten beeindruckte, war dessen melancholische Verhinderung. Es vollzog sich erinnert oder aufgeschoben, unterdrückt oder mit Fantasien überbrückt, in jedem Fall: ungelebt und unerreichbar. Und in vielen Fällen: in der Gestalt des Ersatzes. Womit fast alle der vaterlosen Töchter bis ins hohe Alter hadern, ist die ungesund symbiotische Übernähe zu Müttern, die ihre Kinder in die Leerstelle an ihrer Seite schoben. Oft waren es durch ihre Lebenstüchtigkeit eher die Töchter als die Söhne, die symbolisch für den fehlenden Vater einsprangen. Staudachers Buch zeigt eindrücklich, wie überfordert und allein Frauen damit waren, seelisch oder real, Glück und Unglück ihrer verwitweten Mütter zu schultern, sich verantwortlich zu fühlen für ihre Biografie. Wie eng der Spielraum für eigenes weibliches Lebensglück dabei oft blieb.
Weiblichkeit war nach dem Krieg eine Schwarzmarktwährung
Aber: Zu den realen Schwierigkeiten, in diesen Rollen der Heldenwitwen, Vätermütter, Töchtergatten zu leben, kommt als historische Spezialität das Wissen um ihre Irrealität. Das Wissen, dass es sich um Übergangsprovisorien handelte, von den Zeitläuften erzwungen, aber nicht wirklich gemeint und anerkannt. Von der NS-Ideologie so weit entfernt wie von der anbrechenden Ideologie restaurativer Familienidylle unabgestützt. Weiblichkeit in der unmittelbaren Nachkriegszeit kann man sich als einen Code vorstellen, der für den Moment gilt, sich im nächsten Moment ändern kann und auf seine dauerhaft gültige Definition wartet; eine geschlechtliche Schwarzmarktwährung.
Sooft man dieses Experiment unternimmt, gerät man ins Taumeln: typische Fotografien typischer Frauen der fünfziger Jahre zu betrachten; und sich dann vorzustellen, dass genau dies die deutschen Frauen waren, die zehn Jahre zuvor foreign affairs mit Alliierten hatten – und nicht zu knapp –, das Fraternisierungsverbot missachteten, solange es galt, die Beine zum amerikanischen Swing, die Haare im Arm eines schwarzen GIs auf dem Rummel fliegen zu lassen. Aber es müssen genau dieselben Frauen gewesen sein.
Dieselben wiederum, die noch zehn Jahre früher dem BdM angehört hatten. Ein halbes Jahr, ja ein paar Monate reichten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, um allein den Begriff »Fräulein« komplett umzuwerten. Noch in den zwanziger Jahren, erwähnt die Filmhistorikerin Annette Brauerhoch in ihrer weiträumigen, detaildichten Studie Fräuleins und GI’s, war das Fräulein eine moderne, berufstätige weibliche Person, die recht gern und gut allein lebte und ihre Freiheit im Fahrtwind des Fortschritts genoss.
Nach der Ankunft der Alliierten bildeten deutsche »Fräuleins« eine »ganz eigene Kategorie von Frauen. Im Rahmen des existierenden Stereotyps nahmen sie nicht wie die vielzitierte Trümmerfrau – entsexualisiert, familienorientiert und arbeitsam – am unmittelbaren und nationalen Projekt des Wiederaufbaus teil, sondern gaben sich hedonistisch, exhibitionistisch Vergnügungen hin, die mit Scham, Untreue und Ehrverlust assoziiert wurden.« Und natürlich: mit Prostitution. Auch Heldenwitwen, über deren verwaiste Töchter Cornelia Staudacher schreibt, waren unter den Fräuleins. Aber was waren sie jetzt im Spiegel ihrer Frisierkommoden und der Kulturgeschichte? Zwei, drei Rendezvous, der Besitz von Nylonstrümpfen reichten in den rolleninstabilen Jahren, eine Frau nicht nur bei den Nachbarn in Verruf, sondern im Handumdrehen von einem kulturellen Rollenkonzept ins nächste zu bringen; Hausfrau – Flittchen – Hure – Hausfrau – Mutter.
Annette Brauerhoch hat für ihre wissenschaftliche Arbeit über die literarische und filmische Darstellung der Liaisons zwischen Deutschen und Alliierten eine fulminante Fülle an Dokumenten, Archiv- und Filmmaterial zusammengetragen. Dies und der bisweilen gipserne Theoriejargon machen die Lektüre ihrer Untersuchung zu einem etwas sperrigen Vergnügen. Auf dem Weg von der Universität in die Buchhandlung hätte dem Text eine Station in der Änderungsschneiderei für Essayistik ganz gut getan.
Aber ungeachtet dessen ist Fräuleins und GI’s ein Schätze förderndes Standardwerk zur Ästhetikgeschichte der Nachkriegszeit. Brauerhochs Augenmerk liegt vor allem auf einem Aspekt: den willkürlichen, umwertenden Operationen, die Verlage, Filmproduzenten, Regisseure je nach moralischem und ideologischem Bedarf unternehmen, wenn es darum geht, weibliche Moral, weibliches Verhalten zu gestalten und zu qualifizieren. Die Voraussetzung dafür ist natürlich, dass sich die gesellschaftlichen Weiblichkeitsbilder der Frauen ein oder zwei Generationen vor uns in einer höchst irritierbaren Situation befanden. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass die Spur dieser Irritation bis in die Gegenwart führt. Und – unter anderem – unser notorisches Dauergespräch zum Thema Frau erklärt.
DIE ZEIT, 09.11.2006
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