Mittwoch, 15. August 2007

Ein Zeugnis

An anderer Stelle habe ich schon mal zitiert, eine Nation sei ein tägliches Plebiszit. Das gilt auch für die Ehe bzw. für jede feste Partnerschaft, sie ist eine tägliche Entscheidung für den anderen, die auch täglich neu wiederholt werden muss.
Der folgende Text bringt dies zum Ausdruck, weswegen ich ihn gepostet habe.

Besonders gut gefallen mir die Sätze zur geschlechtlichen Liebe, die nichts weniger als der Kern der Beziehung ist, in welcher Mann und Frau einander und sich selbst in ihrer Besonderheit sehr nahe sind. Ein schöner Beweis dafür, dass das Christentum eben nicht leibfeindlich ist.

Tag für Tag erwähle ich dich
Zeugnis eines Ehepaares
Pred 4, 9-12


Marie-Thérèse und Regis M., ein französisches Ehepaar, das anonym bleiben möchte, lernten sich beim Studium kennen. Nach dreijähriger Freundschaft entschlossen sie sich zur Heirat. Dabei wurden sie nicht von ihrer Liebe übermannt. Sie fühlten sich vielmehr erwachsen und waren bereit, für den andern Verantwortung zu übernehmen. Klipp und klar planten sie, gemeinsam durchs Leben zu gehen, ohne sich deshalb zu verstümmeln oder das aufzugeben, was für jeden von ihnen wesentlich war. Nach achtjähriger Ehe überdachten sie ihren gemeinsamen Weg und versuchten, ihr Leben als Paar zu schildern. Dabei ließen sie das Verhältnis zu ihren Kindern bewußt unberücksichtigt, da dieses Thema weitere Ausführungen erforderlich gemacht hätte.

Als Marie-Thérèse und Regis heirateten, glaubten sie, nur noch ein Leben zu leben. Mit den Jahren mußten sie aber erkennen, daß die Vorstellung, in der Ehe zu einer einzigen Seele zu verschmelzen, ein Wunschtraum ist, welcher in keiner Weise der Wirklichkeit entspricht. Nach und nach entdeckten sie, daß eine solche Einheit letzten Endes nichts anderes bedeuten würde, als die Persönlichkeit des anderen aufzusaugen, was die Verhärtung und Inaktivität beider zur Folge hätte. Auch die Meinung, Mann und Frau hätten in der Ehe die sich ewig gleichbleibenden Rollen zu übernehmen, die ihnen von der Tradition zugewiesen sind, erwies sich bald als Illusion. Da Marie-Thérèse als Lehrerin tätig war, änderte sich automatisch auch die Rolle, die ihr Mann, Mitglied einer Forschergruppe, zu spielen hatte, und die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. So waren sie bemüht, sich Tag für Tag neu in ihre Rollen einzuleben und die Persönlichkeit und den Rhythmus des andern zu respektieren.

"Wir leben nicht im gleichen Rhythmus. Es ist wichtig, dies zu wissen."

Ihre Einheit fanden sie immer mehr in ihren Zwiegesprächen. Versuchte einer von ihnen, sich im ehelichen Alltag hinter einer Fassade zu verkriechen und sein inneres Gerümpel verschlossen zu halten, so wurde ihm ein echtes Zuhören unmöglich. Das Zwiegespräch war dann nur noch eine Parodie, weil man nur noch ein Komplice, aber nicht mehr der wahre Freund war. Aus solchem Komödienspiel erwuchsen viele ihrer Schwierigkeiten. Aufgrund ihrer Liebe fühlten sie sich getrieben, ein echtes Leben solchem Komödienspiel vorzuziehen. Indem einer sich in seinem Verhalten vom andern in Frage stellen ließ, wirkte ihr Leben als Paar erzieherisch. "Du offenbarst mich mir selbst." Daher erschien ihnen der Gedankenaustausch als Haupterfordernis ihres Lebens als Paar. Ihre Unterhaltungen waren seine Höhepunkte : "Du sprichst mir von dir, du vertraust mir deine Sorgen an. Du schöpfst deinen Trost aus mir. Vor allem aber offenbarst du dich mir in deiner Tiefe." Das Zwiegespräch war für sie kein Rededuell, sondern eher ein Stammeln. "Ich muß wahrhaft entdecken, was ich bin, um es dir mitzuteilen." Das Zwiegespräch war Befreiung.

Als den größten Verrat beim Leben als Paar erkannten sie den Versuch, den anderen zum Objekt zu erniedrigen, ihm die freie Existenz zu verweigern. "Unser Leben als Paar erhöht unser Sein: Du machst mich zum Mann; du machst mich zur Frau." Dadurch lernten sie, jeden anderen Mann und jede andere Frau wirklich zu lieben. Durch ihre eheliche Liebe erhellten sich alle ihre menschlichen Beziehungen; sie wurden in eine universelle Liebe eingeordnet. Auf diese Weise wurde ihnen der Gedanke, aus einer anderen Frau oder einem anderen Mann einen Gegenstand persönlicher Befriedigung zu machen, unerträglich. Die Bestätigung ihrer Seinstiefe fand das Paar im radikalen Unterschied ihrer andersartigen Geschlechtlichkeit: "Du bist Mann. Du bist Frau. Dieser Unterschied ist unreduzierbar, und eben deshalb ist er der reichste, der schöpferischste, der faszinierendste Unterschied. Du bist anders, ganz anders. Deine geschlechtsbedingte Erfahrung ist gewissermaßen unmittelbar. Ich kann dich nicht assimilieren, zu meinem Ich machen." Deshalb wurde der Geschlechtsakt von diesem Ehepaar in ganz besonderer Weise als ein Augenblick der Wahrheit erlebt. Weil er der Augenblick ist, da Liebe von keiner Seite geheuchelt werden kann, war die geschlechtliche Hingabe die ernsthafteste Schwierigkeit ihres Paarlebens; er war der "Prüfstein" der Echtheit ihres Lebens als Paar. Außer Zweifel stand für sie, daß dieser priviligierte Augenblick, dessen Schwierigkeit sie erlebten, ihnen die Absolutheit Gottes offenbarte. Das Durchscheinen ihres Seins als Mann und Frau wurde ihnen hier zum Durchscheinen Gottes: "Weil in dir das Sein am augenscheinlichsten ist, ist die Begegnung mit dir der Ort meiner tiefsten und sichersten Begegnung mit Gott." Zugleich erfuhren sie in der Unmöglichkeit vollkommener Vereinigung die Unmöglichkeit, Gott zu erfassen. Vor allem in diesem Augenblick wurde ihnen bewußt, daß der Egoismus ihrer Beziehungen das greifbarste Zeichen ihrer Sünde war.

Obwohl ihr Glaube an Jesus Christus der gleiche war, lebte jeder von ihnen mit dem Herrn das Geheimnis einer persönlichen Beziehung und machte so eine einzigartige, schwer mitteilbare Erfahrung. Daher sah ihrer Meinung nach ihr gemeinsames Gebet "ganz schlecht" aus, wenn sie ihr Gebet in Worte zu kleiden bemüht waren. Es kam vor, daß sie, entschlossen, gemeinsam zu beten, jedoch von den Schwierigkeiten gelähmt, ohne Worte blieben, "in den Geburtswehen liegend ...". In glücklichen Augenblicken konnte ihr Gebet leidenschaftlich und unversiegbar sein. Aber es kam auch vor, daß sie mitunter wochenlang nicht miteinander beteten: "Unser Leben zu zweit hat seine Lebensrhythmen, und wir stellen fest, daß unser gemeinsames Gebet diesen Rhythmen folgt." Und doch, oft beteten sie täglich mit dem gleichen Blick, mit dem gleichen Lächeln, mit der gleichen Gebärde, mit der gleichen Liebe.

Vgl. Marie-Thérèse und Regis M., Tag für Tag erwähle ich dich, Das Zeugnis eines Paares über seine Eheerfahrungen, in: Die Ehe, Herder-Bücherei, Nr. 348, Freiburg-Basel-Wien 1969, S. 73- 83.

Vielleicht kommt es öfters vor, als wir glauben, daß Eheleute sich die Zeit nehmen, um gemeinsam über die Erfahrungen ihres ehelichen Alltagslebens nachzudenken. Die Wiederkehr des Hochzeitstages, die Feier der Silbernen oder Goldenen Hochzeit drängen ja förmlich dazu. Andererseits kann eine verfahrene Ehesituation es notwendig machen, den gemeinsam zurückgelegten Weg noch einmal zu überdenken, um einen Ausweg aus der Verworrenheit zu finden. Etwas Außergewöhnliches ist es aber, wenn ein Ehepaar nicht aufgrund eines besonderen Datums oder einer verfahrenen Situation den Versuch unternimmt, ihr Leben als Paar zu schildern und dies der Öffentlichkeit als Zeugnis vorzulegen. So etwas ist immer ein Wagnis, vor allem wenn es in aller Offenheit geschieht. Denn gerade die Ehe hat ihren Intimbereich, den man in der Regel hermetisch von der Außenwelt abzuschirmen sucht. Warum eigentlich? Dafür gibt es mancherlei Gründe.

In jeder Ehe gibt es Schwierigkeiten. Sie gehören einfach zur Ehe dazu, wenn man die Ehe als einen gemeinsamen Entwicklungs- und Reifungsprozeß versteht. Für einen Außenstehenden kann aber sehr schnell als Endstation erscheinen, was in Wirklichkeit nur Durchgangsphase ist. Außerdem ist die Ehe der Ort, an dem man sich so mitteilen und geben kann, wie man wirklich ist. Dies ist nur möglich, weil man einander vertraut. Im Vertrauen weiß sich der eine beim andern gut aufgehoben. Er braucht nicht zu befürchten, daß man ihn schonungslos auseinandernimmt. Nur der Vertraute hat die Fähigkeit, die innere Einheit im andern auch dann noch zu sehen, wenn manches aus ihr herausfällt. Solange diese innere Einheit gesehen wird, lebt die Liebe fort. Sie vermag das einzelne in das Ganze einzuordnen und ihm seinen angemessenen Stellenwert zu geben. Echte Liebe relativiert also ungute Einzelheiten, während eine lieblose Umwelt schnell bei der Hand ist, sie absolut zu setzen und sich so ihr "Bild" zu machen. Schließlich gehört es zum Wesen der Ehe als solcher, ihr Geheimnis zu umzäunen. Eheleute leben nicht zuletzt von jenem Wissen, das ihnen allein gehört.

Um so mehr drängt sich die Frage auf, warum das Ehepaar Marie-Thérèse und Regis mit seinen persönlichen Eheerfahrungen an die Öffentlichkeit getreten ist. Zunächst ist zu beachten, daß es den Wunsch hatte, anonym zu bleiben. So lenkt es von sich selbst ab und konzentriert unseren Blick auf Erfahrungswerte, die ihm im Bemühen um ein echtes Eheleben zugewachsen sind. Es geht hier also nicht um eine oberflächliche Illustriertengeschichte. Der tiefe Ernst zwingt den Leser, falls er selbst verheiratet ist, sein eigenes Eheleben zu überprüfen. Er wird erkennen, was eheliches Leben bedeuten kann, welche Möglichkeiten zur Persönlichkeitsentfaltung in ihm liegen und wie weit er vielleicht mit seiner eigenen Ehe hinter der Verwirklichung dieser Möglichkeit zurückgeblieben ist. Sie sollen im folgenden noch einmal erwogen und durch das eine oder andere ergänzt werden. Zu Beginn ihrer Ehe träumten Marie-Thérèse und Regis davon, nur noch ein Leben zu leben, zu einer Seele zu verschmelzen. Doch erkannten sie bald, daß dies nicht ohne Schaden für beide möglich ist. In einer der "Drei Geschichten aus dem Leben Knulps" von Hermann Hesse findet sich ein Wort, das uns an dieser Stelle erwähnenswert erscheint: "Ein jeder Mensch hat seine Seele", sagte Knulp, "die kann er mit keiner anderen vermischen. Zwei Menschen können zueinander gehen, sie können miteinander reden und nah beieinander sein. Aber ihre Seelen sind wie Blumen, jede an ihrem Ort angewurzelt, und keine kann zu der anderen kommen, sonst müßte sie ihre Wurzel verlassen, und das kann sie eben nicht." 60 Seelen lassen sich also nicht miteinander vermischen oder verschmelzen. Wenn Mann und Frau gewöhnlich in der "Wir" Form sprechen, läuft vielfach einer von ihnen Gefahr, vom anderen unterdrückt oder aufgesaugt zu werden, was in irgendeiner Weise zur seelischen Erkrankung führen muß. Wer immer in einem anderen aufzugehen sucht, ist anfällig für Depressionen. Das zeigt, daß es auch in der Ehe für jeden der beiden Partner gewisse eigene Bereiche geben muß. Das Paar ist ja gerade die Begegnung zweier Persönlichkeiten. "Begegne ich dir, so begegne ich deiner Freiheit ... Unsere Ehe ist keine Kette. Weil du freiwillig für mich da bist, ist dein Vorname das allerschönste Liebeswort, das ich an dich richten kann" (76).

Die eigenen Lebensbereiche dürfen allerdings nicht vom gemeinsamen Leben in der Ehe ausgeschlossen werden. Die Ehepartner müssen vielmehr versuchen, sie aufeinander abzustimmen und den andern mit dem eigenen Bereich in Kontakt zu bringen: "All unser Tun kommt dem Paar zustatten: 'Gern höre ich dich von deinen Schülern, von deinen pädagogischen Forschungen, von deinem Arbeitskreis sprechen. Ich kenne deine Kollegen namentlich' - 'Ich besuche dich im Laboratorium ... Ich entdecke dich in deiner Beziehung zu den andern. Ich versuche nicht, dich auf das zu reduzieren, was du zu Hause bist.' - 'Deine Arbeit, grundverschieden von der meinen, ist für mich ein Quell der Erschließung für das Universelle ... Selbst unsere nächsten Freunde können mir nicht so wie du Zugang zu der Wirklichkeit einer anderen Welt verschaffen'" (76). Diese Zeugnisse verdeutlichen, wie eigene Lebensbereiche eine intensivere Gemeinsamkeit und Kommunikation bedeuten können:
"Unsere Zweisamkeit ist der Ort unserer höchsten Entfaltung. Sie ist das neue Sein, das uns in Freiheit eint ... Wir sind uns voll und ganz unserer Verantwortung bewußt. Kühn haben wir eine gewisse Unsicherheit erwählt, und wir beide wollen eine Liebe, die ständig wieder in Frage gestellt wird. Tag für Tag erwähle ich dich" (82f.).

Eine der vielen Gefahren, durch welche die persönliche Freiheit in der Ehe bedroht werden kann, sahen die beiden in einer erstarrten Verteilung der Rollen von Mann und Frau. Für sie gab es hier kein unumstößliches Gesetz. Ehe bedeutete für sie keine Fertigkeit, "in dem von vornherein alle Funktionen klar verteilt sind", sondern der Versuch, "gemeinsam einen Weg zu finden, auf dem sich ihre Verschiedenheiten am besten ergänzen" (Bernhard Liss). So gab es für Regis keinen Grund, sich von seiner Frau billig verwöhnen zu lassen, und Marie-Thérèse lehnte es ab, ihrem Mann eine fürsorgliche Mutter zu sein. Für sie war er groß genug, um seine Schuhe selbst zu putzen oder eventuell einen Knopf anzunähen. Doch zermarterten sie sich nicht um der Vollkommenheit in der Zweisamkeit willen. Sie lernten, über eine gespannte Situation hinwegzusehen. Dadurch schützten sie sich vor den kleinen Dramen des häuslichen Alltags und verhinderten, daß man sich in parallel laufende Leben verschloß, was das Scheitern ihres Lebens als Paar bedeutet hätte. Ihr Trachten ging auf das Wesentliche. Sie hielten sich bewußt: "Ein Paar bilden ist ein Werk ohne Ende" (82). Haupterfordernis, Höhepunkt und Befreiung waren für sie die vielen Zwiegespräche. "Nicht das ständige Hintereinanderhersein zählt, sondern, daß jeder dort, wo man ist, die Verantwortung übernimmt und daß dies ein Quell zum Gedankenaustausch wird". Die Bücher, die sie beide lasen, die Kunstwerke, die sie gemeinsam bewunderten, die Begegnungen und Tagesereignisse, all das waren Gelegenheiten, die sie benutzten, um ins Zwiegespräch zu kommen und sich kennenzulernen. Gemeinsam unterrichteten sie sich über die politischen, wirtschaftlichen und religiösen Probleme. Dabei gewannen sie Zeit und Tiefe. So erhielt beispielsweise das Geschirrspülen den Nimbus einer gesammelten oder heiteren Atmosphäre, je nach dem Thema ihres Gedankenaustausches. Darüber hinaus bot ihnen das gemeinsame Gespräch die Möglichkeit, einander die innersten Erfahrungen des eigenen Ich anzuvertrauen. Vor allem aus solchen Gesprächen erwuchs der eigentliche Intimbereich ihrer Ehe.

Es dürfte inzwischen klar geworden sein, wie sehr es den beiden widerstrebte, den anderen als Objekt zu benutzen. Worte wie "Hafen der Ehe" oder "Dich habe ich" deuten bereits darauf hin, wie oft dies geschehen kann. Sagt einer: "Sieh doch, wie er - oder sie - an mir hängt!", so macht er sich selbst zum Objekt des anderen. Nicht selten aber versuchen Ehepartner, eine ganze Menge von Empfindungen, die sie aus der Erfahrung ihrer ehelichen Verbindung schöpfen, unbewußt auf eine andere Frau, die einem sympathisch ist, oder auf einen anderen Mann, der einem gefällt, zu übertragen. Auch dann wird ein Mensch zum Objekt gemacht. Darum wußten Marie-Thérèse und Regis, weil ihre eheliche Liebe sie sensibilisiert hatte und alle ihre menschlichen Beziehungen erhellte. "Meinen besten Freund finde ich daheim" (74). Von diesem Bewußtsein her vermochten sie jeden anderen Mann und jede andere Frau wirklich zu lieben, ohne dem Partner in irgendeiner Weise untreu zu werden. Der andere Mann oder die andere Frau war kein Gegenstand persönlicher Befriedigung mehr; er war in eine universelle Liebe eingeordnet.

"Prüfstein" für die Echtheit ihres Lebens als Paar war der Augenblick ihrer geschlechtlichen Hingabe. Deutlich spürten sie, daß dieser Akt am stärksten das Sein von Mann und Frau offenbart. In ihm ereignet sich jenes "Erkennen", von dem in der Bibel die Rede ist. Daher ist er ganz besonders ein Augenblick der Wahrheit, ein Augenblick der Durchsichtigkeit oder der Un- durchsichtigkeit, des Verstehens oder aber der Ablehnung und des Egoismus. Als ständige Gefahr erkannten sie die Verflachung ihrer geschlechtlichen Beziehungen, die dann bedeutungslose, egoistische Gewohnheiten wurden. Da sie diese Verflachung als unerträgliche Mittelmäßigkeit nicht hinnahmen, wurden ihre geschlechtlichen Beziehungen immer bedeutsamer für ihr tiefes Leben als Paar. Weil sie von der Suche nach sich selbst zum Ausdruck ihres Wesens durchgestoßen waren, schöpften sie aus ihrer geschlechtlichen Begegnung größere Frische als zu Beginn ihrer Ehe. Waren ihre Leiber einander zuerst fremd, so wurden sie mehr und mehr ausdrucksvolle Zeichen ihres Seins als Mann und Frau. Deshalb erfuhren sie gerade in diesen Augenblicken die Nähe und Absolutheit Gottes: "Unsere Liebe, die uns die tiefste Tiefe unseres Wesens offenbart, läßt uns 'das Unsichtbare' sehen. Wie uns unsere Liebe ergreift, so ergreift uns auch Gott ... Die Transparenz unseres beiderseitigen Seins wird hier zum Durchscheinen Gottes. Die unmögliche vollkommene Vereinigung entspricht gewissermaßen dem unmöglichen Erfassen Gottes. Er bleibt unsichtbar" (80).

Marie-Thérèse und Regis M. waren ein gläubiges Ehepaar. Als solches war es auch um ein gutes Gebetsleben bemüht. Es trennte sein Gebet nicht vom Gebet in der Familie und dem der Gemeinde, der es angehörte. Es erachtete sein Gebet - oft nur ein unbeholfenes Stammeln als eine in das universelle Gebet der Kirche eingeschaltete Stimme. Neben dem ausdrücklichen Gebet, dessen Schwierigkeiten sie zur Genüge erlebten, versuchten sie, ihren Meinungsaustausch, ihre Beziehungen zu ihren Kindern, ihre gesellschaftlichen Beziehungen Gebet sein zu lassen. "Wir glauben, daß wir als Paar berufen sind, Gott mehr durch die Tat als durch Worte zu verherrlichen. Vielleicht wird uns der Herr eines Tages die Freude schenken, so schlicht und einfach wie Kinder zu ihm beten zu können" (82). Das Zeugnis dieses Ehepaares schließt mit einer Erklärung, die zugleich den tiefsten Grund der Aufzeichnung und Veröffentlichung seiner Eheerfahrungen offenbart: "Gott ist kein Polizist, der uns an jenem Julitag, als wir uns in sein Haus begaben, auf Gedeih und Verderben aneinander gefesselt hat. Wir wollten im Gegenteil bekunden, daß es nur eine einzige Liebe gibt und daß wir, als wir heirateten, in gewisser Hinsicht die Mitverschworenen der Liebe Christi zu den Menschen geworden sind."

Zwei sind besser daran als nur einer;
denn ihnen wird guter Lohn zuteil aus ihrer Mühe.
Kommen sie zu Fall, kann der eine den anderen wieder aufrichten.
Doch wehe dem Einsamen, wenn er fällt
und keiner da ist, ihm aufzuhelfen!
Und liegen zwei beieinander, so wärmt einer den anderen;
einer allein - wie soll er warm werden?
Und wenn jemand den einen angreift,
zu zweien sind sie ihm gewachsen.

Prediger 4, 9-12

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