Samstag, 17. November 2007

Von Sex zu Gender - und wieder zurück?

Thomas Mohrs
Von „Sex“ zu „Gender“ – und wieder zurück?
Nachdenkliche Überlegungen zur Gender-Philosophie


Vorbemerkung:

Da der Titel meines Beitrags durchaus zu gewissen Missverständnissen Anlass geben könnte, weil die Formulierung „und wieder zurück“ in dem Sinne verstanden werden kann, dass es mir um ein „Zurück“ in vor-feministische Zeiten naturalistisch (oder sonstwie) „begründeter“ männlicher Dominanzansprüche gegenüber den Frauen geht, möchte ich in einem ersten Schritt klarstellen:

1. Wie der Beitragstitel (nicht) zu verstehen ist
Daniela Wawra erläutert in ihrem Grundlagen-Beitrag zu diesem Band vier Paradigmen zur Geschlechterdifferenz (vgl. Wawra, i. d. Band: ##):
  1. Erstens das ursprüngliche Defizitparadigma, das von der natürlichen Minderwertigkeit der Frau gegenüber dem Mann ausging;
  2. zweitens das Dominanz-Paradigma, das von einem keineswegs natürlichen, sondern bloß anerzogenen Macht- und Dominanzanspruch der Männer ausging, gegen den der Feminismus anzukämpfen habe;
  3. drittens das Differenz-Paradigma, das von der natürlichen Verschiedenheit der Geschlechter und auch der Geschlechterrollen ausging, jedoch keinerlei hierarchische Wertung zwischen den Geschlechtern gelten lassen wollte, und schließlich
  4. viertens das konstruktivistische Paradigma, für das zumindest „Gender“ als soziales Geschlecht keineswegs etwas Naturgegebenes ist, das dem „Wesen“ des weiblichen oder männlichen Geschlechts entspricht, sondern ausschließlich und vollständig soziokulturelles Konstrukt, und als solches kontingent und veränderbar.
In meinem Titel meines Aufsatzes steht nun „Sex“ für das Defizitparadigma.
„Von ‚Sex‘ zu ‚Gender‘“ signalisiert, dass dieses Defizitparadigma (zumindest in unserem Kulturkreis) inzwischen weitgehend überwunden wurde.
Und „Gender“ steht für das gegenwärtig in der Gender-Forschung vorherrschende konstruktivistische Paradigma, die These also, dass die soziale Inszenierung der Geschlechterrollen vollständig von der Biologie bzw. jeglichem biologischen „Essentialismus“ zu entkoppeln sei.
Doch das „und wieder zurück“ soll nun definitiv nicht besagen, dass ich das konstruktivistische Paradigma für völlig falsch halte oder gar für ein Zurück zum Defizitparadigma plädiere! Allerdings deutet die Formulierung „und wieder zurück“ – bewusst verbunden mit einem problematisierenden Fragezeichen – sehr wohl an, dass ich mit dem konstruktivistischen Paradigma erhebliche Probleme habe – jedenfalls mit bestimmten Auswüchsen dieses Paradigmas.

An dieser Stelle möchte ich mich daher nochmal kurz auf Daniela Wawra beziehen, die in ihrem Beitrag mutig dafür plädiert, evolutionsbiologische Ansätze in der Gender-Forschung nicht von vornherein und kategorisch auszuschließen, nur weil man befürchtet, damit am Diktat der „political correctness“ anzuecken (vgl. Wawra, i. d. Band: ##). Und für dieses Plädoyer bin ich ihr dankbar, da ich in meinem Beitrag eben einen Blick auf die Sex-Gender-Problematik darstellen möchte, der auf der evolutionären Anthropologie fußt.

Dieser „Blick“ versteht sich zudem zum Teil als Ergänzung zum ebenfalls evolutionstheoretisch fundierten Beitrag von Rudolf Emons zu unterschiedlichen Partnerwahlpräferenzen (vgl. Emons, i. d. Band: ##); zum Teil aber auch als „fundamental-anthropologische“ Vertiefung einiger der dort vertretenen Thesen.

Bevor ich aber zur Darstellung dieses evolutionär-anthropologischen Blicks auf die Sex-Gender-Problematik komme, möchte ich zunächst aus philosophischer Perspektive etwas genauer begründen, wieso ich (erhebliche) Probleme mit dem konstruktivistischen Paradigma habe.

2. Begriffliche Probleme des konstruktivistischen Paradigmas
Schauen wir uns zunächst einige (willkürlich aus der Literatur ausgewählte) „paradigmatische“ Definitionen des konstruktivistischen Paradigmas an:

„Geschlechtsunterschiede im Verhalten und Erleben sind nicht biologisch angelegt; sie werden sozial hergestellt oder sind das Produkt kognitiver Verarbeitungs-prozesse.“ (Bischof-Köhler 2002: 369)
„Seine [d. h. des radikalen Feminismus; T. M.] wesentlichen Merkmale sind: die absolute Weigerung, sich eine Idee von ‚der Frau‘ außerhalb des gesellschaftlichen Kontexts zu machen, und das Wissen, dass die soziale Existenz von Frauen und Männern nicht abhängig ist von ihrer weiblichen oder männlichen Natur, von der Form ihres anatomischen Geschlechts.“ (zitiert nach Bischof-Köhler 2002: 172)

„»Etwas Unveränderbares, das einen wie auch immer gearteten ... Kern von Geschlecht ausmachen würde, gibt es in dieser [konstruktivistischen; T. M.] Perspektive nicht«.“ (Giuliani 2001: 207)

„»Geschlecht lässt sich in diesem Sinn bestimmen als selbstproduziertes Phänomen, das in weiten Bereichen als quasi naturgegeben erfahren wird. Es handelt sich um keine biologische Kategorie und nicht um ein Merkmal, das Personen lebenslänglich und unverändert anhaftet«.“ (Giuliani 2001: 207)

„Die These, daß das Geschlecht eine soziale und kulturelle Konstruktion sei, gehört mittlerweile zu den unangefochtenen Grundüberzeugungen der Frauenforschung und der Gender Studies. Sie richtet sich vor allem geegn die Auffassungen, Geschlechtsprädikate würden wesentliche Eigenschaften denotieren und aus biologisch feststellbaren Differenzen abzuleiten sein. Gegen den »Essentialismus« und »Biologismus« behauptet der feministische Konstruktivismus, das »Geschlechteridentität« sozial und kulturell hergestellt werde und somit veränderbar sei.“ (Trettin 2001: 173)

Wohlan! „Gender“ ist gemacht! Und für die Ober-Konstruktivistin Judith Butler ist sogar nicht nur „Gender“ eine rein sozio-kulturelle, gemachte, konstruktivkontingente Kategorie, sondern das Gleiche gilt auch für den Begriff „Sex“. Denn auch der Begriff „Sex“ ist ein sprachliches Gebilde und als sprachliches Gebilde per definitionem kulturelles Phänomen, folglich wie schlechterdings alles Kultürliche Konstrukt.

Dementsprechend ist auch der Biologe, der da meint, in seinen biologischen Analysen zur Geschlechterdifferenz etwas „Objek-tives“ oder „Substanzielles“ zu erforschen oder zu beschreiben, aus radikal-konstruktivistischer Sicht darauf hinzuweisen, dass auch seine ganze „Wissenschaft“ mitsamt ihrer Methodologie und ihren Instrumenten ein kulturelles Phänomen ist, folglich Konstrukt.

Und Geschlechteridentitäten – also die Identität als Mann und als Frau – haben nach Butler folglich nichts mit Biologie oder natürlicher Wesenhaftigkeit zu tun, sondern mit „Habitualisierung und Sanktion“. Das leibliche Selbst erlangt „Wirklichkeit und Kontinuität durch Wiederholung, durch Eingewöhnung, durch performative Akte: die Geschlechterkategorie wird »durch wiederholte Akte gestiftet«“ (zitiert nach Giuliani 2001: 210; vgl. Nagl-Docekal 22001: 52 ff.).

Doch dieser radikale Konstruktivismus führt, wenn man ihn konsequent zu Ende denkt, zu einer Reihe von massiven begrifflichen Problemen (vgl. Nagl-Docekal 22001: 57).
So stellt sich zum Beispiel die Frage:

a) Wer konstruiert die Geschlechterkonstrukte?
Auf den ersten Blick scheint dies eine nicht sehr intelligente Frage zu sein. Denn selbstverständlich lautet die Antwort, dass die Geschlechterkonstrukte von Menschen konstruiert werden, und zwar in praktisch allen bekannten Kulturen der Menschheitsgeschichte vor allem von Männern, die durch die Schaffung spezifischer Geschlechterrollenkonstrukte nur ihre eigene Machtposition begründen bzw. festigen woll(t)en. Aber Moment! Auch die Geschlechterrollenidentität dieser Geschlechterrollen konstruierenden Männer war (bzw. ist) doch konstruiert.

Von wem? Von Menschen, deren jeweilige Geschlechterrollenidentität konstruiert war.
Vom wem? Von Menschen, deren jeweilige Geschlechterrollenidentität konstruiert war.
Von wem? Von Menschen, deren Geschlechterrollenidentität ...

Wohin führt das? Zu irgendeiner realen, objektiven, substanziellen Grundlage? Dann muss der Konstruktivismus seine Kernthese, dass jegliche Geschlechterrollenidentitäten sozusagen „rückstandslos“ soziale Konstrukte sind, wohl einmal gründlich überdenken.

Hält er aber an dieser These fest, schlittert er unweigerlich in einen unendlichen Regress und damit in die völlige philosophische Grund-Losigkeit seiner selbst und damit der gesamten konstruktivistisch fundierten Gender-Forschung.

Zudem verliert der feministische Konstruktivismus dann (was durchaus eine gewisse Komik hat) in letzter Konsequenz seinen Forschungsgegenstand – es
gibt nämlich keine „wirklichen“ Frauen und keine „wirklichen“ Männer mehr, sondern nur historisch kontingente Konstrukte. [Vgl. zu dieser Argumentation Giuliani 2001: 208 f.]

b) Das Problem fehlender Beurteilungsmaßstäbe
Mit der besagten Grund-Losigkeit der konstruktivistischen Gender-Philosophie geht aber als unausweichliche Konsequenz auch einher, dass es keinerlei Maßstäbe gibt, irgendwelche Geschlechterrollenkonstrukte in irgendeiner Weise „objektiv“ zu evaluieren, sie zu bewerten, ihre moralische „Richtigkeit“ oder Qualität zu bestimmen.
Denn selbstverständlich sind auch die Maßstäbe, mit denen man operiert, ihrerseits soziale Konstrukte.

Dementsprechend ist es mangels eines geeigneten „objektiven“ Maßstabs theoretisch sinnlos, etwa von feministischer Seite eine sexistische Theorie zu kritisieren, die die natürliche Minderwertigkeit der Frau propagiert.

Zwar kann die feministische Seite geltend machen, dass die Minderwertigkeitsthese nichts weiter sei als ein kontingentes soziales Konstrukt – aber von sexistischer Seite kann ihr ohne weiteres das Echo entgegen hallen, dass doch eben dies auch für die Behauptung gilt, es gäbe keine „natürliche“ Geschlechterrollendifferenz.

Auch diese Behauptung ist soziales Konstrukt, und so streitet Konstrukt mit Konstrukt unter Verwendung konstruierter Maßstäbe.

Und im Hintergrund schmunzelt Friedrich Nietzsche: Die gesamte feministische Bewegung einschließlich der Gender-Philosophie hat in keiner Weise etwas mit „objektiven“ Sachverhalten oder Werten zu tun – etwa dergestalt, dass die „Benachteiligung aufgrund der Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht“ (Nagl-Docekal 2001: 8) irgendwie „objektiv“ unmoralisch sei –, sondern sie ist schlicht und einfach faktischer Machtkampf ehemals Unterdrückter gegen ihre Unterdrücker.

Feminismus und Gender-Studies sind demnach zu erklären als Ausdruck des „Willens zur Macht“ der Frauen, dem aber nichts „Objektives“, kein substanzieller Wert zugrunde liegt. Und „wahr“ ist im „Krieg der Geschlechter“ die Position, dasjenige Konstrukt, das sich durchsetzt. Punkt.

In diesem Zusammenhang ist auch die Bemerkung angebracht, dass die feministische oder radikal-konstruktivistische Kritik etwa an einem Biologen, der in aller Bescheidenheit darauf hinweist, dass doch Männer und Frauen sich grundlegend darin unterscheiden, dass die einen mit Penis und Testikeln, die anderen mit Ovalien ausgestattet seien, sich bereits als Opfer oder „Sklave“ des soziokul-turell konstruierten Maßstabs von der geschlechter-konstitutiven Relevanz dieser biologischen Differenz „oute“, ihrerseits Ausdruck eines normativen Maßstabs ist. Und dieser Maßstab ist erstens – wenn man den Konstruktivismus ernst nimmt – seinerseits beliebiges, kontingentes, nur relativ gültiges Konstrukt und erhebt daher zweitens, wenn er gegenüber dem „biologistischen“ Biologen als schlagkräftiges Argument ins Feld geführt wird, einen nicht-relativen Geltungsanspruch, der jedoch seinerseits reines Konstrukt und damit beliebig ist.

c) Was wird „inszeniert“?
Will man den infiniten Regress vermeiden, dann wird man – wie bereits angedeutet – nicht umhin können, irgend etwas objektiv Seiendes zugrunde zu legen bzw. als gegeben anzunehmen, ein reales, mit grundlegenden Eigenschaften ausgestattetes Lebewesen, das dann in konkreten soziokulturellen Kontexten abgerichtet, zugerichtet, erzogen, gebildet, geformt werden kann und in diesen Prozessen nicht zuletzt auch eine Geschlechterrollenidentität ausbildet.

In diesem Sinne hält Doris Bischof-Köhler in ihrem Buch „Von Natur aus anders“ radikal-konstruktivistischen Ansätzen in der Gender-Forschung vor, sie seien mit „postmodernen Regie-Egomanen“ vergleichbar, die bei der Bearbeitung bzw. der Inszenierung klassischer Werke praktisch keine Rücksicht mehr auf die Vorlage, das „Original“ nehmen. Doch ebenso wie man solchen „Regie-Egomanen“ zurecht „fehlende Werktreue“ vorwerfe, sei es im Kontext der Gen-der-Forschung verfehlt, im Rahmen der Analyse der „Inszenierung des Geschlechterspiels“ völlig zu übersehen, zu vergessen oder zu verdrängen, dass bei aller Inszenierung „auch ein Textmaterial zugrunde liegt, das schon dagewesen sein muss, bevor die Fantasie des Regisseurs ihre Arbeit aufnehmen kann“ (Bischof-Köhler 2002: 20).

[Vgl. entspr. Giuliani (2001: 211), die in Anlehnung an Husserl den Konstruktivismus mit Fragen traktiert wie: „Wovon spricht die kontrollierte Naturbeobachtung, wovon sprechen die»Naturgesetze«? »Wovon« werden diese Gesetze aufgestellt?“ Und Hertha Nagl-Docekal (22001: 66) stellt entsprechend fest: „Indem wir unsere Körper gestalten, setzen wir sie zugleich als gegeben voraus.“]

Und mit Bischof-Köhler gehe ich davon aus, dass dieses der jeweiligen Geschlechterrolleninszenierung zugrunde liegende „Textmaterial“ kein indifferentes biologisches Neutrum ist, sondern dass man vielmehr sagen muss:

„Selbstverständlich wird niemand leugnen, dass sich geschlechtstypisches Verhalten in ständiger Auseinandersetzung mit Familie und Gesellschaft bildet und durch diesen Prozess auch erheblich mitgestaltet wird. Als alleinige Ursache der beobachteten Verhaltensunterschiede ist Sozialisation aber erheblich überfordert.“ (Bischof-Köhler 2002: 371)

Exakt in diesem Sinne argumentiert auch Anne Campbell in ihrer 2002 erschienenen Studie zur evolutionären Psychologie der Frau „A mind of her own”:
„Nobody can seriously doubt that environmental factors modify the expression of sex differences. [...] The question is whether these processes alone can explain the origins of the cross-cultural differences between male and female.“ (Campbell 2002: 7)

Dementsprechend plädiere ich für eine Relativierung der These von der totalen Konstruktivität des „Geschlechts“ dergestalt, dass auf fundamental-anthropologischer Ebene wesentliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen bestehen, die allen kulturellen, allen proximaten Überformungen und kontingenten Rollenverständnissen zugrunde liegen und sie in einem ultimaten Sinne prägen. [ Zur Differenz zwischen „proximaten“ und „ultimaten“ Erklärungen vgl. Bischof-Köhler, 2002, 107 ff.]

Oder anders formuliert: dass „das Geschlecht nicht erst durch einen Akt sozialer Konstruktion erschaffen wird, sondern vom Beginn unseres Lebens an schon Weichen stellt, die uns in eine naturgegebene Polarisation gleiten lassen“ (Bischof-Köhler 2002: 105).

Nun stellt sich natürlich die Frage, worin genau diese behaupteten „wesentlichen“ Unterschiede bestehen – und damit komme ich zum evolutionär-anthropologischen Kern meines Beitrags:

3. Männer stammen nicht vom Mars ab und Frauen nicht von der Venus, aber ...
Lassen wir uns in diesem Zusammenhang zunächst einmal auf die Prämisse ein, dass wir Menschen wie alle anderen Lebewesen auf der Erde Produkte der biologischen Evolution sind. Dementsprechend gibt es auch für uns Menschen von den grundlegenden bzw. ultimaten Theoremen der Evolutionsbiologie keinen Dispens. Und die gewissermaßen ultimateste aller Regeln der Evolutionsbiologie lautet:

„Evolutionsbiologisch ist die ultima ratio jedes Lebewesens, gleich welcher Art und welchen Geschlechts, in möglichst vielen und möglichst überlebenstauglichen Nachkommen weiter zu existieren“ (Bischof-Köhler 2002: 106; vgl. Campbell 2002: 34 ff.).

Nun hat die Evolution zu diesem ultimaten Zweck der genetischen Reproduktion unter anderem die Spielart der sexuellen, zweigeschlechtlichen Fortpflanzung hervorgebracht.

Und genau hier stoßen wir auf den großen kleinen Unterschied zwischen Männern und Frauen: Männer stammen nicht vom Mars ab und Frauen nicht von der Venus, aber: Männer reproduzieren ihre Gene mittels Sper-mien/Samenzellen, Frauen mittels Ova/Eizellen.

Was auf den ersten Blick vielleicht schrecklich banal klingt, ist aus evolutionsbiologischer Perspektive von größter, eben fundamentaler Bedeutung, und zwar deshalb, weil die Unterschiedlichkeit der Gameten Ausdruck zweier grundverschiedener Strategien ist, dem ultimaten Zweck der Reproduktion möglichst erfolgreich gerecht zu werden.

Schauen wir uns also die Unterschiede der Gameten und die mit ihnen einhergehenden Strategien etwas genauer an:

a) Die quantitative Strategie der Spermien
Spermien sind – relativ zu den weiblichen Eizellen – sehr klein und nährstoffarm, dafür beweglich, äußerst zahlreich und stehen zudem prinzipiell bis in ein vergleichsweise hohes Lebensalter in nahezu beliebiger Menge zur Verfügung. Eine richtige Massen- und Billigware sozusagen.

Theoretisch kann sich daher ein Mann während seiner reproduktiven Phase mit beliebig vielen Partnerinnen beliebig häufig fortpflanzen, ohne ansonsten über den bloßen Einsatz seiner
Gameten hinaus viel investieren zu müssen.

Das ist zweifelsohne ein höchst attraktiver Vorteil dieser reproduktiven Strategie. Aber sie hat auch ganz erhebliche Nachteile! Vor allem den, dass diese Strategie grundsätzlich keinerlei Erfolgsgarantie beinhaltet.

Das heißt, dass so ein quantitativer Fortpflanzungsstratege grundsätzlich niemals hundertprozentig sicher sein kann, dass tatsächlich eines seiner Spermien dafür verantwortlich war, wenn eine seiner Sexualpartnerinnen schwanger wird (zuverlässige Vaterschaftstests gibt es ja noch nicht so lange). Und das ist mit Blick auf die genannte evolutive „ultima ratio“ ein ganz erhebliches Problem! Doch schauen wir uns zunächst kurz die andere Strategie an:

b) Die qualitative Strategie des Ovums, der Eizelle
Eier sind – relativ zu den männlichen Spermien – sehr groß und nährstoffreich, dafür vergleichsweise unbeweglich, stehen nicht in beliebiger Menge und auch nicht so lange zur Verfügung wie die Gameten der Männer. Man kann also sagen, dass weibliche Eizellen im Verhältnis zu männlichen Spermien hochqualitative, rare und kostbare Produkte sind. Doch den Nachteil der begrenzten Menge gleicht diese Strategie durch den immensen reproduktionslogischen Vorteil aus, dass sich eine Frau immer sicher sein kann, dass das Kind, das sie austrägt, ihre Gene trägt (die Möglichkeit der Leihmutterschaft gibt es ja noch nicht so lange).

Doch dieser evidente Vorteil hat einen hohen Preis, nämlich den, dass die Frau über den Einsatz ihres Gameten hinaus unweigerlich ein vergleichsweise extrem hohes Reproduktionsinvestment leisten muss: Eine lange und beschwerliche Schwangerschaft, in der sie zumindest zeitweise in ihrer Leistungsfähigkeit erheblich eingeschränkt ist; danach folgt eine lange und beschwerliche Phase des Stillens und sehr wahrscheinlich auch der sonstigen Versorgung und Pflege des Nachwuchses mindestens über mehrere Jahre hinweg.

An dieser Stelle sei jedoch ein ebenso naheliegender wie gewichtiger Einwand eingefügt, welcher lautet: Gut und schön, die evolutionsbiologische Analyse mag ihre Berechtigung haben – aber doch nur im Hinblick auf das Tierreich, und was den Menschen betrifft vielleicht im Hinblick auf seine Vorfahren in der Steinzeit oder bei rezenten Naturvölkern, aber doch sicher nicht mehr im Hinblick auf heute lebende zivilisierte Menschen, schon gar nicht die in den Industrieländern, in denen doch nicht zuletzt die neuen Mittel und Möglichkeiten der
Geburtenkontrolle eine völlig neue Situation geschaffen haben (vgl. BischofKöhler 2002: 371).
Dieser Einwand klingt zweifelsohne sehr plausibel, doch mit David Buss möchte ich diesbezüglich zu bedenken geben:

„Die menschliche Psychologie der Sexualität hat sich jedoch über Millionen Jahre hinweg dazu entwickelt, mit den Adaptationsproblemen der Vorfahren umgehen zu können, bevor es die modernen Verhütungsmethoden gab. Also besitzen die Menschen immer noch diese grundlegende Sexualpsychologie, obwohl sich die moderne Umwelt verändert hat.“ (Buss 2004: 155; vgl. entspr. Campbell 2002: 20 f.)

Petia Genkova hat im Rahmen ihres Vortrags aus verhaltenspsychologischer Perspektive die These vertreten, dass es zwar evolutionäre Grundlagen für die Bestimmung von sexueller Attraktivität und der Partnerwahl geben mag, dass aber letzten Endes doch wir als Personen entscheiden, mit wem wir uns einlassen wollen, aber gegenüber diese These bin ich eher skeptisch.

Als Philosoph, also als „Liebhaber der Weisheit“, bin ich nämlich der Überzeugung, dass wir unsere Rationalität und unsere Freiheit zu bewussten, willentlich gesteuerten Entscheidungen in aller Regel maßlos überschätzen.

Doris Bischof-Köhler formuliert denn auch einen der wichtigsten Gründe für dieses Misstrauen gegenüber der These vom „Primat“ der rationalen Verhaltenssteuerung beim Menschen:
„Die Evolution ist ein sehr träge verlaufender Prozess und die Natur einer Spezies, auch der menschlichen, ändert sich nicht schon deshalb, weil da und dort ein paar Jahrhunderte lang gewisse zuvor über erdgeschichtliche Zeiträume hinweg wirksamen [sic!] Selektionswirkungen aufgehoben oder geschwächt worden sind.“ (Bischof-Köhler 2002: 372)

Oder plakativer formuliert: Von unserer biogenetischen Ausstattung her, die eben auch verhaltensrelevant ist, sind wir mit unseren steinzeitlichen Vorfahren identisch – wir alle sind genetische Steinzeitmenschen, nach wie vor! Dementsprechend denken und verhalten wir uns auch (häufig) so!

3.1. Der „Krieg der Geschlechter“ oder Warum Männer (häufig) etwas anderes wollen als Frauen
Aus dieser Kurzbeschreibung der quantitativen bzw. qualitativen „Logik“ der beiden unterschiedlichen Strategien sexueller Reproduktion lassen sich nun aus evolutionär-anthropologischer Perspektive eine Fülle von Konsequenzen für das jeweils „sinnvolle“ Verhalten der Geschlechter ableiten, von denen ich im Folgenden nur einige der wichtigsten in aller Kürze und bewusst plakativ darstellen möchte:

> Frauen sollten sich wegen des hohen parentalen Investments, mit dem die genetische Reproduktion für sie unweigerlich verbunden ist, sehr genau überlegen, wem sie ihre raren und kostbaren Eizellen zwecks Befruchtung zur Verfügung stellen wollen.

Frauen sollten daher wählerisch sein, die potenziellen Fortpflanzungspartner einer strengen Qualitätskontrolle unterziehen, wobei eine Fülle von Faktoren eine Rolle spielen: zum einen natürlich Aspekte wie genetische Gesundheit, wofür Körperbau, Symmetrie der Gesichtsform, muskuläre Struktur und vitale Ausstrahlung Indizien liefern.

Wichtiger noch ist aber der glaubhafte Nachweis des potenziellen Partners, seinerseits einen ausreichend großen Anteil an „parental investment“ beizusteuern zu können und zu wollen, d. h. er sollte vor allem über materielle Ressourcen verfügen und bereit und willens sein, diese materiellen Ressourcen in die Partnerschaft und den gemeinsamen Nachwuchs zu investieren. Und diesen Nachweis kann die Frau beispielsweise dadurch „erzwingen“, dass sie sich relativ lange „spröde“ zeigt, die Paarung verweigert, sich umwerben und beschenken lässt, bis der potenzielle Partner aus ihrer Perspektive die Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung hinreichend bewiesen hat - bzw. bis aus seiner Perspektive die investive Vorleistung so hoch ist, dass es für ihn ökonomisch unattraktiv wird, seine Bemühungen aufzugeben und sich nach einem anderen Ei umzusehen.4

4 Andererseits birgt diese weibliche Strategie natürlich sehr wohl ein gewisses Risiko – nämlich das Risiko, zu hoch zu pokern und einen eigentlich ziemlich gut geeigneten Partner zu verlieren, beispielsweise an eine weniger „anspruchsvolle“, weniger „prüde“ Konkurrentin.

> Bedenkt man, wie wichtig es nach dieser evolutionären Logik für eine Frau ist, selbst bestimmen und wählen zu können, mit wem sie das hohe „parental investment“ teilen möchte, dürfte umgekehrt klar sein: Nichts ist für eine Frau schlimmer, nichts für ihre Strategieoptionen katastrophaler, als gegen ihren Willen (bzw. unter Gewaltanwendung) zur Paarung mit einem Partner gezwungen zu werden, den sie nicht will.

> Männer ticken anders. Sie können sich grundsätzlich ohne jegliches parentales Investment erfolgreich fortpflanzen. Ihre Gameten stehen ihnen in einem solchen Überfluss zur Verfügung, dass für sie - im Gegensatz zur Frau -Fehlversuche kein Problem darstellen. Und eine Möglichkeit, ihren reproduktiven Erfolg zu optimieren, besteht darin, nur sehr kurzfristige Bindungen zu suchen, mit möglichst vielen verschiedenen Partnerinnen Fortpflanzungsversuche zu unternehmen, um so die Chance zu erhöhen, dass ihr genetisches Material mit möglichst vielen Eizellen verschmilzt. „Männer baggern wie blöde“, besingt Herbert Grönemeyer diesen Typus. Und aus Rainhard Fend-richs „Macho Macho“ sei die köstlich treffende Zeile zitiert: „Macho Machos sind zwangs-läufig“ ...

Zumindest für diesen Typ Mann gilt zudem, dass er sich von Misserfolgen nicht abschrecken lassen darf, beharrlich an seine Erfolgschancen glauben muss, einfach weil der Erfolg der von ihm gewählten quantitativen Strategie in hohem Maße davon abhängt, beständig seine Chance zu suchen und möglichst keine Gelegenheit auszulassen, nichts „anbrennen“ zu lassen. Denn soviel ist schließlich klar: Die Konkurrenz schläft nicht!5 Leider muss uns in diesem Zusammenhang aber auch der Tatbestand zu denken geben, dass in aktuellen Kriminalstatistiken für den Tatbestand der Vergewaltigung das Täterschaftsverhältnis von Männern und Frauen durchgehend mit 98:2 ausgewiesen wird.

[5 Ganz am Rande sei an dieser Stelle erwähnt, dass zahlreiche empirische Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte ergeben haben, dass die positive Selbsteinschätzung bei Jungen häufig auch durch gegenteilige Erfahrungen nicht zu erschüttern und – relativ zur Selbsteinschätzung von Mädchen – eigentlich schon als notorische Selbstüberschätzung eingestuft werden muss (Bischof-Köhler 2002: 271).]

> Aber die „zwangsläufige“ Strategie ist keineswegs die einzige mögliche männliche Reproduktionsstrategie. Denn auch eine langfristige und auch seinerseits (mehr oder weniger) treue Bindung hat für einen Mann durchaus ihren Reiz. Und dieser Reiz besteht darin, dass er sich in einer langfristigen und festen Bindung an eine Partnerin (um für den Moment mal von der monogamen langfristigen Beziehung auszugehen) relativ sicher sein kann, dass die Kinder, die diese Partnerin austrägt, seine Gene tragen. Und ein weiterer Vorteil der festen Bindung besteht darin, dass sich die Chancen für den Nachwuchs, seinerseits zur Fortpflanzungsreife zu gelangen, erheblich verbessern, wenn das „parental investment“ beider Elternteile möglichst hoch ist. Aber weil sich so ein Langfrist-Stratege hinsichtlich seiner genetischen Vaterschaft grundsätzlich doch nie so ganz hundertprozentig sicher sein kann, sollte er größten Wert auf die sexuelle Treue seiner Parterin legen, eifersüchtig über diese Treue wachen - oder sie anderweitig absichern.
Denn schließlich weiß keineswegs nur Dr. Hook: „When you’re in love with a beautiful woman you watch your friends!“

Doch weil auch die eigene eifersüchtige Aufmerksamkeit keine letzte Sicherheit bietet - schließlich muss Mann ja auch in die weite Welt hinaus -, sollte unser Langfrist-Stratege nach Möglichkeit auch andere Methoden entwickeln, den sexuellen Zugriff auf seine Partnerin zu monopolisieren und so seine Vaterschaft zu sichern.

Welche Strategien kommen in Frage? Auf diese Frage liefert die menschliche Kulturgeschichte eine Reihe von Antworten: Keuschheitsgürtel. Die Partnerin während der eigenen Abwesenheit von ihren Brüdern überwachen lassen. Sie in einen Harem einsperren, bewacht von fortpflanzungsunfähigen Eunuchen. Klitorisbeschneidung. Sehr effizient und (deshalb) weit verbreitet ist auch die Begründung einer - freilich: „offiziell“ von Gott eingesetzten - Sexualmoral, die Sex vor und außerhalb der Ehe zur Todsünde oder zu einem todeswürdigen Verbrechen erklärt. Oder eine gesellschaftliche „Doppelmoral“, die im promiskuitiven (jungen) Mann eher den „tollen Hecht“ sieht, in der promiskuitiven (jungen) Frau dagegen die „Hure“ und „Schlampe“.

> Ein letzter Aspekt: Grundsätzlich herrscht im sexuellen reproduktiven Geschäft das Prinzip der Damenwahl. Und während die Damen kritisch prüfen und nur die ihnen geeignet erscheinenden Kandidaten zum Zuge kommen lassen, sind umgekehrt die Männer dazu gezwungen, um die Möglichkeit zur genetischen Reproduktion mit ihren männlichen Mitbewerbern zu konkurrieren. „Wer ein holdes Weib errungen, stimme in den Jubel ein!“, heißt es bekanntlich bei Schiller.

Aber wie erringt Mann das Weib, wie setzt er sich gegen seine Konkurrenten durch und überzeugt die vielfach Umworbene, dass er und nur er der „Mr. Right“ ist?

Nun, die sehr einfach klingende Grundregel lautet: Auffallen um jeden Preis (vgl. Bischof-Köhler 2002: 298 ff.)!

Männer müssen „gockeln“, sich in den Vordergrund drängen, sich in Szene setzen, sich darstellen, im Rampenlicht stehen, sich die Schlagzeile sichern, und sei es durch so „sinnvolle“ Aktionen wie zu Fuß durch die Arktis zu stapfen oder das Hinterteil in einen Wok gezwängt einen Eiskanal hinunter zu donnern. Männer sind verglichen mit Frauen daher auch wesentlich aggressiver, freilich vor allem in Bereichen der assertiven und der explorativen Aggressivität, die auf die Erreichung möglichst hoher Rangpositionen abzielt (vgl. Bischof-Köhler 2002: 133).

Und das Frappierende ist: Männer, die auffallen, haben Erfolg! Denn Auffallen bedeutet Wahrgenommen-Werden, und häufiges Wahrgenommen-Wer-den wird assoziiert mit hohem sozialen Status, was – wie bereits erwähnt – ein wichtiger Indikator für männliche Attraktivität ist. Dabei kommt es – so Doris Bischof-Köhler – „gar nicht wirklich auf die faktische Rangposition an ..., es genügt, wenn [Frauen den Männern] den Vorzug geben, die die Kraft und das Selbstvertrauen erkennen lassen, eine ranghohe Position zu beanspruchen“ (Bischof-Köhler 2002: 132).

Auf den Punkt gebracht: „Für ... Frauen [sind] ... dominant auftretende[] Männer ... eindeutig erotisch attrak-tiver“ (ebd.: 154). Oder wie heißt es doch bei Rainhard Fendrich:
„Macho Machos ha’m viel Neider, Machos ha’m viel Freund verlor’n, doch sie sind leider um die Hasenlänge vorn“ ...

Soweit, so lustig, aber ein Aspekt dieser „Auffallen um jeden Preis“-Regel ist meines Erachtens alles andere als lustig, und dieser Aspekt hat etwas zu tun mit dem Phänomen der Diskriminierung der Frauen bzw. der Geringschätzung weiblicher Kompetenzen und Leistungen.

Denn gerade weil als Konsequenz unseres phylogenetischen Erbes der permanente Konkurrenzdruck unter Männern sie zu „Spezialisten in der Selbstdarstellung“ gemacht hat, die hohe Risikobereitschaft mit vergleichsweise hoher Frustrationstoleranz verbindet, ziehen Frauen, wenn die Geschlechter miteinander konkurrieren, „häufig den kürzeren, sei es, weil sie durch die rigoroseren Methoden der Männer überrollt werden, sei es, weil sie sich selbst ins Abseits manövrieren, indem sie sich imponieren lassen und dünnhäutiger auf Misserfolge reagieren“ (Bischof-Köhler 2002: 384).

3.2. „Essentialistisches“ Zwischenergebnis: „anders von Anfang an“
Halten wir als „essentialistisches“ Zwischenergebnis kurz und bündig fest: Männer und Frauen sind „anders von Anfang an“ (Brinck 2005: 33).

Männer haben von Anfang an ein Y-Chromosom, Frauen zwei X-Chromosomen, bevor irgendwer irgendwie an ihnen herum konstruieren kann, bevor sich – entsprechend der Konditionierungstheorien – durch irgendwelche Gewohnheiten und Sanktionen irgendetwas habituell verfestigen kann.

Männliche Föten werden bereits im Mutterleib ab dem dritten Monat von bis zu achtmal höheren Mengen Testosteron (und anderen pränatalen Androgenen) überschwemmt als weibliche und es ist inzwischen eine gut erforschte Tatsache, dass aufgrund der genetischen Differenz die Hormonsituation der Geschlechter ebenso grundlegend unterschiedlich ist wie zum Teil die Funktionsweisen der Gehirne (Brinck 2005: 33; vgl. Bischof-Köhler 2002: 372 ff.).

Und was diese Gehirne betrifft, werden auch extreme Milieutheoretiker und Konstruktivisten kaum behaupten, dass sie nicht Produkte der natürlichen Evolution seien.

Aber selbst wenn wir uns von der evolutionären Anthropologie in Verbindung mit entsprechendem empirischen Datenmaterial der evolutionären Psychologie, Daten zur unterschiedlichen pränatalen Hormonsituation ebenso wie von Daten der empirischen Gehirnforschung im Sinne dieser „anders von Anfang an“-These überzeugen lassen sollten, bleibt – zumal für den Philosophen – noch immer die Frage:

4. Was folgt aus alledem?
Hertha Nagl-Docekal diagnostiziert in ihrer „Femistischen Philosophie“ einen vielfältigen „Backlash ... zurück zu Sex“, zu einem „undeclared war against ... women“ (Nagl-Docekal 22001: 11, 224).

Impliziert also der Titel meines Vor-trags „Von ‚Sex‘ zu ‚Gender‘ – und wieder zurück?“ etwas in dieser Art?

Ich meine: Nein!

Aus der Feststellung der fundamentalen Geschlechterdifferenz von Frau und Mann „folgt“ jedenfalls keinerlei Chauvinismus – also weder ein männlicher noch ein weiblicher. Weder lässt sich aus diesen evolutionstheoretischen Erklärungen eine neue „Phallosophie“ ableiten und die Rückkehr zum Defizit-Paradigma legitimieren, noch lässt sich ein radikal-feministisches DefizitParadigma ableiten (also das Femi-Macho-Paradigma, sozusagen), demzufolge
die Männer von Natur aus minderwertig sind – etwa deshalb, weil sie im Gegensatz zur Frau nur über ein X-Chromosom verfügen und ihr Penis eine krankhafte Wucherung der weiblichen Klitoris als dem menschlichen „Urgeschlecht“ sei (vgl. Bischof-Köhler 2002: 171 ff.6).

Die Feststellung eines Sachverhalts wie beispielsweise dem, dass das pränatale Hormonmilieu unstreitig kausale Auswirkungen auf die Ausbildung unterschiedlicher Verhaltensdispositionen bei Mädchen und Jungen hat, lässt weder logisch noch faktisch den Schluss zu, dass zwischen diesen Verhaltensdispositionen eine hierarchische Ordnung von „höher“ oder „überlegen“ zu „minder“ oder „unterlegen“ besteht. Derartige naturalistische Kurzschlüsse sind strikt zu vermeiden, die Bereiche der Diagnose und der Therapie klar zu unterscheiden – auch wenn der Schritt von der Feststellung der Differenz zur Diskriminierung für (manche) Männer sehr verlockend erscheinen mag (vgl. zu dieser Argumentation Fisher 2001: 230 f.).

Übereinstimmend mit Doris Bischof-Köhler meine ich aber:
„[D]ie Erkenntnis, dass Mann und Frau von Natur aus anders sind, [ist] weder Bankrotterklärung noch ein Bekenntnis zu konservativer Repression, sondern eine notwendige Voraussetzung auf dem Wege zu einer für beide Geschlechter menschenwürdigen Existenz.“ (Bischof-Köhler 2002: 399)

Und umgekehrt ist die Leugnung der biologischen Dimension für die Geschlech-terrollendiskussion wohl exakt so sinnvoll ist wie das „Köpfen als Heilmittel gegen Kopfschmerzen“ (Bischof-Köhler 2002: 172).7

[6 Zur Zurückweisung allzu naiver Theorien vom weiblichen „Urgeschlecht“ und dem ursprünglich geltenden „Mutterrecht“ vgl. Bischof-Köhler 2002: 171-179.
7 Und das milieutheoretische „Argument“, solange der biologische Anteil des AnlageUmwelt-Komplexes nicht detailliert erforscht sei, sei es ratsam, ihn nicht zu berücksichtigen (vgl. Bischof-Köhler 2002: 374 f.), ist gleichbedeutend mit einer „wissenschaftlichen“ Vogel-Strauß-Strategie – und natürlich bestens geeignet, den zahlreichen bekannten Sexualneurosen trefflich Vorschub zu leisten!]


Was aber diese Utopie einer für beide Geschlechter menschenwürdigen Existenz betrifft, möchte ich im Sinne einer normativen Zielsetzung – skeptisch, dass diese kurz- oder auch mittelfristig erreichbar ist – mit einem Zitat von Simone de Beauvoir, der „Übermutter“ der Gender-Forschung, schließen:

„Wären sie [die Männer; T. M.] bereit, statt einer Sklavin eine Ebenbürtige zu lieben – wie es nebenbei gesagt diejenigen tun, die weder unter Arroganz noch unter Minderwertigkeitskomplexen leiden –, wären die Frauen sehr viel weniger von der Sorge um ihre Weiblichkeit geplagt. Sie gewännen wieder an Natürlichkeit, an Einfachheit, und sie könnten leichter wieder Frauen sein, zumal sie es ja schließlich sind“ (de Beauvoir 42004: 847).

Bibliographie:
Beauvoir, Simone de. 42004. Das andere Geschlecht. Sitte und Sexus der Frau, Reinbek bei Hamburg.
Bischof-Köhler, Doris. 2002. Von Natur aus anders. Die Psychologie der Geschlechterunterschiede, Stuttgart – Berlin – Köln.
Brinck, Christine. 2005. Anders von Anfang an. In: Die Zeit, Nr. 10 (03.03.2005), 33.
Buss, David M. 22004. Evolutionäre Psychologie, München.
Campbell, Anne. 2002. A mind of her own. The evolutionary psychology of women.
Dürr, Renate. 2001. Sex und Gender als Interpretationskonstrukte. In: Waniek, Eva; Stoller, Silvia (Hg.). Verhandlungen des Geschlechts. Zur Konstruktivismusdebatte in der Gender-Theorie. Wien. 193-201.
Fisher, Linda. 2001. Der fundamentale Charakter der sexuellen Differenz. In: Waniek, Eva; Stoller, Silvia (Hg.). Verhandlungen des Geschlechts. Zur Konstruktivismusdebatte in der Gender-Theorie. Wien. 219-237.
Giuliani, Regula. 2001. Das leibliche Selbst – Grenzen der Konstruktion des Geschlechts. In: Waniek, Eva; Stoller, Silvia (Hg.). Verhandlungen des Geschlechts. Zur Konstruktivismusdebatte in der Gender-Theorie. Wien. 205-218.
Nagl-Docekal, Hertha. 22001. Feministische Philosophie. Ergebnisse, Probleme, Perspektiven, Frankfurt/Main.
Trettin, Käthe. 2001. Neuer Ärger mit dem Geschlecht. Kritische Bemerkungen zum Konstruktivismus und Antirealismus in der feministischen Philosophie. In: Waniek, Eva; Stoller, Silvia (Hg.). Verhandlungen des Geschlechts. Zur Konstruktivismusdebatte in der Gender-Theorie. Wien. 173-192.

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