Freitag, 19. Oktober 2007

Mit links geht das nicht

Gender Mainstreaming, dieser Versuch, Geschlechterrollen, biologische Gegebenheiten der Beliebigkeit preis zu geben, erzeugt Schäden.

Was geschieht, wenn Prägungen ignoriert werden, wenn Naturgegebene ignoriert wird, das zeigt der folgende Artikel aus der FAZ.



Linkshänder

Mit links geht das nicht

Von Katrin Hummel


Ein Linkshänder kann nie vollständig die Seite wechseln

19. Oktober 2007
Simone Bartels brachte ihren fünfjährigen Sohn ins Bett und wünschte ihm eine gute Nacht. Da sagte Leon: „Ich will kein blöder Junge sein. Immer machen im Kindergarten nur die anderen Kinder was richtig. Ich will nicht mehr leben.“


Die Zweiundvierzigjährige meint rückblickend: „Ich war total erschrocken, hab' mir das aber nicht anmerken lassen.“ Stattdessen streichelte sie ihm über den Rücken, zeigte ihm ihre Muskeln, sagte, dass sie ganz stark sei und ihm helfen werde und der Papa auch. Und dass man Lösungen finde, wenn man stark ist.


„Er ist geschädigt fürs ganze Leben“


Wochenlang hielt Bartels, eine ausgebildete Familientherapeutin, bei jedem Fußmarsch seine Hand, ließ ihn den Kopf heben und die Bäume anschauen. Der Vater, ein Geschäftsführer, reduzierte seine Stelle um 50 Prozent, sie selbst um 80, um für Leon da zu sein.


Simone Bartels aber weiß: „Er ist geschädigt fürs ganze Leben, traumatisiert, verhaltensverändert.“ Leon wurde im Kindergarten vom Linkshänder zum Rechtshänder gemacht. Die Familie hat daran gedacht, eine Erzieherin wegen Körperverletzung anzuzeigen, aber es ist ein kleiner Ort, und da überlegt man sich doppelt gut, was das bringt.


Der Kindergarten veränderte Leon


Aufgrund der leichten Fehlstellung eines Halswirbels ist Leon schon als Baby physiotherapeutisch behandelt und in seiner Entwicklung genau beobachtet worden. Seine Mutter, die den wahren Namen ihrer Familie nicht veröffentlicht sehen möchte, kann daher mit Sicherheit sagen, dass er vor seinem Eintritt in den Kindergarten Linkshänder war: Er hat den Schnuller mit links genommen, mit links die Autos gegriffen und mit links gemalt.


Doch als er in den Kindergarten kam, benutzte er immer häufiger die rechte Hand, und gleichzeitig veränderte er sich. Aus dem fröhlichen und neugierigen wurde im Laufe von zwei Jahren ein trauriger und frustrierter Junge. Nichts wollte ihm gelingen, die Erzieherinnen waren zunehmend genervt: Er kann nicht ausschneiden, keine Menschen malen, und er hat dazu auch keine Lust. In zwei Jahren malte er fünf Bilder, zwei davon bestehen nur aus jeweils drei Linien. „Nach mehreren Aufforderungen überreichte man mir die Bilder mit großer Verachtung in einer Plastiktüte, ein andermal reichte man mir wortlos ein leeres Blatt“, erinnert sich Simone Bartels.


Der Junge sollte die „schöne Hand“ benutzen


Von ihrem Sohn erfuhr sie, dass beim Basteln und Malen die anderen Kinder gelobt werden, man ihm hingegen schlechte Gefühle mache. Im Kindergarten sollte er beim Malen die Hand auf den Tisch legen, die linke. Befreundete Eltern beobachteten im Kindergarten, wie Leon angehalten wurde, die „schöne Hand“ zu benutzen. Beim Malen sei er „angemeckert“ worden.


Eine Linkshänderschere boten die Erzieherinnen ihm nicht an. Malvorlagen sind so ausgerichtet, dass man als Linkshänder die Vorlage mit dem Arm überdeckt, Leon konnte sie nicht bearbeiten. „Daraus wurde dann auf ausgedehnte Entwicklungsrückstände geschlossen“, sagt Simone Bartels. „Und man sah das negative Bild von dem Kind bestätigt.“


„Ich bin zu blöd für die normale Schule“


Gleichzeitig äußerte sich Leon zunehmend negativ über sich selbst. Zunächst ging es dabei nur ums Malen (“Ich bin nicht so ein Supermaler“), später um seine gesamte Person: „Ich bin zu dumm“, „zurückgeblieben“, „ich mache alles falsch“, „ich bin zu blöd für die normale Schule, sagt Frau . . .“. Bei der Schuluntersuchung fielen diese Äußerungen auf. Die Schulärztin empfahl eine Überprüfung der Händigkeit. Sie ergab, dass er ohne jeden Zweifel Linkshänder ist.


„Leon ist tief gekränkt und bekümmert“, sagt seine Mutter, „er will unbedingt beweisen, dass er auch irgend etwas gut kann.“ Mit fünf machte er das silberne Schwimmabzeichen, obwohl er für einen Seepferdchenkurs angemeldet war. Mit eisernem Willen schwamm er Bahn um Bahn. Er will unbedingt Muskeln aufbauen, fechten lernen und zum Mond fliegen. Ein Intelligenztest an einer Uniklinik, den er neben zahlreichen anderen Untersuchungen machen musste, um ein Rezept für Ergotherapie zu erhalten, ergab einen IQ von mehr als 140.


Händigkeit ist Hirnigkeit


Doch während andere hochbegabte Kinder häufig eingeschult werden, wenn sie noch gar nicht sechs sind, täte es Leon gut, selbst mit sieben noch nicht in die Schule zu gehen, meinen seine Eltern und die Linkshänderberaterin, die ihn inzwischen betreut. Denn obwohl er die kognitiven Fähigkeiten dazu schon lange besitzt, arbeitet er wegen seiner gestörten Händigkeit sehr langsam: Für alles, was sie mit der rechten Hand tun, müssen umgeschulte Linkshänder aufgrund der Umwege, die ihr Gehirn beim Denken macht, etwa 30 Prozent mehr kognitive Leistung aufwenden, sagt die Psychologin Barbara Sattler, Leiterin der Beratungsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder in München.


Sattler hat das knapp 400 Seiten starke Standardwerk zum Thema geschrieben. Ihr Fazit ist: Händigkeit ist Hirnigkeit - die Händigkeit ist abhängig von der motorischen Dominanz der jeweiligen Gehirnhälfte, und die ist angeboren. Wenn ein Linkshänder im Kindergartenalter mit rechts arbeitet, muss die neuronale und biochemische Interaktion zwischen seinen Gehirnhälften umstrukturiert werden. In Amerika bezeichnet man die Umschulung daher als „brain breaking“, als Brechen des Gehirns.


Umschulung massiver Eingriff in das Gehirn


Auch der Kieler Neurologe Hartwig Siebner und sein Freiburger Kollege Stefan Klöppel haben bei Versuchen mit einem Kernspintomographen nachgewiesen, dass sich Linkshänder niemals vollständig zu Rechtshändern umpolen lassen. Bei umgeschulten Menschen verlagerten sich zwar die Bereiche, die direkt an der Bewegungssteuerung beteiligt sind, zunehmend in die linke Hirnhälfte, die bei Rechtshändern dominant ist, heißt es in ihrer Arbeit. Die übergeordneten Regionen jedoch, die an der Planung und Kontrolle von Bewegungen teilnehmen, blieben zeitlebens am selben Ort.


Für typisch hält Barbara Sattler, was Leon passiert ist. Die Umschulung der angeborenen Händigkeit sei ein massiver Eingriff in das menschliche Gehirn, sie könne zu feinmotorischen Störungen und vielem mehr führen. Weil aber die natürliche Intelligenz des Kindes erhalten bleibe, führe das zu psychischen Irritationen. Das könne zahlreiche Sekundärfolgen haben: Unsicherheit, Überkompensation, emotionale Probleme bis ins Erwachsenenalter hinein oder Störungen im Persönlichkeitsbild.


Die Brote schmiert er sich mit links


Eine Lösung für Leons Schwierigkeiten ist nach Meinung seiner Linkshänderberaterin nur in Sicht, wenn er künftig wieder mit der linken Hand schreibt und malt. Doch auch das ist nicht so einfach, obwohl er inzwischen einen anderen Kindergarten besucht.


Denn nun ist die rechte Hand trainiert und ein bisschen geschickter. Wenn er müde ist, benutzt er immer die rechte. Etwas Besserung ist immerhin in Sicht. Leons Gang hat sich verändert, seine Mutter sagt, er gehe jetzt aufrechter als vorher, und seine Schultern sind muskulös. „Alle sagen: Er sieht ganz anders aus.“ Seine Brote schmiert er sich selbst, und zwar mit links. Auch sein Fahrrad schließt er mit links auf.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: dpa

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