Donnerstag, 22. März 2007

Der andere Blickwinkel


Wenn Ihr’s nicht fühlt, Ihr werdet’s nicht erjagen,
Wenn es nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt Ihr nur immer! Leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus
Und blast die kümmerlichen Flammen
Aus Eurem Aschenhäufchen ’raus!
Bewundrung von Kindern und Affen,
Wenn Euch darnach der Gaumen steht
Doch werdet Ihr nie Herz zu Herzen schaffen,
Wenn es Euch nicht von Herzen geht.
Goethe, Faust 1

Nur was man selber erlitten hat, kann man nachfühlen. Nur was man selber erfahren hat, kann man nachvollziehen.
Und so wird Frauen erst klar, welche finanziellen Verpflichtungen eine Ehe mit sich bringt, wenn sie selber sich diesen Verpflichtungen stellen müssen.
Und da ist dann Klagen, Heulen und Zähneklappern. So hat man sich Gleichberechtigung doch nicht vorgestellt.
Und von daher zeigt der im Folgenden abgelegt Artikel ganz neue Perspektiven und Einsichten aus Frauenmund, die man sonst in Debatten um Unterhalt so gar nicht hört.
Es zeigt sich der andere Blickwinkel.

DIE ZEIT

Männer in der Hängematte

Unterhalt nach der Scheidung: Immer häufiger wird die Frau zum Zahlen verurteilt

Bei der Scheidung profitieren doch immer nur die Frauen!" Dieser Satz, den mir ein Hamburger Taxifahrer kürzlich mit auf den Weg gab, dürfte ziemlich genau der Meinung der meisten Bundesbürger entsprechen. Daß dies keineswegs immer der Realität entspricht, zeigt eine ganze Reihe von neueren Urteilen. Immer häufiger sind es heute die Männer, die sich darauf verstehen, nach der Heirat mit einer gut verdienenden Frau kräftig abzusahnen. Richter helfen ihnen dabei.

Schon vor zwei Jahren hat der Bundesgerichtshof eine Sekretärin verpflichtet, ihrem geschiedenen Mann eine Zweitausbildung zum Diplompsychologen zu bezahlen (IV ZR 171/78). Zwar hätte der Mann, der gelernter Kaufmann war, ohne weiteres in seinem alten Beruf arbeiten können. Doch war er dazu nach Meinung der Richter nicht verpflichtet, weil dieser Beruf - gemessen an den "ehelichen Lebensverhältnissen" - nun für ihn nicht mehr "angemessen" war. Denn: "Der soziale Zuschnitt der ehelichen Lebensgemeinschaft" war darauf ausgerichtet, den Mann "aus dem Beruf des kaufmännischen Angestellten herauszuführen und ihm eine akademische Ausbildung und zukünftige Betätigung als Psychologe zu ermöglichen". An diesen gemeinsamen Lebensplan muß sich die (akademisch nicht gebildete) Sekretärin auch nach der Scheidung halten. Daß sie früher einmal erwartet hatte, der Mann werde seine von ihr bezahlte Zweit-Ausbildung "dereinst für die eheliche Lebensgemeinschaft auch wirtschaftlich nutzbar machen", soll dabei keine Rolle spielen. Auch daß sie selbst nicht studiert hatte, machte den Richtern kein Kopfzerbrechen. Lediglich die Bafög-Zahlungen muß er sich anrechnen lassen und auch das nur, wenn sie nicht als Darlehen gewährt werden.

Kein Einzelfall, wie eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken zeigt (6 UF 138/80): Eine Kinderkrankenschwester, die mit einem fünf Jahre älteren Jurastudenten verheiratet war, bezahlte von ihrem Einkommen jahrelang den gemeinsamen Haushalt, der Mann studierte. Kurz vor dem Examen wurde er krank und mußte sein Studium abbrechen. Wegen psychischer Störungen kam er ins Krankenhaus, später machte er eine Kur: erfolglos. Daraufhin trennte sich die Krankenschwester von ihm und legte sich einen neuen, vom Mann unabhängigen Lebensplan zurecht. Sie beschloß, Lehrerin zu werden, gab ihre Stelle auf und bereitete sich auf die Eignungsprüfung für das Studium an einer Pädagogischen Hochschule vor. Nebenher verdiente sie das Nötigste für ihren Lebensunterhalt - mal als Aushilfe in einem Café, mal als Haushälterin und Kinderpflegerin. Für den Mann blieb nichts übrig. Prompt verfolgte er sie mit Unterhaltsansprüchen. Vor Gericht trug er vor: Da er wegen seiner Krankheit nicht arbeitsfähig sei, habe die Frau ihren Beruf nicht einfach aufgeben dürfen, jedenfalls müsse sie ihm weiter mindestens 680 Mark Unterhalt im Monat zahlen.

Die angehende Lehrerin hatte Glück: Das Oberlandesgericht Saarbrücken attestierte ihr das Recht, nach der gescheiterten Ehe ihre eigene "berufliche Aufstiegschance wahrzunehmen". Die "aus der Ehe folgende Solidaritätspflicht" gegenüber ihrem Mann bestehe zwar grundsätzlich fort, sei aber eingeschränkt durch ihr Recht, "sich beruflich frei zu entfalten und sich ihren Fähigkeiten entsprechend voll zu verwirklichen". Solange sie studiert, wird sie daher keinen Unterhalt zahlen müssen.

Aus dem Schneider ist sie dennoch nicht. Das Gericht begründet seine Entscheidung nämlich mit der Bemerkung, der "derzeitige Unterhaltsausfall des Mannes" werde durch den "voraussichtlich höheren Anspruch kompensiert werden", den er später bei der Aufnahme ihrer Berufstätigkeit anmelden könne. Zu deutsch: Sobald die Frau ein Lehrerinnen-Gehalt bezieht, wird sie wieder zahlen müssen, und zwar mehr als 680 Mark im Mo- nat.

Einen dritten, besonders illustrativen Fall hat kürzlich wieder der Bundesgerichtshof entschieden (IV b ZR 544/80). Eine Zahnärztin hatte noch während ihrer Ausbildung einen Berufsoffizier geheiratet. Bald nach der Hochzeit machte sie eine eigene Praxis auf. Offenbar haben die Kontoauszüge seiner Frau den Offizier sehr beeindruckt. Jedenfalls beschloß er, ebenfalls Zahnarzt zu werden. Die Frau war damit einverstanden. Also quittierte er den Dienst und begann zu studieren. Die Zahnärztin unterstützte ihn mit monatlich 2000 Mark.

Nach einigen Jahren lebte sich das Ehepaar auseinander; zeitweise hatte der Mann eine Freundin. Daraufhin zahlte die Zahnärztin nur noch 800 Mark im Monat und betrieb die Scheidung. Der Mann verlangte - nach dem bekannten Muster - weiter mindestens 2000 Mark und Nachzahlung der Differenzbeträge nebst Zinsen.

Der Bundesgerichtshof stellt in seinem Urteil zunächst wie im Fall der Sekretärin fest, daß dem Ex-Offizier nach der Trennung eine Berufstätigkeit nicht habe zugemutet werden können. Eine Pflicht zur (bezahlten) Erwerbstätigkeit sei nämlich nur dann gerechtfertigt, wenn "die bisherige Funktionsteilung im Rahmen des gemeinschaftlichen Haushalts gegenstandslos geworden ist". Eben dies sei hier aber nicht der Fall. An dem "gemeinsam beschlossenen Aufgabenbereich" der Eheleute (Frau arbeitet, Mann studiert) habe sich mit der Trennung überhaupt nichts geändert.

Das heißt im Klartext: Wäre der Offizier Hausmann geworden, so hätte er nach der Trennung zumindest teilweise selbst für sich sorgen müssen. Da er aber ein Studium angefangen hatte, konnte ihm eine Berufstätigkeit nicht zugemutet werden.

Eigentlich hätte die Zahnärztin also weiter zahlen müssen. Nur die Sache mit der Freundin schien den Bundesrichtern bedenklich. Sie meinten: "Die Aufnahme eines nachhaltigen, auf längere Dauer angelegten intimen Verhältnisses mit einem anderen Partner ... ist eine so schwere Distanzierung von den eigenen ehelichen Bindungen, daß nach dem Grundsatz der Gegenseitigkeit ... die Inanspruchnahme des gegen seinen Willen verlassenen Ehegatten auf Unterhalt grob unbillig sein kann."

Für die Zahnärztin heißt das: Studium plus Freundin braucht sie nicht zu bezahlen. Jedenfalls dann nicht, wenn der Mann es war, der sie einseitig verlassen hat. Sollte sich aber herausstellen, daß die Frau sich ihrerseits schon vorher von den "ehelichen Bindungen losgesagt hatte", dann ist das Verhältnis mit der Freundin wieder nicht so schlimm, folglich müßte sie weiter zahlen, bis der Mann sein Studium beendet hat.

Fälle wie diese werden die Gerichte in Zukunft sicher noch oft beschäftigen. Viele Einzelfragen, die als Folge dieser Rechtsprechung auftauchen, sind nämlich zur Zeit völlig ungeklärt. Das liegt unter anderem daran, daß den Richtern die Unterhaltspflicht der Frauen in diesen Fällen offenbar selbst nicht ganz einleuchtet. Immer suchen sie nach Auswegen, um im Ergebnis doch noch zu halbwegs akzeptablen Lösungen zu kommen.

Die Zahlungspflicht der Sekretärin wird begrenzt, weil der Mann sich Bafög-Zahlungen anrechnen lassen muß. Was aber geschieht, wenn in Zukunft Bafög vorwiegend oder gar ausschließlich als Darlehen gewährt wird?

Die Zahlungspflicht der Krankenschwester begrenzen die Richter durch ihr Recht zur beruflichen Selbstverwirklichung. Nehmen wir an, die Frau findet nach dem Studium keinen Arbeitsplatz, sondern wird ins Heer der arbeitslosen Lehrer eingereiht. Ist sie dann verpflichtet, wieder als Krankenschwester zu arbeiten, um ihren geschiedenen Mann zu unterstützen? Oder darf sie es ein weiteres Mal mit einer aussichtsreicheren Dritt-Ausbildung versuchen, etwa im Fach Maschinenbau oder Elektrotechnik?

Die Unterhaltspflicht der Zahnärztin grenzt der Bundesgerichtshof über den Umweg mit der Freundin ein. Er spricht von einem intimen Verhältnis, das außerdem nachhaltig und auf Dauer angelegt ist. Was aber gilt bei einem flotten Lebenswandel, der zwar nachhaltig, doch im Einzelfall nicht auf Dauer angelegt ist? Reichen auch viele, ständig wechselnde Freundinnen, um einen Unterhaltsanspruch auszuschließen? Außerdem: Was geschieht nach der Scheidung? Rechtlich besteht dann ja keine Treuepflicht mehr. Lebt also der alte Unterhaltsanspruch wieder auf - ähnlich wie im Fall der Krankenschwester - oder ist er für immer dahin?

Verbindliche Antworten auf diese Fragen gibt es bisher nicht. Aber wenn die Rechtsprechung so bleibt, wie sie ist, werden die Gerichte mühsam nach Antworten suchen müssen. Es sei denn, sie kommen auf die Idee, die Grundlinie ihrer Rechtsprechung zu ändern. Ist es denn wirklich völlig egal, was ein Ehegatte vor der Trennung geleistet hat? Wenn einer jahrelang den gemeinsamen Haushalt versorgt und Kinder betreut, gut - dann ist es nicht mehr als recht und billig, den Alleinverdiener-Partner später an seine "Solidaritätspflicht" zu erinnern.

Aber muß das auch gelten, wenn von Haushaltsführung und Kindererziehung nicht die Rede sein kann? Hier werden doch einstige Eheleute im Namen der ehelichen Solidarität auf einen Lebensplan festgelegt, der ein Wechsel auf die Zukunft war und von dem nach der Trennung nur eine Hälfte übrigbleibt, nämlich die Pflicht zu zahlen.

Die Männer in den zitierten Beispielfällen machen es sich in der Hängematte, die ihre Frau während der Ehe für sie geknüpft hat, sehr bequem. Ist es wirklich Aufgabe der Gerichte, die Seile, die diese Hängematte halten, immer fester zu verknoten?

(c) DIE ZEIT 1982

11/1982

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