Donnerstag, 16. Januar 2014

1. Weltkrieg - 100 Jahre Traurigkeit

Cora Stephan, Publizistin
Wer in Nordfrankreich die Picardie besucht, ein Gebiet nördlich von Paris und Reims, ist meist weniger an deren lieblicher Landschaft interessiert als an dem, was darunter liegt. Es sind die Toten, die Jahr um Jahr die Besucher anziehen. Vor allem Briten pilgern an die Somme, in das Dreieck zwischen Péronne und Abbeville, auf der Suche nach einem der rund 400 Friedhöfe, die zwischen Wiese, Rübenfeld und Wald liegen, dazwischen Monumente und Totenhallen, Kapellen und Denkmäler. Tausende weisser Steine über den Überresten von Briten und Franzosen – manchmal liegen darunter sogar die Knochen der Männer, deren Namen auf den Steinen stehen, mitsamt Rang, Geburts- und Todestag. Meist ist dazu ein Kreuz eingraviert, oft ein Davidstern, auf vielen aber steht kein Name, sondern nur «A Soldier of the Great War. Known unto God.».
Weiterlesen: Neue Züricher Zeitung

 Bis jetzt der beste Kommentar zum historischen Ereignis, der mir untergekommen ist.

Ein Kurzkommentar stammt von einem Engländer: Wer ist so blöd, einen Kriegsbeginn zu feiern?

Und das frage ich mich auch! Wenn es einen völlig sinnlosen Krieg gibt, dann ist es der Erste Weltkrieg. Gewonnen haben Randfiguren: Amerika, Japan, die kleinen Völker Mitteleuropas, sofern man den Besitz eines Pseudonationalstaates als Gewinn ansieht. Italien mag man zu den Siegern zählen, wenn man den Verlust der Menschenleben als notwendiges Übel betrachtet. Aber auch diese Pseudosieger wurden ihres Sieges nicht lange froh.

Warum wärmen die politischen Eliten der Nachbarländer dieses Gemetzel noch einmal auf?

Die Siegermächte haben den Frieden verloren, und wenn nicht die Atomwaffen erfunden worden wären, hätte der 1. Weltkrieg über den 2. Weltkrieg direkt zur bolschewistischen Herrschaft über Gesamteuropa geführt. Und hätte Deutschland den 2. Weltkrieg gewonnen, wären die Ziele der Herren in London und Paris sowieso Makulatur geworden. Und ob jetzt, mit einem geschwächten und militärisch wehrlosen Deutschland in der Mitte Europas Europa als Ganzes sicherer ist, das wird die Zukunft zeigen. Vielleicht endet Europa wie das alte Griechenland, als Provinz eines Großreichs. Nachdem Napoleon gescheitert ist, war vielleicht Hitler die letzte Chance der europäischen Völker ein Staat zu werden, der den Großmächten der Zukunft die Stirn bieten kann. Der Einiger Chinas war auch nicht eben sympathisch und nicht ohne Grund nennen sich die Chinesen Han und nicht Chin.

Ein Deutscher, der an den Feiern der Siegermächte teilnimmt, ist eine schäbige Figur. Er schändet das Sterben der vielen deutschen Soldaten, die ebenfalls der Ansicht waren, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Mögen die Sieger ihren Sieg feiern, als Deutscher gedenkt man des Todes der Seinen. Man muss pervers veranlagt sein, um die Niederlage des eigenen Volkes zu feiern. Und selbst beim 2. Weltkrieg: Stalin war nicht moralischer und nicht sympathischer als Hitler und hatte nicht weniger Blut an den Händen. Und der Kommunismus war auch nicht zukunftsfähiger als der Faschismus. Und ob man gemeuchelt wird, weil man die falsche Religion (Judentum) hat oder wegen der falschen Herkunft (Bourgeois oder nicht-linienkompatibler Sozialist), ob man durch Gas stirbt oder Genickschuss oder sich zu Tode arbeiten muss, das kann dem Opfer jeweils egal sein. Der Kern beider Weltkriege war, dass saturierte Räuber auf neue und noch hungrige Räuber stießen.

Warum also diese unsägliche Gedenkerei? Diese europäischen Eunuchenstaaten wollen noch einmal an dem süßen Opium des Sieges schnuppern, wollen noch einmal die Zeit erwecken, als sie sich groß und mächtig dünkten, Herren der ganzen Welt. Vorbei, vorbei, vorbei! Europa ist eine unbedeutende Halbinsel Asiens geworden. Deutschland hat durch die beiden Großkriege den Kolonialherren so in die Fresse geschlagen, dass denen die Zähne ausgefallen sind, und sie ihre Kolonien ziehen lassen mussten. Das war das Gute daran. Denn das ist klar, die Europäer führen heute nicht deswegen keine Kriege gegeneinander, weil sie nicht wollen, sondern weil sie einfach nicht mehr können. Und das ist das Allerbeste.

Ach, fast hätte ich es ja vergessen: Die Helden der ganzen Story sind die Deutschen, tragische Helden zwar, aber echte Helden. Tragischer Held
Ein relativ kleines Land, das sich mit sämtlichen Großmächten seiner Zeit anlegt, diese an den Rand der Katastrophe treibt und dann tragisch scheitert. Welch' ein Volk. Der Ruhm der deutschen Waffen und der deutschen Soldaten ist mit Flammen in das Buch der Historie geschrieben. Nicht schlecht! Man muss sich als Volk so was nicht immer wieder geben. Aber einmal die volle Dröhnung, das macht sich gut in der Vita. Ihr wisst ja: die geilen Typen sind die bösen Buben.

Als Napoleon gefragt wurde, ob er sich nicht schämt, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, dieses uralte und harmlose Relikt, einfach aufzulösen, da meinte er, dass dieses Reich wie eine Köchin schon so oft vergewaltigt worden sei, dass es nicht mehr darauf ankäme. Nachdem die französische Marianne in drei Kriegen durch die Deutschen so gründlich gefickt wurde, ist diese Schande abgewaschen. Denn was als französischer Sieg ausschaut, gleicht dem Mann, der nach einem Unfall unter seinem Auto liegt und sagt: Wenn ich den Kopf unter dem Motorblock hervor bringen würde, könnte ich laut lachen. Und England ist schon lange kein Weltreich mehr. Als Tiger gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Toller Sieg!

Und heute machen die Deutschen, kuschelig in der Mitte Europas gelegen,  endlich das, was sie schon immer hätten machen sollen: Geschäfte!

Und auch, wenn der Verlust von Ostpommern, Ostbrandenburg, Schlesien, Westpreußen, Posen und Ostpreußen schmerzt, es ist heute egal, ob polnische oder deutsche Bauern die Kartoffeln aus der Erde krubbeln. Wichtig ist, dass zwischen Deutschland und Russland ein Puffer liegt und es andere Mächte gibt, welche diesen Puffer beschützen müssen. Künftig steht Deutschland immer fest hinter seinen Alliierten, weit hinten. Gute Sache!

Was auch viel Freude macht ist, aus sicherer Distanz, Russland beim Sterben zuzuschauen. Rohstoffe sind nämlich ein echter Fluch, fast so schlimm wie Korruption und Wodka. Irgenwann implodiert dieses dann slawenleere Land, man muss nur lange genug warten. Fläche allein ist auch kein Reichtum. Und wenn ich China als direkten Nachbarn hätte, würde ich mich richtig fürchten.

Also dann feiert mal schön, ihr Sieger alle!

PS.: Der beste Film zum 1. Weltkrieg in diesem Zusammenhang ist übrigens Mathilde, eine große Liebe mit Audrey Tautou. Sehr ergreifend, sehr romantisch, sehr drastisch, sehr versöhnlich.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Mit "social bias" wird in der modernen Anthropologie die "ultrasoziale" (Richerson & Boyd 1998) Grundvoreinstellung des modernen Menschen (H. sapiens sapiens) bezeichnet, genauer: dessen extreme soziale Intelligenz und deren Folgeerscheinungen (s. Herrmann et al. 2007).

Nur die sozial intelligentesten Tiere sind zu kognitiven Höchstleistungen fähig wie Empathie, Theory of Mind, Liebe, Mobbing, Eifersucht, Neid, Hass, etc.

Kennzeichnend für den social bias sind unhinterfragte Voraussetzungen in Aussagen wie "unser Volk", "wir Juden", "die Deutschen wollen...", "Rothemden vs. Gelbhemden", "FC-Bayern Fans", etc. etc.

Dieser social bias dürfte spätestens mit der Sesshaftwerdung genetisch verankert worden sein (vgl. Blut-und-Boden-Ideologien, Nationalismus, Chauvinismus, Kriege).

Auch das heutige (2014) mediale Jubelgeschrei (!) anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums (!) des Ausbruchs des 1. Weltkrieges dürfte ein Anzeichen für einen zunehmenden "deutschen" bzw. "gesamteuropäischen" social bias sein.


Literatur

HERRMANN, Esther et al. (2007): Humans Have Evolved Specialized Skills of Social Cognition: The Cultural Intelligence Hypothesis. Science 317 : 1360-6

RICHERSON, PJ, BOYD, R. (1998): The evolution of human ultrasociality. In: Ethnic conflict and indoctrination (edited by I. Eibl-Eibesfeldt & F.K. Salter), pp. 71-95, Oxford.