Mittwoch, 21. März 2007

Jungen als Opfer

Jungensozialisation und die Bedeutung Für Jungen als Opfer von Sexueller Gewalt

Vordiplomarbeit

im Fach Erziehungswissenschaften
an der Technischen Universität Berlin

vorgelegt von Bernd Rudolph

Gliederung:

Einleitung

1. Sozialisation

1.1. Inhalte der Sozialisation
1.2. Sozialisationsinstanzen
1.2.1. Eltern und Familie
1.2.2. Kindergarten und Schule
1.2.3. Die Gruppen von Gleichaltrigen

2. Sexueller Mißbrauch

2.1 Was ist Sexueller Mißbrauch
2.2.Sexueller Mißbrauch an Jungen

3. Sozialisation und Sexueller Mißbrauch

3.1. Welche Punkte der Sozialisation machen Jungen zu leichteren Opfern?
3.2. Was macht es Jungen schwerer, ihren erlebten Sexuellen Mißbrauch zu benennen?

4. Täter und Täterinnen

4.1. Männer als TäterInnen
4.2. Frauen als TäterInnen
4.3. Jugendliche als TäterInnen

5. Die Täter und ihre Bedeutung Für Jungen

5.1. Täter und ihre Bedeutung Für Jungen
5.2. Täterinnen und die Bedeutung Für Jungen
5.3. Jugendliche TäterInnen und deren Bedeutung Für Jungen

Schlußworte


Einleitung

Ein Hausmann in einer Talkshow oder ein Artikel über Karrierefrauen in der Illustrierten wäre in den sechziger Jahren unvorstellbar gewesen. Dennoch verlangt die Gesellschaft von Männern und von Frauen, Mädchen und Jungen ein geschlechtsspezifisches Verhalten (Handeln, Denken und Fühlen), daß als "geschlechtsspezifische Rolle" umschrieben wird. "Männlichkeit" und "Weiblichkeit" in dieser Gesellschaft symbolisieren eine durch Sozialisation und Konstruktion entstandene Differenz, die sich nicht mit der "biologischen Natur" des Mannes oder der Frau begründen läßt. Ganz im Gegenteil sind die Unterschiede durch eine lange patriarchale Tradition entstanden. Bis auf den "kleinen biologischen Unterschied" ist das Verhalten, das Körpergefühl, die Kompetenz und die Sichtweise auf sich und die Umwelt, also nahezu jede feststellbare Eigenschaft der beiden Geschlechter, ein gesellschaftlich geschaffener Unterschied.

Zumindest ein Teil der starren Geschlechterrollen sind ins Wanken geraten. Im Wesentlichen ist die Dynamik auf die Frauenbewegung und deren feministischen Diskurse zurück zuführen.

Welche Aspekte jungenspezifischer Sozialisation eine negative Auswirkung auf Jungen als Opfer von Sexuellem Mißbrauch haben, soll Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sein.

Die Arbeit unterteilt sich in fünf Kapitel.

Das erste behandelt die Sozialisation von Jungen. In ihm wird beschrieben, durch wen oder was sie sozialisiert werden und an welchem Bild von Jungen/Männern sie sich orientieren sollen. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit Sexuellem Mißbrauch allgemein und speziell an Jungen. Dann folgt im dritten Kapitel eine Darstellung wie sich die Sozialisation auf die männlichen Opfer von Sexuellem Mißbrauch auswirkt.

Kapitel vier behandelt Für Jungen wichtige TäterInnenmerkmale, um dann im fünften Kapitel die Auswirkungen von Sozialisation speziell an den Bespielen der verschiedenen TäterInnengruppen deutlich zu machen.

1. Sozialisation

Sozialisation von Jungen soll zum einen durch die Inhalte der an Jungen herangetragenen Rollenerwartungen beschrieben werden und zum anderen, wie die Inhalte durch die verschiedenen Instanzen (Eltern und Familie, Kindergarten und Schule, Gruppen von Gleichaltrigen) vermittelt werden. So teilt sich das Kapitel in zwei Abschnitte: Inhalte der 1.1. Sozialisation und 1.1. Sozialisationsinstanzen.

1.1. Inhalte der Sozialisation.

HELIGER/ENGELFRIED sprechen von einem Konsens der Jungen - und Männerforschung, der von einem Vorhandensein von unterschiedlicher "Männlichkeit" ausgeht (HEILIGER/ENGELFRIED 74-75).

Diese verschiedenen �Männlichkeiten" existieren in unserer Gesellschaft nebeneinander und können auch in einem Mann ihre Verkörperung finden, indem er z.B. im Job der Macker und zu Hause der zärtliche Vater ist.

Trotzdem sind traditionelle Muster von "Männlichkeit" weit verbreitet. HEILIGER/ENGELFRIED beziehen sich in ihrem Buch unter anderem auf WILLEMS/WINTER (1991), die acht Aspekte männlicher Sozialisation heraus gearbeitet haben (HEILIGER/ENGELFRIED 75-78).

Den 1. Aspekt beschreiben sie mit dem Wort: "Außen". Damit soll die ansozialisierte Außenorientierung beschrieben werden. Der Begriff ist mit der gesellschaftlichen gewünschten Berufsarbeit von Männern stark verknüpft. Die Außenwelt (Männerwelt) wird im Vergleich zur Innenwelt (Frauenwelt) positiver bewertet. Der Aspekt beschreibt das Bild von harten Männern, die keine Schmerzen kennen. Sie sollen die Welt da draußen erobern, ohne zu weinen. Die Nähe zu sich selbst und der eigenen Innenwelt wird dabei negativ bewertet.

Als zweiten Punkt nennen sie: "Benutzen". Dieser beschreibt die gesellschaftliche Verteilung von Arbeit, in der allein Frauen reproduktive Aufgaben übernehmen und Männer davon profitieren. Die Mutter wird in der Versorgerinnenrolle wahrgenommen, die aufräumt, hegt und pflegt. Die emotionale Kompetenz von Mädchen und Frauen wird auf der einen Seite als bedrohlich empfunden und abgewertet, auf der anderen aber auch Für sich benutzt. So brauchen Männer diese Kompetenz nicht zu erlernen. Die Abwertung des "Weiblichen" verursacht einen gesellschaftlichen Druck auf Jungen, immer besser sein zu müssen als die Mädchen. Wo das unmöglich ist, führt diese Anforderung bei Jungen zu einem gewissen Realitätsverlust, um die Dominanz weiter durchsetzen zu können, wird die Wirklichkeit umdefiniert.

Der dritte Aspekt ist die "Stummheit". So ist die Folge männlicher Sozialisation eine Unfähigkeit über sich und seine Gefühle mit anderen zu sprechen, da die Nähe zu sich und anderen fehlt. Von den Ängsten, Freuden und Nöten zu erzählen gelingt, wenn dann in erster Linie gegenüber Frauen.

Eng verbunden mit der "Stummheit" ist der vierte Punkt: "Alleinsein". Männer dürfen keine Probleme haben und wenn, sollen sie alleine gelöst werden. Alleinsein gilt als positiver Wert. Die Fähigkeit, Dinge mit sich selbst abzuklären, wird zur unausweichlichen Bedingung. Der Zwang zur Einsamkeit ist eng verbunden, mit der Angst verlassen zu werden.

Die überbewertung von "Rationalität" als fünfter Pfeiler der "Männlichkeit" wird als Folge der negativen Bewertung von Emotionen und der Kompensation dieser Negativsicht betrachtet.

Die "Kontrolle" als sechster Aspekt beschreibt den Wunsch, in allen relevanten gesellschaftlichen Bereichen die Kontrolle zu haben, um die überlegenheit des Mannes gegenüber der Frau zu gewährleisten. Männer haben sich und andere im Griff. Doch hinter den Allmachtsphantasien verbergen sich Unsicherheit und Verletzlichkeit. Wieso?

"Gewalt" als, Für Männer gesellschaftlich akzeptierte Form der Problemlösung, durchdringt alle Lebensbereiche und ist der 7. Aspekt von "Männlichkeit".

Der letzte und achte Punkt wird mit "Körperferne" benannt und soll die Trennung von Körper und Geist und die Funktionalisierung des eigenen Körpers beschreiben, z. B. im Leistungssport.

BANGE/ENDERS fassen die Erwartungen an Jungen in ähnlicher Weise zusammen. Nach ihnen sollen Jungen sportlich und durchtrainiert sein, Schmerzen ertragen können, mutig sein, sich gegen körperliche Angriffe wehren, alles unter Kontrolle haben, viel Geld verdienen, unabhängig sein, ihre Gefühle unter Kontrolle haben, sexuell potent sein usw.

Hingegen dürfen Jungen keine Schmerzen zeigen, keine Angst und keine Probleme haben, nicht weinen, nicht zärtlich zu anderen Männern sein, sich nicht von Gefühlen leiten lassen, sich nicht mißbrauchen lassen und natürlich nicht um Hilfe bitten (BANGE/ENDERS 27).

BANGE/ENDERS beschreiben, welche Eigenschaften Männer in dieser Gesellschaft besitzen sollen und welche nicht. Dabei erwähnt er auch die sogenannten neuen Anforderungen an Jungen, die sich durch deutliche Veränderung innerhalb der Jungensozialisation ergeben haben. Laut dieser Anforderungen sollen Jungen heute auch liebevoll, einfühlsam und rücksichtsvoll sein, zuhören können, sich in Küche, Haushalt und an der Kindererziehung beteiligen, sich selbstlos Für andere einsetzen usw.

Männer dürfen sich zwar farbiger, offener und weicherer verhalten., aber gleichzeitig weist die reservierte Haltung von Jugendlichen und Männern gegenüber den "neuen" Männerbildern auf eine gegenläufige Tendenz der Veränderung hin. Die Gründe daFür liegen Für BANGE/ENDERS in der fehlenden Umsetzung, der sich im Kopf vollziehenden Veränderungen bei Männern. Jungen können sich nur grundlegend verändern wenn Männer ihre veränderten Einstellungen in die Tat umsetzen. Wenn die Veränderungen von Jungen verlangt werden, müssen sie auch von den Vätern oder anderen Männern gelebt werden, sonst werden die Jungen mit diesen neuen Anforderungen allein gelassen. Laut BANGE/ENDERS sind entweder die Alternativen zu den traditionellen Männerbildern nicht attraktiv, oder werden falsch vermittelt (BANGE/ENDERS 29-30)

Zusammenfassung

Es ist trotz einiger Veränderungen von einer starken Präsenz traditioneller Konzepte von "Männlichkeit" auszugehen. Jungen sollen somit weiterhin stark, mutig, hart, unabhängig, außenorientiert, und unverletzlich sein. Die fehlende Nähe zu sich (seinen Gefühlen) und zu anderen ist Für Jungen typisch. Emotionalität paßt ebenso wenig in das Bild von Männlichkeit, wie Hilflosigkeit oder Angst.

1.2. Sozialisationsinstanzen

In diesem Kapitel werden die verschiedenen Stationen untersucht, die ein Junge durchläuft und es wird danach gefragt, wie traditionelle Rollenbilder reproduziert werden.

Zum Anfang soll die Sozialisation durch die Eltern oder die Familie betrachtet werden. Eine Unterscheidung zwischen Vätern und Mütter n wird sich am Ende des Abschnittes anschließen. Dann folgt ein Abschnitt über die pädagogischen Einrichtungen Kindergarten und Schule. Abschließend wird die Bedeutung der Gleichaltrigen untersucht.

1.2.1. Eltern und Familie

Die Eltern oder elternähnliche Lebensgemeinschaften sind gerade in den ersten Lebensmonaten von sehr großer Bedeutung. In dieser Zeit stellen sie häufig den einzigen Kontakt des Kindes dar. Die Beziehung von Kindern zu Menschen, die sie großziehen, ist von großer Intensität und ein prägender Faktor Für das weitere Leben.

Untersuchungen, auf die BILDEN verweist, zeigen, daß eine unterschiedliche Behandlung von Mädchen und Jungen schon in den ersten Lebenswochen festgestellt werden konnte. Eltern nehmen ihre Kinder schon in den ersten 24 Stunden hinsichtlich ihrer physischen und psychischen Eigenschaften als Mädchen oder Jungen unterschiedlich wahr, und diese Wahrnehmung wird wesentlich von Geschlechtsstereotypen geprägt (BILDEN 787).

Das unterschiedliche Reagieren und Agieren der Eltern, abhängig vom jeweiligen Geschlecht des Kindes, setzt sich über alle weiteren Lebensabschnitte fort. Je nach dem welches Entwicklungsstadium das Kind gerade durchlebt, finden sich Beispiele Für die Entstehung der gesellschaftlichen Rollen Für Junge und Mädchen, Frau und Mann.

So geben Mütter Mädchen ab dem 3. Monat mehr zärtlichen Körperkontakt und fördern bei Jungen mehr die Muskelaktivität. Dies entspricht dem zärtlichen, sozialen und anhänglichen Verhalten bei Mädchen oder Frauen und dem motorisch aktiven, raumgreifenden Verhalten von Männern (BILDEN 788).

Das Spielverhalten der Mütter beginnt sich zwischen dem 3. und 6. Monat zu verändern, in dem sie durch das z.B. Wegwerfen eines Balls die Jungen anregen, sich ein wenig von ihnen weg zu bewegen. So erobern sich die Jungen den Raum und das Spielzeug selbst. Im Gegensatz dazu werden die Mädchen durch das Spielverhalten bis in das 2. Lebensjahr hinein in der Nähe der Mütter gehalten (BILDEN 788).

Weiterhin erwähnt BILDEN in ihrem Artikel Ergebnisse von MACCOBY/JACKLIN (1974), welche die elterlichen Erziehungspraktiken in verschiedenen Altersklassen untersuchten. Sie kamen zu dem Schluß, daß die Eltern die Kinder ganz klar bei geschlechtstypischen Aktivitäten ermutigten und bei untypischen entmutigten. Die "richtigen" Aktivitäten der Jungen wurden außerdem etwas stärker unterstützt als bei den Mädchen. Besonders die Väter zeigten starke negative Reaktionen bei "falschem" Verhalten ihrer Söhne (BILDEN 789).

Während Babys noch weitgehend ähnliches Spielzeug erhalten, beginnt die Spielzeugwahl der Eltern sich rasch an geschlechtsstereotypischen Bildern zu orientieren. Bereits bei Mobiles finden sich schon Unterscheidungen in Mädchen- und Jungenmobiles (Für Mädchen: Schneeflocken, Puppen, Für Jungen: Autos, Flugzeuge).

Als Folge der positiven und negativen Reaktionen und des unterschiedlichen Agierens der Eltern in Bezug auf das Geschlecht des Kindes ist die Spielzeugwahl der Kinder mit 3-5 Jahren recht stereotyp. Jungenspielzeug bezieht sich auf die physikalische Welt und entspricht somit der Außenwelt. Das Spielzeug ist entweder technischen Ursprungs wie Autos, Roboter, Werk- und Chemiebaukästen und/oder es ist aktionsorientiertes Spielzeug wie Pistolen oder Laserkanonen.

"Für Mädchen gibt es weniger vielfältiges Spielzeug und ihnen wird ein deutlich kleinerer � Spielraum� vorgegeben als Jungen. Während sich Mädchen meist im �Haushalt� oder in der Modewelt bewegen, entfernen sich Jungen in fremde Galaxien, um Abenteuer zu bestehen. Damit wird die Grenzen- und Bindungslosigkeit vieler Jungen weiter vorangetrieben." (BANGE/ENDERS 44)

Trotz gesellschaftlicher Veränderung bleiben die Aufgaben im Bereich Erziehung weiterhin bei den Frauen, in denen die Männer oder Väter in weiten Teilen stark unterrepräsentiert sind (BANGE/ENDERS 34-37).

Auf der einen Seite bedeutet dies eine frauendominierte Welt in den ersten Lebensjahren, die sich in Orten wie Kindergarten und Schule durch die Mehrzahl weiblicher Erzieherinnen und Lehrerinnen weiter fortsetzt. Auf der anderen Seite fehlen Männer als Vorbilder und Orientierungshilfen.

Dies könnte ein Grund Für größere Labilität der Jungen (im 5. Lebensjahr) sein, die durch die Unsicherheit hinsichtlich dessen entsteht, was sie als "Männer" zu tun und zu lassen haben (BANGE/ENDERS 36).

Unabhängig davon, welche Werte und Fähigkeiten Frauen vermitteln, grenzt sich "Männlichkeit" von ihnen ab. Die Frau ist in erster Linie ein Nicht-Mann. Somit ist viel von dem Potential einer "weiblichen" emotionalen Betreuung als Vorbild Für einen Jungen, der seine männliche Identität sucht, ungeeignet. Wenn seine Umgebung ihn in die Schranken verweist, sobald er "unmännliches Verhalten" zeigt und dies mit einer negativen Bezeichnung seines Verhaltens als "weibliches" einhergeht, kann sich ein Junge nur schwer an Frauen orientieren.

"Nach bisheriger Auffassung (vgl. HAGEMAN-WHITE 1984) entwickelt sich die Geschlechtsidentität des Jungen im Spannungsfeld zwischen Abgrenzung von der Mutter bzw. von allem "Weiblichen" und der schwierigen Identifikation mit dem Vater, der Für den Jungen in Folge der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung weitgehend unsichtbar ist." (HEILIGER/ENGELFRIED 70-71).

An dieser Stelle ist zu betonen, daß die Für sorglichkeit der Eltern ein Grundbedürfnis der Kinder befriedigt und Für die Entwicklung von größter Bedeutung ist. Wenn man dem Gedanken folgt, daß eine Identifikationsfigur und die Für sorglichkeit der Eltern wichtig Für Jungen ist, so muß man gerade Väter betrachten.

Väter

Väter vermitteln durch ihre geringe Anwesenheit häufig kein realistisches Bild von "Männlichkeit". Aber wie sieht das Verhalten der Väter aus, wenn sie sich um ihre Söhne kümmern?

Untersuchungen haben gezeigt, daß nur 3% der befragten Männer als Kind mit ihren Vätern Hausarbeiten gemacht haben und nur 1% mit ihnen einkaufen gegangen sind. Die Aktivitäten der Väter beschränkten sich auf Sport, Spiel und Spannung. Außer bei Reparaturen und Gartenarbeit waren es immer die Frauen (Mütter ), die in der Erziehung dominierten. Gerade im emotionalen Bereich scheinen Väter nicht Für ihre Söhne da zu sein. Selten erleben Söhne körperliche Nähe zum Vater. Fast die Hälfte der Befragten gaben an, nie einen Kuß von ihrem Vater bekommen zu haben (BANGE/ENDERS 38).

Laut BANGE/ENDERS, belegen Studienergebnisse, daß Väter ihre Söhne deutlicher auf die Männlichkeit trimmen als Mütter .

"In einer Untersuchung sanktionierten es die befragten Väter massiv, wenn ihre Söhne mit �Mädchenspielsachen� spielten, während Mütter dies häufiger unterstützten. Die Väter lobten und förderten es zudem ausdrücklich, wenn ihre Söhne mit Cowboys, Autos und Soldaten spielten." (BANGE/ENDERS 39)

Auch wenn sich das Bild des "strengen" Vaters aus den 70er Jahren verändert hat, geht BANGE eher von einer Veränderung im "Kopf" aus. Mit der Krise der Männlichkeit (siehe BANGE 22-26) scheinen die Botschaften der Väter schwammiger zu werden, oder sie greifen wieder auf tradierte Männlichkeitsbilder zurück (BANGE/ENDERS 37-40).

Es läßt sich feststellen, daß gerade Männer jungentypisches Verhalten erwarten und untypisches sanktionieren. Gleichzeitig verkörpern sie traditionelle Männlichkeitsbilder, in dem sie selbst männliche Normen erfüllen.

So lange es nicht Vätern und anderen Männern gelingt, andere Formen von "Männlichkeit" zu leben und Söhnen damit ein positives Beispiel sein zu können, so lange ist die Festung des harten, einsamen Mannes kaum zu erschüttern. Mit anderen Worten ist der positive Ansatz der Frauenbewegung, Rollenkonzepte zu verändern, wahrscheinlich in erster Linie an der fehlenden Männerbewegung gescheitert.

Mütter

Genauso wichtig ist jedoch das Verhalten der Mütter in Bezug auf patriarchale Sozialisation zu thematisieren. Auch Mütter sind direkte Vermittlerinnen von gesellschaftlichen Erwartungen. Männer wie Frauen sind Teil dieser Gesellschaft und tragen Verantwortung Für patriarchale Verhältnisse. Die Verantwortung liegt dabei zwar in erster Linie bei den Männern, da sie auch immer Für den Erhalt ihrer Vormachtstellung gekämpft haben. Doch kann die Rolle der Frauen nicht ignoriert werden, da auch sie Rollenerwartungen verinnerlicht haben. Dabei steht es außer Frage, daß Frauen innerhalb und außerhalb der Frauenbewegung die Probleme einer durch Männer dominierten Gesellschaft bekämpft haben und einiges von den Veränderungen von denen auch Männer profitieren, erreichten.

BANGE/ENDERS bewerten die Rolle der Frauen als meist positiv in Bezug auf die Veränderung von "Männlichkeit". Jedoch verweisen sie auf die Schwierigkeit von Frauen, sich in Männer hineinzuversetzen.

"Um ihren Söhnen dennoch zu lehren, was von einem Jungen erwartet wird, greifen die Mütter auf eigene Phantasien von Männlichkeit zurück . Und diese sind natürlich durch die allgemeinen Männlichkeitsbilder sowie durch die Geschichte ihrer eigenen Männerbeziehungen beeinflußt." (BANGE/ENDERS 41)

In dem Kapitel 1.2. habe ich viele Ergebnisse untersucht, in denen Mütter in ihrem Verhalten ihren Söhnen gegenüber beschrieben worden sind. Dabei ist jedoch zu bemerken, wie wenig Untersuchungen einen direkten Vergleich zwischen Vätern und Mütter n herstellten. Offenbar wurde auch in den Untersuchungen die Erziehung von Kindern als "Frauenaufgabe" betrachtet. In welchen Relationen Mütter als Vermittlerinnen von Männlichkeit im Gegensatz zu denen der Väter stehen , läßt sich schwer einschätzen.

Allein erziehende Mütter und Mütter mit enttäuschenden Partnerschaften bekommen in einer Untersuchung eine besondere Bedeutung Für die Jungensozialisation. Hier können Jungen als Ersatz Für eine fehlende oder schlechte Partnerschaft fungieren und in Situationen geraten, welche bei weitem nicht ihren Wünschen entsprechen (SCHNACK/NEUTZLING 96).

Laut BANGE/ENDERS haben Mütter in diesen Situationen nicht selten Probleme ihre Jungen loszulassen. Die Beziehungen zu ihren Söhnen nehmen oftmals deutlich erotische Untertöne an. Diese Mütter sind seltener in der Lage, Grenzen zu ziehen und drohen häufiger mit körperlicher Gewalt oder setzen sie ein, im Gegensatz zu Mütter n mit glücklichen Partnerschaften. Weiterhin verhalten sie sich weniger liebevoll und unterstützend (BANGE/ENDERS 41).

In Bezug auf Jungensozialisation und sexuellen Mißbrauch sind diese Ergebnisse wichtig. Sie verweisen auf weibliche Täterschaft. Das Sexualisieren der Mutter-Sohn-Beziehung muß nach BANGE/ENDERS (41) nicht immer als sexueller Mißbrauch bezeichnet werden, aber es zeigt die übergänge von leichten Grenzverletzungen zu Sexuellem Mißbrauch auf. Diese Untersuchung beschreibt die relative "Normalität" von Grenzüberschreitungen bei Kindern bzw. Jungen.

1.2.2. Kindergarten und Schule

Die sekundären Sozialisationsinstanzen wie Kindergarten und Schule unterscheiden sich als Trägerinnen von "Männlichkeit" nur unwesentlich. Es sind weitere Bereiche des Lebens, in denen sich die Betreuung von Kindern durch mehrheitlich Frauen und die an Kinder gerichteten geschlechtsspezifischen Erwartungen fortsetzen. In der Schule tritt noch ein weiterer Widerspruch zwischen dem eigenen Erleben von Männlichkeit und den Anforderungen an Jungen auf.

Der Schulinhalt ist patriarchal geprägt. Die Wissenschaften, die Literatur oder Geschichte sind von Männern gemacht. Kaum eine Physikerin oder Kriegsheldin kann in den Lehrbüchern gefunden werden. Die männliche Dominanz wird so weiter bestärkt, bzw. erlangt sie eine neue Dimension. Männer sind die Helden dieser Welt, und Frauen haben den Platz am Herd. Ob es um Goethe oder Marx geht, es sind Männer, die Geschichte machen und große Leistungen vollbringen.

Gleichzeitig machen Jungen die Erfahrung, daß sie durchschnittlich schlechter in der Schule sind, sich nicht so gut konzentrieren können und allgemein den Anforderungen der Schule (z.B. stillsitzen) weniger gewachsen sind (BANGE/ENDERS 45).

Die Belastung Für Jungen, die aus dem Widerspruch resultiert, ständig männliche überlegenheit wahrzunehmen, dem aber überhaupt nicht zu entsprechen, ist in dieser Zeit besonders groß.

POLLACK nennt in seinem Buch einen weiteren Aspekt von Sozialisation, der sich auf Kindergarten und Schule bezieht.

Er nennt zwei Gründe, warum Jungen ihre Gefühle oft nicht ausleben. Der erste ist der Mißbrauch des Schamgefühls, d.h. daß die Jungen lernen, sich ihren Gefühlen der Schwäche, Verletzlichkeit, Angst und Verzweiflung zu schämen. Der zweite Grund ist ein Trennungstrauma. Der Begriff �Trennungstrauma" beschreibt das Verlassen der �mütterlichen" Umgebung bei Eintritt in die Vorschule oder Schule (POLLACK 24-25). Beim Eintritt in die Schule oder Kindergarten wird den Jungen nur selten gestattet, Trauer oder Heimweh zu zeigen. Die Gesellschaft, so POLACK, verlangt geradezu nach einem harten Schnitt. Die Jungen müssen mit auf einmal ohne die Mutter zurechtkommen. Das Trennungstrauma ist Für POLLACK das früheste und einschneidendste Entwicklungserlebnis in dem Abhärtungsprozeß von Jungen (POLLACK 54).

Kindergarten und Schule sind als Instanzen zu betrachten, die gesellschaftliche Verhältnisse widerspiegeln und somit Rollenerwartungen vermitteln.

In dieser Zeit treffen Jungen und Mädchen auf viele Gleichaltrige. Für Jungen hat das eine besondere Bedeutung. Diese wird anschließend betrachtet.

1.2.3. Die Gruppe von Gleichaltrigen

Allgemein dienen Gruppen von Gleichaltrigen dazu, sich von Erwachsenen abzugrenzen und einen eigenen Status unabhängig von Erwachsenen zu entwickeln (BANGE/ENDERS 48). Für Jungen sind die Gruppen mit Gleichaltrigen von hoher Bedeutung. Mitglied einer Gruppe zu sein ist Für sie wichtiger als Für Mädchen. In diesen Zusammenhängen werden die durch Sozialisation vermittelten "männlichen" Verhaltensweisen ausprobiert. Dort Anerkennung zu bekommen ist Für Jungen sehr bedeutsam (BANGE/ENDERS 47). Die Abgrenzung von allen "Weiblichen" spielt eine wichtige Rolle.

HEILIGER/ENGELFRIED verweisen zu dem Thema auf ERDHEIM (1990).

"In der Spannung zwischen Angewiesensein auf die Mutter und Abgrenzung von ihr sieht ERDHEIM eine zentrale Funktion der Gruppe gleichaltriger Jugendlicher, die an die Stelle der allmächtigen Mutter tritt. Das bedeutet, daß die männlichen Grundkonflikte in die Gruppe hineingetragen werden und nach einer Lösung suchen." (HEILIGER/ENGELFRIED 71)

Die Für die Konfliktlösung erforderliche Nähe kommt in den Gruppen jedoch gar nicht zustande, da Muster von Konkurrenz, Wettbewerb, Mutproben und Selbstdarstellung von Anfang an im Mittelpunkt stehen (HEILIGER/ENGELFRIED 72).

Eine besondere Beachtung finden bei HEILIGER/ENGELFRIED und BANGE/ENDERS die Rituale innerhalb der Gruppen von Jungen. Jungen sollen in diesen Ritualen ihre "Männlichkeit" beweisen. Sie müssen Prüfungen bestehen, Mutproben über sich ergehen lassen, sich anderen unterwerfen um als "richtige" Männer in eine Gruppe aufgenommen zu werden. Die Rituale überspielen Schwächen und Unsicherheiten und verdecken die mangelnde Kommunikationsfähigkeit. Sexismus ist dabei ein wichtiger Bestandteil. Auch Gefühle, Körperlichkeit und Zärtlichkeit können nur in ritualisierter Form gelebt werden.

"Die ritualisierten Formen der Annäherung geschehen oft ruppig und ungestüm. [...] Anderseits wird durch das Eingebundensein der Berührungen das Bedürfnis nach Nähe zum männlichen Gegenüber permanent geleugnet und vertuscht. Und es ist nur durch ein Ritual möglich, sich zu berühren. Spontane Gefühlsäußerungen werden dadurch unterdrückt." (HEILIGER/ENGELFRIED 73)

Durch die Rituale soll die Männlichkeit hergestellt werden.

Jungencliquen stellen eine neue Qualität von Kontrolle dar, die jede Abweichung von einem coolen, harten, unerschrockenen Verhalten hart bestraft. Diese starke Ritualisierung, die Vielzahl von Normen machen die Jungen nicht selten einsam. So sind diese Gruppen kein Ort, an dem Probleme oder Konflikte beredet werden können, sondern ein Ort, an dem sich "männliches" Verhaltern weiter verstärkt (BANGE/ENDERS 49). Die soziale Struktur ist repressiv und gleichzeitig von besonderer Wichtigkeit.

Zusammenfassung

Traditionelle Männerbilder sind Für Jungen immer noch geltende Anforderungen und werden ihnen von Männern wie Frauen entgegengebracht. Stärker wird das männliche Verhalten der Söhne/Jungen von Vätern/Männern eingefordert. Die Abwesenheit der Väter/Männer im Erziehungsbereich und das fehlende Vorleben von alternativen Rollenkonzepten, geben den Vätern/Männern eine besondere Bedeutung bei der Sozialisation von Jungen zu "richtigen" Männern. Mütter /Frauen versuchen z.T. den Jungen alternative Männerbilder zu vermitteln.

Im Kindergarten und in der Schule finden sich die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen in erster Linie Frauen Für die Erziehung von Kindern verantwortlich sind wieder.

In den Jungengruppen werden die Bilder von Männlichkeit weiter gefestigt. Die Repression gegenüber "unmännlichem" Verhalten ist in ihnen besonders groß. Das ritualisierte Verhalten in den Gruppen hat eine große Bedeutung und dient zur Herstellung von Männlichkeit.

2. Sexueller Mißbrauch

In diesem Kapitel soll die Definition von Sexuellem Mißbrauch genannt und begründet werden. Nach dem allgemeinen Teil über Sexuellen Mißbrauch folgt ein Abschnitt über Mißbrauch speziell an Jungen.

2.1. Was ist Sexueller Mißbrauch

In der Beschreibung von sexuellem Mißbrauch möchte ich mich der Definition von MAY anschließen.

"Sexueller Mißbrauch ist immer ein Ausnutzen von Macht und Autorität, von körperlicher oder beziehungsbedingter überlegenheit. Der Begriff Sexueller Mißbrauch umfaßt das ganze Spektrum sexueller Gewalthandlungen, von scheinbar harmlosen Berührungen bis zu den unterschiedlichsten Formen der Penetration. (Bundesministerium Für Frauen und Jugend, 1993, 61)" (MAY 225)

Diese Definition spricht also von sexuellen Handlungen, in denen das Mädchen oder der Junge aufgrund von bestehenden Machtverhältnissen kein wissentliches und verantwortliches Einverständnis zur Sexualität mit Älteren geben kann. MAY begründet diese Unfähigkeit mit einer entwicklungsbedingten Unterlegenheit und (emotionaler) Abhängigkeit des Kindes. Der Alters- und Entwicklungsunterschied zwischen Tätern und den Opfern spielt hier eine große Rolle (MAY 225-226).

Jede Form der sexuellen Handlung wird in der Definition berücksichtigt. Auch der Gebrauch sexualisierender Worte, Blicke und Gesten, die das Mädchen/den Jungen zum Sexualobjekt machen, fällt unter die Begrifflichkeit der sexuellen Handlungen (MAY 227).

Nachdrücklich wird auf die verschieden Formen des Initiierens eingegangen. So spricht MAY nicht von Zwang, sondern von "Veranlassen" sexueller Handlungen. überreden, Versprechungen, Liebesentzug oder auch gezielte Lügen können als Formen des "Veranlassens" verstanden werden (MAY 227). Dies ist von besonderer Wichtigkeit, weil damit das Macht- und Kompetenzgefälle zwischen TäterInnen und Opfer berücksichtigt wird.

Die sexuellen Handlungen von Kindern untereinander sind in dieser Beschreibung unter bestimmten Bedingungen, also bei einem bestehendem Entwicklungsunterschied, enthalten. Bei sexuellen Handlungen unter Gleichaltrigen oder Kindern mit geringem Altersunterschied ist jedoch besondere Vorsicht geboten.

"Eine Beurteilung, ob es unter Gleichaltrigen auch Sexuellen Mißbrauch gibt, ist schwierig. Hier müssen bei sexuellen Handlungen die Umstände berücksichtigt werden, unter denen es dazu kam. So ist z.B. zu klären, ob und wie Zwang ausgeübt wurde, ob Versprechungen gemacht wurden und inwieweit z.B. bei einem Kind eine deutliche geistige und/oder körperliche Unterlegenheit vorlag. Treffen diese Kriterien (teilweise) zu, muß festgestellt werden, ob beim jüngeren Kind eine Traumatisierung vorliegt, die einer Behandlung bedarf."( MAY 226)

Trotz der Schwierigkeit, die Handlungen unter Kindern oder Jugendlichen gleichen Alters zu beurteilen, sprechen einige Gründe daFür dem Mißbrauch ohne Altersunterschied zwischen TäterInnen u. Opfer Beachtung zu schenken.

Auf der einen Seite haben die Untersuchungen gezeigt, daß eine Vielzahl der Täter sehr jung mit dem sexuellen Mißbrauch begann (HEILIGER/ENGELFRIED 38). BANGE/ENDERS sprechen von 43% Mädchen und 12% Jungen, die angaben, von (nahezu) Gleichaltrigen zu sexuellen Handlungen gezwungen worden zu sein (HEILIGER/ENGELFRIED 38).

Auf der anderen Seite tritt "altersunangemessenes" Sexualverhalten mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit als Folge sexuellen Mißbrauchs auf (BANGE/ENDERS 114). Auch MAY spricht von der Möglichkeit des Mißbrauchs durch jugendliche Täter (MAY 226).

Dieses "altersunangemessene" Sexualverhalten ist ein Unterschied zwischen Gleichaltrigen, der auf jeden Fall als Entwicklungsunterschied zu betrachten ist. Bei der Bewertung von sexuellen Handlungen zwischen Kindern oder Jugendlichen sollte zumindest die Möglichkeit des Entwicklungsunterschiedes durch Mißbrauch wahrgenommen werden.

2.1. Sexueller Mißbrauch an Jungen

Nach Angaben des Bundesministeriums Für Frauen und Jugend verteilen sich die Opfer von Sexuellem Mißbrauch zu 75% auf Mädchen und 25% auf Jungen (MAY 297).

Der Forschungsstand zu Sexuellem Mißbrauch an Jungen ist noch geringer, als der bei Mädchen. Durch Mangel an deutschen Untersuchungen kann man keine gesicherten Aussagen über die Prävalenzzahlen von Jungen machen (MAY 308).

Statistisch betrachtet, wird jeder zwölfte bis fünfte Junge mißbraucht. Durch die öffentliche Diskussion über Sexuellen Mißbrauch an Jungen sind die Zahlen vermutlich gestiegen. Denn Opfern fällt es wahrscheinlich leichter über ihre Erfahrungen und Erlebnisse zu sprechen. Eine Schätzung vermutet, daß das Verhältnis von Jungen und Mädchen sich in den nächsten Jahren zu einer 50% zu 50% Verteilung entwickeln wird. MAY geht zwar nach eigenen Schätzungen von einem Anstieg der Zahlen aus, eine Entwicklung zu einem Anteil von 50% zu 50% hält sie jedoch Für unwahrscheinlich (MAY 308).

Untersuchungen lassen vermuten, daß Jungen eher außerfamiliär mißbraucht werden. Eindeutige Aussagen lassen sich auch hier nicht treffen (MAY 310). Sie bezieht sich u.a. auf FINKELHORR und schreibt::

"David Finkelhorr (1979) kommt aufgrund von Untersuchungen zu dem Schluß, daß Jungen zu einem hohen Prozentsatz (83% der Fälle) außerfamiliär sexuell mißbraucht werden, die Täter jedoch in naher Beziehung zur Familie stehen. Jan van den Broek faßt weitere Ergebnisse von David Finkelhorr (1986b) zusammen und stellt fest, daß kleinere Jungen eher auch zu Hause sexuell mißbraucht werden, während größere Jungen den Sexuellen Mißbrauch tendenziell mehr außerhalb der Familie erfahren (Van den Broek, 1993, 30)." (MAY 309).

Man kann jedoch von größeren Schwierigkeit ausgehen, Täter oder Täterinnen aus der Familie zur Anzeige zu bringen. Die Ergebnisse können dadurch verzerrt werden. Die Scham- u. Schuldgefühle und die Geheimhaltungspflicht der Opfer gegenüber ihren TäterInnen sind als Begründung zu nennen (MAY 309).

Weiterhin scheinen emotional und sozial vernachlässigte Jungen und Jungen mit fehlenden Vätern häufiger mißbraucht zu werden (BANGE/ENDERS 77-78). Das Alter in dem der Mißbrauch beginnt oder geschieht, ist in den einzelnen Untersuchungen sehr unterschiedlich. Laut einigen Statistiken könnte das Durchschnittsalter bei zwischen 10 und 11,5 Jahren liegen (MAY 313).

Allgemein ist der deutsche Forschungstand zu Jungen so gering, daß man mit vorhandenen Zahlen sehr vorsichtig umgehen sollte. Mißbrauch an Jungen findet statt und kann wahrscheinlich jeden Jungen treffen.

3. Sozialisation und Sexueller Mißbrauch

Im folgenden Abschnitt werde ich die Bedeutung der verschieden Aspekte männlicher Sozialisation Für Sexuellen Mißbrauch darlegen. Präventive Ansätze stehen dabei im Vordergrund. Prävention versucht u.a. Kinder vor Mißbrauch zu schützen. Wenn ein Sexueller Mißbrauch statt gefunden hat, sollte versucht werden weiteren zu verhindern. DaFür ist die Benennung des Mißbrauchs seitens der Opfer erforderlich, da es sehr schwer ist den Täter aus eigener "Kraft" am Mißbrauch zu hindern. Zudem kann eine strafrechtliche Verfolgung der Täter auch andere Kinder schützen. Dabei sollen zwei Fragen an männliche Sozialisation beantwortet werden:

1. Welche Punkte der Sozialisation machen Jungen zu echten Opfern?

2. Was macht es Jungen schwerer, ihren erlebten Mißbrauch zu benennen?

3.1. Welche Punkte der Sozialisation machen Jungen zu leichteren Opfern?

BANGE/ENDERES stellen fest, daß vor allem emotional oder sozial vernachlässigte Jungen sexuell mißbraucht werden. So fällt es den Tätern leichter, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und das Bedürfnis der Jungen nach Liebe und Wärme Für sich auszunutzen (BANGE/ENDERS 77-78).

Das ist zwar eine Beschreibung von familiären oder sozialen Situationen, jedoch können auch Sozialisationsaspekte der Wegbereiter Für genau solch eine Situation sein.

Es hat sich gezeigt, daß Jungen weniger Wärme und Zuneigung erhalten. Spätestens ab einem bestimmten Alter sind die Zärtlichkeiten Für Jungen seltener. Gerade Väter oder andere Männer geben Jungen kaum körperliche oder emotionale Zuwendung. Man will schließlich keine Muttersöhnchen oder "Weichlinge" aus ihnen machen. Unter Jungen selbst sieht es nicht anders aus. Durch das beschriebene ritualisierte Ausleben von Gefühlen, Körperlichkeit und Zärtlichkeit in Jungengruppen, müssen die Bedürfnisse nach Wärme und Nähe häufig unerfüllt bleiben.

Das Fehlen von männlichen Vorbildern wirkt sich ebenfalls negativ aus. Für Jungen ohne Vorbilder können andere Männer interessant sein, die sich einfühlsam und liebevoll verhalten und sich mit ihnen beschäftigen, ihnen Anerkennung verschaffen und ganz "tolle Typen" sind (BANGE/ENDERS 61). Sich auf die Bedürfnisse von solchen Jungen einzustellen, ist nicht sehr schwer. Das Erfüllen der Bedürfnisse ist an sich, natürlich etwas positives. Jedoch kann dies von Tätern ausgenutzt werden.

Je größer die Defizite, desto größer die Chance, die Jungen zu sexuellen Handlungen zu bringen.

"Eine altbekannte Tatsache� unter Mißbrauchern ist, daß vaterlose und/oder vernachlässigte Kinder leichter auszubeuten sind. Zahlreiche Aussagen pädophiler Täter belegen, daß diese sehr gezielt �Beziehungen� zu emotional bedürftigen Kindern aufbauen, zu Jungen und Mädchen, die sich so sehr nach Liebe sehnen, daß sie bereit sind, Für das, was Pädophile ihnen als Liebe vorgaukeln, mit ihrem Körper zu bezahlen."(BANGE/ENDERS 85)

Jungen werden eher außerhalb der Familie mißbraucht. Die stärkere Außenorientierung von Jungen könnte diesen Sexuellen Mißbrauch unterstützen.

BANGE/ENDERS beziehen sich auf LAUTMANN (1977) und beschreiben den "Zugang" zu Kindern, die bereits von sexueller Gewalt betroffen waren, als besonders leicht. Die jungenspezifischen Besonderheiten, welche es Jungen erschweren, den Mißbrauch offenzulegen (siehe Kapitel 3.2.), können ebenfalls Unterstützungsarbeit Für Täter leisten. Durch das Offenlegen oder Benennen von Sexuellem Mißbrauch kann dem Jungen professionelle Hilfe oder Unterstützung, bei dem Versuch die Erlebnisse zu verarbeiten, angeboten werden. Bleiben Jungen mit diesen Erlebnissen allein könnte das einen erneuten Sexuellen Mißbrauch (auch durch andere TäterInnen) Für die TäterInnen leichter machen (BANGE/ENDERS 85).

Zusammenfassung

Emotionale Vernachlässigung machen Jungen zugänglicher Für Sexuellen Mißbrauch. Diese Vernachlässigung könnte durch Männlichkeitsbilder entstehen, in denen Jungen z. B. weniger emotionale Betreuung bekommen, damit sie nicht zu "Schwächlingen" werden. Jungen die bereits Opfer sind oder waren, können ebenfalls leichter zugänglich sein.

3.2. Was macht es Jungen schwerer, ihren erlebten Sexuellen Mißbrauch zu benennen?

Alle Probleme der Benennung lassen sich meiner Meinung nach auf einen Grundkonflikt zurück führen:

Die Erfahrung des Sexuellen Mißbrauchs und die durch ihn entstehenden Gefühle und Gedanken stehen im starken Widerspruch zu den Rollenerwarten an Jungen. Ohnmacht, Scham, Angst und Gefühle der Verletzlichkeit passen nicht in das Bild des starken, mutigen, "stählernen" Mannes. So entstehen die Probleme genau in diesem Spannungsfeld zwischen Erwartung und Realität.

Untersuchungen belegen, daß Jungen noch seltener über ihren Mißbrauch sprechen als Mädchen. Die Ursachen sind auf jeden Fall auch in den Rollenkonzepten zu suchen. Jungen sollen mit ihren Problemen allein fertig werden. Hilfe zu benötigen, Schwächen und Verletzungen vor anderen zuzugeben, ist "unmännlich" (MAY 314).

Jungen fällt es häufig schwer, die eigenen Erlebnisse mit Mißbrauch in Verbindung zu bringen. Durch die Bilder der schwachen, verletzlichen Frau und des unverletzlichen Mannes fehlen Möglichkeiten, die eigenen, erlebten Gefühle einzuordnen. Die Begriffe "Vergewaltigung" und "Sexueller Mißbrauch" werden (meist) mit weiblichen Opfern und männlichen Tätern assoziiert (BANGE/ENDERS 124). Dies sollte auf jeden Fall auch als Auswirkung von Sozialisation betrachtet werden, da männliche Realität an dieser Stelle ausgeblendet und vom Bild des starken Mannes überdeckt wird. Die Konsequenz ist eine große Angst von Jungen, daß ihnen nicht geglaubt und/oder sie als verrückt angesehen werden könnten. Zwar haben auch Mädchen große Angst, als Lügnerin da zu stehen, jedoch ist die Gesellschaft in Bezug auf sexuellen Mißbrauch an Mädchen sensibilisierter. Untersuchungen zeigen, daß Jungen in den seltensten Fällen geglaubt wird (BANGE/ENDERS 124). Diese Probleme könnte man mit dem Fehlen von Begriffen umschreiben, die es Jungen nicht ermöglichen, ihre Erfahrungen mit anderen in Verbindung zu bringen und zu benennen.

Desweiteren neigen Jungen aufgrund ihrer Sozialisation stärker zu Minimalisierung und zu Verdrängung:

"Durch die Sozialisation wird Jungen vermittelt, daß Schmerzen unmännlich sind und nicht gezeigt werden dürfen. Eine Erfahrung, die nicht in dieses Bild paßt, muß deshalb fast zwangsläufig umgedeutet werden. Denn sonst droht der Verlust der männlichen Identität und Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls. Die bei sexuell mißbrauchten Jungen häufig zu beobachtende Tendenz, die Folgen des Mißbrauchs zu minimieren, kann dadurch mitbedingt sein."(BANGE/ENDERS 60)

Dieses Zitat verweist auf ein Problem, welches im engen Zusammenhang mit männlicher Scham in Verbindung gebracht werden kann.

POLLACK bezeichnet die Scham als einen der wesentlichen Aspekte des männlichen Abhärtungsprozesses. Jungen lernen, sich Gefühlen der Schwäche, Angst, der Verletzung oder der Verzweiflung zu schämen (POLLACK 24).

Dieser Mechanismus findet sich auch bei BANGE/ENDERS als überlegung zur Wirkung von Mißbrauch an Jungen wieder. BANGE/ENDERS benutzen die nachfolgende Tabelle, um die Scham von Jungen bei Mißbrauch zu beschreiben (BANGE/ENDERS 136).

Forderungen an Jungen Schaminhalte

Ein Junge läßt sich nicht mißbrauchen.

Ich bin gegen meinen Willen zu sexuellen Handlungen gezwungen worden, deshalb bin ich kein �richtiger" Mann.

Ein Junge wehrt sich gegen jeden und alles, sonst ist er kein �richtiger" Junge.



Ich habe mich nicht richtig gewehrt, sonst wäre ich nicht mißbraucht worden.

Ein Junge hat alles unter Kontrolle.



Ich habe die Kontrolle verloren. Ich habe sogar Erregung gespürt.

Ein Junge ist ein strahlender Held.



Ich bin dreckig, schmutzig, zu klein, homosexuell usw., denn sonst wäre es mir nicht passiert.

Ein Junge weint nicht.



Ich habe geweint, weil es so weh getan hat.

Ein Junge hat keine Angst.



Ich habe Angst, daß es wieder passiert. Ich habe Angst, daß mir keiner glaubt.

Ein Junge ist unabhängig.



Ich bekomme mein Leben nicht in den Griff.

Alle angeführten Schaminhalte verdeutlichen, wie Jungen unter dem Gefühl, kein "richtiger" Mann zu sein, leiden können. Die Angst, als Schwächling dazustehen und von anderen abgewertet zu werden, kann ein Grund sein, den Mißbrauch Für sich zu behalten. Bis auf die erste Forderung, daß Jungen sich nicht mißbrauchen lassen, sind alle Forderungen Rollenerwartungen an Jungen. Sie sollen sich wehren, alles unter Kontrolle haben, nicht weinen, Helden und unabhängig sein.

Sich nicht mißbrauchen zu lassen, trifft in ähnlicher Weise auch Für Mädchen zu. Der Unterschied liegt in der Bedeutung Für Jungen. Sie haben das Gefühl, durch den Sexuellen Mißbrauch kein "richtiger" Mann sein zu können. Das ist ein jungenspezifisches Gefühl.

BROEK spricht von der Entstehung eines negativen Selbstbildes aus ähnlichen Gründen und bestätigt diese Annahme.

"Opfer zu sein verursacht Angst bei Jungen, Angst vor Ablehnung oder davor, als Schwächling ausgemacht zu werden."(BROEK 45)

Wenn Mißbrauch stattfindet, müssen präventive Ansätze versuchen, die Fortführung des Mißbrauchs zu stoppen und dem Kind oder Jugendlichen Hilfe und Beratung anbieten. In den meisten Fällen ist daFür unabdingbar, daß die Opfer den Mißbrauch benennen. Es muß ebenfalls versucht werden, Mißbrauch im Vorfeld zu verhindern, auch wenn die Möglichkeiten daFür begrenzt sind. Es wird immer Situationen geben, in denen Kinder keine andere Möglichkeit besitzen, als sich schnell Hilfe zu holen. Auch ein noch so selbstbewußtes, aufgeklärtes, emotional und sozial befriedigtes Kind kann mißbraucht werden.

Dabei möchte ich betonen, daß es nie einen hundertprozentigen Schutz vor Mißbrauch geben kann. Jeder Junge kann Opfer von Sexuellem Mißbrauch werden. Diese Sichtweise ist gerade Für Prävention von großer Bedeutung. Es darf nicht ein bestimmtes Bild von Opfern oder potentiellen Opfern entstehen. Man sollte niemanden ausschließen, weil alle betroffen sein könnten und so wichtige Unterstützung oder Sensibilität verloren gehen könnte. Desweiteren besteht die Gefahr, Stereotypen zu produzieren, die es Jungen oder Mädchen erschweren könnten, ihren Mißbrauch zu benennen. Jungen und Mädchen müssen auf die Möglichkeit vorbereitet sein, daß auch sie es treffen kann. Wenn sie mißbraucht werden oder wurden, sollten sie sich in Beschreibungen wiederfinden können. Im Nachhinein hat sich gezeigt, wie nachteilig sich das Vorurteil, daß Mißbrauch fast ausschließlich an Mädchen stattfindet, auf Jungen ausgewirkt hat. Je mehr die Diskussion die öffentliche Meinung veränderte, desto mehr Jungen haben ihren Mißbrauch benennen können.

Zusammenfassung

Die Erfahrungen und Gefühle von Sexuellem Mißbrauch widersprechen den Anforderungen die an Jungen gestellt werden. Auf der einen Seite fehlt Jungen die Nähe zu sich und ihren Gefühlen, was es ihnen schwerer macht, sich die Verletzungen des Sexuellen Mißbrauchs einzugestehen. So neigen Jungen dazu ihren Mißbrauch vor sich und anderen zu minimalisieren. Auf der anderen Seite führt der Widerspruch zu der Angst kein "richtiger" Mann zu sein. Sie schämen sich ihrer scheinbaren "Unmännlichkeit". Die Schamgefühle von Jungen können ein Grund sein, sich anderen nicht anzuvertrauen. Die Jungen haben Angst als Schwächlinge zu gelten.. Ihnen fehlt häufig das Wissen über Sexuellen Mißbrauch an anderen Jungen, um die Erfahrungen einordnen zu können.

4. Täter und Täterinnen

Im folgenden Abschnitt werden TäterInnenmerkmale genannt, die Für Jungen eine besondere Bedeutung besitzen können. Es muß jedoch davor gewarnt werden, festgelegte Bilder von TäterInnen zu skizzieren und sie in präventive Maßnahmen einfließen zu lassen. Dennoch sind Merkmale innerhalb der TäterInnenschaft genannt worden, die mir wichtig erscheinen.

Es gibt wenig Erkenntnisse über Frauen als Täterinnen und die Vermutung, daß sich die Zahlen der Täterinnen mit zunehmenden Bekanntheitsgrad von weiblicher Täterinnenschaft noch erhöhen werden. Trotzdem sind in erster Linie Männer/ Jungen die Täter bei Sexuellem Mißbrauch (HEILIGER/ENGELFRIED 29).

Laut amerikanischen Studien liegt der Anteil der Täterinnen an Jungen bei 13% bis 25%. Somit sind mindestens 75% der TäterInnen Männer oder Jungen (BANGE/ENDERS 103).

4.1. Männer als Täter

Laut HEILIGER/ENGELFRIED geht die Forschung nicht von einer einheitlichen Täterpersönlichkeit aus (HEILIGER/ENGELFRIED 28).

Sie sprechen jedoch von einer vereinfachten Typologie der Täter bei vielfältigen Untersuchungen, welche die Täter in zwei Gruppen einteilen konnten.

Sie unterscheiden in regressive und fixierte Täter.

"Der erste kann Erwachsenen gegenüber keine sexuellen Gefühle empfinden und der zweite fühlt sich zwar von Erwachsenen angezogen, greift jedoch in spezifischen Situationen auf Kinder zurück ." (HEILIGER/ENGELFRIED 34)

Das Verhalten der fixierten Täter wird von ihnen bereits im Jugendalter gezeigt und scheint zwanghafter Natur zu sein. Die Fixierung auf Kinder ist dabei dauerhaft und nicht von Konfliktsituationen beeinflußt. Das primäre sexuelle Interesse gilt Jungen, während regressive Täter eher Mädchen mißbrauchen. Das Bild des fixierten Täters ist mit der Beschreibung von "Pädophilen" identisch. Das Profil dieser Tätergruppe geht von einer sehr sorgfältigen Planung der sexuellen Handlungen aus, wobei es ihnen gelingt, ihrem Umfeld ein besonders kinderliebes und vertrauenswürdiges Bild von sich zu vermitteln. Die sexuellen Handlungen sind eher "verführerischer und passiver" Art. Häufig verbergen sich Pädosexuelle in angesehenen beruflichen und sozialen Positionen, die ihnen den Zugang zu Kindern ermöglichen (HEILIGER/ENGELFRIED 34-35).

Typische fixierte Täter charakterisieren sich dadurch, daß sie die Opfer mit Sorgfalt und Sensibilität auf den Mißbrauch vorbereiten (HEILIGER/ENGELFRIED 35), sich eher im außerfamiliären Bereich befinden und größeren Wert auf die Konstruktion einer gemeinsam gewollten sexuellen Handlung legen.

4.2. Frauen als Täterinnen

Die Zahl der Täterinnen liegt bei 25%. Dabei ist die Zahl der Frauen, die Jungen mißbrauchen, durchschnittlich doppelt so groß wie die Zahl der Frauen, die Mädchen mißbrauchen (BANGE/ENDERS 103). Aufgrund der wenigen Untersuchungen lassen sich allerdings kaum repräsentative Schlüsse über Täterinnenprofile ziehen. Jedoch werden Frauen seltener als Täterinnen wahrgenommen.

"Frauen werden sexuell eher als �schamhaft� und �zurück haltend� und weniger als �triebhaft� und �freizügig eingestuft. Daraus resultiert die Vorstellung, sie würden sexuell nicht �aktiv� werden. Ihnen wird im Umgang mit Kindern allgemein und im Intimbereich insbesondere viel mehr Handlungsspielraum eingestanden als Männern. Weibliche Sexualität und damit auch sexuelle Mißbrauchshandlungen werden so verzerrt wahrgenommen oder möglicherweise ausgeblendet." (MAY 311)

Die wenigen Zahlen über den Anteil weiblicher Täterinnen können dadurch beeinflußt sein.

4.3. Jugendliche als TäterInnen

Eine zwar nicht jungenspezifische aber lang unterschätzte Tatsache ist das Alter der MißbraucherInnen. So gibt eine Untersuchung von ABEL und ROULEAU an, daß 50% der Männer, die Jungen außerhalb der Familie mißbrauchten, vor ihrem 16. Lebensjahr damit begannen. Weitere Beispiele unterstreichen die Tatsache der großen Zahl von recht jungen TäterInnen und legen nahe, diesem Bereich zunehmende Beachtung zu schenken (HEILIGER/ENGELFRIED 38).

5. Die Täter und ihre Bedeutung Für Jungen

In diesem Kapitel sollen mögliche Bedeutungen der Unterschiede zwischen TäterInnen Für Sexuellen Mißbrauch an Jungen untersucht werden. Die drei Unterscheidungen: Männer, Frauen und Jugendliche TäterInnen aus dem Kapitel 4 bilden auch die Grundlage Für die folgende Unterteilung. Die Bedeutung der Jungensozialisation wird Für diesen Teilaspekt untersucht.

5.1. Täter und ihre Bedeutung Für Jungen

Die Angst, Für homosexuell gehalten zu werden, scheint Für Jungen ein sehr zentraler Aspekt zu sein, wenn sie von einem Mann oder Jungen mißbraucht worden sind. Homosexualität ist unter heterosexuellen Männern das Symbol Für Unmännlichkeit schlechthin. So kann auch ich aus meiner eigenen Erfahrung sagen, daß fast jede Abweichung von "Männlichkeit" als schwul, oder aber als mädchenhaft, bezeichnet wird. Es ist aber immer abwertend und im Kontrast zum "richtigen" männlichen Verhalten. Homophobie ist zwar ein Problem beider Geschlechter, hat aber Für "Männlichkeit" eine spezielle Bedeutung.

"Die Gründe Für die[...] starke Abwehr der Liebe unter Männern ergeben sich unter anderem aus der Jungensozialisation. Jungen müssen ihre weiblichen Eigenschaften verleugnen, um �richtige� Männer zu werden. Da Homosexualität zumeist mit Passivität und Weiblichkeit gleichgesetzt wird, eignet sich der Haß auf sie, um sich seiner eigenen Männlichkeit zu versichern." (BANGE/ENDERS 163)



Die Vermutung das fixierte Täter eher Jungen mißbrauchen, könnte Für Jungen eine besondere Bedeutung besitzen. Die fixierten oder pädophilen Täter verstehen es auf besondere Weise, sich den Kindern oder Jugendlichen zu nähern und sie Für sich zu gewinnen. Die Formen des Zwangs sind als subtil und "verführerisch" einzuschätzen (HEILIGER/ENGELFRIED 35).

Es stellt sich die Frage, inwieweit der außerfamiliäre Mißbrauch ein größeres oder anderes Potential Für Schuldgefühle aufweist. Zum Beispiel kann das Kennenlernen eines "großen Freundes" besondere Vorwürfe verursachen, wenn der Junge bestimmte Schritte auf den Täter zugegangen ist. Vielleicht fanden sie ihn sehr nett und haben den Kontakt und evtl. auch Nähe gesucht?

"[Männer] fühlen sich zum Beispiel mitschuldig, weil sie zum Täter in die Wohnung mitgekommen sind oder sich bei ihm angekuschelt haben."(BANGE/ENDERS 138)

Bei einer schon sehr lange bestehenden Beziehung wie zum Vater oder Mutter fällt das weg. Dieses "auf den Täter zugehen" könnte eine Quelle vieler Selbstvorwürfe sein.

5.2. Täterinnen und die Bedeutung Für Jungen

Bei weiblichen Täterinnen kommt ein anderes Problem zum Tragen. Ein Mythos über Männer besagt, daß sie immer und überall Sex mit Frauen haben wollen. Nach BROEK beinhalten, die sich aus der Sozialisation ergebenden Mythen über "männliche" Sexualität, neben der ständigen Lust auf Sex, eine Sicht in der ein sexueller Kontakt mit Frauen immer als schön und wünschen swert empfunden werden muß. Frühe sexuelle Erfahrungen mit Mädchen oder Frauen stellen demnach einen Gewinn dar. Durch diesen Mythos können die Erlebnisse eines Mißbrauchs von Jungen umgedeutet werden. Man soll die sexuellen Handlungen als schön betrachten und glücklich sein, früh zum "Zuge gekommen" zu sein. Wenn man es jedoch nicht so erlebt hat, stellt das die "Männlichkeit" in Frage (BROEK S.50).

Von Jungen wird erwartet, der sexuell aktivere Partner zu sein. �Männer" suchen sich die Partnerin aus und lassen sich nicht zu sexuellen Handlungen zwingen. Die Botschaft an Jungen lautet, daß sie sich nicht mißbrauchen lassen sollen, schon gar nicht von einer Frau (BANGE/ENDERS 125).

Von einem Mädchen verprügelt zu werden, ist Für Jungen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum "stärkeren" Geschlecht eine besonders große Schande. Ähnlich verhält es sich bei Mißbrauch. Es ist die Schande, von Angehörigen des "schwachen" Geschlechts verletzt und gedemütigt zu werden. Wenn Jungen als unverletzlich gelten sollen, dann natürlich gegenüber Frauen und Mädchen in besonderem Maße.

Untersuchungen gehen davon aus, daß der Mißbrauch von Jungen durch Frauen als verhältnismäßig weniger schlimm empfunden wird (BROEK 45). Das heißt aber nicht, daß Mißbrauch durch Frauen harmloser sei. Sondern vielmehr, daß die oben genannten Hintergründe zu der Schwierigkeit führen das Erlebnis einzuordnen. Statt dessen wird der Mißbrauch umdefiniert u. verdrängt..

Die Täterinnenschaft wird durch das gesellschaftliche Bild in Frage gestellt, wonach Männer nicht nur keine Opfer, sondern Frauen auch keine Täterinnen sind.

Dem Inzest zwischen Mutter und Sohn wird in dieser Gesellschaft mit besonderer Abscheu begegnet und wird am stärksten tabuisiert. Das Tabu setzt sich aus der "unantastbaren Mütter lichkeit", der "asexuellen Frau" und der "gewaltlosen, zärtlichen, weiblichen Sexualität" zusammen (MAY 310). So ist die gesellschaftliche Verdrängung von männlichen Opfern zwar ohnehin sehr groß, potenziert sich jedoch in Verbindung mit weiblicher Täterinnenschaft.

MAY bezieht sich auf Untersuchungen, welche die Unterschiedlichkeit der Bewertung von körperlicher Nähe zwischen Vätern u. Töchtern sowie Mütter n u. Söhnen ergaben. Handlungen, die bei Vätern schon als "inzestuöses Verhalten" gedeutet werden, gelten bei Mütter n noch als "Erweiterung mütterlicher Für sorge" (MAY 310).

Aufgrund dieser Tabus und der fehlenden Sensibilität Für Grenzverletzungen durch Frauen, kann es Für Jungen besonders schwierig sein, den Mißbrauch als solchen zu betrachten und zu benennen.

Es ist zu vermuten, daß mit zunehmender Diskussion die Verteilung der Täterinnen bei Jungen sich in Richtung einer höheren Zahl von weiblichen Täterinnen verschiebt. Auf jeden Fall verdient dieser Bereich in Zukunft besondere Beachtung.

5.3. Jugendliche TäterInnen und deren Bedeutung Für Jungen

Bei Mißbrauch durch Jugendliche oder nahezu Gleichaltrige lassen sich aufgrund des geringen Forschungsstandes kaum Vermutungen anstellen. Hier sei nur eine mögliche Denkrichtung erwähnt.

Wie schon an anderer Stelle beschrieben, neigen Jungen dazu, Mißbrauchserfahrungen zu minimalisieren oder zu verharmlosen. BANGE/ENDERS sprechen in diesem Zusammenhang von einer "Normalität" von körperlichen übergriffen mit sexueller Bedeutung unter Jungen.

"Daß Jungen �weniger intensive� Formen sexuellen Mißbrauchs oft als nicht so einschneidend beschreiben, kann außerdem durch folgende jungentypische Erfahrungen mitverursacht sein: Jungen greifen sich �an den Sack�, treten sich �in die Eier� usw., um überlegenheit zu demonstrieren oder um in Kontakt mit anderen Jungen zu kommen." (BANGE/ENDERS 60)

Im Bereich des Mißbrauchs durch Jungen oder Gleichaltrige scheint die Vermutung von BANGE/ENDERS von besonderer Relevanz zu sein. Eine "Normalität" unter Jungen hat in erster Linie eine Konsequenz Für Mißbrauchserfahrungen im Bereich von jüngeren Tätern, da die Gemeinsamkeiten zu den beschriebenen "alltäglichen übergriffen" viel höher sind, als bei einem Mißbrauch der von Männern begangen wird. Die Altersdifferenz hat Für das Erleben mit Sicherheit eine Bedeutung. Die Vermutung von BANGE/ENDERS soll dementsprechend Beachtung finden.

Schlußwort

Es ist in eindeutiger Weise feststellbar, daß sich verschiede Aspekte männlicher Sozialisation negativ auf Jungen als potentielle Opfer Für Sexuellen Mißbrauch auswirken.

Aufgrund ihrer Sozialisation neigen Jungen dazu, ihren Mißbrauch zu minimalisieren. Gefühle der Scham, kein �richtiger" Mann sein zu können, machen es Jungen schwerer ihren Mißbrauch zu benennen. Durch das gesellschaftliche Bild von weiblichen Opfern und männlichen Tätern, haben es Jungen schwer ihre Erlebnisse einzuordnen.

Bei weiblichen Täterinnen sind die Mythen über die Sexualität des Mannes und die gesellschaftliche Verdrängung weiblicher Täterinnenschaft,. Für Jungen von Bedeutung. Die Scham von eine Frau mißbraucht worden zu sein, ist besonders groß. Bei weiblichen Täterinnen neigen Jungen dazu ihre Erlebnisse im besonderen Maße umzudeuten und herunterzuspielen. Die gesellschaftliche Verdrängung weiblicher Täterinnen macht es Jungen schwerer den Mißbrauch zu benennen. Bei männlichen Tätern sind die homophoben Verhältnisse der Gesellschaft ein großer Grund, Für Jungen zu schweigen.

So sollten präventive Konzepte nicht nur die jungenspezifischen Unterschiede bei Sexuellem Mißbrauch berücksichtigen, sondern auch jeder Form des Aufbrechens alter Vorstellungen von "Männlichkeit" eine präventive Bedeutung beimessen. Die beschriebenen Probleme und Konflikte der Opfer können nur durch das Aufweichen alter Normen und Werte gelöst werden. Gerade Männer müssen versuchen, traditionelle Rollererwartungen zu durchbrechen. Aktive Vaterschaft sollte zur Normalität werden. In pädagogischen Einrichtungen muß es mehr Erzieher oder Lehrer geben, die gezielt auf die Probleme von jungenspezifischer Sozialisation vorbereitet werden. Männer müssen Für Jungen greifbar sein und versuchen, ihnen in der überwindung von jungenspezifischen Erwartungen behilflich zu sein. Als positives Beispiel voranzugehen, ist ein erster Schritt, Sexuellem Mißbrauch präventiv entgegenzutreten.

Gerade wenn man sich die männliche Täterschaft vor Augen führt, scheinen alle anderen Versuche, Mißbrauch zu bekämpfen, an den Ursachen dessen vorbei zu arbeiten. "Männlichkeit" bedeutet in erster Linie potentielle Täterschaft, welcher mit dem Verweis auf die Nachteile und Defizite Für die Männer begegnet werden kann. Männer wie Frauen müssen die Verantwortung Für ihr Handeln übernehmen, Für Männer bedeutet dies auch, traditionelle Bilder von "Männlichkeit" zu verwerfen.

Literaturverzeichnis:

Bange, Dirk, und Ursular Enders. Auch Indianer kennen Schmerz: Handbuch gegen sexuelle Gewalt an Jungen. Hg. Rainer Osnowski. Köln: Kiepenheuer& Witsch, 1995.

Bilden, Helga. Handbuch der Sozialisationsforschung. Hg. Klaus Hurrelmann und Dieter Ulich. 2. Aufl. Weinheim [u.a.]: Beltz, 1982.

Broek, Jan van den. Verschwiegene Not: Sexueller Mißbrauch an Jungen. übs. Rolf Erdorf. Zürich: Kreuz, 1993.

Brück, Brigitte. Feministische Soziologie: Eine Einführung. Frankfurt/Main [u.a]

Heiliger, Anita, und Constance Engelfried. Sexuelle Gewalt: Männliche Sozialisation und potentielle Täterschaft. Frankfurt/Main [u.a.]: Campus, 1995

May, Angela. Nein ist nicht genug: Prävention und Prophylaxe; Inhalte, Methoden und Materialien zum Fachgebiet Sexueller Mißbrauch. Ruhnmark: Donna Vita, 1997.

Schnack, Dieter, und Rainer Neutzling. Kleine Helden in Not: Jungen auf der Suche nach Männlichkeit. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1990.

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