Der Mann - sozial und sexuell ein Idiot?
Plädoyer für eine selbstbewusste und dialogbereite Männerbewegung
Thomas Gesterkamp
Ich freue mich, hier als männlicher Autor einen Beitrag zum Thema Frauenbewegung beisteuern zu dürfen. Ich halte das für keineswegs selbstverständlich - vor dem Hintergrund der Grenzziehungen in der Geschlechterfrage, welche die Entstehung der neuen Frauenbewegung seit dem legendären Tomatenwurf im SDS Ende der 60er Jahre begleitet haben. Ich bin Ende 1957 geboren, und gehöre damit nicht der 68er, sondern, wenn man so will, der 78er Generation an. Ich glaube, für die geschlechterpolitische Debatte sind diese zehn Jahre biografische Differenz ganz erheblich - und erst recht jene 20 oder gar 30 Jahre, die der Abstand zu "68" für später geborene Frauen und Männer ausmacht.
Ich will Ihnen einfach mal die Stimmung beschreiben, in der ich als junger Mann erstmals mit der Frauenbewegung konfrontiert war. Politisch war das eine Zeit, in der die von männlichen 68er-Machos geprägten linken Kadergruppen - von den maoistischen Sekten bis zur RAF - endgültig gescheitert waren. Die zarten Pflänzchen von Bürgerinitiativen und Alternativbewegung, die später zur Gründung der Grünen Partei führten, lugten sozusagen gerade aus der Erde. Ansonsten, so habe ich es empfunden, dominierten Selbsterfahrung und Innerlichkeit - und eine radikale Abkapselung der Geschlechter. Natürlich gab es persönliche Beziehungen, Lieb- und Freundschaften zwischen Männern und Frauen - doch im politischen Raum fehlte, abgesehen vielleicht vom Kampf um die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen 218, jeder Gender-Dialog. "Das erste und letzte Tabu waren Männer", schreibt die Mitbegründerin der Frauenzeitschrift "Courage", Sibylle Plogstedt, in ihrem gerade erschienen Rückblick auf die Geschichte der autonomen "Frauenkollektive". Und sie schreibt weiter, ich zitiere: "Die Apartheid, die der Männer-Gesellschaft gegen Frauen, versuchten Teile der neuen Frauenbewegung gegen die Männer zu lenken."
Die Folgen dieser extremen Polarisierung spürten wir "Nach 68er"-Männer in unserem ganz privaten Alltag mit Frauen. Eine WG-Mitbewohnerin empfahl mir Verena Stefans "Häutungen", um mir die Unzulänglichkeiten der männlichen Sexualität vor Augen zu führen. Später war es angesagt, den "Tod des Märchenprinzen" von Svende Merian zu lesen. Beides, so finde ich inzwischen - und wahrscheinlich sehen das viele Frauen ganz ähnlich! - ziemlich schlechte Bücher, literarisch sowieso, aber auch die in ihnen zum Ausdruck kommende platte Männerfeindlichkeit wirkt heute befremdlich. Damals allerdings war es ratsam, das gegenüber einer frauenbewegten Frau auf keinen Fall zuzugeben. Sich als "linker" Mann zu dieser Zeit in irgendeiner Weise politisch unkorrekt zur Frauenfrage zu äußern, konnte bedeuten, in Schwierigkeiten zu geraten. Anfang der 80er Jahre arbeitete ich als Student bei einer alternativen Stadzeitung mit. Einmal haben "autonome Frauen" unser Büro besetzt, weil ein Redaktionskollege auf einer privaten Fete zu fortgeschrittener Stunde ironische Bemerkungen über Feministinnen gemacht haben sollte - die Reaktion darauf fand selbst unsere "Frauenredaktion" überzogen. Es war eine Zeit der Abgrenzung und der oft bis zur Lächerlichkeit aufgebauschten Konflikte, eine Zeit, in der Männer keinen Frauenbuchladen betreten durften und selbst Mütter mit älteren Söhnen dort Probleme bekommen konnten; eine Zeit, in der ein viel zitiertes Bonmot lautete: "Eine Frau ohne Mann ist wie ein Fisch ohne Fahrrad".
Dieser Spruch war und ist, mit Verlaub, fast so blöd wie die Bücher von Svende Merian. Man kann ihm zu Gute halten, dass seine massenhafte Verbreitung ein Vierteljahrhundert her ist, dass erst Ende der siebziger Jahre das deutsche Scheidungs- und Familienrecht reformiert und auf das heute selbstverständliche Niveau einer zumindest der Papierform nach gleichberechtigten Gesellschaft gebracht wurde. Sie wissen das wahrscheinlich: Erst damals war Schluss mit dem diskriminierenden Schuldprinzip nach einer Trennung; war Schluss damit, dass Frauen nur erwerbstätig sein durften, wenn sich das mit ihren "Pflichten in Ehe und Familie" vereinbaren ließ. Wohlwollend könnte man also den "Fisch ohne Fahrrad" in diesem Sinne interpretieren: Eine Frau ist auch ohne Ehemann ein ganzer Mensch!
Aber der Satz beschreibt eben treffend auch ein Grundmuster im Denken in jener Phase der Frauenbewegung: nämlich die Geschlechterfrage als Gegensatz Frauen gegen Männer, als exklusives Thema "von und für Frauen" zu betrachten. Männliche Sympathisanten waren in diesem Kontext bestenfalls tolerierte Mitläufer, aber selten akzeptierte Gesprächspartner mit an bestimmten Punkten vielleicht auch anderer Sichtweise. Folgerichtig waren Männer bei der ersten Institutionalisierung von Frauenpolitik in den 80er Jahren - Stichwort Frauenbeauftragte - auch keine Adressaten von Gleichstellungspolitik. Um in dem "Fahrrad"-Bild zu bleiben: Von einem Gender-Tandem, von einem im optimalen Fall gemeinsamen, synchronen und damit sehr effektiven Treten der Pedale konnte noch keine Rede sein. Männer fuhren höchstens auf der Stange oder auf dem Gepäckträger mit. Und jede Radfahrerin weiß: Mit Gepäck tritt es sich einfach schwerer. Da schien es doch leichter, auf den "Bremser Mann" gleich ganz zu verzichten!
Der "Softie" - nur ein Medienklischee?
Und wir Männer? Wir wussten, mit den "neuen Frauen" war nicht zu spaßen - auch wenn mit Ina Deters Lied "Ich sprühs an jede Häuserwand, neue Männer braucht das Land" ja schon erste selbstironische und versöhnliche Töne in der feministischen Bewegung auftauchten. Wir jüngeren Männer waren, so glaube ich in der Rückschau, vor allem reichlich irritiert. Mit den 68er Politmackern, an denen sich die Frauen zu Recht abarbeiteten, wollten wir nichts zu tun haben. Das Ergebnis war der "Softie" - sicher auch schon damals ein Medienklischee, mit dem abweichendes Männerverhalten diffamiert wurde. Aber es gab sie ja tatsächlich, diese leicht androgyne und seltsam verhalten auftretende Männlichkeit. Zwar merkten wir bald, dass zu viel "Softness" und Unbestimmtheit in unseren privaten Frauenbeziehungen gar nicht so gut ankam. Aber im öffentlich-politischen Diskurs des Geschlechterthemas haben wir uns doch in bemerkenswerter Weise zurückgenommen. Symptomatisch dafür ist ein Satz, der damals als gedrucktes Motto jeden Band der Reihe "rororo mann" einleitete - und der meinem heutigen Vortrag den Titel geliefert hat. Dieser Satz lautet: "Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot." Ich habe das für das Tagungsprogramm selbstverständlich mit einem Fragezeichen versehen. Denn ein solcher verbaler Kniefall, der in falsch verstandenem "Anti-Sexismus" all unseren Geschlechtsgenossen pauschal jede fürsorgliche oder erotische Kompetenz absprach, war auch vor 20 Jahren schon unangemessen und überzogen.
Rororo, also der Rowohlt Verlag, hat sich um die Anfänge der Männerbewegung in Deutschland dennoch unzweifelhaft verdient gemacht. Die ersten deutschen Männerbücher überhaupt, etwa von Walter Hollstein oder Volker Elis Pilgrim, sind dort erschienen. 1990, die Reihe hieß schon nicht mehr "rororo mann" und auch der selbstkasteiende Motto-Spruch war gestrichen, haben mein späterer Koautor Dieter Schnack und Rainer Neutzling hier "Kleine Helden in Not" veröffentlicht - "Jungen auf der Suche nach Männlichkeit" war der Untertitel. Und das Intro dieses Buches, ein Bestseller übrigens bis heute, möchte ich Ihnen vorlesen, weil es sich aus meiner Sicht wohltuend abhebt von der Negativ-Titelei früherer Jahre: "Die Frauenbewegung löste sinnvolle und konstruktive Diskussionen über die Erziehung von Mädchen aus. Allerdings wurde bei all den Bemühungen, Benachteiligungen von Mädchen abzubauen, stillschweigend angenommen, den Jungen ginge es gut, sie wüchsen in Freiheit und Zufriedenheit auf. Die Autoren zeigen, dass das nicht der Fall ist. Die Ergebnisse ihrer Arbeit verlangen nach einem neuen, positiven Konzept der Jungenerziehung."
Das, finde ich, ist ein guter Ansatzpunkt für eine selbstbewusste und dialogbereite Männerbewegung: die meist hart erkämpfen Initiativen und Errungenschaften der Frauenbewegung würdigen und positiv bewerten, aber doch deutlich machen, dass der "Blickwechsel", wie das die Essener Geschlechterforscherin Doris Janshen in einem Sammelband genannt hat, notwendig und produktiv für beide Seiten ist. Und in diesem Sinne plädiere ich für einen Gender-Dialog, der sich nicht auf Etikettenschwindel beschränkt, sondern die männliche Perspektive wirklich ernst nimmt. Also keinesfalls einfach "Gender Mainstreaming" statt "Frauen" auf den Förderantrag schreiben, um die (dringend notwendigen) Gelder der EU zu erhalten - das kann eine Mogelpackung sein. Immerhin: Die politische Abschottung zwischen den Geschlechtern, die ich Ihnen vorhin überwiegend anekdotisch beschrieben habe, gehört inzwischen glücklicherweise der Vergangenheit an. Ich reise seit zehn Jahren, seit der Veröffentlichung meines ersten Buches "Hauptsache Arbeit - Männer zwischen Beruf und Familie", als Referent zu geschlechterpolitischen Themen quer durch die Republik. Und ich habe in dieser Zeit viele produktive Diskussionen zwischen Frauen und Männern erlebt, die Hoffnung für die Zukunft machen.
Gar nicht mal so selten bin ich bei diesen Veranstaltungen übrigens Gast von Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragten. In bestimmten Unternehmen, in bestimmten Institutionen ist das fast die einzige Möglichkeit, mit meinen Anliegen an den Kern meiner (männlichen) Zielgruppe heranzukommen. Meine Erfahrungen sind unterschiedlich: Mal schlägt mir die kühle und und schweigsame Abwehr meiner Geschlechtsgenossen entgegen - etwa, wenn ich unter Führungskräften eines großen Konzerns propagiere, weniger zu arbeiten und das "gute Leben" jenseits der traditionellen Karriere nicht aus den Augen zu verlieren. Ich erinnere mich umgekehrt an Vorträge etwa zum Thema "Väter und Familie", wo die einladende Frauenbeauftragte von der hohen Zahl der männlichen Besucher vollkommen überrascht war: So viele Männer habe sie noch nie im öffentlichen Raum über Gefühle und persönliche Probleme reden hören. Das, finde ich, ist doch eine neue Qualität der Debatte, die nur entstehen kann, wenn die Geschlechter sich nicht in Nischen separieren, sondern gemeinsame Utopien entdecken.
Vom geachteten Ernährer zum verspotteten Deppen
Für Männer ist es sehr wichtig, dass ihnen andere Männer abweichende, aber dennoch selbstbewusste Formen von Männlichkeit vorleben. Bei Recherchen in Unternehmen habe ich immer wieder festgestellt, dass es zum Beispiel unbedingt männlicher Teilzeitpioniere bedarf, um ein anderes Arbeitsmuster unter Männern akzeptanzfähig zu machen. In einer angespannten Lage, in der Massenarbeitslosigkeit die traditionelle Männeraufgabe des Familienversorgers gefährdet, drücken sich Irritation und Abwehr häufig darin aus, männliche Rollenexperimente lächerlich zu machen. Witzig sein ist beim Thema Männer, vor allem für Teile der Medien, das Allerwichtigste. Ich bin sehr dafür, dass wir uns selbst nicht furchtbar ernst und wichtig nehmen. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass in den letzten 20 Jahren eine Art kulturelle Umdeutung des Mannes vom geachteten Ernährer zum verspotteten Deppen stattgefunden hat. Einen wichtigen Beitrag dazu hat die popfeministische, manchmal auch schwullesbische Unterhaltungsbranche geleistet - etwa mit Filmen wie "Der bewegte Mann" oder scheinemanzipierten Groschenromanen wie "Das Superweib" oder "Beim nächsten Mann wird alles anders". In der Comedy-Szene hat die sexuelle Denunziation "Weichei" ein ganzes Genre von Gags nach sich gezogen. So schrieb ein hessisches Privatradio vor ein paar Jahren mit großem Erfolg einen Wettbewerb aus. Die Hörer konnten anrufen und mit immer neuen Wortkreationen Preise gewinnen. Auf den oberen Plätzen landeten Vokabeln wie "Frauenversteher" oder "Sitzpinkler".
In englischen Medien machten zur gleichen Zeit die so genannten "Lads" Furore - frei übersetzt sind das die "jungen Burschen". Prollige Fernsehshows und neuartige Herrenmagazine betrieben einen fröhlichen Kult um Saufen, Sport und Sex. Jenseits des Jammerns versuchten sie, als selbstbewusste Puffbesucher oder trinkende Fussballfans verloren gegangenes Männer-Terrain zurückzugewinnen. Denn nicht nur in den Unternehmen, wo der Pakt der alten Industriegesellschaft mit den Arbeitsmännern längst aufgekündigt wurde, auch im Privatleben können Männer heute keine bedingungslose Loyalität mehr erwarten - wenn sie etwa den weiblichen Ansprüchen an Versorgung und Vorzeigbarkeit nicht genügen. Schlecht qualifizierte Männer ohne Job leben seltener in festen Beziehungen, haben Sozialforscher ermittelt; auch der Heiratsmarkt funktioniert eben wie ein Markt.
Außer vielleicht in politischen Krisengebieten gibt es keine Welt mehr zu kontrollieren, keine Familie mehr zu schützen. "Frauen und Kinder zuerst" - die alte Gentleman-Devise, die beim Untergang der "Titanic" irischen Putzfrauen höhere Überlebenschancen garantierte als englischen Lords, wirkt heute wie das Relikt eines gönnerhaften Paternalismus, dem längst die Grundlagen entzogen sind. Die einst gefeierten "wilden Kerle" der Schwerindustrie sind die Hauptverlierer des wirtschaftlichen Umbruchs. Zumindest die westlichen Gesellschaften, so schreibt der amerikanische Männerautor Sam Keen, werden - Zitat - "von Stadtbewohnern männlichen Geschlechts mit sitzender Lebensweise regiert". Das Machtsymbol dieser hegemonialen Männlichkeit ist der Stuhl; nicht umsonst leitet der "Chairman" die Sitzungen. Muskeln dagegen zahlen sich nicht mehr aus in einer Umgebung, in der immer weniger Bau-, Stahl- oder Bergarbeiter gebraucht werden. Mit Ausnahme von Sportlern, deren Körper zu unserer Unterhaltung abgerichtet werden, kommen Männer hier zu Lande nicht mehr aufgrund von Bewegung voran.
Die neue Männerpresse, für die nicht mehr der altmodische "Playboy", sondern eher "Men's health" steht, will das angeschlagene Selbstbewusstsein ihrer Leser stärken. Nichts spricht dagegen, mit Gesundheitstipps den (für Männer alles andere als selbstverständlichen) bewussten Umgang mit dem eigenen Körper zu fördern. Was mich stört, ist, dass es eigentlich sogar im Kraftraum noch darum geht, am Arbeitsplatz besser zu funktionieren. Der "Chairman" braucht ja keinen Waschbrettbauch, um Sitzungen zu leiten. Die Devise heißt: Fit for fun, fit for job! Leistungssport und Leistungssteigerung im Unternehmen gehören zusammen: Nur wer seine körperlichen Kraftreserven aufbaut, fördert auch seine Karriere, lautet die Botschaft. Lance Armstrong ist das Vorbild, nicht Rainer Calmund.
Die amerikanische Feministin Susan Faludi vertritt die These, dass Männer sich heute ebenso wie Frauen "auf dem Markt der Eitelkeiten" behaupten müssen. In ihrem letzten Buch hat sie ein "betrogenes Geschlecht" beschrieben, das sich nicht mehr zurecht findet in der "Kampfarena des Ornamentalen", in einer Welt des schönen Scheins, in der sich nun auch Männer durch ihren Körper beweisen sollen. Äußerliche Merkmale der Attraktion haben auch deshalb an Gewicht gewonnen, weil sich gut verdienende Frauen mit Einladungen zum Essen oder teuren Autos kaum noch beeindrucken lassen. Bedeutsam ist der eigene "Body" gerade für Männer, die sich die Protzerei mit materiellen Reichtum ohnehin nicht leisten können. Umso wichtiger wird es, sich zumindest in der Erotik und Sexualität überlegen zu fühlen, kraftvolle Virilität zu demonstrieren und sich von abweichenden Lebensstilen abzugrenzen.
Windeln wechselnde Weicheier, Warmduscher oder auch die angeblichen "Bewohner des kollektiven Freizeitparks" - all diese männlichen Dissidenten haben nach solcher Lesart ein gemeinsames Problem: ihre "schwindende Machterotik". Da kommt beim schuftenden Teil der männlichen Bevölkerung dann wirklich Freude auf. Die Machterotik des Bandscheibenschadens, der Wortlosigkeit und der vier Flaschen Bier am Abend; der erotische Kick, der sich beim Heimkommen, Krimigucken und Müdewerden aufbaut; die knisternde Spannung der privaten Randständigkeit, der Überstunden und der Wampe, all das erfährt seine fröhliche Umdeutung: Ich bin ein ganzer Kerl und keiner dieser "neuen Männer".
Es verlangt in unserer Vielarbeiter-Kultur enormes Selbstbewusstsein, am Arbeitsplatz abweichendes Verhalten zu zeigen. Wer als Mann dort demonstrativ früher geht, um zum Beispiel sein Kind abzuholen oder auch nur zum Abendessen zu Hause zu sein, gilt schnell als Versager und Verweigerer. Viele Männer scheuen die Risiken, die damit verbunden sind, in ihrem Job eine ausgeprägte private Orientierung offen zu vertreten. Angesichts der wirtschaftlichen Lage überwiegen Resignation und Angst. Kann man in dieser Situation überhaupt noch über Visionen reden, positive Utopien entwickeln, sich den "Luxus" leisten, männliche Rollenentwürfe in Frage zu stellen?
Angst vor dem Abstieg
Verzagtheit und Angst vor dem Abstieg lauern bis tief in die Mittelschicht hinein. "Hartz IV" mit seiner Drohung, nach einem Jahr ohne Job sofort auf Sozialhilfeniveau abzuruschen, hat diese Tendenz verschärft. Die "Vollbeschäftigung", von der die Politiker so gerne reden, war in der Vergangenheit ja stets eine Vollbeschäftigung für Männer, sie sorgte für den regelmäßigen Familienlohn der vollerwerbstätigen männlichen Haushaltsvorstände. Arbeitslosenquoten um die ein Prozent, wie im deutschen "Wirtschaftswunder", waren nur möglich, weil die Frauen damals größtenteils am heimischen Herd geblieben sind. Jetzt aber funktioniert das alte männliche Arbeitskonzept "Vollzeit ohne Unterbrechung bis zur Rente" nicht mehr oder ist zumindest gefährdet. Das klassische Muster, ein Leben lang im selben Betrieb gut versorgt und sozial abgesichert zu arbeiten, wird zur Ausnahme. Männer sehen sich mit dem konfrontiert, was für Frauen schon immer der "Normalfall" war: mit unterbrochenen Erwerbsbiografien, mit dem vielzitierten "Patchwork", einem bunten Flickwerk aus befristeten Arbeitsverträgen, Teilzeit und Phasen eines freiwilligen oder auch erzwungenen Totalausstiegs.
Die Krise der Arbeit ist so besehen auch eine Krise der männlichen Identität, eine "Krise der Kerle", wie ich das in meinem letzten Buch genannt habe. Sicher betrifft das nicht alle Männer, parallel gibt es selbstverständlich weiterhin "vergoldete" Männerrollen und Nutznießer der "patricharchalen Dividende", wie das der australische Männerforscher Robert Connell nennt. Der Macht-Mann, der Eroberer von Märkten, der rund um den Erdball tätige globalisierte Mann, der Unternehmer-Spekulierer - solche Männer-Typen an der Spitze der Hierarchien korrespondieren mit einem bestimmten Arbeitshabitus. Dessen wichtigste Merkmale sind: ständige Bereitschaft und Verfügbarkeit, auch abends, am Wochenende oder im Urlaub; selbstverständliche Mehrarbeit über die tariflich festgelegte Zeit hinaus, auch ohne zusätzliche Entlohnung; absolute Priorität für berufliche Ziele, die stets Vorrang haben vor privaten Wünschen oder Verpflichtungen.
Das Problem liegt nun darin, dass sich nicht nur die Topmanager, sondern auch ganz normale Beschäftigte an dem beschriebenen Verhaltenskodex zu orientieren haben. Sie sind zum Beispiel konfrontiert mit Vorgesetzten, die in der britischen Debatte als "Dinosaur Dads", als Dinosaurier-Väter bezeichnet werden: Ältere Männer in Führungspositionen, die selbst "eine Frau zu Hause" haben und im Betrieb keine Zugeständnisse oder Rücksichtnahmen auf Familien- oder Freizeitinteressen ihrer Untergebenen zulassen. Oder Abteilungsleiter, die die Fragen von Männern nach Elternzeit oder reduzierten Arbeitszeiten mit vorgeschobenen Argumenten abweisen. Entsprechend zäh gestalten sich die Versuche einzelner, dagegen zu halten. Auf Veranstaltungen erzählen mir Männer: Völlig undenkbar, im Moment kann ich nicht auf eine 3/4-Stelle gehen, da fürchte ich, dass ich gleich rausfliege. Ein Vater berichtete, er sei gleich mit Kündigung bedroht worden, als er bei seinem Vorgesetzten wegen einer Babypause anfragte. Diese Männer sagen nicht: Das Meeting um 17 Uhr fällt für mich aus, ich gehe nämlich jetzt meinen Sohn abholen! Die meisten treffen eine vielleicht persönlich schmerzende, aber doch eindeutige Entscheidung zugunsten ihres Jobs - eine gewisse private Randständigkeit nehmen sie dafür in Kauf.
Mit Männern ins Gespräch kommen
Wie kann man im Sinne eines Gender-Dialogs mit solchen scheinbar "unbeweglichen" Männern ins Gespräch kommen? Sicher nicht, in dem man erstmal den Grundsatz postuliert, dass sie alle "soziale Idioten" sind. Erreichen kann man Männer nur, wenn man nicht mit Vorwürfen und Beleidigungen beginnt. Ich versuche zum Beispiel stets deutlich zu machen, dass auch Vollzeit arbeitende Väter gute Väter sein können. Oder dass, entgegen der These vom durchweg "faulen Geschlecht", die männliche Erwerbsarbeit zugleich Familienarbeit ist, die Ernährerrolle als eine männliche Form der Sorge betrachtet werden kann. Ebenso wichtig finde ich, die weibliche Beteiligung, ja Komplizenschaft an traditionellenn Lebensentwürfen anzusprechen. Der Versorgertraum vom Märchenprinzen, der
10 000 Euro im Monat verdient und trotzdem früh nach Hause kommt, ist ja keineswegs ausgeträumt. Und für Väter, die sich in ihrer Familie engagieren, lohnt es sich, einer übertriebenen weiblichen Definitionsmacht im Haushalt und bei der Kindererziehung ihren eigenen männlichen Weg entgegenzusetzen. Wenn Mama nach getaner Berufsarbeit einen schreienden Säugling vorfindet, muss das keineswegs an väterlicher Inkompetenz bei der Pflege liegen - vielleicht ist das Baby einfach nur müde. Und vielleicht sind auch Vorschläge wie die, sich nicht mehr jede Woche einen kompletten Hausputz zuzumuten, den Löwenanteil der Wäsche einfach mit 40 Grad zu waschen oder auf das Bügeln von Unterhosen zu verzichten, durchaus einen Gedanken wert.
Nicht nur im privaten, auch im öffentlichen Gender-Dialog sind Frauen manchmal sehr ungeduldig mit Männern. Es fällt ihnen schwer, selbst "egalitär" orientierten männlichen Beiträgen mit Neugier und Interesse zuzuhören. Zwei Kollegen aus der Männerforschung, Peter Döge und Rainer Volz, haben gerade das Buch "Weder Pascha noch Nestflüchter" herausgebracht: Anhand statistischer Daten aus dem soziologischen Panel haben sie untersucht, wie Männer ihre Zeit verwenden. Daraus ergab sich eine Kontroverse mit feministischen Wissenschaftlerinnen, die sich im Kern um die Frage drehte: Was ist Hausarbeit? Die Frauenforscherinnen hatten nämlich, so banal ist das manchmal, Tätigkeiten wie Autowartung oder Kleinreparaturen in der Wohnung einfach nicht dazugerechnet. Diese Tätigkeiten sind aber, manchen Vorurteilen zum Trotz, überwiegend meist keine männliche Selbstverwirklichung im Hobbykeller. Es geht zum Beispiel darum, dass das Fahrzeug läuft, mit dem die Kinder aus der Kita abgeholt oder Einkäufe erledigt werden. Selbstverständlich ist das auch Familienarbeit! Und mit abgestandenen Frauentagungs-Witzen wie der "verbalen Aufgeschlossenheit bei weitgehender Verhaltensstarre" oder der ebenso gerne zitierten männlichen "Scheu vor dem feuchten Textil" wird man der Sachlage einfach nicht gerecht.
Ein letztes Beispiel: Ich erlebe bei meinen Veranstaltungen regelmäßig, dass Frauen die geringe Zahl der männlichen Elternzeitler anführen, um das Thema "Neue Väter" zu diskreditieren. Wenn ich auf die schwedischen Papamonate zu sprechen komme, die Familienministerin Ursula von der Leyen jetzt lobenswerterweise auch in Deutschland einführen will, kommen skeptische weibliche Zwischenrufe wie "Elchjagd" oder gar "Fußballweltmeisterschaft". Die spielen dann darauf an, dass die schwedischen Männer auffällig oft in den Sommermonaten ihre Väterzeit nehmen. Was aber ist dagegen zu sagen? Wenn Sie sich mehr als zwei Monate Auszeit absolut nicht leisten können, würden Sie die dann bei Eis und Schnee nehmen? Und kann es nicht durchaus engagierte Väterlichkeit sein, mit seinem Sohn oder auch seiner Tochter zusammen Fußball zu gucken? In Deutschland ist die Zahl der männlichen Elternzeitler übrigens deutlich gestiegen: binnen drei Jahren von 1,5 auf 5 Prozent aller AntragstellerInnen. Auch das kann man nun sehr unterschiedlich kommentieren: So, wie es die meisten Zeitungen gemacht haben, mit dem Tenor "Männer sind immer noch die faulen Säcke!" Oder eben genauer hingucken und ermunternd feststellen, dass es sich um eine Steigerung von 300 Prozent in einem relativ kurzen Zeitraum handelt. Also zu registrieren, und da ist die Väterzeit ja nur ein Detail unter vielen, dass es zumindest zarte Pflänzchen männlicher Rollenemanzipation gibt; Pflänzchen, das gebe ich zu, die Frauen und Männer gemeinsam sorgfältig gießen müssen.
zur Person des Referenten
Dr. Thomas Gesterkamp lebt als Journalist und Buchautor in Köln.
Studium der Soziologie, Pdagogik und Publizistik, Promotion in Politikwissenschaft über "Männliche Arbeits- und Lebensstile in der Informationsgesellschaft".
Beiträge im Hörfunk, Texte in Tages- und Wochenzeitungen sowie in Sammelbänden und Fachzeitschriften. Daneben Tätigkeit als Referent, Hochschuldozent, Moderator und in der Weiterbildung; über 300 Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen im deutschsprachigen Raum.
Mitarbeit im "Männer-Väter-Forum Köln"; Mitbegründer des "Väter-Experten-Netz Deutschland" (VEND).
Buchveröffentlichungen:
"Hauptsache Arbeit? - Männer zwischen Beruf und Familie" (mit Dieter Schnack), Rowohlt Verlag, Reinbek 1996, Neuauflage als Taschenbuch 1998.
"Vater, Sohn und Männlichkeit" (u.a. mit Wassilios Fthenakis), Tyrolia Verlag, Innsbruck/Wien 2001.
"Gutesleben.de - Die neue Balance von Arbeit und Liebe", Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2002.
"Die Krise der Kerle - Männlicher Lebensstil und der Wandel der Arbeitsgesellschaft", LIT-Verlag, Münster 2004.
Kontakt:
Thomas Gesterkamp, Theodor-Schwann-Str. 13, 50735 Köln.
Telefon/Fax: 0221-7604899. E-Mail: thomas.gesterkamp@t-online.de
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