Entscheidungsfreiheit der Frau und Vaterschaft sind zwei Konzepte, die nicht zusammenpassen
Ein Beitrag von Michael Peters
Die Leute werfen heutzutage unbekümmert mit dem Begriff „Entscheidungsfreiheit der Frau" um sich, als sei er ein Markenzeichen für Modernität. Er klingt großartig, fortschrittlich und natürlich liberal in unserem glorreichen Konsumzeitalter, in dem alles verfügbar ist. Er paßt gut zu der Fülle an Auswahlmöglichkeiten, die sich uns heute bietet: silberne Minivans und rote Kabrios, Smaragde und Zirkone, vorstädtische Reihenhäuser und innerstädtische Eigentumswohnungen, gegrillte Filets und Langusten.
Welche Wahl man auch treffen will, es wird ungefragt vorausgesetzt, daß man ein unveräußerliches Recht darauf hat. Hat nicht unsere Gesellschaft, angetrieben von ihrem Marketing-Apparat, ein solch fortgeschrittenes Stadium erreicht, daß wir jedermanns Verlangen, das „für ihn Richtige" auszuwählen und erfüllt zu bekommen, als Recht einräumen können und auch tatsächlich einräumen? Definieren wir nicht heute einen „erfüllten" Menschen als eine Person, die fähig ist, ihre Wünsche zu befriedigen? ...
Folglich benutzen die Menschen, sobald die Sprache auf das Thema Abtreibung kommt, reflexhaft den Ausdruck „Entscheidungsfreiheit der Frau", als sei er ein Werbeslogan. Ihrer Meinung nach bedeutet das einfach, daß im Falle einer Schwangerschaft die Frau freies Entscheidungsrecht darüber hat, ob sie das Kind austrägt oder eine Abtreibungsklinik aufsucht, in der ihr die „biologische Masse" entfernt wird. Zu welcher Entscheidung sie auch kommt, niemand wird das Recht zugestanden, sich in ihre Entscheidung für eine Abtreibung einzumischen, ebenso wenig wie in ihre Entscheidung, einen Schoner oder ein Segelboot zu kaufen.
Unsere gesamte Wirtschaft und Demokratie basieren auf einer abgrundtiefen Abneigung gegen jedwede Einschränkung unserer Entscheidungsfreiheit. In der Logik der Abtreibungsbefürworter wird dieser Slogan des Rechts auf freie Entscheidung als ein Schlagwort betrachtet, das auf der gleichen Ebene liegt wie „Alle Menschen sind gleich", „Recht auf freie Meinungsäußerung", „American Way of Life" und „Trennung von Kirche und Staat".
Der Slogan von der Entscheidungsfreiheit der Frau soll jeder weiteren Diskussion oder sogar jedem Nachdenken über die Abtreibungsfrage zuvorkommen. Was bleibt da noch zu sagen?
Schwangerschaftsabbruch klingt wie eine wunderbar einfache und saubere Lösung einer ungewollten Schwangerschaft und hat offenbar die moralische Rückendeckung durch unseren hehren Wunschtraum von der Wahlfreiheit des Verbrauchers. Schließlich landen wir bei Begriffen wie „Biomasse" oder „Empfängnisprodukt", das im Leibesinnern der Mutter entsteht, und ausschließlich deren Laune bestimmt, ob der Embryo ein Mensch ist oder ein entbehrliches Gewächs.
Wie können wir als Gesellschaft den Mann für die Existenz eines Babys in die Verantwortung nehmen wenn er kein Mitspracherecht darüber hat, ob das Baby geboren wird?
Als Vater sehe ich meine drei Kinder vor mir und frage mich: Wie paßt der Begriff Vaterschaft da hinein? Wenn Mutterschaft keine große Bedeutung für die Frau hat, was erwartet dann unsere Gesellschaft, wenn sie von der Vaterschaft des Mannes redet? Da sowohl ein Mann als auch eine Frau zur Zeugung eines Babys notwendig sind, kann ich dann nicht jedem der beiden Akteure des Zeugungsaktes einen 50-prozentigen Anteil an der Elternschaft zubilligen?
Keiner der beiden kann für sich alleine menschlichen Nachwuchs zustande bringen. Der Mann beteiligt sich mit den Spermien und die Frau mit Eizelle und Gebärmutter, in der sich das neue Leben einnistet und bis zur Geburtsreife heranwächstd. Wenn sie entscheidet, daß es ein Baby ist, dann wird vom Vater vorbehaltlose und hehre Liebe zum Sohn oder der Tochter erwartet, die Fleisch von seinem Fleisch und Blut von seinem Blute sind, an denen sein ganzes Herz hängt und für die er sein eigenes Leben hingeben würde. Interessanterweise kennen die Teilnehmer der von Lamaze ins Leben gerufenen Vorbereitungskurse für werdende Mütter und Väter keinen Wankelmut in der elterlichen Liebe. Die Ausbilder stellen gleich in der ersten Sitzung klar, daß der Begriff der „werdenden Mutter" nicht existiere; beide Teile des Paares seien „werdende Eltern". Ich kann einfach nicht die Konzepte der „Entscheidungsfreiheit der Frau" und der „Verantwortlichkeit der Eltern" miteinander in Einklang bringen.
Wenn die alleinige Entscheidung, ob das Baby als Mensch anerkannt und ausgetragen wird, ausschließlich bei der Mutter liegt, wie kann es dann eine Verantwortlichkeit der Eltern geben?
Ist es fair, von der Verantwortung der Eltern zu sprechen, ohne die Rechte der Eltern mit einzuschließen?
Wie können wir als Gesellschaft den Mann für die Existenz eines Babys in die Verantwortung nehmen, wenn er tatsächlich kein Mitspracherecht darüber hat, ob das Baby geboren wird?
Und was am wichtigsten ist: Wie kann diese unerschütterliche, grenzenlose und vorbehaltlose Liebe, welche vom Vater für das sich entwickelnde Kind erwartet wird, entstehen, wenn der Fortbestand des Lebens des Babies in das Belieben der Mutter gestellt ist?
Diese widersprüchlichen Haltungen bringen den Vater in eine unmögliche Lage, es sei denn, er hat ein Herz aus Stein. Wenn eine Mutter den Ausdruck „meine Entscheidung" verwenden kann, um sich der Mutterschaft zu entledigen, warum kann dann der Vater nicht den gleichen Ausdruck gebrauchen, um die Vaterschaft loszuwerden? Wenn wir ihm dies nicht gestatten, sagen wir doch, daß die Rechte der Frau über denen des Mannes stehen.
Der ganze Kampf für die Rechte der Frau ist ein lobenswertes und edles Unterfangen; wenn wir jedoch die Rechte der Frau über die des Mannes stellen, geraten wir erneut in die Falle, indem wir die Ungleichheit vor dem Gesetz wieder einführen. ...
Wenn heute eine Mutter einen Vaterschaftsprozeß führt, macht der Mann vor dem Richter geltend, daß ihm nun keine Verantwortung zukomme, und zwar aufgrund der Tatsache, daß die Frau sich für eine Abtreibung hätte entscheiden können. Wir hören heute in den Nachrichten (und kennen persönlich Fälle) von Männern, die keine Zuneigung oder kein Verantwortungsgefühl für ihre Kinder empfinden, sie nie sehen und nie dem Kind finanzielle Unterstützung zukommen lassen. Werfen wir ihnen nicht instinktiv vor, auf dem niedrigsten Niveau zu stehen, und fordern wir nicht von der Regierung, daß sie Maßnahmen ergreift, um diese Männer zumindest dazu zu zwingen, ihren finanziellen Verpflichtungen nachzukommen? Was verlangen wir von den Vätern? Welche Folgen hat es für die Gesellschaft, wenn es immer weniger entschlossene, hingebungsvolle, verläßliche und sich aufopfernde Väter gibt?
Jane Addams, die berühmte Gründerin des Hull Hauses in Chikago, schildert in ihrem 1907 erschienenen Buch The Spirit of Youth and the City Streets (Der Geist der Jugend und die Straßen der Stadt), daß „wir alle natürlich die von Arbeitnehmern wimmelnden Geschäfte kennen, die jahraus, jahrein ihren ganzen Lohn für das Wohl und die Erziehung ihrer Kinder ausgeben und sich selber nur die schäbigste Kleidung und einen bescheidenen Platz am Familientisch gönnen. ,Ein mieses Wetter, wenn man draußen sein muß’, bemerkst du, wenn dir an einem Februarabend der rheumakranke Herr S. begegnet, der im eisigen Schneeregen ohne Mantel nach Hause humpelt. ,Ja, es ist mies’, antwortet dieser, ,aber ich gehe diese Strecke zur Arbeit seit dem vergangenen Jahr zu Fuß. Wir haben unseren Ältesten wieder auf die Oberschule geschickt, wissen Sie’, und er geht weiter seines Weges mit keinem anderen Gedanken, als daß er das gewöhnliche Los eines gewöhnlichen Mannes erträgt."
Ein anderer Mann erzählt ihr: „Mein Cousin und seine Familie mußten nach Italien zurückkehren. Er kam mit seiner Frau und fünf Kindern nach Ellis Island, aber sie wollten den schwächlichen Jungen nicht aufnehmen, so daß sie natürlich alle zusammen mit ihm wieder zurückkehrten. Mein Cousin war schrecklich enttäuscht."
Was wollen wir unsere Söhne in Sachen Vaterschaft lehren?
Was für Vaterqualitäten erwarten wir, wenn sie als nächste Generation an der Reihe sind?
Welchen selbstverständlichen Sinn der Fürsorglichkeit für ihre Nachkommen erwarten wir von den Vätern?
Wenn wir nicht verlangen, daß der Vater das Kind im Mutterleib gegen die Launen der Mutter schützt, warum verlangen wir dann von ihm, daß er dieses Kind später vor den unvermeidlichen Gefahren der Welt schützt?
Vor einigen Jahren machte die Geschichte eines wohlhabenden Geschäftsmannes die Runde, der mit zwei Freunden und seinem 12-jährigen Sohn auf Angeltour an der Alaskaküste ging. Der Vater hatte eine Reihe solcher Urlaubstrips schon früher unternommen und dachte, der Junge sei jetzt alt genug, um ihn mit dieser Art von Anglerfreuden und Leben in der freien Natur des rauhen Nordens, wie er es liebte, vertraut zu machen. Sie flogen alle in einem kleinen Amphibienflugzeug, das der Vater zu der schmalen Bucht am Meer steuerte, wo ihre Hütte lag. Sie verbrachten dort zwei herrliche Wochen, und es gefiel ihnen so sehr, daß sie zusammen mit dem Jungen sich darauf freuten, im kommenden Jahr dort wieder angeln zu gehen. Als die vier den Rückflug antraten, geriet das Flugzeug außer Kontrolle, stürzte ab und versank in der Meeresbucht. In der unvermeidlichen Verwirrung und Panik gelang es den beiden Männern gerade noch, trotz der starken Strömung an Land zu schwimmen. Der Junge war offensichtlich bei dem Absturz so stark verletzt worden, daß er bewußtlos war. Der Vater blieb bei ihm im Wasser und unternahm alle Anstrengungen, um ihn an Land zu ziehen, aber ihm wurde schnell klar, daß er es gegen die starke Strömung mit dem Sohn im Schlepptau nicht schaffen würde. Die entsetzten Männer an der Küste konnten nur hilflos zusehen. Der Vater konnte mit seinem Sohn nicht die Küste erreichen, wollte sich aber auch nicht alleine retten und den Sohn im Wasser zurücklassen. Alles was er tun konnte, war bis zum Ende bei seinem Jungen im Wasser zu bleiben. Zuletzt sah man den Vater mit dem Sohn in den Armen auf’s offene Meer hinaustreiben.
Würde der Vater auf diese Weise freiwillig sein eigenes Leben für seinen Sohn geopfert haben, wenn der Wert des Kindes von der Entscheidungsfreiheit der Frau abhinge? Wie kann die Tiefe dieser väterlichen Hingabe aus Liebe in Einklang gebracht werden mit der Abwertung des Lebens des Kindes durch das einfache Verlangen der „Entscheidungsfreiheit der Frau"?
Jane Addams schilderte die Lage sehr treffend, als sie schrieb: „Diese wundervolle Hingabe an das Kind scheint bisweilen, inmitten unseres stupiden sozialen und wirtschaftlichen Arrangierens, das zu sein, was die Gesellschaft menschlich macht ... Die Hingabe an das Kind ist die unweigerliche Schlußfolgerung aus ... der Hingabe des Mannes an die Frau." Es ist natürlicherweise diese ungeheure Kraft, die Familie möglich macht, dieses Band, das die Gesellschaft zusammenhält und die Erfahrung von Generationen zu einer fortwährenden Geschichte fügt. „ ... dieses doppelte Band muß in jeder Generation unzählige Male erneuert werden, und die Kräfte, die notwendig sind, müssen mächtig und unbeirrbar sein. Es wäre ein zu großes Risiko, dies einer einzigen Kraft zu überlassen, da sie zeitweilig nachlassen kann und unbeständig ist. Das erwünschte Ergebnis ist zu gewichtig und zu wesentlich."
Solange der Ausdruck „Entscheidungsfreiheit der Frau" Einfluß ausübt, ist das Konzept der Vaterschaft - nicht zu reden von der Familie - in Gefahr. Die Gesellschaft kann nicht lange unter deren destruktivem Einfluß überleben.
Michael Peters
Quellennachweis:
HLI Reports, August 1995, Human Life International, Gaithersburg, Maryland, U.S.A., Vorsitzender des Direktoriums: Dr. phil. Paul Marx OSB, Herausgeber: Dr. phil. Matthew Habiger OSB
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Doris Laudenbach , 67227 Frankenthal
Michael Peters ist ein in Oak Park im amerikanischen Illinois lebender Sachautor.
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