Freitag, 3. Januar 2014

Sex & Drugs & Neurobiologiy

Quelle: Deutsche Apotheker Zeitung 153.Jg; Nr. 43: 4536-4542

Neurobiologie eines Ausnahmezustands

Enorm wichtige Erkenntnisse darüber, was bei Liebe, Verliebtheit und Lust in unseren Hirnen vorgeht, verdanken wir der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), die die bei verschiedenen Tätigkeiten aktiven Hirnregionen sichtbar macht (Neuro-Imaging). Hinzu kommen biochemische Befunde, die es erlauben, verschiedenen Neurotransmittern Funktionen, ja sogar Gefühle zuzuordnen.
Warum fällt es schwer, zwischen Liebe und Lust (Wollust) zu unterscheiden? Die Antwort gibt uns der Neurobiologe Semir Zeki anhand der fMRT-Aufnahmen von
  • jungen Männern angesichts erotischer Bilder,
  • Verliebten angesichts des Objekts ihrer Sehnsucht und
  • jungen Müttern angesichts der Bilder ihres Babys (Abb. 1).
Die bei sexueller Erregung oder bei romantischer Verliebtheit aktiven Hirnzentren sind unmittelbar benachbart, im Falle des Hypothalamus sogar überlappend. Mutterliebe dagegen aktiviert völlig andere Hirnareale. Eines aber haben die verschiedenen Formen von Liebe und sexueller Erregung gemeinsam: Die Regionen im Kortex, die für kritisches – und auch für moralisches – Denken verantwortlich sind, werden gründlich deaktiviert (Abb. 1) [4, 5, 6].
Abb. 1: Neuro-Imaging von liebenden Müttern und Verliebten mittels fMRT.
Links: Hirnregionen, die bei Müttern (Liebe zum Baby; gelb) bzw. bei Verliebten (rot) aktiv sind (große Unterschiede). Rechts: Regionen des Kortex, die bei Müttern (oben) bzw. bei Verliebten (unten) deaktiviert sind (fast deckungsgleich); nach Bartels und Zeki [4, 5, 6].
Was aber passiert biochemisch in den aktivierten Hirnregionen? Welche chemischen Verbindungen beeinflussen von dort unser Sexualverhalten? Es sind vor allem Oxytocin, Vasopressin, Serotonin, Dopamin und ein noch wenig erforschter Wachstumsfaktor (nerve growth factor). 

Serotonin und Zwangsstörungen

Während die Konzentrationen von Vasopressin, Oxytocin und Dopamin in den aktivierten Hirnregionen im Zustand der Verliebtheit stark ansteigen, fällt die Konzentration des Neurotransmitters Serotonin dramatisch ab – auf Werte, wie sie typischerweise bei Patienten mit Zwangsstörungen (obsessive-compulsive disorders) gemessen werden. „Love, after all, is a kind of obsession“, merkt Zeki nüchtern an [6] und rückt den für die Erhaltung der Spezies notwendigen Ausnahmezustand damit in ein pathologisches Licht.
Der Evolutionsbiologe Rob Brooks spricht von „Shakespearean love“ und fügt mit Bezugnahme auf Dramen wie „Romeo und Julia“ noch den Aspekt einer erhöhten Mortalität hinzu [7]. Hier sei der Einwand erlaubt, dass „Romeo und Julia“ nicht auf einer repräsentativen Studie beruht, sondern den bühnenwirksamen Extremfall einer Liebesgeschichte darstellt.
Dennoch stellt sich die Frage, welchen Nutzen für die Evolution eine durch erhöhte Suizidalität gekennzeichnete Zwangsstörung bringen soll. Um dies zu beantworten, muss man zwei Sichtweisen ausblenden, nämlich die männliche und die der Industriegesellschaft.

Männliche Säugetiere gehen durch den Fortpflanzungsakt selbst kein erwähnenswertes Risiko ein (wenn man von der männlichen Breitfuß-Beutelmaus absieht, die unmittelbar nach dem Sex einer Kumulation von Stresshormonen erliegt). Für Frauen dagegen ist das Risiko, im Kindbett zu sterben, erst in den letzten Jahrzehnten drastisch gesunken, und auch das nur in den industrialisierten Ländern. Das Risiko war deshalb so hoch, weil sich der Geburtskanal verengte, der Kopf des Fötus dagegen vergrößerte, als der Primat Homo sapiens sich den aufrechten Gang angewöhnte. Klar denkende Damen der Steinzeit, die nicht lebensmüde waren, hätten sich vermutlich geweigert, dem Exemplar an ihrer Seite die Weitergabe seiner Gene zu ermöglichen, und unsere Spezies wäre längst ausgestorben. Um sie die Risiken von Schwangerschaft und Geburt eingehen zu lassen, bedurfte es einer enorm starken Motivation.
Wer jemals einen Menschen mit Waschzwang gesehen hat, weiß, dass es eine stärkere Motivation als eine Zwangsstörung nicht gibt. Da eine Depletion von Serotonin zu den herausragenden neurochemischen Charakteristika einer Zwangsstörung gehört, sind serotonerge Antidepressiva, insbesondere SSRI, Mittel der ersten Wahl.
Angesichts der oben geschilderten Zusammenhänge verwundert es also nicht, dass die Neurobiologin Helen Fisher zu dem Schluss kommt, dass SSRI nicht nur die Libido dämpfen, sondern auch das Gefühl der romantischen Verliebtheit und Hingabe [8]. Allerdings kommt auch die gute Nachricht aus Fishers Arbeitsgruppe: Dies gilt nur für die frühe Phase einer Beziehung. In den späteren Phasen steigen die Serotoninkonzentrationen (bei Gesunden) wieder an, Oxytocin, Vasopressin und Dopamin sichern im Belohnungssystem die Emotionalität der reifen Beziehung, und die Zahl der involvierten Hirnareale nimmt im Vergleich zur akuten Verliebtheit zu [9]. Der Einfluss von SSRI auf die Partnerbindung dürfte dann als deutlich geringer einzuschätzen sein.
Hohe Serotoninkonzentrationen verzögern oder verhindern den Orgasmus der Frau und den Ejakulationsreflex beim Mann. Letzteres wird therapeutisch genutzt durch den Einsatz des SSRI Dapoxetin gegen Ejaculatio praecox. Off label wurden SSRI schon seit ihrer Markteinführung für diese Indikation eingesetzt, wobei der positive Effekt häufig mit einem drastischen Libidoverlust bezahlt wurde. Dieser ist natürlich auch bei Dapoxetin dokumentiert.
Mein Zitat ist nur ein Auszug des zitierten Artikels.
Immer wieder weise ich in meinen Postings auf die inneren Motivatoren hin und darauf, wie mächtig diese sein können. Der Artikel bestätigt meine Sichtweise.
Nun, die geringe Motivation der modernen Frau zu Partnerbindung und Kinderzeugung kann an einem Effekt liegen, der seinen Anfang mit dem Aufkommen der Landwirtschaft nahm. Ab diesem Zeitpunkt musste ein Frau einen (Ehe-)mann haben, wollte sie nicht als Magd enden. Auch der Mann musste eine Frau haben, wollte er Landwirtschaft als Familienbetrieb betreiben.
So wurden auch Menschen Eltern, die von ihrer Disposition her weder auf Partner- noch auf Elternschaft ausgerichtet waren.
Dieser "Defekt" behebt sich gerade, weil nun beide Wahlfreiheit haben, ein Zustand, der eher an die Jäger- und Sammlergesellschaften erinnert. Wir kehren nämlich zurück, wir schreiten nicht voran.
Der Unterschied ist nur, dass jetzt keine Sippe mehr erforderlich ist. Die virtuelle Sippe ist jetzt der Staat. Hat den Nachteil, dass jetzt nicht mehr die diskreten Lebensmodelle der diversen Sippen miteinander konkurrieren. Obwohl man manche weltanschaulichen Gruppierungen durchaus als Sippe fassen kann. Die Evangelikalen haben auch in unserem Lande in der Regel deutlich mehr Kinder, als der Durchschnitt.
In jedem Fall wird bei Frauen (und Männern) die Stärke des Verliebtseins und die Stärke der Partnerbindung zunehmen. Und wie gesagt, der Druck, den das System aufbauen kann ist unbegrenzt hoch, bis hin zum emotionalen Zwang.
 

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