Samstag, 26. Dezember 2009

.. bis der Tod Euch scheidet

...bis der Tod Euch scheidet

Eine Abhandlung über die Position des Menschen zwischen Monogamie und Polygamie

Copyright Christian Spannagel

April 1998, Version 1.1


Inhaltsverzeichnis

1. Bemerkungen vorab

2. Einleitung

3. Begriffsklärung

4. Biologische und psychoanalytische Grundlagen

4.1. Der biologische Ansatz oder Desmond Morris′ nackter Affe
4.2. Der psychoanalytische Ansatz oder Sigmund Freuds Sexualtheorie
4.3. Ergebnis der biologischen und psychoanalytischen Untersuchungen
4.4. Der Konflikt

5. Soziokulturelle und religiöse Lösungsansätze

5.1. Erich Fromm und die Kunst des Liebens
5.2. Das Christentum und die Einehe als unauflösliche Institution
5.3. Der Islam und die legitimierte Polygamie
5.4. Osho und die Ehe als Prostitution

6. Fazit

6.1. Promiskuität als Lösung?
6.2. Monogamie als Lösung?
6.3. Polygamie als Lösung?
6.4. Ergebnis

Anhang: Bibliographie



1. Bemerkungen vorab

Ich habe mich bemüht, in diesem Text möglichst viele Facetten der menschlichen Sexualität und Partnerbindung mit einzubeziehen. An einigen Stellen war dies aber nicht ausreichend möglich. So gehe ich im biologischen Aspekt nicht auf homo- bzw. bisexuelle Bindungen ein, einfach aus dem Grund, weil dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Ich betone, daß die Nichtbeachtung dieser Formen von Sexualität auf gar keinen Fall diskriminierend gemeint ist und auch so nicht verstanden werden soll. Ich hoffe auf das Verständnis der Betroffenen mit der Entschuldigung, daß diese Einschränkung sich wirklich hauptsächlich auf den biologischen Kontext bezieht. Alle anderen Aspekte sind meiner Meinung nach so allgemein gehalten, daß sich Bi- und Homosexuelle auch hier wiederfinden können. Analogien sind zumindest reichlich vorhanden.

Weiterhin möchte ich anmerken, daß ich grammatisch nicht explizit die weibliche und männliche Form angeben werde. Syntaktische Gebilde wie "der/die Schüler/in" oder "der (die) Schüler(in)" möchte ich aufgrund besserer Lesbarkeit vermeiden. Auch dies ist nicht diskriminierend gemeint, der jeweils entgegengeschlechtliche Part soll implizit mit enthalten sein.


2. Einleitung

Plötzlich, da kommt es mir,
Treuloser Knabe,
Daß ich die Nacht von dir
Geträumet habe.
Träne auf Träne dann
Stürzet hernieder;
So kommt der Tag heran -
O ging er wieder!
Eduard Mörike

"Zuerst war es die große Liebe. Dann kam der Alltag. Der erste Streit. Das erste Kind. Die Routine. Und eines Tages: der erste Seitensprung. Zwei Bedürfnisse sitzen tief in uns und lassen sich nicht miteinander in Einklang bringen: auf der einen Seite der Wunsch nach Treue, nach einer verläßlichen und vertrauensvollen Partnerschaft - auf der anderer der Reiz des Neuen, der Wunsch nach Erregung, Abenteuer, frischem Verliebtsein. Doch die in unserer Gesellschaft übliche Vereinbarung zwischen Mann und Frau ist eindeutig. Sie lautet: Von zwei Partnern, die in einer festen Beziehung leben, muß sich jeder auf die Treue des anderen verlassen können." - So beginnt das Magazin "P.M. Perspektive" seinen Artikel über die Frage "Wie treu sind die Deutschen?". 80 Prozent der Deutschen erwarten unbedingte Treue. 73 Prozent der Frauen und 65 Prozent der Männer halten Treue sogar für die wichtigste Eigenschaft, die der Partner besitzen sollte. 44 Prozent der Frauen würden ihrem Mann einen Seitensprung verzeihen, und nur 29 Prozent der Männer würden dies ebenfalls tun. Rund 50 bis 70 Prozent der Männer geben allerdings zu, schon einmal fremdgegangen zu sein. Bei Frauen liegt die Quote niedriger, je nach Umfrage tendiert hier die Zahl zwischen 10 und 69 Prozent (letztere Zahl stammt aus einer Umfrage in Amerika). Insgesamt kann man aber sagen, daß die Bereitschaft zum Seitensprung bei Frauen steigt; einige Forscher behaupten sogar, daß sie sich der Bereitschaft der Männer bald angeglichen haben wird.

Ist der Mensch für die Treue zu einem Partner geschaffen? Oder vielleicht zu mehreren? Oder ist er etwa zu gar keiner festen Bindung fähig? Mit diesen Fragen wird sich diese Arbeit beschäftigen. Sie enthält aus den verschiedensten Richtungen Material zu diesem Thema, um aufgrund der Vielfalt der behandelten Betrachtungsweisen zu einem umfassenden Ergebnis zu kommen. Ist der Mensch monogam oder polygam? Ich hoffe, mit dieser Arbeit ein wenig Licht in dieses Dunkel gebracht zu haben. Und wenn nicht, dann zumindest das Eine erreicht zu haben: ein wenig Sensibilisierung für die Gründe, warum soviele Partnerschaften zerbrechen...


3. Begriffsklärung

Um die Frage zu erörtern, ob der Mensch monogam oder polygam ist, muß zunächst geklärt werden, wie man die Begriffe versteht, da man sonst in Gefahr läuft, über verschiedene Dinge zu sprechen. Die Wörter "Monogamie" und "Polygamie" kommen aus dem Altgriechischen und bedeuten wörtlich übersetzt "Einehe" und "Vielehe". Heute unterscheidet man die biologische und die völkerkundliche Bedeutung der Wörter: In erstem Zusammenhang bedeutet monogam, daß ein Lebewesen von der Anlage her auf nur einen Geschlechtspartner bezogen ist, in zweitem Zusammenhang, daß eine Volksgruppe nur die Einehe kennt bzw. favorisiert, während polygam genau das Gegenteil bedeutet, nämlich einerseits, daß ein Lebewesen von der Anlage her auf mehrere Geschlechtspartner bezogen ist, und andererseits, daß es in Vielehe lebt. Als weitere Begrifflichkeiten gibt es noch die Polyandrie, in der eine Frau mit mehreren Männern verheiratet ist, und die Polygynie (ein Mann und mehrere Frauen). Polyandrie und Polygynie sind also Spezialformen der Polygamie. Ich schlage vor, unter dem Begriff "Polygamie" alle denkbaren Formen der Vielehe zusammenzufassen, also auch oben genannte Spezialformen. An dieser Stelle muß ergänzt werden, daß wir den Begriff Ehe nicht unbedingt als rechtlich verankerte Institution betrachten müssen. In unserer Erörterung macht es Sinn, Monogamie und Polygamie allgemein als länger andauernde soziale Beziehung mit sexuellen Privilegien zu beschreiben. Der Begriff "soziale Bindung" sei hier also nicht als gesellschaftlich anerkannte (Ehe-)gemeinschaft verstanden, sondern hergeleitet von dem Verlangen der Partner, über die sexuelle und emotionale Ebene ihrer Beziehung hinaus auch gesellschaftlich als Gemeinschaft aufzutreten, ganz gleich, wie die Gesellschaft über eine derart geformte Beziehung denkt.

In dieser Diskussion sollen die beiden Begriffe sowohl in der biologischen als auch in der völkerkundlichen Definition verstanden werden. Diese widersprechen sich offensichtlich nicht, sondern ergänzen sich. Vielmehr kann man, wenn man von der biologischen Seite zu einem Ergebnis gekommen ist, die soziale Umsetzung dieses Ergebnisses beurteilen. Anders formuliert: Weiß man, wie die biologischen Grundlagen beschaffen sind, kann man die aktuell vorherrschende Gemeinschaftsbeziehung (Einehe bzw. Vielehe) analysieren und zu dem Ergebnis kommen, daß diese der biologischen Ausprägung entspricht oder ihr gerade entgegenläuft (oder was man sich sonst noch so an Abstufungen dazwischen vorstellen kann). Beispiel: Eine monogame Anlage würde doch sinnvollerweise die Einehe mit sich bringen und umgekehrt. Derjenige, der der Meinung ist, daß dies keine sinnvolle Schlußfolgerung ist, sollte sich an dieser Stelle überlegen, inwieweit im entgegengesetzten Fall dann das Menschsein verwirklicht werden würde (Lebt ein von seiner Anlage her polygamer, aber monogam lebender Mensch sein Menschsein voll und ganz aus?). Hier hilft vielleicht die lateinische Sentenz "secundum naturam vivere" weiter.

Zum Wort "polygam" gibt der Duden noch eine dritte Bedeutung an, die nach Meinung der Dudenredaktion aber eher selten verwendet wird: polygam bedeutet in diesem Fall, daß ein Lebewesen mit mehreren Partnern geschlechtlich verkehrt, und zwar in dem Sinne, daß z.B. zwei Menschen zusammen leben, sich aber dennoch mit anderen Partner sexuell austauschen. Die Grenze zwischen Polygamie im letzten Zusammenhang und Promiskuität, die vielmehr Geschlechtsverkehr mit beliebigen Partnern ohne dauerhafte Bindung meint, ist unscharf. Der Unterschied liegt wohl darin, daß Polygamie das Interesse an einer gewissen dauerhaften, sozialen Bindung beinhaltet. Die Promiskuität ist am Partner hauptsächlich in sexueller Weise interessiert und nicht an einer länger andauernden, sozialen Bindung. Bei Promiskuität fehlt zudem die emotionale Bindung, die wohl in den meisten Fällen die Basis für eine glückliche, soziale Beziehung bildet. Sobald Emotionalität mit im Spiel ist, sobald der Partner als Wesen wichtig wird und sobald soziale Strukturen aufgebaut werden, die eine gewisse Dauer versprechen, läßt sich nicht mehr von Promiskuität sprechen. Somit ist klar geworden, daß der Unterschied zwischen Monogamie und Polygamie lediglich ein quantitativer ist, und daß sich beide von der Promiskuität qualitativ unterscheiden. Innerhalb dieses qualitativen Unterschiedes allerdings lassen sich selbstverständlich Abstufungen treffen, so daß vielleicht nicht immer leicht zu entscheiden ist, ob es sich nun um Polygamie oder Promiskuität handelt. Der vierte Fall, daß eine sexuelle Beziehung zu einem Partner ohne dauerhafte, emotionale und soziale Bindung besteht, ist vernachlässigbar, da er meines Wissens so gut wie nicht vorkommt. Es ist vielleicht noch wichtig anzumerken, daß eine gewisse Kausalität zwischen dem sozialen Bindungsinteresse und der Dauer einer Beziehung besteht: Ist mit ein Mensch auch außerhalb des sexuellen Bereiches wichtig, bin ich mit ihm emotional verbunden, werde ich auch längere Zeit mit ihm gemeinsam verbringen wollen. Wenn wir die Frage nach der Monogamie und der Polygamie erörtern, darf der Begriff der Promiskuität also nicht unbehandelt bleiben.

Gechichtlich Informierte werden bemerken, daß Emotionalität nicht zum Kriterium gemacht werden sollte; schließlich gibt und gab es auch Ehen, die aus reinen sozialen Gründen geschlossen werden; sogar am Anfang dieses Jahrhunderts war das noch die Regel. Die sogenannte romantische Ehe ist erst eine neuere Entwicklung. Gegen diese Ansicht ist an sich nichts einzuwenden, nur wäre sie für diese Erörterung wenig hilfreich. Wir wollen erörtern, ob der Mensch von seinem Wesen her monogam oder polygam veranlagt ist, und da eine solche, aus sozialen Gründen geschlossene Ehe allzu oft gegen das Wesen und die Wünsche der Betroffenen geschlossen wird (und somit gegen deren Emotionalität spricht), ist sie wohl wenig hilfreich (sozial erzwungene Monogamie bedingt z.B. nicht, daß die Partner auch wirklich monogam leben wollen). Man mag diesen Aspekt allerdings im Hinterkopf behalten, wenn wir auf die gesellschaftliche Sichtweise unseres Problems eingehen werden.

Ich möchte also vorschlagen, einen rein sexuellen Sachverhalt als promiskuitiv zu bezeichnen, und je mehr Emotionalität und Verlangen nach sozialer Bindung hinzutritt, umso eher von Polygamie und Monogamie zu sprechen (je nach Anzahl der Partner).

Die konkretere Fragestellung lautet also, ob der Mensch von seiner biologischen Anlage her nach einer dauerhaften, sozialen und emotionalen Bindung mit einem oder mit mehreren Partnern verlangt, und welche Folgen sich hieraus für die soziale Struktur ableiten lassen. Zudem muß geklärt werden, welche Rolle die Promiskuität spielt (d.h., ob der Mensch von seiner Anlage her überhaupt auf soziale und emotionale Bindungen eingerichtet ist, oder ob sein Interesse lediglich auf Seite der Sexualität liegt). Hieraus wird klar: Das Problem ist insgesamt also nicht ein rein sexuelles, sondern ebenso ein emotionales und soziales.

Ich schlage nun folgende Vorgehensweise vor: Wir werden uns zunächst den biologschen Aspekt betrachten und ihn durch den psychoanalytischen ergänzen. Ich halte diese beiden Betrachtungsweisen für gundlegend. Danach werden wir soziokulturelle und religiöse Sichtweisen daran überprüfen, um anschließend zu einem umfassenden Ergebnis zu gelangen. Ich bin bewußt darüber, daß dies ein möglicher Ansatz ist. Sollte jemand einen anderen Ansatz wählen, wird er vielleicht zu einem anderen Ergebnis kommen. Hält jemand z.B. die biologischen Tatsachen nicht für grundlegend, sondern behauptet, daß der Mensch sich mit Kultur und Religion längst über seine Biologie erhoben hat, so wird er sogar sicherlich zu einem anderen Ergebnis kommen. Ich halte allerdings den in dieser Arbeit gewählten Ansatz für wissenschaftlicher.

4. Biologische und psychoanalytische Grundlagen


4.1 Der biologische Ansatz oder Desmond Morris′ nackter Affe

Folglich habe ich den Menschen völlig zu Recht als den Sexprotz unter den Primaten bezeichnet. Und es handelt sich dabei nicht um eine Form kultureller Dekadenz, sondern um eine wichtige Entwicklung unseres kulturellen Fortschritts.
Desmond Morris

Warum der biologische Aspekt von solcher Wichtigkeit ist, ist klar: die Anlagen des Menschen sind die Basis, auf der das ganze Menschsein aufbaut. Zudem ist es in unserer Frage sicher von Interesse, auch die evolutionäre Seite des Menschen zu betrachten, um zurückzuverfolgen, wie unsere Vorfahren es mit der Bindung an einen oder mehrere Partner hielten. Desmond Morris, Zoologe und Verhaltensforscher, bringt die Bedeutung der Biologie auf den Punkt: "Nur wenn wir uns den Weg sehr genau anschauen, der uns von den Ursprüngen her zu dem geführt hat, was wir sind, und wenn wir daraufhin unser Verhalten heute als das einer zoologischen Art unter biologischen Gesichtspunkten eingehend studieren - nur dann können wir wirklich ein wohlausgewogenes, objektives Verständnis unseres so außergewöhnlichen Daseins gewinnen."

Desmond Morris hat verschiedene Bücher über den Menschen aus der Sicht eines Zoologen geschrieben. Um die Objektivität hierbei zu wahren, bezeichnet er den Menschen nach dem wohl auffälligsten Merkmal, welches ihn von seinen nächsten evolutionären Verwandten unterscheidet: Er bezeichnet ihn als "nackten Affen". Die Ergebnisse, die Morris über das Sexualverhalten und die sozialen Bindungen des erfolgreichsten Primaten liefert, seien hier zusammengefaßt, um sie in unserem Zusammenhang zu verwenden.

Die frühesten Vorfahren der Menschen führten als geschickt kletternde Waldbewohner ein nomadenhaftes Leben. Sie waren ortsungebunden und somit unabhängig. Die Nahrung bestand überwiegend aus Früchten und Nüssen, selten aus tierischen Eiweißen. Der Nahrungserwerb war viel weniger problematisch als der der jagenden Raubtiere. Waren die Früchteressourcen des aktuellen Lebensraumes erschöpft, zogen sie weiter in einen anderen Teil ihres Gebietes. In ihrer Lebensweise war das Zusammenwirken der einzelnen Tiere nicht so wichtig wie bei Raubtieren, bei denen die Nahrungsbeschaffung ein harter Überlebenskampf ist. Die Strecken, die jagende Raubtiere zurücklegen, um Beute zu finden, sind sehr viel größer als bei den Primaten, die praktisch nur danach zu greifen brauchen. Raubtiere müssen oft viele Kilometer in einem Jagdzug durchstreifen, "so daß sie Tage brauchen, bis sie zum Lager zurückkehren. Dieses Heimkehren zum festen Standquartier ist typisch für die Raubtiere, hingegen weit weniger üblich bei Tier- und Menschenaffen." Die Ordnung innerhalb einer Primatensippe wurde durch verschiedene Ränge gesichert: Es gab ranghöhere und rangniedrigere Männer. Der Sexualakt an sich dauerte nur wenige Sekunden (wie bei den meisten Affenarten heute auch noch), ein langes Werbeverhalten gab es nicht. Der Sexualakt diente zum Entladen der männlichen, sexuellen Spannungen, die Weibchen blieben von dem Akt unbeeindruckt und am Männchen weitgehend desinteressiert. Was das Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Tieren anbelangt, kannten unsere Vorfahren keine feste Paarbindungen. Begattet wurde, wo sich die Gelegenheit bot. Durch die Rangordnung zwischen den Männern ergaben sich natürlich auch unterschiedliche sexuelle Rechte, woraus sich gewisse Zuordnungen von weiblichen Primaten zu männlichen ergaben und sich die männlichen Primaten das alleinige Recht herausnahmen, diese Frauen zu begatten. Dies kann man aber nicht als gegenseitige, feste Bindung bezeichnen, und vermutlich ebensowenig als emotionale (mit einiger Vorsicht behauptet, da wir uns ja nur auf Beobachtungen stützen können). Nur gelegentlich ergaben sich sehr kurze Paarbindungen. Das Verhalten unserer Vorfahren ist nach oben getroffenen Definitionen also irgendwo zwischen Polygamie und Promiskuität anzusiedeln, wobei es meiner Meinung nach eher zur Promiskuität tendiert, allein deshalb, weil ein Männchen die Chance zur Begattung im allgemeinen annahm, wenn sie sich ihm bot und die Wahl der Sexualpartners, die auf sexuelle Reizen beruhte, wohl in den wenigsten Fällen zu einer irgendwie gearteten Bindung führte.

Der Mensch jedoch hat sich irgendwann in seiner Vergangenheit vom reinen Primatendasein verabschiedet: er wurde seßhaft, und er begann zu jagen. Die Veränderung vom früchtesammelnden Affen zum Raubaffen hatte weitreichende Folgen für die soziale Struktur: die dauerhafte Paarbindung wurde zum wichtigen Element im Leben der Raubaffen. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Einerseits mußten die Männer während der Jagd sicher sein, daß die Frauen ihnen in ihrer Abwesenheit treu blieben - "Folgerichtig hatte sich bei den Frauen die Tendenz zur Bindung an nur einen Mann - zur Paarbindung - zu entwickeln." Auch beim Mann mußte sich diese Art der Bindung durchsetzen, da der Zusammenhalt bei der Jagd gesichert sein mußte. Diese Zusammenarbeit würde unter sexuellen Rivalitäten nur allzusehr leiden. Die Ordnung unter den Männern mußte also weniger tyrannisch und mehr gleichberechtigt werden, auch weil Rivalitäten durch die neu erfundenen, gefährlichen Waffen tödlich enden konnten. Dies wurde dadurch gesichert, daß sich jeder Mann mit nur einer Frau begnügte. Zudem ist die Zeit des Heranwachsens der Jungen beträchtlich gewachsen im Vergleich zu den anderen Primaten. Kein anderer Affe hat heute eine so lange Reifezeit wie der Mensch (Dieses Phänomen bezeichnet man auch als Neotenie, als verlängerte Jugend, die zum Beispiel für das längere Heranwachsen der Gehirns sorgt, welches der körperlich schlecht ausgestattete Raubaffe zum Jagen benötigte). Die Folge war, daß sich die Mutter länger um das Kind kümmern und somit existentiell abgesichert sein mußte - abgesichert in der Familie, die auf einer dauernden Paarbindung basierte.

Wie wurde nun die dauerhafte Paarbindung realisiert? Hierfür führt Morris vielerlei Faktoren an: Der Mensch eignete sich die Eigenart an, sich zu verlieben. Dieses Verlieben ermöglichte die Konzentration der Sexualität auf einen Partner. Die Sexualität ist überhaupt der wichtigste Faktor bei der Ausbildung der dauerhaften Monogamie gewesen: Der Sexualakt dauert beim Menschen wesentlich länger als bei anderen Tieren; dem Sexualakt geht zum Beispiel ein sehr ausgedehnter Werbevorgang voraus, und auch der Paarungsvorgang an sich dauert oft mehrere Stunden, der im Gegensatz hierzu bei fast allen anderen Affenarten nur wenige Sekunden dauert. Der Mensch (vor allem die Frau) ist außerdem wesentlich öfter bereit dazu als andere Primaten, auch in Zeiten, in denen die Begattung keinen fortpflanzungstechnischen Sinn verfolgt, nämlich in Zeiten außerhalb des Eisprungs. Die Frau mußte auch Interesse am Sexualakt bekommen, was durch die Entwicklung eines weiblichen Orgasmus erreicht wurde. Viele Körperteile des Menschen erhielten stark sexuelle Funktionen (Hals, Haut, Ohrläppchen, Nase, Lippe, Klitoris, Busen, ...) Hierdurch hat sich die Vielfalt der Sexualhandlungen beim Menschen im Gegensatz zu den anderen Primaten um ein Wesentliches vergrößert. Diese neue Sexualität sicherte die Paarbindung. "Einmal verliebt, mußte der nackte Affe also verliebt bleiben. [...] Die zugleich simpelste und am ehesten zum Ziel führende Methode war die, den Austausch von Sexualhandlungen innerhalb des Paares zu steigern und lohnender werden zu lassen. Mit anderen Worten: Sex mußte sexyer werden." Eine andere Möglichkeit, wie die Paarbindung gesichert werden konnte, war die verlängerte Kindheit (s.o.). Die Bindung des Kindes an die Eltern ist viel stärker als bei allen anderen Primaten. Wenn das Kind nun erwachsen geworden ist und sich vom Elternhaus löst, fehlt diese starke Bindung, welche dann durch eine Bindung zu einem eigenen Partner in einer die Eltern imitierender Weise ersetzt wird.

Morris geht auch explizit auf Monogamie und Polygamie in diese Zusammenhang ein: Wenn die neu entstandene Monogamie hundertprozentig umgesetzt worden wäre, liefe die Art in Zeiten, in denen aufgrund des gefährlichen Jägerlebens die Zahl der Männer zurückgegangen ist, in Gefahr, stark dezimiert zu werden. "Würde nämlich der Paarbildungsprozeß so exklusiv, daß er Polygamie bei Männerknappheit total unterbindet, so käme es zu einer bedrohlichen Entwicklung [...]. Gegen eine Vielehe wiederum wendet sich der durch die vergrößerte Familie erheblich verstärkte Zwang, sie und den ganzen Nachwuchs wirtschaftlich zu unterhalten. So war die Möglichkeit für die Polygamie in einem gewissen Umfang gegeben, wenn auch mit starken Einschränkungen." Morris ergänzt, daß in den meisten Kulturen, vor allem in den größten, die Einehe vorherrschend ist, und hält es für interessant, einmal zu untersuchen, ob nicht die Einehe ein wesentlicher Faktor für das Erreichen von kulturellen Hochständen ist. Er schließt folgendermaßen: "Hier sei nur dies festgestellt: Was immer auch dieser oder jener unwichtige und zurückgebliebene Stamm heute in dieser Hinsicht tut - der Hauptstrom der Entwicklung unserer Art hat zur Paarbindung in ihrer extremen Form geführt, nämlich zur dauernden Einehe."

Zu ergänzen bleibt noch, daß diese Entwicklung von der promiskuitiven Lebensweise zur andauernden Monogamie über einen sehr langen Zeitraum stattfand, so daß unser genetisches Material genug Zeit hatte, sich mitzuentwickeln. Die bahnbrechenden kulturellen Entwicklungen der letzten paar tausend Jahre allerdings hatten weder Zeit noch Kraft, unsere Anlagen in andere Richtungen zu lenken: Der Mensch heute unterscheidet sich, was seine sexuellen Eigenarten angeht, kaum von dem Menschen, der zu der Zeit lebte, als das Rad erfunden wurde.

Dennoch befindet sich der Mensch heute in einer unklaren Situation, denn: "Wenn die Paarbindung für den Menschen so wichtig ist, fragt man sich natürlich: Warum bricht sie so oft auseinander?" Morris gibt vielfältige Antworten. Eine der naheliegendsten ist wohl diese: "Der Mechanismus der Paarbindung ist nicht gänzlich perfekt. Er mußte dem älteren Primatenprinzip aufgepfropft werden, und das schlägt immer noch durch. Geht irgendetwas in der Paarbindung schief, dann flackern sogleich die alten Primatentriebe wieder auf." Später berichtigt Morris diese Aussage und meint, daß uns dies nur als Unvollkommenheit erscheint, aber sehr wohl einen biologischen Sinn hat. Er unterscheidet hier zwischen beiden Geschlechtern. Einerseits hat der Mann das Bestreben, seine Gene so weit wie möglich zu streuen ("Massenmethode"), andererseits will er aber auch seinem Nachwuchs die größtmögliche Fürsorge entgegenbringen ("Qualitätsmethode"). Durch die starke Paarbindung wird der Mann in erster Linie zur Qualitätsmethode neigen. "Wenn beide Eltern ihren Kindern Nahrung, Wärme, Geborgenheit und Schutz vor Raubtieren bieten, haben die Kleinen eine höhere Überlebenschance. [...] Aber was geschieht, wenn der gute Vater unterwegs ein attraktives Weibchen trifft? Sperma hat er genug; warum sollte er die fremde Schönheit nicht damit beglücken? Wenn es klappt und sie schwanger wird, wird er nicht dasein, um für die Jungen zu sorgen. Er geht ja ganz in seiner eigenen Familie auf. Aber vielleicht wird sie die Kleinen allein großziehen, oder sie trifft einen Partner, der das in seinem neuen Weibchen entstehende Leben später zu versorgen hilft." Die Lösung zwischen beiden gegensätzlichen Methoden wäre ein Kompromiß: Hauptsächlich konzentriert sich der Mann auf seine Familie, und nur ab und zu zeugt er hier und da ein paar außereheliche Nachkommen. Er nimmt das beste aus beiden Systemen. Doch eine Tatsache steht im in diesem System im Weg: Sein eigenes Bedürfnis, Bindungen einzugehen. Sobald er sich mit einem anderen Weibchen paart, überkommt ihn die emotionale Stärke der Paarbindung. Er schafft es nicht ohne weiteres - was genetisch vorteilhafter wäre - , außereheliche Kinder zu zeugen, ohne gefühlsmäßig beteiligt zu sein. Läßt er es allerdings, so wehrt sich sein sexuelles Verlangen, und er gerät in einen Triebkonflikt. Auf diese Spannung werden wir später noch genauer eingehen. Soweit zum Mann. Bei Frauen liegt die Sache etwas anders. Die Freizügigkeit wird stark eingeschränkt, allein "weil die Empfängnis ihr die elterliche Hauptlast aufbürdet." Dennoch leisten sich Frauen Liebhaber und nehmen sich ergebende Gelegenheiten wahr. Dieses Risiko gehen Frauen ein, weil sie, so Morris, von ihren biologischen Anlagen her aus verschiedenen Beziehungen das Beste mitnehmen wollen. Studien ergaben zum Beispiel, daß Frauen mit ihren Liebhabern besonders zur Zeit ihres Eisprungs schlafen, womit sie (unbewußt) erreichen wollen, eher von ihnen als von ihren Ehegatten befruchtet zu werden. Ehemänner und Liebhaber müssen hierbei andere Qualitäten haben: Ehemänner sollen bevorzugt liebevoll und fürsorgend sein, Liebhaber stark, intelligent, jugendlich oder von hohem Status. "Die typische untreue Frau wählt also einerseits das beste genetische Material für ihre Nachkommen, andererseits den fürsorglichsten Partner für ihre Langzeit-Beziehung." Beim Ausüben außerehelichen Verkehrs und beim Aufrechterhalten außerehelicher Beziehungen werden allerdings ebenfalls 0

In diesen Kontext müssen noch die neuesten kulturellen Entwicklungen mit einbezogen werden. Einerseits gibt es die Möglichkeit, die Geburtenanzahl zu beschränken. Andererseits hat sich die Frau im Zuge der Emanzipation wirtschaftlich unabhängiger gemacht. Aus diesen beiden Gründen hat sich für Frau die Möglichkeit ergeben, sexuell freizügiger zu sein. Alle diese Entwicklungen haben zwar (wie oben bereits erklärt) keine Auswirkung auf unser genetisches Material - emotional reagieren wir immer noch ganz ähnlich wie unser Vorfahr -, aber dennoch muß es in unsere Betrachtung mit einbezogen werden, da diese Entwicklungen nicht folgenlos für das heute beobachtbare Sexualverhalten geblieben sind. Dies werden wir allerdings erst in einem späteren Zusammenhang erörtern.

Bevor wir uns das Verhältnis von Monogamie und Polygamie aus einem anderen Blickwinkel ansehen, dient es vielleicht einer besseren Übersicht, alle Ergebnisse aus diesem Kapitel noch einmal zusammenzufassen: Bevor unsere Vorfahren seßhaft wurden, lebten sie überwiegend promiskuitiv. Nach und nach entwickelte sich die Monogamie aus verschiedenen Gründen, hauptsächlich, um die verlängerte Aufzucht des Nachwuchses zu gewährleisten. Dennoch sind neben der monogamen Lebensweise noch andere Bestrebungen erhalten geblieben: Einmal die Möglichkeit, in Zeiten des Männermangels Polygamie zu bevorzugen, und zum anderen der genetisch vorteilhafte außereheliche Verkehr, durch den allerdings emotionale Konflikte entstehen, und ohne den Triebkonflikte bleiben. Zudem muß die Rolle der heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen noch geklärt werden. "Was seine Sexualität anbelangt, so sieht sich der nackte Affe heute in einer reichlich konfusen Situation: Als Primate wird er in die eine Richtung gezerrt, als Raubtier in die andere, und als Angehöriger einer hochkomplizierten zivilisierten Gemeinschaft in eine dritte."


4.2 Der psychoanalytische Ansatz oder Sigmund Freuds Sexualtheorie

Über das ganze Leben bleibt das Ich das große Reservoir, aus dem Libidobesetzungen an Objekte ausgeschickt und in das sie auch wieder zurückgezogen werden, wie ein Protoplasmakörper mit seinen Pseudopodien verfährt.
Sigmund Freud

Wir wollen uns nun mit der psychologischen Seite unseres Problems beschäftigen. Vorerst möchte ich erklären, warum wir gerade in dieser Richtung fortschreiten: Wir bewegen uns aus tieferen Schichten immer weiter an die Oberfläche: zunächst die Biologie, dann die Psychologie. Mit Hilfe der Erkenntnisse aus diesen Bereichen werden wir dann verschiedene Lösungsansätze aus soziokulturellen und religiösen System überprüfen und schließlich ein Fazit ziehen. Ich bin mir dessen bewußt, daß dies nur ein möglicher Ansatz ist. Ich halte ihn für den sinnvollsten, da er einer gewissen Kausalitätskette entspricht (Die Biologie beeinflußt die Psyche, die Psyche entwickelt kulturelle Systeme usw.). Aus der Vielzahl der psychologischen Richtungen wählen wir die Psychoanalyse, weil hier der Wechsel von der Biologie besonders gut gelingt. Zum Übergang von Biologie und Psychologie sagt Sigmund Freud: "Die Triebe und ihre Umwandlungen sind das letzte, das die Psychoanalyse erkennen kann. Von da an räumt sie der biologischen Forschung den Platz." An anderer Stelle: "Die Psychoanalyse vergißt niemals, daß das Seelische auf dem Organischen ruht, wenngleich ihre Arbeit es nur bis zu dieser Grundlage und nicht darüber hinaus verfolgen kann."

Sigmund Freuds letzte Fassung der Triebtheorie beschäftigt sich mit dem Triebdualismus zwischen Sexualtrieb (auch Lebenstrieb, Eros genannt) und Aggressionstrieb (auch Todestrieb), die beide immer gemischt vorkommen (Triebmischung) und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Konstruktivität und Destruktivität bewirken. Die Existenz des letzteren ist unter Psychoanalytikern umstritten. Ob es sich hierbei nun um einen echten Trieb oder lediglich um ein Prinzip handelt, ist für unsere Fragestellung nicht von Bedeutung. Uns interessiert mehr der Sexualtrieb, und ich denke, es wird wohl kaum bezweifelt, daß es sich hierbei um einen echten Trieb handelt (Unter Fachleuten bestehen allerdings sehr wohl Differenzen in der Auffassung, was im menschlichen Leben vom Sexualtrieb bestimmt wird und was nicht; aber auch das ist für uns nicht von großem Interesse). Freud stellt sich das Wirkungsprinzip des Sexualtriebes folgendermaßen vor: Die Substanz des Triebes wird gebildet durch eine sexuelle Energie, die sogenannte Libido. Ist ein Objekt ein Objekt der sexuellen Begierde (Wobei sexuell nicht unbedingt genital gemeint sein muß, sondern durchaus in allen möglichen Ausprägungen, vor allem auch oral und anal, die wichtigsten Sexualformen in der Infantilität), so ist es mit Libido besetzt; genauer: die psychische Repräsentanz ist mit einer gewissen Menge der vorhandenen Libido besetzt. Im Babyalter zum Beispiel ist die Brust der Mutter stark mit Libido besetzt, später der eigene Anus und der Kot, im Erwachsenenalter als offensichtlichster Fall der Sexualpartner. Aber nicht nur Objekte können mit Libido besetzt sein, auch Befriedigungsformen (z.B. die Lust am Lutschen und Lecken leitet sich ab von der libidinösen Fixierung auf orale Befriedigungsformen). Sexuelle Energie, die nicht auf Objekte oder Befriedigungsformen gerichtet ist, ist auf den eigenen Körper gerichtet. Dieses Phänomen wird als Narzißmus bezeichnet. Die narzißtische Libido ist nach Freuds Auffassung sogar die überwiegende Form, nur ein geringer Teil wird vom eigenen Körper abgezogen und auf andere Objekte gelenkt. "D.h., die Objektlibido ist ein Abkömmling der narzißtischen Libido und kehrt unter Umständen zu ihr zurück, wenn das Objekt später aus irgend einem Grund aufgegeben wird." Wenn ein Objekt (wir beziehen uns ab jetzt nur noch auf Objekte und lassen Befriedigungsarten außerhalb unserer Betrachtungen, da sie für unsere Erörterung von geringerer Bedeutung sind) eine gute Triebbefriedigung ermöglicht, wird der Teil Libido sicher darauf besetzt bleiben, solange die Besetzung konfliktfrei bleibt. Die Stabilität der Besetzung ist allerdings erst eine Errungenschaft in der fortgeschrittenen Kindheit (Die Libido eines Babys und eines Kleinkindes ist noch wesentlich leichter beweglich als im höheren Alter). "Weiter haben die Objektbeziehungen des Kindes jetzt [3.-4.Lebensjahr] einen beträchtlichen Grad von Dauer, von Stabilität erlangt. Die auf ein Objekt gerichteten Besetzungen dauern an, obwohl das Bedürfnis nach dem Objekt zeitweise fehlt, was in den sehr frühen Stadien der Ichentwicklung nicht der Fall ist. Diese Besetzungen bleiben sogar trotz ziemlich langer Abwesenheit des Objekts selbst bestehen." Für uns ist von großer Wichtigkeit, daß die Libido nicht auf ein Objekt beschränkt bleibt, da sie sich beliebig aufsplitten kann, sondern durchaus auf mehrere Objekte verteilt ist, sicherlich in unterschiedlicher Quantität.

Es darf allerdings nicht vergessen werden, daß all diese Besetzungsvorgänge unbewußt geschehen, d.h. bewußt wird davon nichts wahrgenommen. Der Sitz der Triebe ist nämlich das Es, und das Es ist zum allergrößten Teil unbewußt. Neben den Trieben befinden sich hier noch alle verdrängten Vorstellungen und Wünsche, die uns so häufig in stark verzerrter und bis zur absoluten Unkenntlichkeit veränderter Form in unseren Träumen begegnen. Es wird vermutet, daß das Es am Anfang eines Menschenlebens den gesamten Teil der Psyche einnimmt. Wenn das Kind dann lernt, zwischen Umwelt und eigenem Körper zu unterscheiden, beginnt sich der zweite Teil des psychischen Apparates auszubilden: das Ich. Das Ich ist in einer unglücklichen Vermittlerposition. Es muß im Laufe der Zeit lernen, zwischen Es und Umwelt zu vermitteln. Sehr häufig stoßen Wünsche aus dem Es auf Unverständnis in der Umwelt, und so hat das Ich die schwierige Aufgabe zu entscheiden, was mit diesen Triebregungen passieren soll. Eine häufig genutzte Methode ist die der Verdrängung. Es sei darauf hingewiesen, daß auch dieser Prozeß häufig unbewußt geschieht. "Es [das Ich] bemüht sich auch, den Einfluß der Außenwelt auf das Es und seine Absichten zur Geltung zu bringen, ist bestrebt, das Realitätsprinzip an die Stelle des Lustprinzips zu setzen, welches im Es uneingeschränkt regiert. Die Wahrnehmung spielt für das Ich die Rolle, welche im Es dem Trieb zufällt. Das Ich repräsentiert, was man Vernunft und Besonnenheit nennen kann, im Gegensatz zum Es, welches die Leidenschaften enthält." Später kommt noch eine vierte Instanz hinzu, das Über-Ich. Das Über-Ich ist die verinnerlichte Stimme der Eltern, die verhindert, daß wir jedesmal wieder dieselbe Strafe oder Mißbilligung der Eltern erfahren, sondern vorher gewarnt werden. Es kann (stark vereinfacht) mit dem Gewissen verglichen werden; es beruht auf Introjektion spezifischer Eigenarten der stark mit Libido besetzten Eltern. "Weil die ersten Liebesbeziehungen des Kindes die stärksten sind, sind auch die ersten Identifizierungen - jene des ersten Lebensjahres - die stärksten. Sie nehmen von nun an innerhalb des Ichs eine Sonderstellung ein, und eben diese Sonderstellung, diese zusätzliche Wichtigkeit und Stärke, diese Glorifizierung der ersten Identifizierungen innerhalb der Persönlichkeit, bezeichnen wir als Über-Ich." Das Ich muß also zwischen Es, Über-Ich und Umwelt vermitteln: Das Es überfällt das Ich mit Triebwünschen, die Umwelt mißbilligt die Wünsche, und das Über-Ich bestraft und quält noch zusätzlich. "So vom Es getrieben, vom Über-Ich eingeengt, von der Realität zurückgestoßen, ringt das Ich um die Bewältigung seiner ökonomischen Aufgabe, die Harmonie unter den Kräften und Einflüssen herzustellen, die in ihm und auf es wirken."

Wie nützt uns diese Theorie jetzt in unsere Fragestellung nach der Monogamie und Polygamie? Zunächst einmal ist wichtig, daß die Libido, die Sexualenergie, auf mehrere Objekte verteilt sein kann und es auch in den allermeisten Fällen ist. Somit ist es unsinnig anzunehmen, ein Mensch könne seine ganze Liebe nur einem einzigen anderen Menschen zukommen lassen. Sexuell ansprechende andere Menschen werden zwangsläufig mit Libido besetzt werden, d.h., die unbewußten Wünsche, sich mit anderen Partnern sexuell auszutauschen, müssen zunächst einmal als existent hingenommen werden. Dies entspricht in etwa der Theorie von Desmond Morris: Da das Ich und das Über-Ich hauptsächlich durch den Ausbau des psychischen Apparates durch die Entstehung eines größeren Gehirns und durch kulturelle Einflüsse entstanden und geprägt sind, ist das Es mit der größten Wahrscheinlichkeit ein Erbe aus der vorkulturellen Zeit. Die Beweglichkeit der Libido, die als Triebenergie ja den Tiefen des Es entstammt, leitet sich vermutlich von dem Sexualverhalten unserer Vorfahren ab. "Alle seine grundlegenden sexuellen Eigenschaften verdankt er [der nackte Affe] seinen früchtepflückenden, waldbewohnenden Menschenaffen." Die Tendenz zum Verweilen der Libido auf einem Objekt, bis es zum Konflikt mit Umwelt oder Über-Ich kommt, leitet sich dagegen vermutlich aus der Entstehungsphase der Paarbindung her: Damit eine lang andauernde Paarbindung entstehen konnte, mußte die Libido natürlich auf dem Objekt, d.h. auf der psychischen Repräsentanz des Gatten, besetzt bleiben. Diese Stabilität der Libidobesetzung begründet die emotionale Verbundenheit mit dem Objekt.


4.3 Ergebnis der biologischen und psychoanalytischen Untersuchungen

Bisher läßt sich sagen, daß sich unsere biologischen und psychoanalytischen Betrachtungen weitgehend ergänzen. Die Vorfahren des Menschen lebten überwiegend promiskuitiv. Dies entspricht der Beweglichkeit der Libido, mit der verschiedene Objekte besetzt werden können. Im Laufe der Zeit entwickelte sich die Paarbindung, die durch den Ausbau der Sexualität und durch die neu erworbene Stabilität der Libidobesetzungen verwirklicht werden konnte. Der immense Anstieg der menschlichen Fähigkeit, Sexualität in der größten Vielfalt zu erleben, und die enorme Bereitschaft dazu entspricht der Stärke des Sexualtriebs, wie sie von den meisten Psychoanalytikern betont wird.


4.4 Der Konflikt

Die Monogamie ist jedoch nicht gänzlich verwirklicht worden; die Libido ist beweglich geblieben. Der durchaus biologisch sinnvolle Drang nach sexuellen Kontakten außerhalb der Paarbindung ist allerdings konfliktgeladen: Neue Partner binden emotional, da die Libido nun auch stabil in ihren Besetzungen bleiben will. Wird dem Verlangen allerdings Einhalt geboten, so verbleibt der unbefriedigte Triebwunsch als Konfliktstoff zurück, der dann möglicherweise der Verdrängung anheimfällt und psychischen Schaden anrichten kann. Diese Spannung, in der sich der Mensch befindet, ist nun offensichtlich geworden, und sie bildet das eigentliche Kernproblem unserer Untersuchung. Im nun folgenden Kapitel werden wir verschiedene Lösungsansätze diskutieren, um schließlich zu einem umfassenden Bild zu gelangen.


5. Soziokulturelle und religiöse Lösungsansätze


5.1 Erich Fromm und die Kunst des Liebens

Darstellung

Wir gehen weiter auf der Abstraktionsleiter eine Ebene nach oben und müssen sofort einen Begriff einführen, der in bisherigem Zusammenhang noch nicht erwähnt worden, der aber jedem hinlänglich bekannt ist: die Liebe. Bisher haben wir lediglich von emotionaler Bindung gesprochen, ein sehr biologischer und psychologischer Begriff. Nach Erich Fromms Meinung ist Liebe allerdings nichts, was ererbt werden kann, sie muß erlernt werden. "Liebe ist nicht angeboren, sie ist eine Kulturerrungenschaft." Sie ist eine Kunst, die man sich aneignen muß. Um zu beschreiben, was Liebe ist, wählt Fromm den Weg, erst einmal zu definieren, was sie nicht ist. Wenn eine Beziehung auf Unterordnung (Masochismus) oder Überordnung (Sadismus) beruht, dann kann man diese Beziehung seiner Meinung nach nicht Liebe nennen. Der Partner wird nicht als gleichberechtigte Person angesehen, sondern als Besitz. Dieses Besitzenwollen hält Fromm für eine Krankheit des Kapitalismus. Der sogenannte hortende Charakter versucht in allen Bereichen, Dinge zu besitzen, Dinge haben zu wollen, auch in der Liebe. Für Fromm gibt es in diesem Zusammenhang nur zwei Lebenskonzepte: "Haben oder Sein". Der Mensch, der versucht, seinen Partner haben zu wollen, erliegt einer Krankheit seiner Zeit. Das Ziel muß erstrebt werden, einfach zu sein, d.h. sein ganzes Menschsein zu verwirklichen, man selbst zu sein, die Entfremdung von der Umwelt zu lösen. Wenn man es schafft, man selbst zu sein, dann kann man auch den anderen bedingungslos annehmen, seinen Nächsten lieben, ohne ihn besitzen zu wollen. "Nur wer seine Abhängigkeit, seine narzißtischen Allmachtsgefühle, den Wunsch auszubeuten oder zu horten überwindet, den Mut zu sich selbst findet, wird Fromm nicht müde zu erklären, kann wirklich Liebe geben, sowohl sexuell (Impotenz und Frigidität signalisieren die Unfähigkeit, geben zu können) wie materiell (nicht der ist wirklich reich, der hat, sondern der geben kann) oder auch ideell (andere an eigenen Interessen, eigenem Wissen, eigenen Erfahrungen und Gefühlen teilnehmen lassen können)." Dieser Zustand, der Zustand des Seins, in dem man wirklich lieben kann, ist für Fromm das eigentlich erstrebenswerte. Diese Liebe darf allerdings nicht mit dem Zustand des Verliebtseins verwechselt werden: "Zunächst einmal wird sie [die Liebe] oft mit dem explosiven Erlebnis <>, verwechselt, mit dem plötzlichen Fallen der Schranken, die bis zu diesem Augenblick zwischen zwei Fremden bestanden." Die erotische Liebe hält Fromm für exklusiv, im Gegensatz zur Nächstenliebe: "Sie ist exklusiv nur in dem Sinn, daß ich mich mit ganzer Intensität nur mit einem einzigen Menschen vereinigen kann. Erotische Liebe schließt die Liebe zu anderen nur im Sinne einer erotischen Vereinigung, einer vollkommenen Bindung an den anderen in allen Lebensbereichen aus - aber nicht im Sinne einer tiefen Liebe zum Nächsten." Ein wesentlicher Faktor in der erotischen Liebe ist der Wille; der Wille, sich mit dem anderen ganz und gar zu verbinden. "Jemanden zu lieben ist nicht nur ein starkes Gefühl, es ist auch eine Entscheidung, ein Urteil, ein Versprechen. Wäre die Liebe nur ein Gefühl, so könnte sie nicht die Grundlage für das Versprechen sein, sich für immer zu lieben. Ein Gefühl kommt und kann auch wieder verschwinden. Wie kann ich behaupten, die Liebe werde ewig dauern, wenn nicht mein Urteilsvermögen und meine Entschlußkraft beteiligt sind?" Doch dabei läßt es Fromm nicht bewenden, denn 012

Bewertung

Erich Fromm hat die von uns herausgearbeitete Spannung zwischen dem Verlangen nach Paarbindung und dem nach sexuellen Erlebnissen außerhalb der Paarbindung auf eine ganz eigentümliche Art gelöst: Er löst sie in einer Idealisierung der erotischen Liebe als Liebe zu einem einzigen Partner. Anderen Menschen außerhalb der Paarbindung wird keine erotische Liebe zuteil, da erotische Liebe exklusiv ist. Nächstenliebe jedoch kann auch an andere Menschen bedingungslos gegeben werden. Zudem ist diese erotische Liebe paradox: Einerseits eine Verbindung, die nur zwischen ganz bestimmten Menschen stattfinden kann, da sie ganz bestimmter Eigenschaften bedarf, andererseits ein bloßer Willensakt. Fromms Ansatz favorisiert die monogame Lebensweise und kennzeichnet zugleich die Schwierigkeiten: Gefühle können genauso schnell schwinden, wie sie gekommen sind, und daher ist der Wille, das Versprechen zu erfüllen, notwendig.

Gehen wir einmal von einem Beispiel aus: Ein verheiratete Frau verliebt sich in einen anderen Mann. Dies entspricht dem Prinzip, daß die Libido teilbar ist und andere Objekte als bisher (zusätzlich) besetzen kann, und auch biologisch haben wir diesen Sachverhalt geklärt. Nach Fromm gibt es nun zwei Möglichkeiten: Entweder sie hält an der erotischen Liebe zum Ehemann und an ihrem Versprechen fest, oder sie schenkt dem neuen Mann ihre erotische Liebe, da erotische Liebe exklusiv ist. Die Exklusivität der erotischen Liebe bedeutet aber, daß sie nicht zwei Männer gleichzeitig lieben und begehren kann (wenn man lieben in Erich Fromms Verständnis von Liebe versteht). Entspricht dies der Realität? Dies ist sicher sehr schwer zu beurteilen, da es wenige Menschen gibt, die in Fromms Verständnis von Liebe lieben. Sicherlich gibt und gab es schon unzählige Fälle, in denen Menschen zwei andere Menschen begehrt und tatsächlich geliebt haben, dann aber in einer Weise, die Fromm vielleicht nicht als Liebe bezeichnen würde. Demgemäß kann man schwer entscheiden, ob dieser Ansatz wirklich tauglich ist, zumal vermutet werden kann, daß sich der Triebwunsch, wenn er denn in einer solch idealen Liebe auftaucht, der Verdrängung anheimfällt. Gesichert wird die erotische Liebe durch den Willen, der es nicht zuläßt, daß eine solche Regung an Macht gewinnt. Fromm könnte entgegenhalten, daß jemand, der die erotische Liebe verwirklicht, solche Regungen nicht mehr hat. Das halte ich aber für unwahrscheinlich, a die Idealisierung und Umsetzung der erotischen Liebe und der Wille dazu auf einer Bewußtseinsebene liegen, die zwar genug Macht hat, solch unbewußte Regungen zu verdrängen, aber nicht genug, um die Entstehung erst zu verhindern.

Insgesamt kann man also sagen, daß der Frommsche Ansatz den Konflikt nicht löst, sondern den Zustand der konfliktfreien, erotischen Liebe zu einem Partner idealisiert und damit den Konflikt unterdrückt. Die Gefahr, daß jemand, der diesen idealen Zustand erreichen will, an seinen unbewußten Wünschen zerbricht, ist groß. Idealisierungen sind zwar als Richtlinie sinnvoll, doch Fromm geht davon aus, daß dieser Zustand auch erreicht werden kann.


5.2 Das Christentum und die Einehe als unauflösliche Institution

Das endlich ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch. Frau soll sie heißen; denn vom Mann ist sie genommen. Darum verläßt der Mann Vater und Mutter und bindet sich an seine Frau, und sie werden ein Fleisch.
Genesis 2,23-24

Darstellung

Aus christlicher Sicht steht die Einehe einerseits unter dem "sittlichen Grundauftrag der Liebe", und andererseits ist sie Bedingung für die Zeugung und Aufzucht von Nachkommen: "Die Ehe ist somit auf die Sinnziele <> und <> hingeordnet." Die Ehe ist erst dann vollkommen, wenn sich Mann und Frau tatsächlich auch für Kinder entscheiden: "Ehe und eheliche Liebe sind ihrem Wesen nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet." Der ausschlaggebende Wert der gegenseitigen Bereicherung durch Liebe wird hierbei aber keineswegs geleugnet. Die Ehe ist bei katholischen und griechisch-orthodoxen Christen ein Sakrament, die wegen des göttlichen Charakters unauflöslich geschlossen wird: "Die kath. Kirche vertritt die Unauflöslichkeit der Ehe. [...] Nach katholischer Auffassung ist die Ehe eine Einrichtung des göttlichen Rechts. Dies gilt einmal für die sakramentale Ehe, aber auch schon für die Natur-Ehe." Nur der Tod darf die Angetrauten scheiden. Wer Ehebruch begeht oder sich scheiden läßt, begeht eine schwere Sünde, da er einen vor Gott geschlossenen Bund bricht. Für die Protestanten ist die Ehe kein Sakrament; Luther bezeichnete sie als "ein äußerlich, leiblich Ding wie andere weltliche Hantierung".

Aus christlicher Sicht ist die Polygamie natürlich ausgeschlossen, da die Ehe als ganzheitliche Lebensgemeinschaft angesehen wird: "Die von Gott begründete und daher geheiligte Ehe ist auch als natürlicher Lebensbund im Interesse der Gattenliebe und der Nachkommenschaft Einehe [...] Die Vielehe trübt die Liebe von Mann und Frau und erschwert ihr für die Pflege des Kindes notwendiges Zusammenwirken oder macht es gar unmöglich." Im Alten Testament wurde die Vielehe zeitweilig geduldet: "Um die schnelle Vermehrung des auserwählten Volkes zu fördern, gestattete er später die Polygamie. Christus hat dann aber den ursprünglichen Zustand wiederhergestellt, indem er die Ehe mit einer Frau für allein rechtmäßig und unlöslich erklärte."

Bewertung

Die christliche Ansicht ist eine der strengsten Umsetzungen der biologischen Paarbildung. Der Mann muß der Frau treu bleiben und umgekehrt. Der Ehebruch ist eine schwere Sünde. An dieser Stelle ist es interessant sich zu überlegen, daß das Christentum in der Tat davon ausgeht, daß der Wunsch, außerehelichen Kontakt zu haben, keine Seltenheit und von nicht geringer Stärke ist. Warum macht es sonst aus der Ehe eine so feste, unlösbare, heilige, sakramentale Sache? Doch nur, um dem Paar klarzumachen: Wenn ihr den geschlossenen, heiligen Bund löst, begeht ihr eine schwere Sünde und bricht euer Versprechen, das ihr vor Gott abgelegt habt! Dies hat katastrophale, psychische Folgen: Jeder sexuelle, verbotene Wunsch wird verdrängt und der Auslöser von Angst werden. Was Fromm noch als Ausnahme erkennt, soll in der kirchlich geschlossenen Ehe die Regel sein. Was Fromm für eine Kunst und für langes Erlernen hält, setzt die Kirche voraus, obwohl sie weiß, daß kein Mensch die Kriterien ohne Weiteres erfüllen kann; daher die Druckmittel. Es handelt sich hier um Repression, die fatale Folgen für die psychische Gesundheit hat: Daher eignet sich meiner Meinung nach das christliche Ehesystem in keinem Fall, die von uns aufgedeckte Spannung konfliktfrei zu lösen. "Wo die Treue als moralischer Zwang von außen auftaucht, wo sie gebietet und verbietet, ist sie gegen den Menschen gerichtet." Fromm hat hier eine bessere Lösung gefunden: Die Element der Strafe fehlt, und die Ehe hält er ebenfalls nicht für unauflöslich (bzw. sieht sie zumindest in einem Paradoxon verankert). Fromm hat sozusagen das christliche System der Monogamie ein Stück weit vermenschlicht. Es ist noch interessant anzumerken, daß der größte Teil aller in der westlichen Welt geschlossenen Ehen christliche Ehen sind.

Einschränkend muß ich natürlich sagen, daß (streng) gläubige Christen meiner Bewertung nicht zustimmen werden. Der Grund liegt darin, daß sie von Anfang an einen anderen Ansatz gewählt hätten. Die Theologie begründet Aussagen sicher nicht mit biologischen oder psychologischen Denkansätzen, sondern mit Glaubensaussagen, Dogmen, Bibelzitaten etc. Insofern sind unsere Erklärungssysteme inkongruent und nicht zu vergleichen. Wer an den christlichen Gott glaubt, für den wird diese Arbeit vermutlich wenig hilfreich sein.

Einen interessanten Artikel, den ich im Lexikon der christlichen Moral gefunden habe, muß ich noch anführen. Dort steht: "Es ist nicht richtig, daß sich die einpaarige Dauerehe aus einem ursprünglichen Zustand geschlechtlicher Promiskuität entwickelt hätte. Die Ethnologie zeigt bei einfachen Völkern die Einehe." Hörmann argumentiert hier mit einfachen (d.h. weniger hochkulturellen) Völkern, anders als Morris, der mit dem Hauptstrom der menschlichen Entwicklung argumentiert. Lassen wir Morris auf Hörmanns Argumente antworten: "Der nackte Affe ist seinem Wesen nach eine explorative Art - will sagen: eine Art, die unablässig sucht, erkundet, probiert, die stets auf Neues bedacht ist, und das aber heißt, daß jede Gesellschaftsordnung, die es nicht geschafft hat, voranzukommen, in gewissem Sinne fehlgegangen ist. Irgend etwas ist mit ihr geschehen, irgend etwas hat bei ihr den dieser Art von der Natur gegebenen Trieb, die Umwelt zu erforschen und zu durchforschen, gehemmt. Die Eigentümlichkeiten, die von den Völkerkundlern bei solchen Stämmen studiert worden sind, können also durchaus gerade Tatsachen sein, die den Fortschritt eben dieser Gruppe gestört haben. Und deshalb ist es gefährlich, Kenntnisse über sie zur Grundlage des einen oder anderen generellen Schemas für unser Verhalten als dem einer zoologischen Art machen zu wollen."


5.3 Der Islam und die legitimierte Polygamie

Darstellung

In Koran und Sunna gilt die Ehe als eine empfohlene, selbstverständliche Einrichtung, in der beide Partner in Liebe und Verständnis einander zugetan sein und sexuelle Erfüllung finden sollen.

In der breiten Öffentlichkeit herrscht die Vorstellung, im Islam sei die vebreitetste Form der Ehe die Polygamie (genauer: die Polygynie). Tatsache ist, daß die Polygamie zwar erlaubt, aber dennoch lediglich eine vereinzelte Erscheinung ist. Am häufigsten findet man auch hier die Monogamie. Männern, die mehrere Ehefrauen haben (bis zu vier sind erlaubt), wird nämlich vom Koran auferlegt, alle gleich behandeln zu müssen: "Überlegt gut und nehmt nur eine, zwei, drei, höchstens vier Ehefrauen. Fürchtet ihr auch so noch, ungerecht zu sein, nehmt nur eine Frau [...]." Im Prinzip erfüllt die Ehe ähnliche Funktionen wie im Christentum: Bereicherung durch gegenseitige Liebe, Ermöglichung einer umfassenden Aufzucht der Nachkommenschaft, Kanalisierung der Sexualität. Der Islam allerdings schließt Ehescheidung - im Gegensatz zum Christentum - nicht aus; sie ist rechtlich genau geregelt.

Bewertung

In unserem Interesse liegt nicht die Ausprägung monogamer Ehen im Islam - die nennenswerten Aspekte zur monogamen Ehe haben wir bereits ausführlich behandelt. Uns interessiert viel mehr die Polygamie und die Tatsache, warum sie nicht häufiger vorkommt: Der Ehemann muß für seine Großfamilie auch sorgen können. Was die Biologie für den Ausnahmefall vorgesehen hat, ist hier regulär und vernünftig verwirklicht. Scheichs, die große Harems besitzen, haben die Vorschrift des Korans wohl zu ihren Gunsten ein wenig abgeändert. Allerdings birgt die reguläre Umsetzung der Polygynie eine Gefahr: Viele Männer bekommen hierdurch keine Frau und können so ihr Erbgut nicht weitergeben. Die islamische Polygamie würde ohnehin nicht als Lösung unseres Problems in Frage kommen, allein deswegen, weil lediglich die Polygynie legitimiert ist. In den großen Serails und Harems war die polygame Ordnung immer Konfliktstoff: Es gab Mord, Intrigen, ganz zu schweigen von der autoritären Herrschaft des Scheichs über seine Frauen. Desmond Morris bewertet diese Lebensweise folgendermaßen: "Keine Frage: Sobald wir Menschen die einfache Paarbindung als reproduktive Einheit verlassen, entstehen alle möglichen Probleme. Entweder bestehen sie in mangelnder elterlicher Liebe, die so wichtig für gesunde, stabile und intelligente Kinder ist, oder, schlimmstenfalls, entwickeln sich groteske Auswüchse. Wir scheinen genetisch für das Familienleben programmiert zu sein und nur dann zu vollem Leistungsvermögen zu reifen, wenn wir diesem Muster folgen."


5.4 Osho und die Ehe als Prostitution

Darstellung

Meine Botschaft ist Liebe. Das ist eigentlich ganz einfach, es hat nichts Komplexes an sich. [...] Es ist ein ganz simpler und direkter Zugang zum Leben. Das kleine Wort "Liebe" kann es enthalten. Es geht nicht darum, wen du liebst. Es ist unwesentlich, an wen Deine Liebe gerichtet ist. Was zählt, ist, daß du vierundzwanzig Stunden am Tag liebst, genau wie du atmest.
Osho

Osho, ein Sektenführer des 20. Jahrhunderts in Indien, der wohl unter dem Namen Bhagwan populärer ist, hält die Liebe, wie sie in den durchschnittlichen Beziehungen existiert, für unzureichend (ähnlich wie Erich Fromm). Die Beziehung an sich, so Bhagwan, ist ein schlechter Zustand: "In dem Augenblick, wo Liebe zur Beziehung wird, wird sie zur Fessel, denn es sind Erwartungen da, es sind Forderungen und es sind Frustrationen da - und auf beiden Seiten der Versuch zu herrschen. Es wird ein Machtkampf." Die Ehe selbst nennt er Prostitution: "Wenn ich meiner Liebe vertraue, warum sollte ich dann heiraten? Der bloße Gedanke an Ehe ist Mißtrauen. Und etwas, das aus Mißtrauen entspringt, wird Deiner Liebe nicht helfen, mehr in die Tiefe und Höhe zu wachsen. Es wird sie zerstören." Gegen die Vorstellung, Liebe solle ewig dauern, wendet er sich natürlich entschieden: "Man hat euch die Fehlvorstellung eingehämmert, wahre Liebe währe immer. Eine echte Rose blüht nicht für immer. [...] Die Existenz ist ein ständiger Wandel. Woher nur die Vorstellung, die fixe Idee, daß Liebe, um wahr zu sein, dauerhaft sein muß... und daß, wenn die Liebe eines Tages verschwindet, sich selbstverständlich daraus ergibt, daß sie nicht echt war?"

Die Liebe muß für ihn zum Seinszustand werden. Liebe bedeutet für ihn, das Wesen des Partners voll und ganz anzunehmen, ohne Einschränkung. Wenn jemand seinen Partner wirklich liebt, dann respektiert er dessen Wesen und Wünsche ausnahmslos. So schränkt keiner die Freiheit des anderen ein, der einzige Weg der Verbundenheit ist der der Liebe. Nach Osho muß die Liebe nicht auf einen einzelnen Menschen beschränkt sein, sie kann es aber. Oshos Sichtweise sei an einem Beispiel erklärt: Eine Frau teilt ihrem Partner voller Freude mit, daß sie einen Mann kennengelernt hat, mit dem sie gerne intimer werden möchte. Osho sagt nun, wenn dieser Mann seine Partnerin wirklich liebt, so muß er sich freuen, daß sie einen Menschen gefunden hat, den sie so sehr begehrt. Keiner soll die Freiheit des anderen einschränken, denn sobald dies passiert, ist Macht mit im Spiel. "Zwei Menschen können sehr liebevoll zusammensein. Je liebevoller sie sind, desto weniger ist eine Beziehung möglich. Je liebevoller sie sind, desto mehr Freiheit herrscht zwischen ihnen. Je liebevoller sie sind, desto geringer ist die Möglichkeit jeglichen Anspruchs, jeglicher Bevormundung, jeglicher Erwartung. Und natürlich ist jegliche Frustration ausgeschlossen." So wird eine Gemeinschaft wirklich ohne Egoismus und Eifersucht verwirklicht. Osho hält Eifersucht für eine psychische Krankheit. Wenn ein Partner sich gegen die gemeinsame Liebe entscheidet und die Partnerschaft auflöst, selbst dann muß der andere den Entschluß akzeptieren. Osho sagt in diesem Zusammenhang, daß das Alleinsein gelernt werden müsse. Bevor man fähig für die Liebe ist, muß man erst fähig zum Alleinsein sein. Denn wenn dies nicht der Fall ist, wird man sich an die Liebe klammern aus Angst, allein dazustehen.

Ein Jünger Oshos fragt seinen Meister: "Osho, ich möchte heiraten. Bitte gib mir Deinen Segen." Osho antwortet: "Bist du verrückt geworden, oder was? Es genügt, wenn Du liebst; heiraten tut nicht das geringste dazu. Im Gegenteil: Warum hast du es so eilig, mit einer schönen Erfahrung Schluß zu machen? Warte ab! Wenn Du merkst, daß es aus ist mit der Liebe, dann kannst du heiraten. [...] Liebe, und so tief wie möglich. Und wenn die Liebe selbst zur Ehe wird, dann ist es etwas anderes, etwas absolut anderes. Wenn die Liebe selbst zur Intimität wird, die unzerbrechlich ist, dann ist das etwas anderes. Dann ist es keine legale Sanktion. Legale Sanktionen sind nötig, wenn ihr Angst habt. Ihr wißt, daß Eure Liebe nicht groß genug ist; ihr wollt sie mit dem Gesetzbuch stützen. [...] Ich kann Deine Liebe segnen, aber nicht deine Heirat. Wenn die Liebe euch selbst verheiratet, dann hast Du meinen ganzen Segen dazu."

Bewertung

Erich Fromm und Osho haben ähnliche Ansätze: Beide kritisieren die Beziehung, wie wir sie kennen. Beide wählen ein neues Ideal. Während allerdings auf der einen Seite Erich Fromm die monogame Liebe idealisiert, zählt für Osho nur die Liebe an sich. Die Liebe kann sich auf eine oder auf mehrere Personen beziehen (vgl. die Libidotheorie). Demgemäß kann eine Gemeinschaft in Oshos Sinne rein monogam sein, aber auch jede erdenkliche Form von Polygamie ist möglich. Einzige Bedingung ist, ähnlich wie bei Fromm, daß Besitz- und Machtansprüche keine Geltung haben dürfen. Osho betont hierbei besonders die gegenseitige Annahme in Freiheit, ohne jede Einschränkung.

Wir befinden uns hier bereits auf einer absolut abstrakten und idealisierten Ebene. In Oshos Theorie hat aus diesem Grund die Annahme keinen Platz, daß Inbesitznahme des Partners und Eifersucht ja durchaus biologischen Sinn haben, nämlich die Aufzucht der Nachkommenschaft zu ermöglichen. Wo im christlichen Ansatz die Lust auf außereheliche Beziehungen verdrängt wird, wird hier der biologisch verankerte Drang zur Monogamie unterdrückt.


6. Fazit


6.1 Promiskuität als Lösung?

Aufgrund dieser Beobachtungen kann sicherlich behauptet werden, daß der Mensch vor langer Zeit einmal promiskuitiv gewesen ist, daß diese Lebensweise jetzt allerdings nicht mehr seinem Wesen entspricht, da der Wunsch nach emotionaler Bindung von der Monogamie her zu stark ausgeprägt ist. Zwar kann Sexualität völlig ohne emotionale Bindung gelebt werden, die Sehnsucht nach einer Beziehung allerdings bleibt. Die Promiskuität ist demnach keine Lösung für unsere konfliktreiche Situation. Der Mensch ist von seinem Wesen her nicht mehr promiskuitiv.


6.2 Monogamie als Lösung?

Monogamie ist sicherlich die beste Lösung, wenn man die Situation von der Seite der Nachwuchses her betrachtet. Sie biete das ideale Umfeld für das gesunde Aufwachsen eines Kindes. Jedoch zeigen die Scheidungsraten, das das monogame Ehesystem sehr anfällig ist. Ist Fromms Vorschlag, die monogame Liebe zu idealisieren und die außerehelichen Beziehungen auf Nächstenliebe zu beschränken, ein Ansatz? Meiner Meinung nach nein, da die durchaus biologisch sinnvolle Lust auf außereheliche Partner nicht akzeptiert und verdrängt wird; und Verdrängung hat im Allgemeinen schwerwiegende Konsequenzen für die psychische Gesundheit. Die vollkommene Monogamie gibt es also nicht, da sie gegen die Natur des Menschen spricht. Der Mensch ist von seinem Wesen her nicht ausschließlich monogam.

6.3 Polygamie als Lösung?

Polygamie ist sicher eine Lösung, wenn kein Nachwuchs erwartet oder gewünscht wird. Die Menschen begegnen sich hier vielleicht in größerer Freiheit und Toleranz, als dies in der Monogamie möglich ist. Erleichtert wird diese Lebensweise in unserer heutigen Situation noch durch Verhütungsmöglichkeiten und durch die Tatsache, daß sich die Frauen durch Emanzipation unabhängiger gemacht haben. Doch das Ideal, daß sich alle lieben und keiner eifersüchtig ist, bleibt eben eines. Es ist nicht vollkommen umsetzbar, und auch neuere kulturelle Entwicklungen haben hierauf keinen Einfluß. Es gab genügend Beispiele in der Geschichte, in denen versucht worden ist, eine polygame Lebensweise duchzusetzen, und nirgendwo konnte Haß und Eifersucht vermieden werden. Auch hier ist die einzige Möglichkeit, eine solche Lebensweise zu erzwingen, die Verdrängung. Der Mensch ist also von seinem Wesen her nicht ausschließlich polygam.


6.4 Ergebnis

Ich denke, folgendes deutlich geworden: Der Konflikt zwischen monogamen Bestrebungen und außerehelicher Beziehungslust bleibt ungelöst. Wo das eine favorisiert wird, wird das andere verdrängt, und beides gleichberechtigt nebeneinander kann nur schwer existieren, da sich Monogamie und Polygamie im Prinzip ausschließen. Es bleibt (leider) nur eins zu sagen: Der Mensch muß mit diesem Konflikt leben. Jeder muß für sich entscheiden, wie er diesen Konflikt löst. Es gibt kein Patentrezept. Eine annähernd intelligente Lösung ist die Akzeptanz der anderen Seite. Entscheidet sich ein Paar für die Monogamie, muß es akzeptieren, daß die Lust auf andere Sexualpartner oder gar Beziehungen nicht zu vermeiden ist. Entscheiden sich mehrere Menschen für die Polygamie, müssen sie auch Eifersucht als festen Bestandteil annehmen. Insgesamt ist es wahrscheinlich sinnvoll, sich selbst und den anderen nicht mit Idealen zu überfordern, wobei es wiederum nicht unsinnig ist, nach einem solchen zu streben. Man muß versuchen, für sich einen Mittelweg zu finden und die menschliche Unvollkommenheit zu akzeptieren. Niemand kann vollkommen monogam oder vollkommen polygam sein. Weder Lust noch Eifersucht können vermieden, weder Treue noch Toleranz erzwungen werden.

Hier ist wieder einmal gezeigt worden, wie wenig doch die abstrakten Theorien und Ideale der Religionen und Philosophien gegen die biologische Substanz ausrichten können. Der Mensch ist und bleibt ein nackter Affe.


Anhang: Bibliographie

Bibel, Einheitsübersetzung, Herder-Verlag 1980
Duden, Deutsches Universalwörterbuch A-Z, 1989, 2.Auflage
Koran, Orbis-Verlag 1993
P.M. Perspektive, Ausgabe 97/048
Brenner, Charles, Grundzüge der Psychoanalyse, Fischer-Verlag, Frankfurt am Main 1976
Freud, Anna, Zur Psychoanalyse der Kindheit, Fischer-Verlag
Freud, Sigmund, Abriß der Psychoanalyse / Das Unbehagen in der Kultur, Fischer-Verlag
Freud, Sigmund, Das Ich und das Es, Fischer-Verlag
Freud, Sigmund, Die psychogene Sehstörung in psychoanalytischer Auffassung, G.W., Bd.8
Freud, Sigmund, Eine Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci, Wien 1910, G.W., Bd.8
Freud, Sigmund, Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, G.W., Bd.15
Fromm, Erich, Die Kunst des Liebens, Ullstein-Verlag
Glasenapp, Helmuth von, Die fünf Weltreligionen, Eugen Diederichs Verlag, München 1963
Hardeck, Jürgen, Vernunft und Liebe - Religion im Werk von Erich Fromm, Ullstein-Verlag, 1992
Hörmann, Karl, Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck-Wien-München 1976, Tyrolia-Verlag
Kolb, Ingrid, Das Kreuz mit der Liebe, Goldmann-Verlag 1980
Morris, Desmond, Das Tier Mensch, Heyne-Verlag, München 1994
Morris, Desmond, Der nackte Affe, Knaur-Verlag, München 1967
Osho, Beziehungsdrama oder Liebesabenteuer, 1995
Osho, Leben, Lieben, Lachen, 1996
Rombach, Heinrich (u.a.), Lexikon der Pädagogik, Herder-Verlag 1952, Bd.I
Tworuschka, Monika und Udo (Hrsg.), Religionen der Welt, Bertelsmann-Verlag 1992
Weitere Literatur bzw. Links mit (z.T.) themenbezogenem Inhalt:
Comfort, Alex, New Joy of Sex, Ullstein 1996
Davies, Nigel, Liebe, Lust und Leidenschaft, Rowohlt 1987
Deschner, Karlheinz, Das Kreuz mit der Kirche, Heyne 1973
Lehmann, Karl, Ehe als Lebensentscheidung, Brosch., Informationszentrum Berufe der Kirche 1996
Gambaroff, Marina, Utopie der Treue, Rowohlt 1984
Michael/Gagnon/Laumann/Kolata: Sexwende, Liebe in den 90ern, Knaur 1994
OshoMedia

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