Mittwoch, 21. März 2007

Wie Frauen ihre "Unterdrücker" erschaffen

Gefunden bei männerbuero-trier.de
Gerhard Amendt

Genderized Power
Männliche Passivität und weibliche Aktivität´


In: texte.psychoanalys. ästhetik. kulturkritik
Heft 1/ 2002-08-30 22. Jahrgang, Passagen Verlag Wien
Im Sommer des Jahres 2001 haben drei herausragende Autorinnen und zugleich Ikonen der modernen feministischen Bewegung ihre Positionen zum Diskurs über Geschlechterbeziehungen widerrufen. So sagt Doris Lessing, dass sie „zunehmend schockiert über die gedankenlose Abwertung von Männern" ist, denn die „dümmsten, ungebildetsten und scheußlichsten Frauen können die herzlichsten, freundlichsten und intelligentesten Männer niedermachen, ohne das irgendjemand was dagegen tut.

" Die Abwertung des Männlichen sei „so sehr Teil unserer Kultur geworden (...), dass sie kaum noch wahrgenommen wird."" Und letztlich erklärt sie die „Emanzenkultur für denkfaul und heimtückisch" (Lessing 2001).

Nicht viel anders erklärt Jay Welldon (Stern 40/2001) den weitverbreiteten Hass auf die Männer als schädlich für das Funktionieren der Gesellschaft.
Am weitesten geht allerdings die Revision der französischen Psychoanalytikerin und Philosophin Julia Kristeva in der Internetausgabe der New York Times (14. Juli 2001).
Gegen das Konzept von Multikulturalität, das Identitätsstiftung aus Gruppenzugehörigkeit ableitet und somit als ein modernes Äquivalent von archaischer Stammeszugehörigkeit gelten kann, besteht sie darauf, dass

die Gruppenidentität, die von einigen Feministinnen, Schwulen und ethnischen Führern als Steigbügel
für ihre nachdrückliche Rechtfertigung genutzt werde, unzeitgemäß und totalitär sei. Die Freiheit des
Individuums gehe dem Communitarismus voraus und die politische Betonung von sexuellen, ethnischen und religiösen Identitäten zersetze die Demokratie. (Kristeva 2001)

Damit bricht sie mit Zuschreibungen wie sie grundlegend auch für die political correctness des praktischen wie theoretischen Feminismus sind.
Sie sagt: „Was mich interessiert sind nicht alle Frauen, sondern jede Frau in ihrer Individualität." Jede der drei Autoren hat auf ihre Art widerrufen, was für Gruppenidentitäten innerhalb der Frauenbewegungen von identitätsstiftender Reichweite war: die Entdifferenzierung der Mannigfaltigkeit zu Gunsten von Wir-Gefühl.

Was mir an diesen Widerrufen allein wichtig erscheint, sind die Auswirkungen, die sie für moderne Männerpolitik haben.
Sehr verbreitet ist moderne Männerpolitik zwar nicht. Aber jene zaghaft selbstreflexive Männerpolitik in ihren frühen Ausprägungen mit einer fast nabelschnurähnlichen Verbindung mit den Positionen von Frauenpolitik, wurde durch die Einlassungen der drei Autorinnen radikal widerrufen und gewissermaßen mit einem radikalen Schnitt durchtrennt.

Es ist eine Abnabelung, die die mit dem Feminismus identifizierte und Anleihen bei ihr machende Männerpolitik so nicht erwartet hat und als brüske Zurückweisung nicht hat sich träumen lassen. Ich meine damit jene Männerpolitik, sie sich als profeministisch beschreibt und recht weitgehend unhinterfragt feministische Patriachatskritik übernimmt.
Sie geben Frauen weitgehend in allem Recht und meinen, dass Männer gut daran täten, ihre eigene Emanzipation mit den Zielen der Frauenbewegung zu synchronisieren.
In den USA hat das Profemnistische sich zur theoretischen und politischen Gestalt etwa in den Schriften von Michael S. Kimmel (1981) oder des frühen Warren Farrell aufgeschwungen.
In Europa entspricht dem Profeminismus eher eine unterschwellige psychologische Einschmeichelung, die man ganz traditionell als den Wunsch beschreiben kann, dass „Männer es Frauen recht machen möchten".
Das ist gewiss nichts Neues, sondern setzt als Identität stiftendes Moment auch von moderner
Männlichkeit eigentlich nur Überliefertes fort. Dieses Recht machen wollen ist ein mächtiger, wenn nicht sogar der maßgebliche Strom männlicher Existenzlegitimation, der die Leidenschaft zur instrumentellen Rationalität, der Selbstdisziplinierung und der daraus abgeleiteten Verwaltung von Macht im wesentlichen bislang vorangetrieben hat.
Typisch sowohl für den politischen wie den psychologischen Profeminismus ist die identifikatorische Übernahme von feministischen Patriarchatsdeklinationen, etwa wie:

Die Männer sind an allem Schuld, an der Kälte der instrumentellen Vernunft, der Pornographie als Gewaltaufruf, der zerstörten Umwelt, den Kriegen natürlich ebenso, der Diskriminierung der Frauen, dem Verlust der Religiosität, der Gewalt in Partnerschaften und gegen Kinder, und summarisch schuld auch für das, was als sie Universalität weiblichen Opferstatus durch die Unendlichkeit der überlieferten Geschichte hindurch wirksam war und noch immer wirksam ist und auch fürderhin sein wird. (Rave 1991; Günther 1997)1

Aber weder der Wahrheitsgehalt dieser Stichworte, noch deren Bedeutung für die Frauenbewegung stehen hier im Mittelpunkt.

Was hier interessiert ist ein Versuch, jene innerpsychischen und sozialpsychologischen Prozesse an einem Beispiel zu analysieren, das den psychischen Profeminismus einmal als Männerpolitik und zum anderen als männliche Alltagsmentalität hervorbringt.
Zwei Quellen können für die Entstehung angenommen werden. Einmal die eines allgemeinen frühkindlichen Phantasie- und zum anderen die eines Beziehungsschicksals.
Das erste verweist auf Phantasieschicksale, das zweite auf reale Erfahrungen mit Eltern (Amendt 1994/99).
Beide Erfahrungsprozesse können zur Anlehnung von Männern an feministische Welterklärungen oder das ganz normale Frauenselbstverständnis beitragen.

Solchen etwa, die das Wesen von Männern in den vergangen 40 Jahren essentialistisch zu definieren versuchten. Neuerdings begeben sich deshalb auch profeministische Männer auf die tastende Suche nach einem ihnen angemessenen Opferstatus, der dem der Frauen, wenn nicht ebenbürtig, so doch zumindest ähnlich sein sollte.2 Das hat bereits dazu geführt, dass auch Männer nicht mehr Herren von eigener Geschichte sein wollen und sich verantwortungsmüde geben. Denn gerade der feministische Opfermythos stellt eine radikal-groteske Verleugnung von Geschichtsmächtigkeit und Verantwortung für diese dar, der gleichzeitig aber gute Weiblichkeit als Theorie und Praxis einer besseren Gesellschaft verheißt (Mitscherlich 1985/1987).3

Das ist insofern erstaunlich, als wir unter dem gegenläufigen Paradigma der Individualisierung von Lebensstilen leben, das an die Stelle von kollektiv zugewiesenen Lebenslagen wie Klassen-, Standeszugehörigkeit, Religion, Stamm oder sozialer Gruppe, die individuelle Zuordnung nach eigener Wahl gesetzt hat und wahr damit machen will, dass „jeder seines eigenen Glückes Schmied ist".

So haben die revisionistischen Ikonen mit ihren Stellungnahmen profeministische Männerpolitik ein Stück weit ad absurdum geführt. Aber die psychischen Bereitschaften von Männern, Frauen es recht machen zu wollen, bleiben davon weitgehend unberührt.

Daran wird sich so bald nichts ändern, weil die psycho-kulturelle Zwanghaftigkeit von Männern zumeist wie Natur erlebt wird und hinter habitualisierter Rollenperformance zurücktritt.

Die Widerrufe der Ikonen sind natürlich schwere Kränkungen für profeministische Männer. Denn letztlich stellt sich ihre politische und psychische Botmäßigkeiten gegenüber dem Feminismus als unangemessene und vergebliche Liebesmühe dar. Ihr Verhalten ist vergleichbar einer kindlichen Ablehnung, wenn nicht sogar selbstverleugnender Unterwerfung unter eine mächtig und allwissend vorgestellte Mütterlichkeit.

Nur haben sich die identifikatorischen Substanzen in der Zwischenzeit als geschichtliche Versehen entpuppt. Damit haben profeministisch gesonnene Männer ihre wichtigsten Emanzipationsideale und ihre politische Heimat verloren. Sie stehen „wie begossene Pudel dar" oder wie kleine Jungen, die sich ganz auf die Mutter verlassen haben und jetzt lernen müssen, dass die Mutter ihre Vergangenheit zum Holzweg erklärt und sich wieder erwachsenen Männern zuwendet.

Warum die Erklärungen der Ikonen als internalisierte Psycholgie in Männern weiter bestehen, will ich ansatzweise im Verlauf meiner Überlegungen versuchen aufzuklären. Ich werde dazu sozialpsychologische wie psychoanalytische Erklärungen heranziehen, da jeweils eine den komplexen Zusammenhang nicht angemessen erfassen und vor allem keine Erfolg versprechende Perspektive von Genderarrangement- Transformation eröffnen kann.

Denn es geht dabei um den Wandel in den Geschlechterarrangements (Dinnerstein 1987). Auf keinen Fall soll es weiterhin um die Fortführung von wechselseitigen Unterwerfungen, auch nicht um ein endloses Spiel von Schuldzuweisungen und Idealisierungen gehen.
Ebenso wenig darf die Zukunft von Spaltungen in eine Welt von Opfern und Tätern polarisierte Geschlechtergemeinschaft beherrscht werden, sozusagen von einem System hochverfeindeter Monaden.

Es müssen versöhnende Beziehungspraxen versucht werden, in denen die Opfertäterspaltung überwunden wird und zu ihren Gunsten diskursiv ausgehandelte Wünsche nach intersubjektiver Verständigung treten können.

Erste Schritte dazu haben einige Männer während der letzten drei Jahrzehnte versucht. Der Rückblick auf die Struktur ihrer Versuche lohnt sich. Die wenigen Couragierten, die das publizistisch oder wissenschaftlich versucht haben, bezogen sich auf patriarchatstheoretische Interpretationen des Geschlechterverhältnisses. Was sie auszeichnete, war, dass sie aus dem dominierenden Chor der totschweigenden Männer herausfielen.
Aber was sie taten, muss auch in dem möglichen Zusammenhang von Reaktionsbildung auf kulturell gängige Kindheitsszenen von Söhnen verstanden werden. Denn nicht einige Söhne mußten damit fertig werden, dass sich ihre Mütter von ihnen nicht trennen konnten, vielmehr sie als phallische Erweiterung ihrer selbst benutzten (Amendt 1999; Stoler 1966; 1974).
So eilten sie fortan wie kleine Jungen zu der leidend sich gebärdenden oder auch nur leidend phantasierten Mutter. Sie bezogen Position für sie. Sie wollten die mütterlichen Bedürftigkeiten empathisch verstehen. Sie wollten durch willkommen erscheinende und tröstend wirkende Gesten die Mütter von ihrem Leiden wie ihrer Unzufriedenheit befreien.
Anders formuliert: „sie wollten es der Mutter recht machen" und als sie erwachsen waren, gaben sie diese Anstrengung nicht auf, sondern verfielen in eine kulturelle Reaktionsbildung (Amendt 1999), wodurch eine eigentümliche Mischung aus Versorgung (Bernard 1981) und Kleinhalten von Frauen sich durchsetzte.
Das geschah, weil der Vater aus ödipalen Phantasien heraus der Mutter gegenüber als Versager wahrgenommen wurde, er es tatsächlich war oder weil die Mutter ihn als einen versagenden Mann darstellte und sie den Sohn als die Verheißung einer besseren Zukunft inthronisierte.
Letzteres wäre dann die kulturelle Seite einer zeitgenössischen Mutter-Sohn-Beziehung.
In ihr wird der Sohn unter einem von der Mutter vorgegebenen Ziel wahrgenommen und für ihre unerfüllten Wünsche funktionalisiert (Amendt 1999).

Die Revisonen der Feminismusikonen stellen vor diesem Hintergrund eine radikale Entwertung profeministscher Männerpolitik dar. Sie wirkt wie eine beschämendeDeutung von unbewussten Handlungsmotiven. Mutterübertragungen werden spürbar.
Sie werden wie das Scheitern von kleinjungenhafter Größenvorstellung erlebt. Die Auswirkungen der ikonographischen Revisionen sind in einem Deutungsmodell von kindlichem Sohnesmissbrauch oder ödipaler Phantasien mit jener narzisstisch kränkenden Szene zu vergleichen, in der die Mutter sich aus der sexualisierten Alltagszene mit dem Sohn zurückzieht und dem Vater sich wieder öffnet. Um sich dort zu holen, was der angeturnte kleine Sohn ihr gerne geben würde und was sie von ihm auch phantasierend erwartete.
Selbstverständlich entwertet die Revision auch einiges an wissenschaftlicher wie populärer Männerliteratur.
Diese Beschämungshypothese möchte ich nun an immer noch relevanter genderkritischer Literatur aus den letzten 80er Jahren überprüfen.
Vor allem am Beispiel eines beredten Mannes, der aus der Majorität der trotzig-verstockten Männer durch Mut und Konfrontationswilligkeit angesichts einer Atmosphäre moralischer Einschüchterung herausragte. Und der weder aus Arroganz noch aus Verschlossenheit zur Frauenbwegung schwieg, sondern der die patriarchatstheoretsich erbrämten Schuldzusweisungen aufnahm. Allerdings in einer ganz besonderen Weise. Und der daraus eine höchst raffinierte Reaktion gegen die Schuldzuweisungen entwickelte. Der vor allem aber versuchte, in einer Atmosphäre von political correctness nicht an den Schamgefühlen zu ersticken, die von den feministschen Unwerterklräungen über sogenannte „universelle marode Männlichkeit" oft ausgelöst wurden.
Er entlastete sich auch nicht damit, dass er die Angriffe – wie andere es taten – als politisch bedeutsames hysterisches Agieren einstufte.
Der Autor, der hier im Mittelpupnkt steht, ist Volker Pilgrim, dessen mutiges Buch Muttersöhne 1986 erschien. Zu erwähnen ist auch Claus Theweileit, Autor zweibändiger Männerphantasien, die solche in Wirklichkeit gar nicht sind, sondern im Alfred Lorenzerschen (1976) Sinne sprachanalytisch als „Klischees" gelten müssen. Erst hinter diesen Klischees werden die Phantasien erkennbar oder „unter dem Pflaster der Strand". Klischees als letzte Wahrheit zu behandeln, hat Männer zu dem reduziert, was die feministische Bewegung von ihnen behauptete und ihnen die Fähigkeit zur Veränderung durch die Leugnung ihrer Phantasie bestritten.

Deshalb wird hier Volker Pilgrim betrachtet, denn er hat versucht, auf die Behauptung, „Männlichkeit sei universell marode", eine Antwort zu finden. Aber Pilgrim hat einen Dialog geführt, der wahrscheinlich an den gescholtenen Männern zumeist vorbei ging. Oder er hat die vorhandene Mischung aus Scham und des Nichtwahrhabenwollens im Schweigen oder passiver Arroganz verstärkt.
Denn anfangs deutete das universalistisch entworfene Opferbegehren der Frauen eine diffuse Täterschaft an. Später aber war es ausdrücklich – und heute eigentümlicherweise mehr denn je4 - gegen alle Männer gerichtet (Mitscherlich 1985, 1987; Mulack 1990).
In dieser gespaltenen Welt stand fest, welches Geschlecht gut und welches böse, welches friedfertig und welches friedlos ist. Männer sind Täter, Frauen sind deren Opfer.
Anatomie war damit in seltener Manier Schicksal geworden.
Diesmal böses moralisches Anatomieschicksal der Männer. Mit dieser auch öffentlich sich durchsetzenden Spaltung wurden Dialog und Veränderung des Geschlechterarrangements bis auf den heutigen Tag blockiert.

Es mag sich hier bestätigen, was Mary Douglas (1981, 172) ausführte: „Im Hexenglauben kommt die Überzeugung zum Ausdruck, dass die Menschheit in zwei Hälften zerfällt: in die Guten und Reinen und die von Grund aus Niederträchtigen und Bösen, die eigentlich überhaupt nicht als Menschen zu betrachten sind."

Beschämung über Enttäuschung über den vermeintlich nur rational-instrumentellen Lebensstil der Männer und die diesem gegenüber stehende vermeintlich überlegene weibliche Moral und Expressivität – diese Entkopplung ist der Kern der Carol Gilliganschen Geschlechterdifferenzierung (Nummer-Winkler 1994) – haben den Versöhnungsdiskurs (Benjamin 1993) weitgehend unmöglich gemacht. Und nur eine durchgehaltene Gemeinsamkeit hätte die Beziehungen der Geschlechter zueinander 5 verändern können.
Aber für viele Männer war diese Polarisierung eher der gar nicht so unwillkommene Anlass, sich den Kränkungen nicht stellen zu müssen. Was Frauen in diesem schwierigen Diskurs angeht, so scheint die Vermutung und einer der Gründe nicht abwegig, dass Frauen ihre Enttäuschung über Männer oft nicht auf ihre unbewusst verharrende Idealisierungen von Männlichkeit zurückführen können. Statt dessen aktualisiert sich die Vorstellung des Täters, Kernbergs (2002) „verfolgende Repräsentation", zu dem keine Beziehung besteht und der ursprünglich mit dem „Mann im Park" zusammenfällt, der aus dem Dunklen kommt und ohne Spuren zu hinterlassen als Unhold dort verschwindet – nur Geopferte hinter sich lassend.

Für die Männer hingegen gilt in diesem Nicht-Diskurs, dass sie ihre Beschämung über ihr Versagen nicht an ihren Repräsentationen über weibliche Bedürftigkeit messen wollten. Das hätte ihre männliche Vorstellungen von Gefordertsein bis zum Heroischen tangiert und beides in seiner realen Bedeutung als Identitätspolster herabgestuft. Sie wären damit auf den Boden der Realität zurückgekehrt. So liegt die Genese männlicher Sprachlosigkeit in der Form des beredten Schweigens gegenüber der Frauenbewegung weiterhin im Dunkeln und harrt ihrer Belichtung.

Nicht viel anders als die weit verbreitete ebenfalls ungeklärte Leidenschaft weiblicher Enttäuschung über die Männer.

Einen Erklärungsversuch hat Jean Elshtain Bethke schon 1990 im Hinblick auf die Abwertungen des Männlichen durch die Frauenbewegung – und die dahinter sich verbergenden heimlichen Idealisierungen – formuliert.

„Mythen der männlichen Macht werden oft dann gerne behauptet, wenn Männer gerade nicht in den selbstsicheren Weisen dominieren, wie der Mythos es verheißt."

Das lässt sich nicht nur als Angst der Frauen vor der Freiheit interpretieren, nämlich dann, wenn sie auf sich selber gestellt sind, sondern ebenso als Angst der Männer vor ihren hochgesteckten Versprechungen an die Frauen und ihrem naturhaft erlebten Sinn von Existenz als Frauenversorger – das tradierte „good provider syndrom" (Bernard 1981).5

Dieser Vorgang spiegelt sich unter Männern als Scham und Versagensangst. Deshalb gab es neben der „verschämten Sprachlosigkeit" über die uneingehaltenen Versprechungen von fürsorglicher Macht auch sprachgewaltige Reaktionen. Es war Volker Pilgrim, der vor dem abwertenden Sog auf seine Weise zu retten versuchte, was der Rettung ihm würdig erschien. Es ging um schwer einzuhaltende Versprechungen.

Er sprach für sich, über sich selbst, manchmal wussten er und Gleichgesinnte es und manchmal merkten sie es nicht, dass sie unaufgefordert für Gruppen schweigender Männer ins Feuer gingen. Und diese identifizierten sich still mit den Äußerungen der Wortgewaltigen. Die Wortgewaltigen waren sicher die Sensibelsten, deren hoch ambivalente Identifikation mit den Frauen-Müttern sie dazu befähigte, diesen von allen Lippen abzulesen, was diese wünschten und was ihre tiefsten Ängste waren. Aber diese Männer standen für weit mehr; durch ihr Einfühlungsvermögen waren sie die Machtbewusstesten zugleich. Sie wussten, dass das Begehren des Anderen diesen vom Wunscherfüllenden abhängig macht. Sie begriffen von Genderarrangements mehr als alle anderen. Und auf ihre Weise redeten sie mit sanfter Stimme von der Macht – die sie nicht preisgeben wollten; um keinen Preis.

In Deutschland waren das Volker Pilgrim und Claus Theweleit. In den USA waren es Michael S. Kimmel und Warren Farrell mit seinen frühen Schriften. Sie hörten hin und sie waren interessiert. Sie waren teilweise kämpferisch gesonnen. Aber sie wollten den Frauen das Feld nicht gänzlich überlassen, in dem neben der männlichen Ehre die männliche Macht begraben lag. Nur – was für eine Macht war das?

Es ging ihnen nicht so sehr um Status, Einkommen oder Prestige. Das stand eher als Sekundäres im Hintergrund. Es ging ihnen um den zeitgenössichen Kern des engendered Selbstbewusstseins. Sie wussten, dass davon die Motive abhingen, die Frauen auf primäre Häuslichkeit und Männer auf primäre Öffentlichkeit festlegten und den jeweils fehlenden Teil der partnerschaftlichen Ausgestaltung dem anderen überließen. Denn daraus würde sich das Schicksal des männlichen Selbstbewusstseins langfristig ergeben; eben so bleiben wie es ist oder sich verändern.

Volker Pilgrim (1993) und Klaus Theweleit (1977) präsentierten sich als Machtbewusste und Moralität beanspruchenden Verteidiger moderner Männlichkeit. Sie sprachen und schrieben einfühlsam, aber in der Machtfragen waren sie unnachgiebig.

Bemerkenswert und historisch trefflich ist dabei, wie Empathie für die Frauen sich als Voraussetzung zur Erhaltung einer spezifischen Macht von Männern über Frauen entpuppte. Die Macht ließ sich jedoch nur erhalten, wenn die Frauen weiterhin an ihrer Erwartungshaltung gegenüber Männern festhalten würden. Ohne diese Erwartungen der Frauen kann es ämlich keine Befriedigung für Frauen von Männern geben (Kernberg 1998).

In den USA haben Warren Farrell (1995), Robert Bly (1997), Michael Kimmel (1987), Harry Brod und Stoltenberg, sowie in Australien Cornell sich in unterschiedlichen Weisen der Kritik der Frauenbewegung in Spielformen des Profeminismus verschrieben. In Deutschland besprach Volker Pilgrim das Arrangement der Geschlechter und den später alle Debatten überwuchernden Gewaltaspekten – allerdings bezog er sich auf die Gewalt der Frauen. Und trotzdem war sein Buch über „Muttersöhne" nach Auskunft des Verlags vor allem unter Frauen begehrt. Aber Volker Pilgrim ging weiter als alle anderen zuvor.

Er hielt Frauen nämlich vor, dass ihr „universeller Opferstatus", über den sie politisch und theoretisch jammerten, von eben den „Muttersöhnen" hervorgebracht werde, die der Mütter ureigenstes Produkt seien. Sie würden mit liebender Hand ihre eigenen Unterdrücker hervorbringen. Denn Muttersöhne seien von ihrer Mutter in unserer Kultur für die kritisierten Geschlechterbeziehungen hergerichtet worden. Das gelte für das Heer unbekannter Muttersöhne nicht weniger als für so ungleiche Muttersohn-Figuren wie den amerikanischen Präsidenten Teddy D. Roosevelt und Gewaltherrscher wie Adolf Hitler und Josef Stalin. Eigentlich gelte es für jeden unliebsamen Mann.

So universell die Täter, so universell die Mütter, die das der Kultur eingebrockt haben. Es entsprach dem ständigen Zeitgeist, dass auf den bystander-Status des Vaters nicht eingegangen wurde, dessen aktive Passivität erst das mütterliche Verführen möglich machte. Das war ein leidenschaftlicher Angriff auf den mysterienhaften christologischen Opferstatus, den die Frauenbewegung für alle Frauen mit der Geste eines heimlichen Marienkultes beansprucht. Auf die psychische „Spannung von Venus und Maria" (Bloch 1959) wollte sie sich wohl nicht einlassen.

So führt Volker Pilgrim den Frauen jene Geschichtsmächtigkeit vor, die sie damals wie heute – als eine unter vielen – bestreiten und statt dessen auf ihrem „Geopfertsein" nachhaltig pochen.

Pilgrims Attacke wurde von Frauen staunend, aber auch mit leuchtenden Augen aufgenommen. Um sich aber den zu befürchtenden Reaktionen auf seine lausbubenhaft anmutende Schärfe zu entziehen, immerhin hatte er am idologischen Pfeiler weiblicher Geschichtsohnmacht tiefe Kratzspuren hinterlassen, indem er auf ihre männliche Psychen formende Macht hingewiesen hatte, zog er die Notbremse:

Ich möchte als erstes versuchen, das Misstrauen zu zerstreuen, das beim nur ungefähren Verlautbaren meiner These aufkommen kann, die Frau als Mutter sei „schuld" an der verhängnisvollen Entwicklung des Sohnes zur Gewaltneigung. Von „Schuld" rede ich nie, alleräußerst von unwissentlicher Verursachung, besser von der Wirkung, die die unterdrückte Frau in der Funktion der Mutter auf den Sohn hat, am besten von der Verstrickung, in die das Patriarchat die Mütter und Söhne zwingt, allein zu dem Zweck, um neue Gewaltspezialisten zu erhalten, die diese Gesellschaft für ihren Fortbestand braucht. (Pilgrim 1986, 260)

Demnach ist mütterliche Destruktivität gesellschaftlich funktional. „Jeder Sohn wächst unter einer unterdrückten Mutter auf. Die Abschaffung der Gewalt des Sohnes wird gänzlich erst gelingen mit dem Ende der Unterdrückung der Frau" (Pilgrim 1986, 7). Und die Exkulpation der Mutter folgt auf den Fuß:

Die Wirkung des universalen Verbrechens an den Frauen war riesenhaft. Die Frau verkam zu einem ängstlichen, sich selbst entfremdeten, hilflosen Männergebrauchsartikel. Die Wahrnehmung als Mensch sollte ihr nur noch in der sterilen Funktion (!) als Mutter möglich sein. Was Frauen schon früher hatten erleiden müssen – das Eingesperrtsein in körperlichen und burgmäuerliche Keuschheitsgürtel -, das drohte jetzt allen Frauen. Und also wurden die Riemen (!) zwischen Mutter und Sohn enger geschnallt. (...) Der Verhängniskreislauf war geschlossen: Frauenunterdrückung, Sohnesbindung, Muttersohnausbildung, Lebenszerstörung. (Pilgrim 1986, 209) Was Frauen auch tun, wie sie auch wirken, bei den Söhnen bildet sich das Muttersohnsyndrom nur heraus, wenn sie zusammen mit unterdrückten Müttern aufwachsen. Seelische Größe, geistige Bedeutung, menschliche Stärke nützen den Frauen nichts, wenn sie im gesellschaftlichen Minus leben. (Pilgrim 1986, 316)

Ähnliche Thesen werden von Feministen noch im Jahre 1995 zur Verleugnung weiblicher Geschichtsmächtigkeit ins Spiel gebracht: „Nicht die Identifizierung mit der Mutter ist das Hauptproblem des Jungen; nicht dass sein Primärobjekt weiblich ist, sondern dass es unterdrückt ist, erzeugt die Schwierigkeiten" (Schmauch 1995, 35). Nicht die Verführung soll das Problem der Söhne sein, sondern dass ihre Mütter unterdrückt sind (Amendt 1999, 1994).

Das ist ein kulturtypischer Aufruf an Söhne, sich als heldenhaft zu erweisen und ihre Scham zu verleugnen. Es bleibt ihnen nur noch, sich gegen die mutmaßlichen Übeltäter zu wenden.

Damit ist Zwietracht zwischen Väter und Söhne gesät und der Weg zur Vaterlosigkeit eingeschlagen.6

Verachtender lässt sich Frauen Verantwortung nicht absprechen und Söhnen Leidensbereitschaft abfordern. Nur weil Frauen in unserer Kultur „Durchlauferhitzer gesellschaftlicher Missstände" sind, komme es zur mütterlichen Verführung. Gäbe es die Missstände nicht, dann würde sie den Sohn auch nicht verführen. So sind es nicht die inzestuösen, verschlingenden oder narzisstischen Wünsche der Mutter, die den Sohn zum heimlichen Vertrauten werden lassen, sondern das Patriarchat, das sie zu schädlichem Agieren treibt.

Denn dadurch (das Unterdrücktsein, G.A.) kann sich in die Liebe der Frau soviel Feindseligkeit gegen den Sohn als Repräsentanten des männlichen Geschlechts mischen, und Verachtung für sein Schwachsein, soviel unterwürfige Bewunderung, passiv machende Verwöhnung im heimlich gepflegten Séparée mit ihm und andere Emotionen. (Schmauch 1995, 35)

Vorbeugend sagt Pilgrim deshalb: „Die Unterdrückung der Frauen war und ist so fundamental, dass der unter Hausmütterchen aufwachsende Sohn immer wieder ein eingeschränkter Mann wird, der seinen Mangel in der nach Männern verlangenden Gesellschaft mit Leben (Mutter) zerstörenden Taten wettmachen muss."

Die heute vorherrschende Hermetik feministischer Selbstpräsentation, die „Besessenheit mit Imagines der weiblichen Viktimisierung" (Bethke), ist hier angelegt, wie die korrespondierende Selbstaufgabe weiblicher Subjektfähigkeit.

Pilgrim ahnt weibliche Geschichtsmächtigkeit nicht nur, er benennt sie. Aber nur, wenn „gewordene Söhne" mit den Müttern gemeinsam – vergleichbar einer ödipalen Phantasie oder übergriffigen Beziehung – sich gegen die „gesellschaftszerstörenden Väter" stellen, wird sich etwas ändern. Für die Befreiung der Frau, wie könnte es sein, gilt das alte Modell der inzestuösen Überschreitung der Generationengrenze. Pilgrim sieht in den „Muttersöhnen" weiblich identifizierte Männer.

Zurecht hielt er für weiblich, was als Hang zum Selbstmitleid – etwa Opfer zu sein – unter diesen aufscheint.
Allerdings tritt die Mutter hier ganz und gar nicht nur als eine Leidende auf. Das Selbstmitleid der Muttersöhne ist vielmehr eine Identifizierung mit machtbewusster Weiblichkeit. Selbstmitleid von Muttersöhnen entspringt der Identifikation mit ihr, die nicht nur gestalten will, sondern das auch kann. Das faszinierte die Muttersöhne schon, deshalb galt die „Unterwerfung (der Muttersöhne, G. A.) unter den Willen der Mutter (...) der Teilhabe an ihrer Macht" (Grün 1989, 152).

Bei jeder Identifikation geht es darum, sich an der Macht des anderen zu beteiligen; zum Beispiel auch der deutschen Mütter mit den kämpfenden Frontsoldaten und dem Nationalsozialismus (Amendt 199). Margarete Mitscherlich hat das offenbar verkannt (Brainin et al 1993). Wer durch sein reales oder phantasiertes Leid Hilfe auszulösen vermag, der kann nicht ohnmächtig sein. „Es mag ein großes Stück Aktivität notwendig sein, um ein passives Ziel durchzusetzen" (Freud GW 123). Und was im äußersten Fall sich als Terror des Leidens beschreiben lässt, wie im universellen Opferstatus, ist für viele Männer eine schwere Bedrohung, die viele unter ihnen sprachlos und orientierungslos macht. Es gibt „engendered power" (Bethke 1990), geschlechtsspezifische Machtformen, über die Männer und Frauen getrennt und solche, über die sie gemeinsam verfügen, denn Geschlechterbeziehungen sind generell „machtverspielte Beziehungen" und nur in Ausnahmen „instrumentelle Gewaltzustände". Männliche Gewalt lässt sich nicht essentialistisch begründen.

Männliche Aggression mag fast universell sein. Aber sie ist transitorisch und üblicherweise eine folgenlose Stufe der Kindheit. Es sei denn, sie wird durch Machtstrategien wiederbelebt und in einer Reihe von Machtstrategien als Abwehr gegen Sexualängste konsolidiert. In diesem Sinne kann männliche sexuelle Aggression analog zum primären und sekundären weiblichen sexuellen Masochismus gesehen werden. (Person 1990, 32)

Die Gegenthese, dass Frauen friedfertig und aggessionslos seien, haben die Wiener Psychoanalytiker Elisabeth Brainin, Vera Ligeti und Sammy Teichert 1993 gegen Margarete Mitscherlich gewandt und nachdrücklich kritisiert.

Im Rückgriff auf Chasseguet-Smirgel stellen sie die Frage, warum Frauen die Analität weniger abwehren sollten als Männer und warum Verleugnung und Verdrängung spezifisch männliche Abwehrmechanismen sein sollten und der Antisemitismus deshalb männlich sei und Frauen keine Antisemiten – und deshalb im Hinblick auf den Nationalsozialismus schlimmstenfalls bystander der Geschichte gewesen sein könnten (Amendt 1996)!

Und hier wird die Nähe von Volker Pilgrim zur Frauenbewegung abermals erkennbar. Er bestätigt den Müttern, dass sie am Nationalsozialismus schuldlos gewesen seien. In einem gewissen Maße wird man davon ausgehen müssen, das Frauen nicht bereit sind, auch männliche Schwäche zu akzeptieren. Nicht weniges an der Gewalt der Männer könnte deshalb reaktiven Charakter haben (Amendt 1999). Die Bewunderung der Söhne für die matriarchally genderized power forderte von den Söhnen einen hohen Preis. Der Weg zum Vater wird zusehends beschwerlicher, bis er kulturell weitgehend verschüttet ist. Der damit verbundene Kindheitsverlust legte die Wurzeln für die lebenslange Vatersehnsucht (Amendt 1999) und deren Verleugnung, die dazu führte, dass alles Väterliche dämonisiert wurde und die Söhne beginnen, den Vater vor allem nur mit den Augen der Mütter zu sehen.

Andererseits zogen heimlicher Hass und Verachtung in das Mutter-Söhnchen-Syndrom ein. Dem Sohn, der zum Vertrauten, gar noch zum geheimen der Mutter 7 (Amendt 1994) aufstieg, blieb nichts anderes übrig, als den Vater innerlich zu verstoßen.

Nicht „entstellte weibliche Werte" (Grün 1989, 153), sondern die weibliche Weise, sich mit der Macht der Männer zu identifizieren, eigene zu praktizieren und sie durch Leidensgesten für sich nutzbar zu machen: das hat die Söhne an der Mutter fasziniert und wohl auch viele profeministische Männer.

Indem Volker Pilgrim den Frauen nur „Taten ohne Verantwortung – als vorethisches Bewusstsein" – zugesteht, vollbringt er ein kleines Meisterwerk. Er rettet ihr Selbstwertgefühl, trotz der vernichtenden Kritik, in dem er verschmitzt unterstellt, dass doch die Männer die eigentlichen Herrscher und Träger ethischer Entscheidungen von Geschichte seien. Das zeige sich auch und gerade an ihren falschen Entscheidungen und ihren fehlgeschlagenden Bemühungen, es Frauen Recht zu machen. Ja, das gesetzlich Gebieterische sei den Männern wie die Verantwortung vorbehalten und deshalb Teil von Männermacht.

Diese Machtphantasien schmiegen sich erstaunlich bruchlos feministischen Vorstellungen von weiblicher Ohnmacht an. Sie stehen in einem geschlechterspezifischen Ergänzungsverhältnis, weil sie gängige Selbstverständnisse spiegeln. Aussichtsloser und Macht erhaltend geht Theweleit noch einen Schritt weiter und meint, dass Männer Frauen nicht verstehen können: „Die Emotionalität, die sexuelle Intensität, die von Frauen ausgeht, scheint prinzipiell unerträglich und in ihrem Wesen dieser Sprache nicht zugänglich zu sein. – Was diese Sprache erfasst, das bringt sie um" (Theweleit 1977, 269)

Das erinnert schon an Otto Weiningers (1903) Abgesang an die Beziehungsfähigkeit der Geschlechter.

Demnach gibt es nicht nur Freuds „Dunklen Kontinent"; die Geschlechterarrangements lassen sich kaum neu ordnen. Zumal Klaus Theweleit jene polarisierte Unvereinbarkeit der Geschlechter vorzuschweben scheint, die eher mit dem Geschlechterarrangement im politisch-refundamentalisierten Islam (Bakhtiar 1990) zusammenfällt, als Versöhnungsanstrengungen in modernen Gesellschaften. Und auch Volker Pilgrims Zukunftsperspektive sieht nicht vor, dass Frauen eines Tages von den „universell ausgebreiteten männlichen Ketten" befreit sein werden; das kann er nicht planen, weil damit Allmachtsphantasien männlicher Aktivität gefährdet würden. Davon abgesehen wäre das eine seltene großzügige Morgengabe, dass „patriarchale(n) Hauptakteure (...) nun selbst zum Hauptakteur ihrer Abschaffung sich ausrufen."

Wahrscheinlich werden die meisten Männer die Zukunft nach reaktiven frühen Eltern- Kind-Beziehungen gestalten; die auch Frauen noch immer liebenswert sind: „materielle Versorgungs- und psychische Besorgungsmacht aus der Hand der Männer!" Zumindest das letztere! Oder die Männer wollen die Frauen nicht von den masochistischen Regungen „der sozial auferlegten Unterdrückung ihrer Aggression" (Freud) entlassen.

Aber die Opferverliebtheit der Frauen ist hier mindestens ein ebenso hemmendes Moment. Die wechselseitigen Identifikation der Männer und Frauen sind unserer Kultur habituell verschmolzen. Wer immer diese Verschmelzungen nur dekonstruktivistisch verstehen möchte, der stößt an Grenzen, da der Dekonstruktivismus die Dynamik von Beziehungen nicht verstehen kann, weil sein Verständnis von Macht keines von Beziehungen und Verhältnissen, sondern von retrospektiv vorgenommenen Zuschreibungsableitungen ist.

Eben unter Verzicht auf die in Lebensgeschichte und psychischer Entwicklung eingelagerten und weitgehend sprachlos eingeübten Beziehungen und Kulturarrangements. Die Geschlechter halten sich gegenseitig mit sozial asynchronen jedoch psychodynahmisch weitgehend komplementären Forderungen in Schach. Deshalb wird die Beteiligung der Frauen am außerfamiliären Arbeitsprozess keineswegs automatisch Veränderungenn in Geschlechterarrangements (Dinnerstein 1979) auslösen. Zornige weibliche Passivität auf Männer weist darauf hin, dass die an Männer delegierten Erwartungen auf ein zufriedenes Leben ohne außerfamiliäre Verantwortung keine Zukunft mehr hat. Andererseits ist anzunehmen, dass der größte Teil der Männer noch genauso fühlt, wie Volker Pilgrim das „doing gender" von „Muttersöhnen" gedacht hat.

Und so lange wie Frauen sich als Opfer begreifen und ihre passivität narzisstisch besetzen (Brückner 1998),8 meinen Männer einen guten Grund zu haben, sich weiterhin anstrengen zu sollen, um es den Frauen als Männern und den Müttern als Söhnen recht zu machen.

Sie können die Macht noch nicht mit Händen greifen, die ihnen zuwächst, wenn sie die masochistischen Teile ihres eigenen Aktionismus aufgeben können. Interessanterweise haben die konservativsten Männer den latenten Aufruf in feministischen Opfermythen am hellsichtigsten verstanden. Uneingeschränkt verstehen sie alle Kritiken der feministischen Bewegung als moralische Rügen und versprechen Besserung in ihrem Verhalten; mehr Anstrengung, um die zu Recht kritisierte Vergangenheit nicht wiederkehren zu lassen.

Dieses Verhalten erinnert an kleine Jungen, die sich zu bessern versprechen, damit ihre Mütter wieder stolz auf ihre Jungen sein können. Sinnigerweise nennen sich diese Männer „Promise Keepers" – diejenigen, die ihre Versprechen an die Frauen-Mütter zu halten gedenken! Sie gehören zumeist dem fundamentalistischen Protestantismus in den USA an und bilden eine Massenbwegung, die Stadien füllt. In Europa entspricht dem ein ähnlicher Vorgang, der als klammheimliches Besserungsversprechen psychodynamisch beschrieben werden kann. Deshalb lassen sich Geschlechterarrangements in den einzelnen Beziehungen und ganz besonders innerhalb moderner Kulturen so schwer verändern.

Die männlichen Machtphantasien und die ihnen komplementären weiblichen Ohnmachtsphantasien sind mit weiblichen Größenphantasien über die Männer vollgesogen. Befreien kann sich aber nur jeder selber – und war in Beziehungen!

Zusammenfassung

Die Geschlechter unterscheiden sich nicht dadurch, dass das eine machtlos und das andere machtvoll ist, und beide in einem Verhältnis von Opfer und Täter zueinander stehen. Es gibt vielmehr genderized power, mit der Männer und Frauen auf ihre je besondere Weise das Geschlechterarrangement weitgehend unbewusst gestalten. Der Autor sieht zarte Ansätze einer Männerbewegung, die sich allerdings weniger ihrer genderized Macht bewusst werden will, als dass sie diese dadurch zu bestätigen versucht, dass sie die Kritik der Frauenbewegung aufnimmt und deren starkes Lamento über die Verruchtheit der Männer als Aufforderung deutet, das alte nur besser zu machen. Und dadurch ihre alte Macht bestätigt und das Geschlechterarrangement in beidseitiger stillschweigender Übereinkunft fortsetzen soll. 11
Anmerkungen
1 Eine hervorragende Darstellung dieser Tendenzen findet sich in der Dissertationsschrift von Thomas
Günther: Strukturwandel der Intimsphäre. Zur Modernisierung des Privaten. Spuren der Weiblichkeit.
Soziologische Beiträge Bd. 13, Lit, Hamburg 1997.
2 Alle wollen Individualisierung, aber gleichzeitig doch nur deren Opfer sein. So die Tagung der
Heinrich Böll Stiftung von Bündnis 90/Die Grünen in Berlin im Oktober 2001. Dort versuchten vor
allem Männer ihren Teil des Opferstatus an der Geschichte für sich zu entdecken.
3 Zur Kritik des Opfermythos siehe beispielsweise: Bethke, Jean Elshtain: Power Trips & Other
Journeys. Essays in History, Politics, and Social Theory, Madison, Wis.: University of Wisconsin
Press, 1990: „(...) schildern Frauen als so einheitlich und allgemein unterdrückt, erniedrigt, infantilisiert
und genötigt, dass Männer als unbezwingbar und in ihrer Macht und ihrer Absicht zu unterdrücken
sowohl individuell als auch kollektiv erschreckend erschienen. In Anbetracht dieser unerbittlichen und
feindseligen externen Macht war es schwer nachzuvollziehen, wie die Frauen aus diesen – ja
tatsächlich vorhandenen – Schatten heraustreten konnten. Das ‚Modell der unterdrückten Gruppe',
wie Kathleen Jones es beschrieben hat, ‚zielte darauf ab, eine eindimensionale Sicht auf die
Erfahrungen von Frauen herbeizuführen, welche kategorisch verleugnete, dass sie auch etwas
Erlösendes oder politisch Wertvolles in sich bargen. Ironischerweise übernahm diese Sicht die
Entwertung der weiblichen Erfahrungen und akzeptierte ihre patriarchale Sichtweise, die sie ja
angeblich kritisierte.'" (134/135)
4 Als Beipiel kann das Gewaltgesetz mit seinen ursprünglichen Begründungen vom 1. Januar 1902
gelten. Aber noch mehr seine Anwendung durch feminstische Organisationen und Bürokratien.
5 Hier geht es um introjizierte psychische Vorstellungen und nicht um die Teilhabe von Frauen am
Arbeitsprozess als Zeichen von deren Unabhängigkeit.
6 Dass Männer idealisiert werden, zeigt sich daran, dass sie sich niemals auf den Bösen Kapitalismus
oder vorausgehende Schädigungen berufen dürfen.
7 Nach meinen empirischen Untersuchungen unter knapp 1000 Müttern und 500 Söhnen sind knapp
40 % aller Jungen in einer solchen Beziehung von ihren Müttern mit unterschiedlicher Intensität,
zeitlicher Dauer und väterlicher Duldung gehalten worden. Eingehend diskutierte ich das in
Vatersehnsucht (1999).
8 Eine ähnliche Enttäuschung zeigt sich auch in den sackgassenartigen Dekonstruktionen von
häuslicher Gewalt, die männliche Macht überall und jederzeit am Werke wähnt. Die Opferverliebtheit
(oder das Masochistische) wird dabei soweit vorangetrieben, dass jede Frau als ihre eigene Expertin
gilt und ihr die Definitionsmacht von Gewalt obliegt. Ihre Subjektivität kann nur beziehungslos gedacht
werden. Dieser Vorgang wird als Selbstbestimmung und als das Ende von Etikettierung beschrieben.
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Adresse des Autors
Prof. Dr. Gerhard Amendt
Institut für Geschlechter- und Generationenforschung
Universität Bremen
Universitätsallee 1
D-28359 Bremen
e-mail: amendt@uni-bremen.de

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