Freitag, 23. März 2007

Vom Wühlen in Gefühlen

DIE ZEIT

Vom Wühlen in Gefühlen

Sind Frauen die besseren Menschen? Ein Ausflug auf den Ratgebermarkt

Jörg Albrecht

Man kann das Thema in zwei Worten abhandeln. Passen Männer und Frauen zusammen? Eigentlich nicht. Oder, etwas differenzierter, in dreien: Mann + Frau = Krise, hieß es im Spiegel Special; auch damit war schon vieles gesagt. Aber, der Leser ahnt es, nicht alles. Das große lamento amori will am Ende des 20. Jahrhunderts nicht verstummen. Wie denn auch? Die Schlacht hat ja erst begonnen.
"Auf Mann und Frau", weissagt der Dichter Peter Handke, "wartet heute von Anfang an der Haß. So viel Schmutz und Verschmutzung zwischen den Geschlechtern war nie" (In einer dunklen Nacht ging ich aus meinem stillen Haus). Was nicht ganz zufällig wie eine Beschreibung der Zustände im Kosovo klingt. Seit Monaten rangiert ein Buch der New Yorker Lektorin Harriett Rubin auf der Bestsellerliste, das sich Machiavelli für Frauen nennt. Es handelt von der Macht, wie man sie kriegt und damit zwangsläufig von üblen Machenschaften. Böse Mädchen kommen überallhin.Man kann nicht behaupten, daß auf der Gegenseite die allgemeine Teddybärisierung eingesetzt hätte. Aus den Schützengräben wird scharf geschossen. "Zum Schieflachen" findet der Journalist Matthias Matussek (Die vaterlose Gesellschaft) jegliche Sorge um "die sogenannte Alleinerziehende", der die staatlichen Helferschwadronen mittlerweile zur Seite sprängen wie einer Schwerverwundeten, als sei das Kinderkriegen "sozialer Fronteinsatz" und als stehe fortan jeder "bindungsschwachen Bafög-Empfängerin" Kriegswitwenrente zu.
Keine Schonung, nirgends. Und schon gar nicht für Unsere Mütter. Das Kursbuch 132 liest sich wie blanke Verachtung. Geschrieben von Männern und Frauen, wohlgemerkt. "Liebe Mutter, dein Tod war für mich eine Erlösung, wenn auch keine Befreiung. Ich weiß, du hast mich über alle Maßen geliebt, aber deine Liebe bedeutete immer nur Qual und Folter für mich" (Rudolf Westenberger). "Dahinten auf dem Photo steht sie. Ja, die mit dieser Nazirolle über der Stirn" (Eva Demski). "Aasgeier wachen erst dann aus ihrer Schläfrigkeit auf, wenn sie Witterung bekommen, daß ein Tier stirbt. Daß auch Menschen, insbesondere Mütter, die Charakteristika von Aasgeiern haben können, wurde mir erschreckend deutlich anhand des Lebens von Käthe Kollwitz" (Andreas Benz). "Man muß sein Mütterlein einfach liebhaben. Schon aus Notwehr" (Cora Stephan). "Jede Mutter ist eine Terroristin, nur sind jüdische Mütter noch ein wenig mehr so" (Henryk Broder). "Ich habe sie umgebracht, sagte er. Es klang wie eine Liebeserklärung" (Keto von Waberer).
Der Mann ist nur böse, das Weib aber schlecht
Wie soll man das nennen? Einen Diskurs? Wohin soll man sich in diesem Stellungskrieg ducken? Hinter Nietzsche? "Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es haßt; denn der Mann ist im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht." Aber ist damit schon alles Wesentliche gesagt? Die Liebe und der Haß, sie werden noch lange bestehen. Daß dabei Erhabenes neben das Triviale drängt, ist unvermeidbar. Es geht eben zu wie im wirklichen Leben.
Unter dem Titel Liebe am Ende des 20. Jahrhunderts - neue Wege in der Soziologie intimer Beziehungen fand im Oktober 1997 eine Tagung in Bonn statt. Finanziert wurde sie vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; daran sah man, daß hier keiner zu kurz kam. Jetzt liegt das Ergebnis als Buch vor, herausgegeben von Kornelia Hahn und Günter Burkart. Viel Bedenkenswertes findet sich darin, vor allem sehr viel Luhmann. Die Liebe, postulierte der große Bielefelder Systemtheoretiker, sei reiner Zufall und die "hohe Unwahrscheinlichkeit eines solchen sozial haltlosen Zustands" könne nur als "Wahrscheinlichkeit des Mißlingens" begriffen werden. Was sich anschaulich im neuen deutschen Film beweist; ein sogenanntes Verhältnis funktioniert hierzulande bloß noch als Komödie.
Die Sehnsucht freilich, daß es irgendwie und irgendwann anders sein könnte, scheint unausrottbar. Die größte Love-Story der vergangenen Jahre hieß bezeichnenderweise Titanic, und daß der Liebhaber darin an Unterkühlung stirbt, zeigt einmal mehr, daß die Liebe selbst unsterblich ist. Ein Wunder, gewiß, und ein Widerspruch in sich, aber ein immanenter. Noch einmal Luhmann: Liebe kombiniert geradezu von selbst Entgegengesetztes. Eroberung und Unterwerfung, sehende Blindheit, leidendes Genießen, bittersüßes Martyrium, und alle Paradoxien münden in die Maßlosigkeit, den Exzeß. Maßvolles Verhalten wäre in der Liebe ein tödlicher Fehler. Das entschuldigt so manchen Ausrutscher auf dem Beziehungsparkett. Ansonsten konnten sich die Soziologen in Bonn nicht recht auf den Begriff einigen. Wie soll man das nennen, was sich zum Ende des Jahrtausends zwischen Mann und Frau regt? Partnerschaft? Postromantik? Im Angebot waren bisher: die platonische Liebe, die aristotelische philia, der eros, der nomos sowie die agape. Ferner Minnesang und Courtoisie. Mystische Liebe und amour passion. Innige Freundschaft, Sinnen- und Seelenliebe, sentimentale, pragmatische, schließlich ironische Liebe. Aber heute?Heute langt es nicht einmal zu einem ordentlichen Postfeminismus. Seit Kate Millets Sexus und Herrschaft ist mehr als ein Vierteljahrhundert vergangen. Immer noch heißt es: Wühlen in Gefühlen. Und die Erkenntnis, daß das Private politisch sei, hat sich mit der Clinton-Lewinsky-Affäre inzwischen derart breitgemacht, daß man nur noch wünscht, es wäre alles andere, nur ebendas nicht.
Mußte das so kommen? Im nachhinein gesehen: ja.
Ursprünglich war ein guter Teil der Frauenbewegung von dem liebenswerten, aber naiven Glauben beflügelt, es komme für Mann und Frau nur darauf an, einmal recht ausführlich miteinander zu reden. Beziehungsarbeit leisten nannte man das seinerzeit - nächtelanges Rhabarbern in der Kneipe, am Küchentisch und im Bett. Das hat sich weitgehend verlagert, und zwar ins Fernsehen (weshalb es mit doppeltem Recht Privatfernsehen heißt). Ohnehin hätte es damals mehr als ein Heer von Kommunikationstechnikern gebraucht, um das Rollenverhalten, sagen wir der Einfachheit halber: des Mannes nachhaltig zu ändern.
Konsequenterweise hat der Feminismus später auf dieses Ziel verzichtet. Mannsein wurde als Defizit begriffen, die (heterosexuelle) Liebe als Sucht, die es in den Griff zu bekommen galt wie Alkoholismus oder Tablettenabhängigkeit. Seitdem steht die Frage im Raum: Sind Frauen die besseren Menschen? Feministische Theoretikerinnen haben es geschafft, das Problem noch tiefer in die logische Abseitsfalle zu treiben. Der "kleine" beziehungsweise "große Unterschied" existiert in ihren Augen gar nicht, sondern ist ein "diskursives Konstrukt", errichtet (die Überraschung hält sich an dieser Stelle in Grenzen) vom allgegenwärtigen Patriarchat. Schlußfolgerung: "Schon die Postulierung einer weiblichen Differenz verunmöglicht a priori die Befreiung der Frauen, da sie weibliche Lebensformen und Biographien weiterhin als den männlichen komplementär/konvenient und das heterosexistische Modell ad infinitum festschreibt" (Eva-Maria Krampe in einer taz-Rezension zu Claudia Pinl: Vom kleinen zum großen Unterschied).
Wenn es denn so wäre und Frauen samt und sonders konstruiert sind wie unsereins - wozu das ganze Geschrei? Geht es am Ende vielmehr um die Festschreibung eines weiblichen "Menschenrechts auf die C 4-Professur" (Katharina Rutschky)?
Umgekehrt hat sich bei denen, die sich zwar für emanzipiert, aber um Himmels willen nicht für Feministen/Feministinnen halten, eine Art neuer Wurstigkeit durchgesetzt. Männer sind vom Mars, Frauen sind von der Venus (so der Titel eines Bestsellers von John Gray). Großes Achselzucken. Da kann man halt nichts machen. Kommt es unter diesen Umständen gleichwohl zum Feindkontakt, zur interplanetarischen Begegnung, dann vollzieht sich das in Anerkennung der traurigen Tatsachen. Luhmann sagt: "Dem anderen zu ermöglichen, etwas zu geben dadurch, daß er so ist, wie er ist." Eine Art Prinzip der schwachen Wechselwirkung. Einziger Trost: So können auch "relativ unbalancierte Beziehungen" noch als "gleich begünstigend und unvergleichbar erlebt werden".
Herab von den Höhen der Theorie. Da hinunter, wo der Alltag regiert. Der Ratgebermarkt ist nach übereinstimmender Auskunft der Verlage das am stärksten expandierende Gebiet des Buchmarktes. Folgerichtig gibt es aberwitzige Mengen an Frauenratgebern; das Verzeichnis lieferbarer Bücher nennt mehr als 4000 Titel. Darunter die ewigen Klassiker: So angle ich mir einen Traummann, so mache ich Karriere, so bringe ich Kinder und Beruf unter einen Hut. Frauen, lernen wir, sind mit den Händen geschickter, sprachlich begabter und sowieso belastbarer. Frauen können rascher zwischen linker und rechter Gehirnhälfte umschalten und deshalb komplexer denken. Frauen besitzen emotionale Intelligenz und noch viele andere wunderbare Eigenschaften. Frauen sind die idealen Chefs. Frauen atmen richtig auf, wenn sie endlich über 40 sind. Frauen werden weise, wenn sie in die Wechseljahre kommen. Und dann leben sie auch noch länger.
Wieso, fragt man sich unwillkürlich, müssen sie dann immer so laut pfeifen im Wald? Unvoreingenommen läßt sich ein Satz wie: "Die Waffen einer Fürstin sind grundlegend für ihr Dasein" auch nicht unbedingt als "kühn, provozierend, kontrovers" lesen. Eher schon als kategorischen Kitsch. Selbst wenn er auf Platz fünf der Bestsellerliste steht und Hannelore Elsner ihren Machiavelli für Frauen spätabends bei Biolek preist.
Rumdrucksen, schweigen, runterschlucken. So sieht die Wiesbadener Psychologin Ute Erhardt (Gute Mädchen kommen in den Himmel, böse überallhin) ihre Leidensgefährtinnen. Zieren, zicken, zetern, keifen, so sieht sie der Magdeburger Soziologe Rainer Paris (Stachel und Speer) am Werk. In bester alter Tradition werden Schuldzuweisungen hin- und hergereicht. Frauen lesen Schundromane. Männer gucken Pornos. Frauen suchen Prinzen, Männer eine Partnerin, die sich nach dem Beischlaf umgehend in einen Kasten Bier sowie fünf Freunde verwandelt. Das tägliche Miteinander - eine einzige Katastrophenübung.
Der tiefe Blick in die Augen, das Rot- und BleichwerdenGibt es einen Ausweg? Wenn sogar die Dichter ratlos sind? "Haben wir früher einander eher still geduldet?" fragt Peter Handke. Und: "Ist es vielleicht besser so wie jetzt? Besser doch, sofort aufeinander loszuschlagen, bei der ersten Begegnung, oder? Statt eines tiefen Blicks, statt eines Rot- und Bleichwerdens, statt eines Stichs im Herzen gleich das wilde Aufeinander-Einprügeln, oder?"
Oder wie? Die Antwort lautet: Wir brauchen nicht mehr, sondern andere Ratgeber. Damit alle neu lernen, was die ewig talkende, salbadernde, predigende, sich das Maul zerreißende, über alles herziehende, noch den hinterletzten Rest privaten Schamgefühls in Grund und Boden palavernde Gesellschaft verlernt hat: gelegentlich mal den Mund zu halten. Nämlich dann, wenn es darauf ankommt. Wenn es darum geht, den Kern der Sache nicht mit billiger Münze zu verspielen. "Ich find' dich scheiße!"singt sich schnell dahin. Am Gegenteil des Ausdrucks wird seit Salomo gearbeitet. In Wahrheit noch erheblich länger.
Wirkliche Bedingung allen Beziehungsglücks, schrieb Stendhal in seinem Traktat De l'amour, sei die (wahnhafte) Verklärung des Partners. Das gilt für alle Beteiligten. Schließt Waffenstillstand. Und sei es ein brüchiger Frieden, wie ihn Alphons Silbermann propagiert, der den ganzen Liebesirrsinn, mit aller gebotenen Zurückhaltung, in die Nähe der Arschkriecherei rückt. Das Wort klingt härter, als es ist. Vor allem härter, als Silbermann es selbst meint. Denn tatsächlich weiß er natürlich (Jahrgang 1909) das alles höchst zu schätzen: Schmeicheleien und süße Komplimente, heiße Tränen, zärtliche Seufzer, haltlose Versprechungen, Sehnsucht, Neugier, Eitelkeit, Verführung, Habgier, Schutzbedürfnis. Setzt man das nun samt und sonders nur zu dem Zweck ein, den Gegner einzulullen? Nein. Wir wollen alle unser bißchen Glück. Dazu gehört die Illusion. Illusionsloses Glück gibt es nicht.
In diesem Sinne drei bescheidene Anregungen:
Männer seien Egoisten, heißt es erstens. So what? Das gehört noch zu ihren besten Eigenschaften. Männlich sein heißt, "in der Beziehung zu der Frau im letzten Grunde nur an sich, nicht aber an die Frau zu denken - auch wenn er sich ihretwegen totschießt. Und gerade dann ganz besonders" (Georg Simmel).
Zweitens: Frauen raffen Macht in Form von Liebe. Je nun. Das wußten schon die Indianer: Beim alljährlichen Potlatch gewinnt derjenige, der am meisten verschenkt. Das ins Gegenteil verkehren hieße allenfalls, die menschliche Reproduktion in Frage zu stellen.
Drittens: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold. So sieht es nicht nur der amerikanische Kommunikationsforscher David Stiebel (Wenn Reden die Dinge schlimmer macht). Das Schweigen, auch das Verschweigen, ist, wenigstens hin und wieder, konstitutiver Bestandteil dessen, was man so leichtfertig Liebe nennt. Dazu ein letztes Mal Niklas Luhmann: Die Liebe bedarf gewisser Tabuzonen, andernfalls ihr Sinn "dadurch zerstört wird, daß man ihn zum Gegenstand einer Mitteilung macht".
Was heißt das? Ohne Lüge wird die Menschheit nicht überleben. "Denn wie den Löwen mit Klauen und Gebiß, den Stier mit Hörnern und die Sepia mit der wassertrübenden Tinte, so hat die Natur das Weib mit Verstellungskunst ausgerüstet, den Mann dagegen mit Bartwuchs, damit er seine Gefühle verbergen könne" (Schopenhauer).
Was, bitte, ist daran zu tadeln? Frauen lügen anders lautet der Titel eines einschlägigen Rat-gebers aus dem Verlag Wolfgang Krüger. Gott sei Dank.
Bücher zum Thema
Harriett Rubin: Macchiavelli für Frauen Strategie und Taktik im Kampf der Geschlechter, Krüger Verlag, Frankfurt am Main 205 S., 34,- DM
Matthias Matussek: Die vaterlose Gesellschaft Überfällige Anmerkungen zum Geschlechterkampf; rororo Sachbuch 60597, Rowohlt, Reinbek; 288 S., 14,90 DM
Kursbuch 132: Unsere Mütter Rowohlt BerlinVerlag, Berlin; 172 S., 18,- DM
Kornelia Hahn/Günter Burkart (Hg.): Liebe am Ende des 20. Jahrhunderts Studien zur Soziologie intimer Beziehungen; Leske + Budrich, Leverkusen; 233 S., 36,- DM
David Stiebel: When Talking Makes Things Worse Whitehall & Nolton,Northa-ven/Dallas; 276 S., 24,95 Dollar
Rainer Paris: Stachel und Speer. Machtstudien
Catharina Lohmann: Frauen lügen anders Die Wahrheit erfolgreich den Umständen anpassen; Krüger Verlag, Frankfurt am Main; 176 S., 32,- DM
(c) DIE ZEIT 1998

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