Mittwoch, 23. Dezember 2009

Doing Gender

Doing Gender

Von Rainer Paris

Eine Szene in Berlin-Friedenau. Zwei junge Männer führen einen großen Hund aus. Als der Hund sich anschickt, mitten auf dem Bürgersteig sein Geschäft zu verrichten, schlägt ihn sein Besitzer mit der Leine. Von der anderen Straßenseite ruft eine Frau mittleren Alters: »Hunde darf man nicht schlagen! Das macht sie bösartig!« Nach einer kurzen Pause der Verdutztheit ruft einer der Burschen in voller Lautstärke zurück: »Im Gegenteil: Hunde muß man schlagen! Und Frauen auch! Sonst werden sie nämlich bösartig.«

Doing Gender in Emanzenland. Das ist kein privater Ausbruch, sondern öffentlicher Geschlechterhaß. Was hier aufeinanderprallt, sind zwei ansonsten völlig separierte und zugleich durch Abscheu und Verachtung aneinandergekettete Lebenswelten. Nichts kann diesen Graben überbrücken. Gewiß haben Frauen und Männer seit je in unterschiedlichen, durchaus konfliktreich aufeinander bezogenen Universen gelebt - daß aber die Hoffnung auf Ergänzung und Harmonie, die Vorstellung, daß sie vielleicht trotz allem zusammenkommen könnten, so radikal geschwunden scheint, ist in der Tat neueren Datums: »Auf Mann und Frau wartet heute von Anfang an der Haß. So viel Schmutz und Verschmutzung zwischen den Geschlechtern war nie.« (Peter Handke)

Aufbruch und Falle

Wie ist es dazu gekommen? Die Antwort ist naturgemäß schwierig, nicht nur weil alles mit allem zusammenhängt, sondern auch weil das traditionelle »gemächliche« Modell des sozialen Wandels, wie wir es von Werner Sombart her kennen (Altes bleibt, Altes verändert sich, Neues tritt hinzu), der eruptiven Dynamik, dem Tumultartigen dieser Prozesse und der Reichweite der mentalen Umwälzungen kaum gerecht wird. Hier hat sich soziale Ordnung nicht nur verschoben, sondern ist etwas ganz elementar aus den Fugen geraten: Zur Disposition steht nicht weniger als die Anziehung der Geschlechter und das Minimalvertrauen zwischen Menschen, die sich zusammentun oder zumindest miteinander auskommen wollen.

Wir befinden uns also in schwerer See. Ja, schon die Tatsache, daß hier jedes Wort übergenau gewogen und abgewogen werden muß, ist selbst ein empirisches Datum: Indiz für die Umstelltheit von Prangern, die jedwede Unbefangenheit blockieren und nicht nur dem Soziologen das Leben schwermachen.

Trotzdem müssen die Mechanismen natürlich geklärt werden. Der erste ist die schrittweise Verschleifung diametraler normativer Prinzipien und Haltungen. Der eine Grundsatz lautet: Männer und Frauen sind gleichberechtigt und sollen über gleiche Teilhabechancen verfügen; das Grundaxiom der anderen Einstellung ist: Frauen sind bessere Menschen und Lesben bessere Frauen. Wird im ersten Fall nachdrücklich eine zivilisatorische Selbstverständlichkeit eingeklagt, so handelt es sich bei der zweiten Orientierung schlicht um rassistischen Unfug. (Rassismus ist die Bindung humaner Qualifizierungen an naturale Merkmale: Wo immer menschliche Höher- oder Minderwertigkeit ideologisch an Kriterien der Hautfarbe, der ethnischen Zugehörigkeit oder des Geschlechts - ersatzweise der sexuellen Orientierung - festgemacht und damit verkoppelt wird, liegt Rassismus vor.) Werden nun die beiden Argumentationsmuster und Legitimationsfolien propagandistisch vermischt, gewinnt die Emphase des feministischen Rassismus unweigerlich die Oberhand und färbt alle Aktivitäten ein.

Sicher ist das am Anfang nicht klar. Grundsätzlich ist die Aufbruchsphase sozialer Bewegungen, die Befreiung aus der Umklammerung der Tradition, ja gerade durch ein diffuses, inhaltlich höchst heterogenes Motivbündel gekennzeichnet, in dem unterschiedlichste Vorerfahrungen, Protestbedürfnisse und Emanzipationshoffnungen zusammenfließen. Verschiedene, häufig gegensätzliche Interessen und Vorstellungen stehen problemlos nebeneinander und werden in der allgemeinen Begeisterung nivelliert. Der Jubel über die Erlösung des Tuns reißt alle mit; die Vergangenheit scheint erloschen, die Zukunft ist strahlend und frei.

Allerdings bleibt es nicht dabei. Um die Empörung auf Dauer zu stellen und die Bewegung in Bewegung zu halten, setzen die Akteure eine Mechanik der Radikalisierung in Gang, deren Konsequenzen ihnen zunächst kaum bewußt sind und die sie schließlich überrollt. »Radikalismus heißt Dualismus«, hat Helmuth Plessner bündig formuliert. Ohne Selbstbornierung, ohne Rigorismus und Überentschiedenheit, bleibt der Protest zahnlos. Das Ergebnis ist eine Art Selbsterziehung zum Haß. Es ist der Primat des Handelns, der den Akteuren auferlegt, kognitive Differenzen zu verleugnen, in simplen Freund/Feind-Schemata zu argumentieren und Abweichung im Inneren nach der Logik von Häresie und Säuberung zu behandeln.

Nach und nach schält sich auf diese Weise eine aggressive Ideologie heraus, die die Aufklärungsimpulse des Anfangs durch Agitation und Propaganda ersetzt. Die Bewegungsbewegtheit funktioniert nun als eine Methode sozialer Selbstverdummung, eine Dummheit, die freilich deshalb besonders gefährlich ist, weil sie sich selbst ja gerade nicht als Unvermögen und Mangel, sondern im Gegenteil als eine höhere und zudem durch Fühlen - Befreiung und Gemeinschaft - beglaubigte Wahrheit begreift. Fortan gilt, was Dieter Claessens das Prinzip des ideologischen Utilitarismus genannt hat. Also nicht: »Die Wahrheit ist unsere Stärke«, sondern: »Wahr ist, was der Bewegung nützt«.

Gewiß ist diese Entwicklung weder linear noch zwangsläufig. Und es wäre auch ganz falsch, wollte man hier eindeutige Zäsuren, »Verrat« an den Zielen oder von vornherein böse Absicht unterstellen. Statt dessen vollzieht sich der Prozeß schleichend und subkutan, oft auch in einer merkwürdigen Amalgamiertheit von guten und schlechten Argumenten, wobei es häufig gerade die universalistischen, nach wie vor gültigen Protestgründe sind, die die Akteure zugleich in ihrem partikularistischen Extremismus bestärken und sie darin einmauern. Vor allem aber zieht der Vorrang strategischer Optionen nicht selten eine gravierende, den Akteuren selbst weitgehend verborgene Transformation des Glaubens und der Gesinnungen nach sich und macht sie schließlich zu Gefangenen ihrer eigenen Ideologie.

Richard Sennett nennt das Beispiel einer Bürgerinitiative im New Yorker Stadtteil Queens, in der sich alteingesessene, vorwiegend jüdische Einwohner eines Viertels gegen ein von der Stadtverwaltung initiiertes Ansiedlungsprojekt für schwarze Wohlfahrtsempfänger wandten.1) Als der Konflikt mit den Behörden eskalierte, lancierten sie die Vermutung einer antisemitischen Verschwörung in der Stadtverwaltung, obwohl sie, wie das Tagebuch des Konflikts belegt, dafür tatsächlich keinerlei Anhaltspunkte hatten. Nachdem sich aber diese propagandistische Strategie in unmittelbaren Konfrontationen und Mobilisierungserfolgen bewährte, versteiften sie sich immer mehr auf diese von ihnen »erfundene« Argumentation, so daß sie am Ende etwas wirklich glaubten, von dem sie zuvor nur vorgegeben hatten, es zu glauben.

Privatpolitik

Das alles gilt generell für soziale Bewegungen, insbesondere den Typus »neuer sozialer Bewegungen«, wie er in den letzten zwei, drei Jahrzehnten gang und gäbe geworden ist. Was jedoch Feminismus und Frauenbewegung von anderen Bewegungen dieser Ära unterscheidet und die skizzierte Dynamik noch einmal verschärft, ist ein Mechanismus, den ich analytisch als Externalisierungssperre bezeichnen möchte. Gemeint ist folgendes: Während man als Trotzkist, Autonomer, Friedensmensch oder Anti-AKW-Kämpfer all seine Wut und Protestenergie auf klar konturierte und zugleich weit entfernte »Zentren des Bösen« (George Bush, den militärisch-industriellen Komplex usw.) richten, den Feind also externalisieren kann und somit in seinem sonstigen Alltag im Grunde nicht weiter tangiert ist, lauert für die frauenbewegte Frau der Feind, also der männliche Unterdrücker, an allen Ecken und Enden: Zu Hause, auf der Straße, im Beruf - überall Männer! Sie sind einfach immer schon da. Und sie sind eben so da, wie sie nun mal sind: Sie reißen sexistische Witze, gehen in Kneipen oder zum Fußball und lassen den Abwasch liegen.

Nicht zufällig machte die Frauenbewegung deshalb den Slogan »Das Private ist politisch« zu ihrer Hauptparole. Mit desaströsen Folgen, wie sich zeigen sollte. Hat man sich nämlich erst einmal entsprechend gepolt, entdeckt man plötzlich überall Diskriminierungen: Höflichkeit wird Zurücksetzung und bekräftigt »traditionelle Rollenklischees« (aber auch der Verzicht darauf wird - zu Recht - als Mangel an Achtung und indirekte Brüskierung erlebt), Kontakte und Annäherungen werden zur »Anmache«, Hausarbeit ist von nun an Ausbeutung. Die Umwälzung der Wahrnehmung und Gewohnheiten ergreift den gesamten Alltag und krempelt ihn um. Daß das Private politisch sei, bedeutet vor allem: gnadenlose Politisierung der Privatheit, ideologische Rücksichtslosigkeit gegen andere, vor allem aber gegen sich selbst.

Das Zerstörerische und Selbstzerstörerische dieser Mechanismen ist bekannt. Wo alle Konvention und Rollenhaftigkeit verachtet und als Entfremdung erlebt wird, verlieren die Menschen die Fähigkeit, ihre Rollen und mit ihren Rollen zu spielen. Sie treiben sich jede Unbefangenheit aus und ersetzen Rollensouveränität durch Identitätsgetue. Sich unablässig zu fragen, was man »eigentlich« will oder fühlt, ist eine Methode, gar nichts zu wollen und zu fühlen. Gleichzeitig errichtet die Sprache der Ideologie ihr unentrinnbares kognitives und affektives Regime: Es gibt keinen Aspekt, keine Nuance des Zusammenlebens, die von ihrer destruktiven Verallgemeinerung verschont bliebe. Dies gilt nicht zuletzt für die Sexualität, das Individuellste überhaupt. Camille Paglia findet hierfür ein plastisches Bild: Die Sexualität dem Feminismus zu überlassen, sei ungefähr so, als würde man seinen Hund während des Urlaubs beim Tierpräparator in Pflege geben.

Korrosionen der Normalität

Nichts erhöht das Aggressionsniveau einer Gesellschaft mehr als die Vergiftung der Geschlechterverhältnisse. Sie raubt den Menschen das emotionale Hinterland, die Hoffnung, daß es jenseits der privaten Miseren und Katastrophen vielleicht doch eine Chance von Glück geben könnte. Wenn sich bei einer relevanten Minderheit von Männern das Grundgefühl ausbreitet, daß es keine Frauen mehr gibt, zumindest keine, die es wert scheinen, begehrt zu werden, so ist dies in seinen atmosphärischen Auswirkungen und Folgen für die mentale Verfaßtheit der gesamten Gesellschaft kaum zu unterschätzen.

Das fällt zunächst nicht so auf: Wenn es keine Frauen mehr gibt, muß man sich eben ans Auto halten. Und ein bißchen Sex wird sich überall finden. Nicht nur Michael Schumacher, auch Beate Uhse muß sich bei Alice Schwarzer bedanken.

Trotzdem sind es vor allem die Frauen, die die Zeche zahlen. In einer Gesellschaft der forcierten Individualisierung und der rapiden Zunahme des Alleinlebens trifft sie die Vertiefung der Gräben zwischen den Geschlechtern am härtesten. Zu dieser Ausweglosigkeit und den Fallstricken moderner weiblicher Biographien hat der französische Soziologe Jean-Claude Kaufmann eine brillante Studie vorgelegt.2) Abgeschnitten vom traditionellen Modell des Privatlebens (Mann, Kind, Haus), das sie als »erhobenen Zeigefinger« gleichwohl tief verinnerlicht hat, findet sich die solo lebende Frau im gesellschaftlichen und emotionalen Niemandsland wieder. Umstellt von Bildern des Paares und der Familie erlebt sie sich auch dort als zerrissen und defizitär, wo sie beruflich erfolgreich und nach außen hin alles in Ordnung ist. Ja mehr noch: Gerade die Perfektheit des schönen Scheins, mit dem sie ihr Leid zu kompensieren sucht, sondert sie immer stärker von den wenigen noch in Frage kommenden Männern ab und zwingt sie, die »Flugbahn der Autonomie« fortzusetzen. Um sich ihren Nachteil erträglich zu machen, akzentuiert sie die Vorteile ihres Nachteils, die den Nachteil wiederum zementieren.

Das empirische Material, das Kaufmanns Analyse zugrunde liegt, ist eine Kollektion von 154 Briefen, in denen alleinlebende Frauen auf Initiative einer Frauenzeitschrift ihr Singleleben beschrieben. Also keine repräsentative Stichprobe, aber eine reichhaltige Basis für eine systematische Interpretation typischer Muster und Bewältigungsstrategien. Bei der Auswertung war der Forscher selbst überrascht, in welchem Ausmaß sich in fast allen dieser Briefe »Märchenprinzen« tummelten: Auf ihn, den der Feminismus endgültig ausgerottet wähnte, konzentriert sich in Wirklichkeit alles Wünschen und Sehnen dieser Frauen, nach seinem Arm verzehren sie sich, um ihrer Haltlosigkeit zu entfliehen. Dabei hat der Märchenprinz oft mehrere, je nach Stimmung und Situation wechselnde Gesichter: mal strahlender Held, mal starker und verläßlicher Partner, der dann jedoch nicht selten erneut in den Hintergrund tritt und zum Papa eines weiteren kleinen Prinzen mutiert. Es ist das Grundmuster der Erlösung: Ihn endlich zu treffen, würde auf einen Schlag alles fruchtlose Grübeln und Hadern, alles Leiden an sich selbst beenden und den »erhobenen Zeigefinger« für immer verscheuchen.

Gleichwohl sind die weiblichen Singleschicksale sehr verschieden. Wo die materielle Ressourcenbasis gut und der kreative Betätigungsdrang stark ist, kann es den Frauen am Ende gelingen, die Rastlosigkeit ihrer öffentlichen Existenz zu ihrer »zweiten Natur« zu machen und ihre Selbständigkeit trotz aller Zwiespältigkeit überwiegend zu genießen; je mehr sich jedoch eine prekäre Soziallage, zunehmende Isolation und Resignation zu einer ausschließlich passiven Haltung des Wartens auf den ersehnten Märchenprinzen verdichten, um so mehr versinken sie nach und nach in bitterste Einsamkeit und Verzweiflung.

»Mißbrauch«, Gewalt, Machtverdacht

Was die Hürden so hoch und Kontakte so schwierig macht, ist zum einen die Diskrepanz zwischen »wahnwitzigen Hoffnungen« (Kaufmann) und realen Möglichkeiten; gleichzeitig sind die vertrackten Verhältnisse jedoch auch Konsequenz einer generellen Zerstörung von erotischer Kultur und Geschlechtervertrauen. Die Vehikel dieser Zerstörung sind allgegenwärtig: »Mißbrauch«, »Gewalt gegen Frauen«, »sexuelle Belästigung«.

In einem als wissenschaftliche Hausarbeit deklarierten Text las ich einmal den Satz: »Gewalt ist ein männliches Prinzip.« Ob solchen Unsinns in der Sprechstunde zur Rede gestellt, geriet die Studentin, die ihn verfaßt hatte, völlig aus dem Häuschen: Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie man glauben könne, daß das nicht so sei. Auch Nachfragen zum Gewaltbegriff, zur Dynamik häuslicher Gewalt usw. fruchteten nichts. Sie wußte gar nichts, das aber mit einer Inbrunst, daß einem angst und bange werden konnte. Irgendwann zog sie beleidigt ab, vermutlich mit dem Gefühl, soeben Opfer männlicher Gewalt geworden zu sein.

Die Strickmuster der feministischen Kampagnen sind ebenso simpel wie erfolgreich: Man verschleift und entgrenzt die Begriffe (etwa des »Objekts« und des »Opfers«, vom Gewaltbegriff ganz zu schweigen), konnotiert sie immer schon sexuell und lädt sie so affektiv auf, verallgemeinert drauflos (Väter sind Täter) und beansprucht zugleich totale Definitionsmacht (Belästigung ist, was frau als Belästigung empfindet); parallel dazu usurpiert man das »objektive Interesse« der Frauen und macht sich auf diese Weise - auch gegen Verräterinnen - unangreifbar. Es ist im Grunde das stalinistische Prinzip der Installierung von Totschlagbegriffen: Ebenso wie in der DDR jede Kritik am Politbüro sofort den »Frieden« gefährdete, ist jeder Widerspruch, jedes Nichtbejubeln feministischer Propaganda automatisch »Frauenfeindschaft«.

Diskurse dieser Art verwüsten ganze Gesellschaften. Ob sie die tatsächliche Gewalt minimieren, ist unklar; in jedem Fall schaffen sie eine alles durchdringende Atmosphäre des Mißtrauens, eine Kultur des Verdachts. Sie entmischen die Wahrnehmung der Geschlechterverhältnisse und reduzieren diese auf ihre pure Machtdimension. Gleichzeitig hat das ideologische Vorurteil von den realen Machtbalancen in Familien und Paarbeziehungen kaum eine Ahnung. Häufig gefallen sich die Männer in der Pose der Entscheidung - und die Frauen entscheiden. Gerade als strukturell Abhängige und Mindermächtige sind sie gezwungen, mit ihren geringeren Ressourcen sorgsam hauszuhalten und strategisch auf andere - subtilere - Machtmethoden, Informationsmanöver oder emotionale Erpressung, auszuweichen.

Am verheerendsten sind die Auswirkungen des längst in die dominante Kultur eingewanderten feministischen Macht- und Gewaltdiskurses natürlich für das Schicksal von Liebe und Erotik. Der rassistische Machtverdacht zerstört das Reich des Als-ob und macht aus Liebenden Lauernde. Wo die ideologische Übereindeutigkeit regiert, ist das Spiel mit Fiktionen, mit Nuancen und Andeutungen, Versprechungen und Versagung vorbei. Es gibt keinen Raum mehr für Ambivalenz und Phantasie, die Erotik stirbt ab. Obschon häufig mit asymmetrischen Abhängigkeiten vermischt, ist es für Liebesbeziehungen ruinös, wenn die Machtrelevanzen vom situativen Hintergrund ins Zentrum des Wahrnehmungsfeldes gelangen und alles andere einfärben. Aus der Gleichheit der Liebenden macht die Macht Sieger und Besiegte. Deshalb verliert in interpersonellen Machtkämpfen am Ende auch der Gewinner: Mit der Durchsetzung seines Willens vernichtet er zugleich die prinzipielle Freiwilligkeit der Zuneigung und Anerkennung, auf die es in solchen Verhältnissen letztlich immer ankommt.

Preis der Gleichheit

In dem Film American Beauty stellt sich ein neu zugezogenes schwules Pärchen bei seinem Nachbarn vor und verkündet stolz: »Wir sind Partner.« Darauf der Nachbar: »In welcher Branche?«

Grundsätzlich lassen sich in der Soziologie der Paarbeziehung zwei Typen oder Bilder von Paaren unterscheiden und gegenüberstellen: asymmetrische Harmonie und kommunikative Partnerschaft. Im traditionellen Modell der asymmetrischen Harmonie sind Männer und Frauen verschieden, haben unterschiedliche Rollen und Aufgaben und ergänzen sich, wenn es gut geht, harmonisch. Ihre Verschiedenheit begründet erotische Spannung und Anziehung, die Identitäten sind klar verteilt, jeder weiß (oder glaubt zu wissen), wer er ist und was von ihm erwartet wird. Die Konvention funktioniert als Folie der Individualität und strukturiert das Gefühls- und Zusammenleben. Die positionale Asymmetrie wird nicht in Frage gestellt und erlaubt deshalb trotz des darin fixierten Machtgefälles wechselseitige Anerkennung und Respekt.

Demgegenüber steht die kommunikative Partnerschaft unter dem Diktat der Gleichheit. Wenn die Liebenden früherer Zeiten sich heute »Partner« nennen (vom Unwort der »Beziehung« ganz zu schweigen), ist dies von weitreichender Bedeutung. Es verschiebt den Akzent von den Affekten und Leidenschaften auf den gemeinsamen Sachbezug. Partnerschaft ist im Kern ein Miteinander, kein Füreinander. Männer und Frauen sind in diesem Modell gleichberechtigte Individuen, die gemeinsame Ziele haben und sie zusammen verwirklichen. Freilich ist unklar, wie die abstrakte Gleichheitsnorm situativ konkretisiert werden kann, was gleiche Rechte, Pflichten und Lasten jeweils im einzelnen bedeuten: Darüber muß fortan diskutiert werden. Die Herstellung der Gleichheit ist nur auf dem Wege ständiger Kommunikation und Konsensbildung möglich.

Beide Formen haben Vor- und Nachteile. Im Ideal der asymmetrischen Harmonie sind die Verhältnisse klar und können deshalb (innerhalb dieses Rahmens) mitunter spielerisch variiert werden. Die kommunikative Partnerschaft hingegen läßt scheinbar alles offen und ermöglicht dem Paar, sich selbst zu erfinden. Das ist, wo Rollenvorlagen fehlen oder diskreditiert sind und die Partner an ihrer »Selbstverwirklichung« basteln, naturgemäß nicht so einfach; dennoch hilft ihnen die Verliebtheit zunächst darüber hinweg und erlaubt, gerade weil sie nicht wissen, was sie tun und mit ihnen geschieht, den schrittweisen Aufbau gemeinsamer Arrangements und Gewohnheiten.

Trotzdem erlegt ihnen die Verpflichtung zur Egalität auch im Alltag eine charakteristische Relevanzstaffelung auf: Gerade die Gleichen müssen sich ständig vergleichen, um sich ihrer Gleichheit zu versichern. Um nicht übervorteilt zu werden, muß man sich auf gemeinsame Maßstäbe einigen, die Leistungen messen und kontrollieren, jeweils neu definieren, was »Leistung« ist usw. Zwar beruht auch das traditionelle Modell auf einem unausgesprochenen »Ehevertrag«, der im variablen Verlauf der Beziehung beständig revidiert und uminterpretiert wird; die kommunikative Partnerschaft jedoch läuft Gefahr, daß aus dem impliziten Aushandeln der Beziehung, das immer und ohnehin stattfindet, ein explizites Verhandeln und strategisches Aufrechnen wird, in dem - gerade unter dem Vorzeichen der Gleichheit - einer wechselseitigen Instrumentalisierung oder gar Ausbeutung Tür und Tor geöffnet sind.

Das eigentliche Problem aber ist das Austilgen der Verschiedenheit. Der permanente Vergleich läßt die Spannung erlahmen, im Furor des Prinzips legt man den anderen fest und taucht alles ins Säurebad der Diskussion. Wo Gegensätze um jeden Preis überwunden werden sollen, treibt man die Anziehung ab, die aus ihnen entsteht. Es ist ja gerade das Anderssein, die letztendliche Unergründlichkeit des anderen, an dem sich die Wünsche und Phantasien entzünden. Dabei wird das Wichtigste stets mehr oder minder ungesagt bleiben. Man muß sich einfach entscheiden: Romantik oder Konsens. Leopold von Wiese, der von der Soziologie der Liebe und Erotik, vom Flimmern in den Beziehungen zwischen den Geschlechtern ungleich mehr verstand als die meisten Protagonisten der »Geschlechtersoziologie« heute, meinte einmal, es sei nicht gut, von diesen Dingen allzuviel zu reden. Und deshalb höre ich hier damit auf.

1) Richard Sennett, Verfall und Ende des öffentlichen Lebens. Die Tyrannei der Intimität. Frankfurt: Fischer 1983.

2) Jean-Claude Kaufmann, Singlefrau und Märchenprinz. Über die Einsamkeit moderner Frauen. Konstanz: UVK 2002.

© Merkur, Nr. 649, Mai 2003

Keine Kommentare: