Samstag, 19. Januar 2008

Gender Mainstreaming und die Kulaken

Zitat aus: http://www.amazon.de/Hitler-Stalin-Alan-Bullock/dp/3442755042
S.353
In der Kampagne gegen die Bauern, dem Herzstück von Stalins Revolution, ging es um weit mehr als nur um die Wirtschaft. Das charakteristische Merkmal der russischen Gesellschaft war die riesige Zahl der Menschen -achtzig Prozent der Gesamtbevölkerung -, die auf dem Land lebten. Die ungebildeten Bauern, die Muschniks der russischen Literatur und Folklore, lebten in ihrer eigenen, engen, abgeschlossenen Welt, mit eigener Zeitrechnung, ihren eigenen Institutionen, Sitten und Gebräuchen, ihrer Sprache und ihrem Glauben. Die Bolschewiki hatten sich mit diesem Phänomen, das nicht in das Schema des Marxismus passte, niemals abfinden können.

Es störte sie, von diesem gewaltigen ländlichen Wirtschaftssektor abhängig zu sein, den sie nicht in das Schema der sozialistischen Gesellschaft zwängen konnten, die sie zu schaffen gedachten. Nicht ohne Grund sahen sie in ihm eine Ursache für die Rückständigkeit der Sowjetunion, „eine riesige, träge und dennoch irgendwie bedrohliche Masse von Menschen, die Russland den Weg zur Industrialisierung, in die moderne Zeit und zum Sozialismus versperrte, ein Reich der Finsternis, das man erobern musste, bevor die Sowjetunion das Gelobte Land werden konnte."

Durch die von Stalin geförderte Tendenz, die ländliche Gesellschaft aus marxistischer Perspektive zu betrachten und die Begriffe der Klasseneinteilung und des Klassenkampfes auf sie anzuwenden, wurde die feindselige Haltung der Partei gegenüber den Bauern verstärkt und ihr Bild verzerrt.

Von zentraler Bedeutung war die Tatsache, dass Stalin den Kulaken als ländlichen Kapitalisten, als Ausbeuter ansah, den es zu enteignen galt. Es überrascht nicht, dass die Merkmale des Kulaken der zwanziger Jahre niemals klar und überzeugend definiert wurden.

Robert Conquest sagt zutreffend: »Die Kulaken als ökonomische Klasse, wie immer man sie auch definierte, waren nichts anderes als ein Konstrukt der Partei.« Dieses Konstrukt wurde gebraucht, um die Partei gegen den »Klassenfeind« auf dem Lande zu mobilisieren und ihn mit der gleichen Rücksichtslosigkeit ausrotten zu können wie jeden anderen Kapitalisten.

E. H. Carr drückt es so aus: „Es galt nicht mehr, dass die Klassenanalyse die Politik bestimmte. Nunmehr bestimmte die Politik, welche Form der Klassenanalyse der jeweiligen Situation angemessen war."

Worin bestand diese Politik? So wie sie sich schließlich 1929/30 präsentierte, war es zweifellos der Versuch, all die wirtschaftlichen und sozialen Probleme, vor denen die sowjetische Landwirtschaft stand, in einem Zug dauerhaft zu lösen. Dreierlei sollte erreicht werden: Erstens die Liquidier ung der Kulaken, der tatkräftigsten und erfahrensten Bauern, die man aus dem Leben der sowjetischen Gesellschaft ein für allemal entfernen wollte. „Entkulakisierung" bedeutete, dass sie aus ihren Häusern vertrieben, ihres gesamten Besitzes beraubt und mit ihren Familien als Geächtete in die abgelegensten und unwirtlichsten Teile Sibiriens und Mittelasiens deportiert werden sollten.
Zitat Ende.


Dieses Zitat aus einem lesenswerten Buch, das die Lebenswege von Hitler und Stalin, ihren Aufstieg, ihre Ziele und Methoden, die Folgen ihrer Handlungen untersucht.
Dieses Zitat soll uns einstimmen auf unser Thema: Wie versucht politische Macht die Gesellschaft, das Volk zu formen. Wir sind also bei Politfeminismus und Gender Mainstreaming. Es geht darum, dass eine politische Klasse den Menschen, die Menschen, alle Menschen nach ihrem Bilde formen will.
Dazu muss man wissen, worum es nicht geht: um die Betroffenen.
Es ging den russischen Kommunisten nicht darum, das Los der Landbevölkerung zu verbessern, was sicher gelungen wäre, hätte man auf organische Entwicklung, auf Genossenschaften und angemessene Preise für landwirtschaftliche Produkte gesetzt. Es ging um Macht, natürlich um Macht, und um ein Industrialisierungsprogramm und um Verfügungsgewalt über Sachen und Menschen.
Und hier treffen sich Kommunismus und Kapitalismus, diese Brüder im Geiste und in der Praxis: die Vergötzung der (industriellen) Produktion, das Mißtrauen und die Verachtung für alles Familiäre. Der Kommunismus will die homogene Masse und der Kapitalismus auch. Der Kommunismus will den durch keine persönliche Bande, frei verfügbaren Arbeitnehmer und der Kapitalismus auch. Der Kommunismus sieht die Familie als eine reaktionäre Veranstaltung, der Kapitalismus auch und der Feminismus ist sein Handlanger. Wie kommt eine Familie dazu, eine Frau einfach dem Produktionsprozess, dem Arbeitsmarkt zu entziehen. Kein Staat und kein Kapitalbesitzer hat etwas davon, wenn diese Frau die Marmelane selber kocht, das Brot selber bäckt, den Kindern selber vorliest, anstatt Erleben und Leben durch Konsum zu ersetzen und alle notwendigen Dienste fremd zu vergeben. Das Private ist dem Kommunismus und dem Kapitalismus verdächtig. Dem Staat sowieso, vor allem, wenn er den Anspruch erhebt, alles steuern, alles verwalten, alles kontrollieren zu wollen.
Der Kulak, zu der Zeit als Stalin die Entkulakisierung in die Wege leitete, da gab es schon lange keine Kulaken mehr. Diese waren in der ersten Phase der Revolution, als sich die Bauern das Land der Grundherren aneigneten, bereits beseitigt worden. Was es noch gab war tüchtige, weniger tüchtige und untüchtige Bauern.
Der Kulak, wie der Patriarch unserer Tage, war und ist eine Schimäre. Das Patriarchat ist eine Schimäre. Die Unterdrückung der Frau in der westlichen Welt ist eine Schimäre, eine Lüge, ein Popanz aufgebaut, um interessierten Kreisen Einfluss zu verschaffen.
Die russische Bauernschaft wurde vernichtet, so wie die Familie durch die feministische Familienpolitik, die Propaganda durch den politisch-medialen Komplex ausgerottet wird. Die Ehe als Vertrag ist ein Nichts, ein Schatten, untauglich das „Geschäft" zu sichern, zu dem man nur einen solchen Vertrag braucht: die Aufzucht von Kindern und die Sicherung des Familienvermögens, die Schaffung von langfristiger Rechtssicherheit zwischen den Vertragspartnern.

Die russische Bauernschaft, so es sie denn noch gibt, hat sich von dem Schlag durch die Kommunisten bis heute nicht erholt.

Die westliche Gesellschaft, wie wir sie kenne, wird mit dem Ableben der Baby-Boomer verklimmen.

Das Leben hat seine eigenen Gesetze und wer diese nicht beachtet und meint, aus kurzfristigen Erwägungen hier Einschneiden zu können, der tötet das Leben. Ihm bleibt dann die Leiche und das war es dann.

Gender Mainstreaming und die Kulaktenverfolgung unter Stalin haben viel gemeinsam, sind auch die Methoden verschieden, es läuft auf das Gleiche hinaus: Menschenzüchtung und -erziehung nach dem Bild interessierter Kreise.

Sein wie Gott, den Menschen neu nach eigenem Bilde zu erschaffen, das ist Gender Mainstreaming.

Seid gewarnt!

Mittwoch, 9. Januar 2008

Die Natur der Geschlechter, Vers. 3 Dietrich Klusmann

Die Natur der Geschlechter

Vortrag gehalten auf der 21. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung in Hamburg, 26.9.2003

Die Natur der Geschlechter kann man in ihrer Ontogenese und in ihrer Phylogenese untersuchen. Die Ontogenese ist die Entwicklung der befruchteten Keimzelle entweder zu einem weiblichen oder zu einem männlichen Phänotyp. Aus der Keimzelle entsteht ein weiblicher Phänotyp, wenn nicht durch einen winzigen Abschnitt auf dem y-Chromosom, das SRY-Gen, eine Kaskade hormoneller Prozesse in Gang gesetzt wird, die eine männliche Entwicklung einleitet. John Money hat acht Ebenen der ontogenetischen Entwicklung der Geschlechtsdifferenzierung unterschieden und ich nehme an, dass die entsprechenden Vorgänge und ihre Störbarkeit in dieser Zuhörerschaft gut bekannt sind. Weniger bekannt, vermute ich, ist die Einsicht in die Natur der Geschlechter, die uns das Wissen über die Phylogenese vermittelt, also die Evolutionsgeschichte der Zweigeschlechtlichkeit und der damit verbundene geschlechtsspezifische Verhaltenssteuerung. Darauf wird sich mein Vortrag konzentrieren.
Ich möchte zwei Fragen beantworten:

1. Gibt es einen Fortpflanzungstrieb?
2. Dient Sexualität der Fortpflanzung?

Je nach Verständnis dieser Fragen, muss die Antwort ja oder nein lauten. Ich werde zeigen, dass das tiefere Verständnis zu der Antwort nein auf beide Fragen führt.

Das Warum der Gefühle

Der Psychologe William James stellte schon um die Jahrhundertwende die evolutionspsychologische Grundfrage, indem er nach dem Warum instinktuellen Verhaltens fragte. Er betrachtete Gefühle nicht als letzte Erklärungsgründe, sondern als Phänomene, die durch Vorgänge erklärt werden müssen, welche selbst keine Gefühle sind. Die Forderung William James´, das Natürliche als erklärungsbedürftig anzusehen(James 1890, S.261) endet mit den Worten:

„It takes (...) a mind debauched by learning to carry the process of making the natural seem strange so far as to ask for the why of any instinctive human act".

Das Wort "debauched" heißt so viel wie "zügellos", "verführt". Das Natürliche der menschlichen Natur nicht einfach als undurchsichtige Grundtatsache hinzunehmen, sondern erklären zu wollen, wird heute zwar nicht als ein Zeichen von Zügellosigkeit angesehen, stößt aber oft auf Widerstände. Der Biologe Alexander (Alexander 1987) hat behauptet, unser moralisches Selbstverständnis sei geradezu darauf angewiesen, dass die Ursprünge mancher Gefühle nicht genauer betrachtet werden. Dazu gehört vielleicht auch das folgende Missverständnis:
Die meisten Paare schlafen mitnichten miteinander aus der kühlen Berechnung heraus, Kinder zeugen zu wollen; sie vermehren sich eher durch Zufall. Im Bett besiegen die freudianischen Triebe die darwinistischen Mechanismen. Quelle: Steve Jones, Genetiker, Interview im Spiegel 38/2003

Man kann dieses Zitat so zusammenfassen: "Wir brauchen keine darwinschen Mechanismen, uns macht Sex einfach Spaß". Wenn wir jedoch verstehen wollen, warum uns die Fähigkeit, Spaß am Sex zu haben, überhaupt gegeben ist, kommen wir an darwinschen Mechanismen nicht vorbei; sie sind weder etwas völlig anderes als freudianische Triebe noch verdanken sie ihre Kraft kühler Berechnung.

Gefühle sind für Evolutionspsychologen Mechanismen, die uns dazu drängen, das zu tun, was den Reproduktionserfolg unserer Vorfahren begünstigte. Man könnte sich allerdings auch Organismen vorstellen, die keine Gefühle haben, die durch einen dumpfen, sich nach Nichts anfühlenden Drang zu den Dingen getrieben werden, die sie tun müssen, um ihre Reproduktionschancen zu maximieren. Solche gefühlsfreien Antriebe vermuten wir bei
Insekten und bei Außerirdischen, aber wir können uns nicht vorstellen, dass Säugetiere und Vögel so funktionieren. Von uns selbst wissen wir natürlich, dass unsere Gefühle sich nach etwas anfühlen. Sexuelle Motivation fühlt sich an: als ein Wunsch, ein Begehren. Solche Gefühle sind nur möglich, wenn es ein Gehirn gibt, dessen Ausstattung darauf eingerichtet ist, das Gefühl als neuronales Erregungsmuster zu erzeugen. Sexuelles Begehren ist durch die Architektur des Gehirns ermöglicht und in seiner Gestalt vorgeprägt ebenso wie Angst, Wut und Freude. Der Grund, weshalb wir unsere Antriebe als Gefühle erleben, hat vermutlich etwas mit der Funktion des Bewusstseins zu tun, alle wichtigen aktuellen Zustände des Gehirns fortlaufend verfügbar zu machen um damit eine Handlungssteuerung zu ermöglichen, die gerade durch die Repräsentation innerer Zustände besonders effektiv ist (Baars 1997).

The adapted mind

Der Philosoph John Locke beschrieb im 16. Jahrhundert die menschliche Psyche als eine unbeschriebene Schiefertafel, The Blank Slate. Heute weiß man, dass diese Vorstellung falsch ist: wir werden mit einer Vielzahl von Programmen geboren, die uns bewegen, bestimmte Dinge leichter zu lernen als andere und bestimmte Gefühle eher zu haben als andere(Pinker 2002). Was steht also auf der Schiefertafel, wenn sie nicht leer ist? Das Gehirn hat sich ebenso wie alle anderen Organe in der Evolutionsgeschichte als Adaptation an Anforderungen der Umwelt entwickelt. Daher sind bereichsspezifische, mentale Module zu erwarten, die als Lösungen für die immer wieder kehrenden typischen Probleme des Lebens in menschlichen Gruppen entstanden sind. Einige dieser Programme sind neuropsychologisch schon gut untersucht, wie zum Beispiel die mentalen Module zum Spracherwerb oder zum Erkennen von Gesichtern, andere, die uns hier mehr interessieren, sind in ihren neuropsychologischen Korrelaten weniger geklärt, wie zum Beispiel der motivationale Apparat zu Partnersuche Bindung und sexueller Motivation (Fisher et al. 2002). Alle Programme zusammen bilden ein System, das im Englischen als The Adapted Mind bezeichnet wird. Der Grundgedanke der Evolutionspsychologie ist diesem Begriff zusammengefasst.

Natürliche Selektion

Der Biologe John Maynard Smith sagt über das Prinzip der natürlichen Selektion: "Es ist kaum zu glauben, dass eine so einfache Idee die Komplexität um uns herum erklären kann" (Maynard Smith and Szathmary 1999). Tatsächlich ist die Idee einfach, allerdings nicht so einfach, als dass sie mit der Faustformel "The Survival of The Fittest“ korrekt ausgedrückt wäre. Diese Formel hat der Biologe und Zeitgenosse Darwins, Herbert Spencer, vorgeschlagen und trotz Darwins Skepsis verbreitet. "The Survival of The Fittest" ist eine Tautologie, denn wenn natürliche Selektion dazu führt, dass die Fittesten überleben, Fitness aber durch die Fähigkeit zu überleben definiert ist, dann müssen die Überlebenden zwangsläufig die Fittesten sein. Ein Verständnis des Begriffs der Fitness als Reproduktionserfolg bringt auch keinen Ausweg aus der Tautologie. Wenn man schon nach einer Faustformel sucht, dann wäre eine bessere Alternative die von Richard Dawkins vorgeschlagene Formel "Das selektive Überleben von Genen". Aber auch, wenn die Theorie einfach ist, gibt es keinen Grund, sie in eine Faustformel zu pressen.

Ein adäquates Verständnis setzt voraus, dass wenigstens drei Merkmale betrachtet werden: Vermehrung, Variation und Erblichkeit.

Lebewesen vermehren sich durch Zellteilung. Sie sind nicht alle gleich, weil Mutationen und sexuelle Rekombination die Genome verändern und damit eine Variation erzeugen, die durch den genetischen Code vererbt wird. Die durch Widernisse der Umwelt (Klima, Nahrungsangebot, Raubtiere, Parasiten) entstehende Selektion sorgt dafür, dass manche Varianten besser in der Lage sind, sich zu vermehren als andere und aus diesem Grunde ihre genetischen Merkmale in der nächsten Generation häufiger anzutreffen sind. Diese selektive Vermehrung von Genen ist der Kern des Evolutionsprozesses. Der Mechanismus ist einfach, aber die Konsequenzen können sehr vertrackt sein, auf den ersten Blick sogar verwirrend, wie z.B. die Beobachtung, dass Löwenmännchen oft danach trachten, die Jungen ihrer eigenen Art zu töten, wenn sie gerade einen Harem erobert haben. Den Männchen ist anscheinend daran gelegen, möglichst schnell mit den nach dem Verlust wieder fruchtbar gewordenen Weibchen eigene Nachkommen zu zeugen. Der angeborene motivationale
Mechanismus, der sie zu diesem Verhalten treibt, erscheint egoistisch: er fügt den Weibchen Schaden zu und trägt nicht gerade zur Erhaltung der Art bei.

Gene eye view

Der Fokus auf das Weiterkommen von Genen erleichtert auch die Einsicht in eine Auffassung der Evolution, die als "the gene eye view" bekannt geworden ist. Der viktorianische Biologe J. Butler hat seinerzeit schon festgestellt, dass man die Henne auch als die Methode eines Eies betrachten kann, ein weiteres Ei zu erzeugen. Diese kontraintuitive Sichtweise ist keinesfalls weniger rational als die uns vertraute, in der wir von der Henne ausgehen und im Ei ihre Methode sehen, eine weitere Henne zu erzeugen. Der Gedanke Butlers wird plausibler, wenn man bedenkt, dass die ersten replikationsfähigen Moleküle eine Schutzhülle um sich herum aufbauten, die dafür sorgte, dass die für die Replikation notwendigen Vorgänge im Inneren ungestört abliefen. Diese Schutzhülle ist der Ursprung der ersten einzelligen Organismen, die ursprünglich kaum mehr als Hilfskonstruktionen für die Replikation von Molekülen waren. Wir sind also Überlebensmaschinen für unsere Gene – eine Sichtweise, die Richard Dawkins Ende der 70er Jahre in dem damals kontroversen Buch "Das egoistische Gen" populär gemacht hat (Dawkins 1996).

Sexuelle Selektion

Darwin hat schon früh bemerkt, dass natürliche Selektion als Anpassung an die ökologischen Verhältnisse an das Klima, das Nahrungsangebot, Raubtiere und Parasiten nicht genügt, um Merkmale zu erklären, die, ginge es nur ums Überleben, ganz unsinnig wären, wie z.B. das riesenhafte Geweih des irischen Elchs oder der lange Schweif des Paradiesvogels. Diese extravaganten und kapriziös erscheinen Ornamente, die eher ein Handikap darstellen, als dass sie ihren Trägern nützen, sind Produkte eines Evolutionsprozesses, der nicht vom Kampf ums Überleben angetrieben wird, sondern vom Kampf um Fortpflanzungschancen. Was nützt es aus evolutionärer Sicht einem Tier zu überleben, wenn es bei der Werbung ständig zurückgewiesen wird und deshalb seine Gene nicht weitergeben kann?

Darwin hat zwei Prozesse der sexuellen Selektion unterschieden:

  • Männlicher Wettstreit und
  • weibliche Wahl.

Männlicher Wettstreit leuchtete seinen Zeitgenossen sofort ein, aber weibliche Wahl war sogar Darwins enthusiastischen Anhängern suspekt. Es dauerte lange Zeit, bis in der Evolutionsbiologie akzeptiert wurde, dass tatsächlich sehr viele Eigenschaften von Männchen durch die Präferenzen der Weibchen geformt worden sind (Miller 2000). Wie konnten sexuelle Ornamente wie das Rad des Pfaus entstehen? Der Biologe Fischer fand darauf in den 30er Jahren eine Antwort: Er nahm einen Runaway-Prozess an, bei dem das männliche Ornament und die weibliche Präferenz sich in einem koordinierten Evolutionsprozess aufschaukeln. Wenn erst einmal eine Situation entstanden ist, in der einige Weibchen nur das Männchen mit dem jeweils prächtigsten Gefieder bevorzugen und dann von diesen Männchen Söhne bekommen, die ebenfalls ein prächtiges Gefieder haben und Töchter, die ihre Präferenz erben, dann wird die Entwicklung aufwendiger Ornamente nur noch begrenzt durch das Handikap, das sie ihrem Träger z.B. bei der Flucht vor Raubtieren auferlegen.

Dass solche Runaway-Prozesse tatsächlich als eine Ursache für die Entwicklung sexueller Ornamente in Frage kommen, konnte bisher jedoch nur an wenigen Fällen empirisch gezeigt werden (Sigmund 1993). Der zweite Prozess der Erklärung sexueller Selektion steht auf einer solideren Grundlage: Es sind die unmittelbaren Vorteile einer richtigen gegenüber einer falschen Wahl angesichts der kostbaren, nicht beliebig oft wiederholbaren Investition eines Weibchens (Birkhead 2000; Moller and Swaddle 1997). Dazu müssen jedoch die Signale glaubwürdig sein, sie müssen tatsächlich das ausdrücken, was ein Weibchen gebrauchen kann, vor allem gute Gene und männliche Ressourcen, die für ihre Nachkommenschaft nützlich sind. Die Glaubwürdigkeit von Werbesignalen im Tierreich basiert durchweg auf den hohen Kosten der Erzeugung dieser Signale. Ein Elch, dem in kurzer Zeit ein riesenhaftes Geweih wächst, muss sehr gesund und fit sein, sonst könnte sein Körper diese Verausgabung von Energie und Substanz nicht leisten. Ebenso steht es mit dem schimmernden, bunten Gefieder eines Vogelmännchens, das nur schön sein kann, wenn sein Träger fit ist und vor allem frei von Parasiten. Der israelische Biologe Zahavi (Zahavi 1997) hat als erster dieses Handikap-Prinzip beschrieben. In den 70er Jahren noch belächelt ist es heute ein akzeptierter Erklärungsgrund für viele Phänomene auch außerhalb der Partnerwerbung. Wenn z.B. eine Gazelle beim Anblick eines Löwen mehrfach steil in die Höhe springt, macht sie sich sichtbar, gibt sich also ein Handikap, zeigt aber gleichzeitig, dass es sich nicht lohnt sie zu verfolgen, weil sie ziemlich fit ist. Ihre Fitness kann sie nur zeigen, wenn sie sich das Handikap gibt.

Das demonstrative Vorzeigen der Fähigkeit zu verschwenden gehört auch zum menschlichen Werbeverhalten. Der amerikanische Soziologe Veblen hat in seiner Charakterisierung der amerikanischen Gesellschaft den Begriff conspiscious consumption dafür geprägt - man denke nur an die Sports Utility Vehicles mit ihren mächtigen Stoßstangen und Reifen, die sich selten im rauen Gelände bewähren müssen, dafür aber umso mehr die Robustheit und die Ressourcen des Besitzers signalisieren.

Auch wenn im Tierreich meist das Weibchen die Wahl hat, ist diese Rolle nicht automatisch an das Geschlecht gebunden. Generell gilt die Regel: Das Geschlecht mit der größeren Investition wählt und das Geschlecht mit der kleineren Investition rivalisiert. Wenn, wie beim Seepferdchen, das Männchen die größere Investition in die Brutpflege leistet, dann hat es auch die Wahl zwischen weiblichen Kandidaten. Unsere nächsten Vorfahren waren vermutlich überwiegend monogam, so wie Biologen den Begriff verstehen, nämlich als paarweise Kooperation beim Aufziehen des Nachwuchses, egal ob sexuelle Treue herrscht oder nicht. Polygynie war vermutlich immer möglich, aber nicht viele Männer konnten sich das leisten. In der heutigen Welt ist auch in Kulturen, die Polygynie erlauben, die Einehe das häufigste Modell. So gesehen ist die typische tatsächlich erbrachte Investition von Mann und Frau ungefähr gleich, wenn es um die langfristige Perspektive geht, denn beide Geschlechter sind mit ihren Ressourcen durch die lange Dauer der kindlichen Abhängigkeit gebunden. Daher ist sowohl männliche als auch weibliche Wahl zu erwarten und sowohl männlicher als auch weiblicher Wettstreit um die besten Partner. Zusätzlich gibt es jedoch eine Asymmetrie, die darin besteht, dass die minimale Investition einer kurzfristigen Paarung ohne anschließende Fürsorge, also ein Reproduktionsvorteil ohne viel Investition, für Männer leichter möglich ist als für Frauen. Allerdings zahlt es sich auch für Frauen unter dem Reproduktionsgesichtspunkt aus, für eine breite Palette genetischer Variation in der Nachkommenschaft zu sorgen und hier hilft eine weitere Asymmetrie: Mutterschaft ist sicher, Vaterschaft nicht.

Teleologische Kurzschrift

Ein Hindernis beim Verständnis evolutionsbiologischer Überlegungen ist oft die sprachlich saloppe sprachliche Formulierung der Zusammenhänge in einer Form, die man als animistisch, anthropomorph oder teleologisch bezeichnen kann. Beispiele: Ein Weibchen wählt Männchen danach aus, ob Anzeichen für gute Gene vorhanden sind, oder: ein Gen ist egoistisch. Richard Dawkins hat diese Redeweise als teleological shorthand bezeichnet. Sie ist in der Wissenschaft verbreitet, z.B. können Chemiker salopp sagen, dass ein Molekül hydrophob ist. Jeder Chemiker und auch die meisten Laien würden nicht wirklich glauben, dass Moleküle Angst vor Wasser empfinden. Ein Gen ist auch ein Molekül; doch in diesem Fall scheint es viel schwieriger zu sein, die metaphorische Natur des Attributs egoistisch zu erkennen. Viele nehmen die Behauptung, ein Gen könne seine eigenen Interessen verfolgen, tatsächlich ernst und damit ist für sie die ganze Theorie diskreditiert, denn es ist Unsinn, einem Gen Intentionen zuzuschreiben. Warum kann dieses Missverständnis entstehen?

Vielleicht liegt der tiefere Grund in der unterschiedlichen Behandlung der unbelebten und der belebten Welt, die in unserer Psyche tief vorgeprägt ist; man kann sie schon bei Kleinkindern beobachten (Lakoff 1987). Von einem Stein erwarten wir, dass er sich nicht von selbst fortbewegt. Bei einem Vogel ist es etwas anderes, wir werden nicht überrascht sein, wenn er plötzlich auffliegt, weil er zur belebten Welt gehört. Dinge, die zur belebten Welt gehören, können Intentionen haben, die erklären, warum sie sich so oder so verhalten. Vermutlich wird das Gen eher zur belebten Welt gerechnet als das hydrophobe Molekül, obwohl es ebenfalls ein Molekül ist. Doch es gehört irgendwie auch der belebten Welt an und damit wird scheinbar ein Interpretationssystem anwendbar, das die Frage aufwirft, ob das Gen nicht vielleicht tatsächlich von Intentionen angetrieben wird so wie andere belebte Wesen auch. In Wirklichkeit wird der Reproduktionserfolg oder –misserfolg von Genen jedoch durch Selektionsvorgänge geregelt, die dafür sorgen, dass Gene, die durch ihre Wirkungen ihre eigene Reproduktion begünstigen, in Zukunft häufiger werden, egal ob dadurch andere Gene, der Phänotyp oder die Art beeinträchtigt werden. Es ist dieser Umstand, der in dem metaphorischen Attribut egoistisch zum Ausdruck kommt.

The past explains the present

Der Titel eines einflussreichen evolutionspsychologischen Artikels lautet "The past explains the present" (Tooby and Cosmides 1990). Das ist eigentlich das Prinzip jeder Erklärung, sieht man einmal von den Besonderheiten des Zeitbegriffs ab, mit dem sich die Physik beschäftigt. Und doch ist diese Binsenwahrheit, wonach das Explanans dem Explanandum voranzugehen hat, keineswegs selbstverständlich. Im normalen Alltagsleben sind wir durchaus gewöhnt, Absichten und Ziele als Ursachen gelten zu lassen und somit scheinbar die Ursache in die Zukunft zu verlegen. Intentionen können Ursachen sein, wenn z.B. ein Mann eine Frau für sich gewinnen möchte und seine Handlungen durch dieses Ziel zu erklären sind. Im täglichen Umgang können also Pläne als Ursachen gelten, auch wenn das Wort Ursache dann nicht die gleiche Bedeutung hat wie in den Naturwissenschaften. Die Evolutionstheorie als Teil der Naturwissenschaften kann Pläne als Ursachen nicht gelten lassen und in der Tat hat die Evolution kein Ziel und keinen Plan. Alles, was sich entwickelt, ist nur aus der Gewordenheit heraus zu verstehen. Daher muss die Erklärung für evolvierte Motive in der Vergangenheit liegen und Motive, die früher einmal vorteilhaft waren, können in der Gegenwart einen Nachteil bedeuten, wie z.B. die Vorliebe für süße und fettreiche Nahrung.

Gibt es einen Fortpflanzungstrieb?

Ich komme nun zu der ersten Frage: Gibt es einen Fortpflanzungstrieb? In einem Tierfilm im Fernsehen war einmal zu sehen, wie ein Hirsch Rivalen verjagte und dann mit einer Hirschkuh kopulierte. Der Kommentar: "Der Hirsch wird jetzt für den Stress der Brunftzeit dadurch belohnt, dass er seine Gene weiter geben kann".

Dass der Hirsch eine Belohnung empfindet, ist ziemlich wahrscheinlich, denn als hoch entwickeltes Säugetier hat er gewiss ein ähnliches Belohnungssystem wie wir Menschen auch. Aber dass der Grund für sein Wohlgefühl in einer Genugtuung darüber liegt, seine eigenen Gene weiter gegeben zu haben, ist zu bezweifeln. Er wird vielleicht so etwas wie Befriedigung empfunden haben, als er den Rivalen vertrieb und sein sexuelles Belohnungssystem hat ihm vielleicht ähnliche Lustgratifikationen verschafft, wie wir sie in unserem Sexualleben kennen, doch die Genugtuung, etwas für seine Gene getan zu haben, bleibt ihm verschlossen, denn so weit reicht seine Repräsentation der Welt um ihn herum nicht. Er führt einzelne evolvierte Verhaltensprogramme aus, die an Belohnungssysteme gekoppelt sind und normalerweise so zusammenspielen, dass Fortpflanzung die Folge ist. Der Grund für dieses Verhalten ist nicht ein Interesse an der Vermehrung der eigenen Gene, sondern ein viele Generationen in die Vergangenheit zurückreichender, evolutionärer Selektionsprozess für motivationale Mechanismen, die auf bestimmte Situationen zugeschnitten sind.

Wahrscheinlich hat der Hirsch eine Art von Verständnis dafür, was es bedeutet, wenn ein Rivale am Rande der Lichtung auftaucht, ein Verständnis, das wir als Menschen nachvollziehen können. Immerhin können diese Tiere sich selbst und ihre Rivalen gut einschätzen und sie treffen normalerweise eine der eigenen Stärke angemessene Entscheidung über Angriff oder Rückzug. Der mentale Apparat, der die Wechselfälle des Konkurrenzkampfes kontrolliert, kann nicht aus einem rigiden Reiz-Reaktionsprogamm bestehen, er ist flexibel und lernfähig - gerade diese Qualität trägt zum Fortpflanzungserfolg bei.

Zwar gehört ein solches Programm zu den Voraussetzungen dafür, dass am Ende die Fortpflanzung gelingt, man kann es aber kaum als Fortpflanzungstrieb bezeichnen, denn es richtet sich nicht konkret auf Fortpflanzung, sondern auf möglichen Kampf. Überdies muss das Tier, um überhaupt die Bühne des Fortpflanzungsgeschehens betreten zu können, schon zuvor motiviert gewesen sein, sich gut zu ernähren und Gefahren aus dem Wege zu gehen. Auch diese Motive müssten zu einem Fortpflanzungstrieb hinzugerechnet werden, wenn ein solches Konzept überhaupt einen Sinn ergeben soll. Am Ende wäre jeder Antrieb zum Fortpflanzungstrieb zu rechnen, denn vererbbare Antriebe, egal welcher Art, die den individuellen Reproduktionserfolg letztlich nicht steigern, sondern vermindern, müssen zwangsläufig, ebenso wie körperliche Merkmale, für die diese Aussage gilt, im Genpool seltener werden und schließlich verschwinden. Der Reproduktionserfolg ist also das letzte Kriterium für den Bestand eines genetisch vererbbaren motivationalen Mechanismus. Daraus folgt jedoch nicht, dass die Evolution Perfektion hervorbringt, denn weder kann sie die
Anpassungserfordernisse zukünftiger Umwelten antizipieren, noch erlauben die Mechanismen der Vererbung das völlige Verschwinden von Merkmalen, die die Fitness vermindern, z.B. wenn, wie im Fall der Sichelzellenanämie, der heterozygote Typ den beiden homozygoten Typen überlegen ist.

Motivationale Mechanismen können sich nur in konkreten Situationen auf konkrete Verhaltensalternativen richten. Das Ziel, die eigenen Gene weiterzugeben, ist nicht konkret genug, als dass sich dafür in der Evolutionsgeschichte ein spezielles Motiv hätte entwickeln können. Tatsächlich kommt die Natur sehr gut ohne ein Globalmotiv zur Fortpflanzung aus, ähnlich wie man eine Reise antreten kann, ohne das Ziel zu kennen, nur mit dem Wissen, zunächst einmal von A nach B zu fahren, wo man den Wunsch verspürt, C zu erreichen und so weiter, bis man irgendwann, ohne es zu Anfang intendiert zu haben, in Z ankommt.

Kinderwunsch

Nach dem bisher gesagten, wird in der Biologie die Existenz eines eigenständigen Fortpflanzungsmotivs bestritten. Auf das menschliche Verhalten bezogen folgt daraus, dass der Motivkomplex, der das Sexualverhalten regelt, nur die Anweisungen für eine einzelne Phase im Fortpflanzungsgeschehen gibt. In evolutionärer Zeit hatten vermutlich nur jene Individuen gute Fortpflanzungschancen, die Ressourcen erwerben und Status erringen konnten. Er oder sie musste sich auch attraktiv machen für das andere Geschlecht durch Besitz, Schmuck, einfallsreiche und ansprechende Kleidung, die Beherrschung von Kulturtechniken wie Redegewandtheit oder durch andere kostspielige Signale, die bei der Werbung die Chancen verbessern. Die Motivation zu diesen Verausgabungen ist an ein Belohnungssystem gekoppelt, das uns für die Erreichung solcher Ziele eine Befriedigung verschafft. Der motivationale Komplex, der Partnerwahl und Bindung umgibt, hat wieder andere Ziele und Gratifikationen. Hier geht es um den Wunsch, beachtet und geliebt zu werden, um die Höhen und Tiefen von Bindung, Rivalität und Trennung. Dieses motivationale System verdankt seinen Ursprung vermutlich per Funktionswandel dem System, das ursprünglich die Mutter-Kind-Beziehung regulierte (Eibl-Eibesfeldt; Zeifman and Hazan 1997). Entwicklungsgeschichtlich noch älter ist das System der sexuellen Motive, die mit dem Bindungssystem in der Regel, aber nicht zwangsläufig koordiniert sind. Auch dieses System hat seine eigenen Gratifikationen. Schließlich besitzen wir noch angeborene Motive zur Fürsorge für Kinder und Heranwachsende. Auch hier kann man von einem relativ selbstständigen Motivkomplex sprechen, dessen Befriedigungsquellen nicht leicht durch irgendeine andere zu ersetzen sind. Man könnte jetzt noch weitere, relativ autonome Motivkomplexe beschreiben, doch für eine grobe Skizzierung reichen die genannten aus. Wenn im Laufe der Lebensgeschichte diese Motive zusammenwirken, ist Fortpflanzung fast unvermeidlich, es sei denn, die Sequenz wird an irgendeiner Stelle unterbrochen. In moderner Zeit ist das leicht möglich, besonders beim Übergang von Sex zu Elternschaft. Unsere Vorfahren in evolutionärer Zeit brauchten kein eigenständiges Motiv, Nachkommen zu haben. Es gab zwar ein Motiv, Kinder zu schützen, für sie zu sorgen und freundlich zu ihnen zu sein, der Wunsch nach Nachkommen aber lag vermutlich schon immer auf einer höheren Ebene der kognitiv-emotionalen Steuerung, jedenfalls nicht auf der gleichen basalen Ebene wie sexuelles Begehren oder die Reaktion auf das Kindchenschema. Da häufiger Sex noch bis in die jüngere geschichtliche Zeit mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Schwangerschaft führte, gab es in der Evolutionsgeschichte vermutlich nie den Selektionsdruck, der einen gezielten und eigenständigen Antrieb, Nachkommen zu erzeugen, hätte hervorbringen können. Das motivationale System, das die Fürsorge für die Kinder steuert und auch die Befriedigungen vermittelt, die diese Fürsorge mit sich bringt, wurde mit der Schwangerschaft automatisch wachgerufen und musste nicht schon in der Phase der Partnersuche und der Bindung antizipiert werden. So war es kaum möglich, die Befriedigungsquellen aus der Welt der Partnersuche und des sexuellen Erlebens zu genießen, ohne irgendwann auf die Freuden der Elternschaft zu stoßen. Anscheinend sind die emotionalen Gratifikationen elterlicher Fürsorge schwer zu antizipieren: erstgebärende Mütter berichten oft, sie hätten nicht vorausgesehen, wie gut sie in ihre Rolle hineinwachsen und wie viel Freuden ihnen ihr Muttersein verschaffen würden (McMahon 1995).Natürlich haben viele Paare den Wunsch, Kinder zu haben und dieser Wunsch kann auch eine alles beherrschende Kraft entfalten, doch diese Kraft scheint eher auf Fürsorgemotiven zu basieren, die auf Ausübung drängen oder deren Untätigkeit auf schmerzliche Weise empfunden wird. Solange der Kinderwunsch noch aufgeschoben werden kann, ist seine handlungsleitende Kraft oft zu gering, als dass er sich regelhaft gegen die Suche nach Status und Macht, Liebe und sexuelle Lust durchsetzen könnte. Das explizite Motiv, eigene Nachkommen zu haben, kommt anscheinend nicht aus den tieferen Quellen unseres Antriebssystems, sondern ist gleichsam ein Nachgedanke jener Teile des Gehirns, die evolutionsgeschichtlich relativ neu sind, in denen durch das Erwägen von Optionen und den von ihnen erwarteten Befriedigungen die eigene Lebensgeschichte geplant wird. Hätten wir ein genuines Fortpflanzungsmotiv, dann würde unsere Welt anders aussehen. Niemand würde Verhütungsmittel benutzen, jede Frau würde, wenn es nur irgend ginge, die volle Spanne ihrer reproduktiven Zeit nutzen, um eine große Kinderschar zu bekommen, Männer würden alle ihre Ressourcen dafür einsetzen, große Familien zu gründen und Samenbanken wären ein umkämpftes Politikum.

Dient Sexualität der Fortpflanzung?

Die zweite Frage lautete: Dient Sexualität der Fortpflanzung? die Antwort ist: Ja, wenn damit gemeint ist, dass sexuelle Rekombination bei vielen Arten die Voraussetzung dafür ist, dass es überhaupt zu einer Fortpflanzung kommt. Um zu verstehen, warum Sexualität sich entwickelt hat, muss man verstehen, warum nicht die einfachere asexuelle Fortpflanzung das Feld dominiert. Das setzt voraus, dass eine Spezies überhaupt zu dieser Alternative zurückkehren kann. Bei manchen Reptilien und vielen niederen Arten ist das der Fall, bei Säugetieren und Vögeln gibt es jedoch so viele sekundäre Anpassungen an die sexuelle Reproduktion, dass kein evolutionärer Weg zur asexuellen Reproduktion zurück führt. Eine dieser Anpassungen ist das genetische Imprinting, das Phänomen, wonach bestimmte Gene zwingend vom Vater stammen müssen und andere zwingend von der Mutter, um eine ungestörte Embryonalentwicklung zu gewährleisten. Daher ist es auch mit Techniken des Klonens nicht möglich, dass zwei Männer oder zwei Frauen gemeinsame Nachkommen haben.

Die Frage muss mit jedoch mit nein beantwortet werden, wenn gemeint ist, ob mit Sexualität die Fortpflanzung leichter ist als ohne, also die Sexualität der Fortpflanzung im gleichen Sinne dient, in dem wir das Wort dienen sonst verwenden, nämlich als ein Helfen, für etwas arbeiten, etwas unterstützen. Einen Diener, der mehr Probleme macht, wenn er da als wenn er nicht da ist, kann man nicht wirklich als Diener empfinden. Genauso verhält es sich mit der sexuellen Rekombination: sie addiert zu der an sich einfachen asexuellen Fortpflanzung ein kostspieliges komplizierendes Element.

Nachteile der Sexualität

Bei Tieren und Pflanzen, die sich sexuell fortpflanzen, beginnt jedes Individuum mit einer einzigen Zelle, der Zygote, die aus der Verschmelzung zweier Geschlechtszellen, der Gameten, hervorgeht. Auch wenn man von sexueller Reproduktion spricht, ist der sexuelle Prozess nicht auf Vermehrung angelegt, sondern im Gegenteil auf Verminderung: aus zwei Zellen wird eine einzige. die Vermehrung hat schon vorher stattgefunden, nämlich als Zellteilung der Stammzellen für die Eizellen und die Samenzellen.

Geht es allein um Vermehrung, dann ist Sexualität nicht nur entbehrlich, sondern sogar hinderlich, denn die Hälfte der Population, die Männchen, sind vom direkten Fortpflanzungsgeschehen ausgeschlossen und sie tragen meist auch nicht indirekt durch Brutpflege dazu bei (was der Biologe Fischer den zweifachen Nachteil der Sexualität genannt hat). Weiterhin kann man zu den Nachteilen der Sexualität auch den enormen Aufwand für Werbung und Wettkampf zählen: Riesige Geweihe, üppiger Gefiederschmuck, komplizierte Tänze und Gesänge, fortdauernder Kampf mit Rivalen. Diese Energie zehrenden Verausgabungen sind bei asexueller Reproduktion überflüssig. Tatsächlich gibt es Spezies, z.B. die in Wüsten lebenden Renneidechsen, bei denen immer wieder Subspezies entstehen, die sich asexuell reproduzieren können. Die Weibchen brauchen für die Fortpflanzung keine Männchen, weil ihre Eizellen schon diploid sind (Parthenogenese). Diese Arten verdrängen gewöhnlich die sexuellen Arten, von denen sie abstammen; sie halten sich meist aber nur wenige Jahrtausende.
Gene arbeiten wie eine Mannschaft zusammen, um einen Organismus zu bauen, der ihnen in der gegebenen Umwelt ermöglicht sich zu reproduzieren. Gene, die einen Phänotyp bauen, der sich überdurchschnittlich reproduziert, vermehren sich im Genpool und sorgen so dafür, dass ihresgleichen häufiger wird. Das gilt allerdings nur für asexuelle Reproduktion. Bei sexueller Reproduktion geschieht etwas auf den ersten Blick unzweckmäßiges: erfolgreiche
Mannschaften werden durch Crossover und Rekombination während der Meiose auseinander gerissen und neu zusammengesetzt. Wo immer auch die Erklärung dafür liegen mag, warum es Sexualität gibt - es kann nicht die Effektivierung der Fortpflanzung sein, sondern es muss Vorteile geben, die alle Nachteile mehr als aufwiegen.

Vorteile der Sexualität

Der Unterschied zwischen männlich und weiblich ist für Biologen der Unterschied zwischen großen und kleinen Geschlechtszellen. Es gibt aber auch sehr primitive Lebewesen wie Schleimpilze, bei denen die Gameten alle gleich groß sind, so dass es keinen Sinn hat, von zwei Geschlechtern zu sprechen. Wenn jeder Organismus gleich viel beisteuert, dann kann es den zweifachen Nachteil der Sexualität nicht geben und daraus folgt, dass dieser Nachteil nicht das ursprüngliche Entstehen sexueller Rekombination behindern konnte. Nun ist aber auch für die isogame Verschmelzung gleich großer Gameten die Frage zu stellen, warum sich dieses System in der Evolution durchgesetzt hat, obwohl es die Fortpflanzung verkompliziert, denn auch primitive Gameten müssen Partner finden und sie müssen durch den aufwändigen Prozess der Meiose produziert werden. Es muss also Vorteile sexueller Reproduktion geben, die auch diese Kosten mehr als ausgleichen. Solche Vorteile können in großer Zahl aufgezählt werden, doch genügen Vorteile allein nicht, die Existenz eines Phänomens zu erklären. Es wäre z.B. für Schweine vorteilhaft fliegen zu können, um ihren Verfolgern zu entkommen, doch die Evolution hat diese Eigenschaft nicht schon deshalb hervorgebracht. Man weiß bis heute nicht genau, welche Selektionsvorteile die Evolution der Zweigeschlechtlichkeit angetrieben haben. Maynard Smith sagt dazu: "If you find the story confusing, welcome to the club" (Maynard Smith and Szathmary 1999). Die meisten Vorteile beziehen sich auf die Population, weniger auf das einzelne Individuum, und werfen damit die Probleme der Gruppenselektion auf. Die frühere Biologie akzeptierte bis in die 50er Jahre noch die Vorstellung der Arterhaltung oder des Wohls der Art als kausales Agens. Da dies ein teleologisches Prinzip ist, hat es in den Naturwissenschaften keinen Platz, weil eine Wirkung der Ursache nicht vorausgehen kann. Sex könnte ohne direkten Vorteil für das Individuum sein, aber von langfristigem Vorteil für die sich sexuell reproduzierende Gruppe gegenüber der asexuellen. Doch wenn die kurzfristigen Vorteile für Individuen die langfristigen Vorteile für die Population übertreffen, können Verhaltensweisen, die für die Gruppe als Ganze günstig wären, sich nicht entwickeln, es sei denn andere Faktoren verhindern diese Dynamik. Ein Beispiel: in großen Vogelkolonien wäre es eigentlich praktisch, Kindergärten zu bilden, die von einigen Brutpaaren behütet werden, während andere nach Nahrung suchen. Ein solches System scheint jedoch nicht etablierbar, weil es nicht gegen egoistische Trittbrettfahrer gesichert werden kann, die mehr Nahrung suchen und dafür das Aufpassen anderen überlassen. Ebenso sind Individuen, die sich asexuell reproduzieren, im Vorteil, auch wenn sexuelle Reproduktion der Art insgesamt nützen würde. Zwar ist Gruppenselektion für die Evolution der Zweigeschlechtlichkeit nicht ausgeschlossen, doch wahrscheinlicher ist, dass Vorläufer sexueller Rekombination schon in der Lebensspanne eines Individuums für dessen Reproduktionserfolg direkt vorteilhaft waren, z.B. wenn damit genetische Reparaturmechanismen effektiver wurden oder wenn ein Weibchen mit einer großen Variation unterschiedlicher Nachkommen die Chance vergrößerte, in der ungewissen zukünftigen Umgebung das eigene Genom wenigstens in einigen erfolgreichen Phänotypen weiterzureichen (Maynard Smith 1978).

Unter den zahlreichen Vorteilen sexueller Rekombination möchte ich die drei wichtigsten hervorheben: Genetische Reparatur, Elimination ungünstiger Mutationen und Wettlauf mit Parasiten.

Wenn alle Gene doppelt vorhanden sind, kann für ein defektes Allel immer noch ein eventuell unversehrtes vorhanden sein, um das erforderliche Protein herzustellen. Zwar sind auch die meisten asexuellen Arten diploid, doch wenn beide Allele beschädigt sind, gibt es keine Reparaturmöglichkeit mehr, denn die Rekombination mit einem an der fraglichen Stelle unbeschädigten Chromosomensatz ist ausgeschlossen.

Asexuelle Arten sammeln unweigerlich ungünstige Mutationen an, die sie auch bei starkem Selektionsdruck schwer loswerden können. Sexualität ist ein Weg diesem Prozess entgegenzuwirken, da durch Crossover und zufällige Rekombination ungünstige Mutationen konzentriert und der natürlichen Selektion exponiert werden, wodurch sie langsam wieder aus dem Genpool verschwinden (Mullers ratchet). Umgekehrt können besonders günstige Mutationen, die unabhängig voneinander in verschiedenen Individuen entstanden sind, durch
sexuelle Kombination auf einem einzigen Individuum zusammenkommen, und dort für besonders gesteigerte Fitness sorgen.

Die größte Bedrohung für die Reproduktionschancen kommt für die meisten Organismen nicht aus den Widernissen des Klimas, des Nahrungsangebots oder den Nachstellungen durch Raubtiere, sondern von Parasiten. Der Biologe George W. Hamilton stellt den Wettlauf mit Parasiten in das Zentrum seiner Theorie der Entwicklung der Sexualität (Hamilton 2001; Seger and Hamilton 2001). Parasiten wie Viren, Bakterien, Pilze, Würmer haben eine kürzere Generationsdauer als die Organismen, die sie befallen und sind daher in der Lage, sich auf die Immunabwehr ihrer Wirte relativ schnell einzustellen. Sie befallen bevorzugt den am meisten verbreiteten Typ von Immunsystem, gegen den sie bisher am besten Gelegenheit hatten Abwehrmaßnahmen zu evolvieren. Sexuelle Rekombination sorgt im Gegenzug dafür, dass immer wieder neue Typen von Immunsystemen entstehen, die den Parasiten immer wieder neuen Widerstand entgegensetzen. Daher sind die Teile des Genoms, die das Immunsystem kontrollieren, bei den meisten Arten, auch beim Menschen, genetisch besonders polymorph. Es gibt viele Belege für diese Fokussierung auf den Wettlauf mit Parasiten, z.B. die Beobachtung, dass Organismen, z.B. manche Schnecken, die zu sexueller wie zu asexueller Reproduktion in der Lage sind, sich sexuell fortpflanzen, wenn viele Parasiten anwesend sind und zu asexueller Fortpflanzung übergehen, wenn der Parasitendruck nachlässt. Der Widerstand gegen Parasiten spielt auch eine Rolle bei den Signalen der Partnerwahl, die vielfach die Funktion haben, zuverlässige Hinweise auf ein effizientes Immunsystem zu geben oder dabei helfen, einen Typ von Immunsystem zu finden, dessen Kombination mit dem eigenen zu einem neuartigen Resultat führt (Grammer et al. 2003).

Ursprünge der Zweigeschlechtlichkeit

Ich skizziere nun ganz knapp die Theorie John Maynard Smiths zu den Ursprüngen der Zweigeschlechtlichkeit (Maynard Smith and Szathmary 1997, 1999). Die ersten Lebewesen besaßen nur einen einzigen Chromosomensatz, sie waren haploid. Der erste Schritt zur sexuellen Rekombination, die ja einen diploiden Chromosomensatz voraussetzt, war vermutlich die Endomitose, ein Vorgang, bei dem eine haploide Zelle ihren Chromosomensatz verdoppelt und damit unempfindlicher gegen DNA-Schäden wird. Die nächsten Schritte betreffen die Meiose, die aus dem diploiden Chromosomensatz wieder haploide Chromosomensätze erzeugt. Die Meiose ist ein komplexer, sehr genau choreographierter Prozess, dessen Evolution noch immer schwer zu erklären ist. Der wichtigste Schritt war dann vermutlich die Ersetzung der Endomitose durch die Fusion von Zellen mit unterschiedlichen Chromsomensätzen. Da hierdurch der Effekt rezessiver Mutationen überdeckt werden konnte, war diese DNA-Reparaturmethode der endomitotischen Verdopplung des gleichen Chromsomensatzes überlegen. Es ist der gleiche Mechanismus, den man auch als hybrid vigor bezeichnet, die erhöhte Vitalität der heterozygoten gegenüber der homozygoten Form. Der Anstoß zu dieser Entwicklung kam möglicherweise von einem Zellparasiten, einem Plasmid oder einem egoistischen Transposon, das ursprünglich die Zellfusion bewirkte um von einer Wirtszelle zur nächsten zu gelangen, weil seine eigene Verbreitung davon abhing. So ist zu vermuten, dass die Zweigeschlechtlichkeit mit einem aus ganz anderen Gründen evolvierten Mechanismus zur Zellfusion begann, der später, wie viele andere ursprünglich parasitäre Einwirkungen, von der Wirtszelle für ihre eigenen Zwecke genutzt werden konnte.

Rekombinationsrate und Inzestvermeidung

Wir haben gesehen, das sexuelle Populationen zwei potentielle Vorteile gegenüber asexuellen haben: Sie können sich schneller evolvieren und sie können ungünstige Mutationen schneller loswerden. Das ist besonders günstig, wenn sich die Umwelt schnell ändert und wenn die Wahrscheinlichkeit von Mutationen groß ist. Nun hat jede sexuelle Population eine charakteristische Rate der Rekombination, die selbst genetisch gesteuert ist. Man kann finden, dass diejenigen Umstände, die sexuellen Populationen einen Vorteil gegenüber asexuellen verschaffen auch jene Gene favorisieren, die eine höhere Rate der Rekombination bewirken. Es gibt also innerhalb der sexuellen Reproduktion noch ein Kontinuum der Intensität der Rekombination, das durch die gleichen Faktoren angetrieben wird wie der Unterschied zwischen Sex und nicht Sex überhaupt. Asexualität wäre praktisch der Zustand von Null-Rekombination. Daher ist es auch verständlich, dass alle Organismen irgendwelche Vorkehrungen gegen die Möglichkeit des Inzests entwickelt haben. Die einfachste besteht darin, dass sich genetisch ähnliche Nachkommen in alle Winde zerstreuen, andere Methoden funktionieren über Pheromone oder über das individuelle Erkennen der Individuen, die beim Aufwachsen im gleichen Nest zugegen waren. Inzest macht praktisch die Idee der Sexualität wieder rückgängig. Wenn es keine Mechanismen gäbe, das zu verhindern, dann wäre die Evolution der sexuellen Rekombination wohl schon in den Anfängen stecken geblieben.

Mating types und sexuelle Differenzierung

Es ist nicht selbstverständlich, dass es genau zwei Geschlechter gibt. Tatsächlich existieren primitive Organismen mit mehreren mating types, auch wenn, selbst bei Gameten gleicher Größe, das Zweiersystem mit mating type + und mating type - dominiert. Nach dem heutigen Stand liegt die Erklärung darin, dass Mitochondrien, und bei Pflanzen auch Chloroplasten, nur von einem einzigen Elternteil vererbt werden. Die Regel der einelterlichen Vererbung intrazellulärer Organellen gilt fast universell. Der Grund liegt vermutlich darin, dass im anderen Fall, wenn nämlich Mitochondrien von beiden Eltern vererbt werden würden, die Bühne für einen evolutionären Wettlauf eigennütziger Organellen eröffnet wäre. Ein Mitochondrium, das sich schneller vermehrt, dafür aber weniger ATP für den Wirtsorganismus produziert, würde einen Selektionsvorteil haben, auch wenn es dem Wirtsorganismus weniger nützte. Aus diesem Grunde wirkte vermutlich ein Selektionsdruck gegen eine Geschlechterzahl größer als zwei. Es blieb nur eines übrig, das die Organellen weiterreichte und ein anderes, das dies nicht tat.

Anisogamie

Der evolutionäre Pfad zu Arbeitsteilung zwischen einer beweglichen Gamete mit wenig Zellmaterial (Spermium) und einer nicht beweglichen Gamete mit Nahrungsvorräten (Eizelle) führte vermutlich über die Größe der Kolonie, die aus der Keimzelle entstand. Wenn bei heutigen koloniebildenden Organismen nur kleine Kolonien gebildet werden, sind die Gameten isogam, also alle von gleicher Größe. Werden große Kolonien gebildet (z.B. bei Grünalgen), dann taucht die Differenzierung in kleine bewegliche und große unbewegliche Keimzellen zum ersten Mal auf. Das weist auf eine disruptive Evolution hin, in der die spezialisierten Extremformen (groß vs. beweglich) bessere Reproduktionschancen hatten, als die intermediären Formen. Diese Differenzierung, zusammen mit der Spezialisierung auf die Weiterreichung von Organellen, ist die Basis des Geschlechtsunterschieds.

Sexuelle Konflikte

So beginnt die Geschichte Sexualität mit der Konkurrenz von Gameten und dieses Thema gewinnt mit der Höherentwicklung der Organismen immer neue Gestalt. In teleologischer Kurzschrift: Die Eizelle, deren Interesse darin besteht, zu wählen, mit welchen genetischen Partnern sie ihre kostbare Investition eingeht kommt in Konflikt mit den Spermien, die eine Wahl erzwingen möchten und dabei mit Spermien anderer Organismen wetteifern. Der erste Konflikt führt zur sexuellen Selektion durch weibliche Wahl, die bei manchen Arten als kryptische Wahl noch im weiblichen Körper darüber entscheidet, von welchen Spermien eine Eizelle befruchtet wird (Eberhard and Krebs 1996), der zweite Konflikt führt zu einer Vielzahl von Anpassungen an die Möglichkeit der Spermienkonkurrenz, z.B. Verhaltensweisen zur Bewachung von Weibchen (mate guarding), ein großes Ejakulat, häufiger Koitus. Auch in der menschlichen Sexualpsychologie haben Spermienkonkurrenz (Smith 1984) und mate guarding (Buss 2002) ihren Platz, ganz im Sinne des Ausspruchs von Nietzsche: "Ihr habt den Weg vom Wurme zum Menschen gemacht, und Vieles ist in euch noch Wurm."

Literatur

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Dawkins, R. 1996. Das egoistische Gen. Hamburg: Rowohlt.
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Dienstag, 8. Januar 2008

Alternative Lebensformen



Dass von Medien und Politik Gesellschaftsmanipulation getrieben wird zeigt sich,
wenn man feststellt, in welchem Umfeld Kinder in ihrer großen Masse tatsächlich aufwachsen.

Hier erscheint dann die Aussage, die Ehe sei ein Auslaufmodell, als das, was sie ist: eine Lüge.

Dass die Politik und auch die Medien hier ein verschobenes Bild der Wirklichkeit haben liegt daran, dass die Problemfälle, die Kostentreiber der Sozialsysteme aus den "atypischen" Lebensformen stammen.



Sonntag, 6. Januar 2008

Rosa Luxemburg als Wegweiser

Männer und Frauen sind Halbwesen, weil keine(r) sich ohne den anderen fortpflanzen kann. Nun wäre es denkbar, dass sich wie bei vielen Arten im Tierreich die Rolle des Mannes darauf beschränkt, Weibchen zu befruchten und dann von dannen zu ziehen. Dieses Modell ist in keiner menschlichen Gesellschaft verwirklicht, denn immer sind Frauen mit Männern in Lebensgemeinschaft, mögen es die Väter der Kinder oder die direkten Verwandten wie Brüder und Onkel sein. Grund ist, dass der weibliche Phänotyp optimal ans Kinderbekommen und Säugen angepasst ist, an die Betreuung von Kindern bis ins 3. Lebensjahr. An die Notwendigkeiten der wilden Welt jedoch nicht, weder physisch noch psychisch. Keine allein weibliche Gesellschaft könnte gegen eine allein männliche Gesellschaft bestehen. Da Frauen mehr konsumieren als sie produzieren und im freien Wettbewerb gegen Männer nicht bestehen können, sind sie Staatsorientiert. Sie suchen den Schutz des Häuptlings. Aus diesem Grund wählen Frauen eher sozialistisch. Sie wollen versorgt sein, wie auch immer. Der freien Entfaltung, dem Wettbewerb und dem Risiko stehen Frauen mit Misstrauen gegenüber. Sie wissen warum. Der freie, wilde Mann ist ihnen suspekt. Sie wollen ihn von sich abhängig machen, ihn domestizieren. Die Methode dazu ist das Gift der Fürsorge. Es gibt viele Möglichkeiten, Macht auszuüben. Fürsorge ist eine davon. Ich unterminiere das Vertrauen des anderen in die eigene Kraft um ihm dann meine Fürsorge angedeihen zu lassen, ihn auf diesem Weg zu entmündigen.

Wer sich mit dem Feminismus auseinandersetzt, der muss sich auch mit linker Ideologie auseinandersetzen, denn beide sind eine unheilige Allianz eingegangen.

Im folgenden Text sind meine Erwiderungen in Rot gehalten.



DEN KAPITALISTISCH- PATRIARCHALEN EISBERG ABSCHMELZEN,
SUBSISTENZ-LEBENSWELTEN AUFBAUEN!

Rosa Luxemburg zeigt uns den Weg.

Wenn der Kapitalismus etwas nicht ist, dann patriarchal. Ganz im Gegenteil, der Kapitalismus ist extrem egalitär. Er beseitigt alle zwischenmenschlichen Bindungen bis auf die, welche auf vertraglicher Basis und auf individuellen Interessen beruhen. Die alte Zunft- und Ständegesellschaft war patriarchal, auch wenn die Rolle der Patriarchin auch eine Frau, z.B. die Witwe des Meisters, des Kaufherren, innehaben konnte. Der Kapitalismus hat die Stände- und Zunftgesellschaft zerstört.

Den Weg, den Rosa Luxemburg weist, sind andere schon gegangen, nämlich Lenin, Stalin, Mao, Pol Pot und andere. Er hat sich als Irrweg erwiesen.


TEIL I

von Maria Mies

Eins möchte ich zu Anfang klar stellen: Meine Freundinnen Veronika Bennholdt-Thomsen, Claudia von Werlhof und ich "entdeckten" Rosa Luxemburg, besonders ihr Hauptwerk "Die Akkumulation des Kapitals", vor fast 30 Jahren, als wir als Feministinnen Antworten suchten auf bestimmte Fragen, die wir bei Marx und Engels und anderen männlichen linken Theoretikern nicht fanden. Diese Fragen waren vor allem:
1. [b]die Frauenfrage[/b], hier insbesondere die Frage, warum die Hausarbeit weder in der kapitalistischen noch in der marxistischen Theorie und Praxis einen Wert hat.
2. [b]die Kolonialfrage[/b], d.h. warum die Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas auch nach ihrer politischen Entkolonisierung immer noch ökonomische Kolonien der imperialistischen "Metropolen" Europas und Nordamerikas und dann auch Japans bleiben. Und
3. [b]die Natur- oder Ökologiefrage.[/b] Wie konnten Frauen und fremde Völker befreit werden, wenn sie, wie die außermenschliche Natur nur als ausbeutbare Naturressource betrachtet werden?
Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Ausbeutung dieser "drei Kolonien" in den kapitalistischen wie in den sozialistischen Industrieländern? Welches Naturverhältnis liegt dem kapitalistischen wie dem sozialistischen Fortschrittsparadigma zugrunde?


Die Verknüpfung der Frauenfrage mit der Kolonial, der Natur- und Ökologiefrage ist völlig willkürlich. Wollen wir die Begriffe Ausbeutung und Unterdrückung aufgreifen, so waren Männer und Frauen bei Ausbeutern-/Unterdrückern und bei den Ausgebeuteten/Unterdrückten vertreten, wobei es in der Regel Männer sind, die einen höheren Preis als Frauen bei Ausbeutung/Unterdrückung zahlen.


Rosa Luxemburg hatte diese Fragen so nicht gestellt. Sie war keine Feministin. Trotz ihrer Freundschaft mit Clara Zetkin, der Begründerin und Führerin der proletarischen Frauenbewegung in Deutschland, hielt sie nichts von Claras Bemühungen um eine Mobilisierung der proletarischen Frauen. Nach Meinung der SPD sollte Clara Zetkin und die sozialistische Frauenbewegung sich um die Stärkung der Kleinfamilie, um Mutterschutz, Kinder und ähnliche "Frauenthemen" kümmern. In der Partei aber sollten sie keine Stimme haben. "Das war der Grund", schreibt Evans, "weshalb eine engagierte Revolutionärin wie Rosa Luxemburg sich nicht mit der Frauenbewegung befaßte". (Evans 1979, S. 319) Sie wollte "richtige" Politik machen, und die war damals, wie zum großen Teil heute, Männersache. Rosa L. verachtete Clara Zetkin ein bißchen dafür, daß sie sich "nur" um die Frauenfrage kümmerte. An Leo Jogiches schrieb sie einmal:

"Clara ist gut, wie immer, aber sie läßt sich irgendwie ablenken, sie bleibt in Frauenangelegenheiten stecken und befaßt sich nicht mit allgemeinen Fragen. Also bin ich ganz allein." (zitiert in Evans 1979, S. 320)

Auch für Rosa Luxemburg also waren Frauenfragen keine allgemeinen Fragen. Zumindest sah sie keinen Zusammenhang zwischen der Frauenfrage und dem, was sie allgemeine Fragen nannte, z.B. den Kolonialismus, die brutale Gewalt der kapitalistischen Mächte gegen die sog. Naturvölker, den Militarismus und die Kriegsvorbereitungen.


Es gibt viele Phänomene, für die der Kommunismus/Sozialismus keine Erklärung, keine Antwort hat.
  • Eine davon ist der Nationalismus.
  • Eine andere mag der Feminismus sein.
Beide Erscheinungen vertragen sich mit der reinen Lehre nicht, nachdem die entscheidenden Kräfte dem Klassengegensatz zwischen Proletariat und Kapitalbesitzern entspringen, eine Sicht, die auch mir einleuchtender ist. Der Feminismus verleugnet die Bedeutung der Klassengegensätze, tut so, als ob die Kassiererin im Supermarkt und die Frau von Bill Gates mehr als das Geschlecht gemeinsam hätten. Man könnte postulieren, der Feminismus ist (wie auch der Nationalismus) ein Trick der Kapitalisten, um das Proletariat (die Arbeitnehmer) zu spalten und zu schwächen. Zudem der Feminismus eine bourgoise Bewegung ist, die sich vor allem im Milieu der Akademiker und der Besitzenden abspielt.


Sie regte sich auch nicht über den "proletarischen Antifeminismus" (Thönnesen) auf und überhörte die sexistischen Chauvibemerkungen vieler ihrer männlichen Genossen, z.B. die Kautsky's, der meinte "die Genossin Luxemburg bringt alles durcheinander", weil es ihr an rationalem Vermögen mangele. (Neusüß 1985, S. 127 ff) Auch Bebel, der ein dickes theoretisches Werk über "Die Frau im Sozialismus" geschrieben hatte, schrieb 1910 über Clara Zetkin und Rosa Luxemburg an Kautsky:

"Es ist mit den Frauen eine merkwürdige Sache. Kommen ihre Liebhabereien oder Leidenschaften oder Eitelkeiten irgendwo in Frage und werden nicht berücksichtigt oder verletzt, dann ist auch die Klügste außer Rand und Band und wird feindselig bis zur Sinnlosigkeit. Liebe und Haß liegen nebeneinander, eine regulierende Vernunft gibt es nicht." (zit. in Evans 1979, S. 52)


Diese Beobachtung kann jeder machen, der mit Frauen zusammenarbeitet.

Das sind doch bekannte Töne, nicht wahr? Immer noch. Frauen sind halt emotional. Es mangelt ihnen an "regulierender Vernunft"; die ist den Männerköpfen vorbehalten. Rosa Luxemburg wollte aber richtige, allgemeine Politik machen und wollte sich nicht in die Frauenecke abschieben lassen. Darum legte sie sich, wie unsere vor 10 Jahre verstorbene Freundin Christel Neusüß schrieb, permanent mit den Männerköpfen der damaligen SPD und ihrem Glauben an die Wissenschaft und die rationale, logische, generalstabsmäßige Planung einer Revolution an. Sie steckte es dabei einfach weg, wenn die Genossen ihren "hysterischen Materialismus" verhöhnten. (Neusüß 1985, S. 284) Wie viele Frauen bis heute in linken Organisationen steckte sie ihre Betroffenheit als Frau, ihre Wut über ihre männlichen Genossen weg, weil sie an die Wichtigkeit der gemeinsamen, "allgemeinen Sache" glaubte. Die Frauenfrage war für sie etwas, was dieser allgemeinen Sache hinzugefügt werden mußte, ein Nischenproblem. Heute nennt der deutsche Bundeskanzler Schröder (SPD) die Quotenpolitik das „Frauengedöns)


Dass den Sozialisten die Freiheit der Frau am Herzen lag, zeigen viele Texte, darunter die von August Bebel.

Als Feministinnen konnten wir von Rosa Luxemburg zunächst also nicht viel lernen. Da wir aber, wie die neue Frauenbewegung in den Anfängen insgesamt, die theoretische und praktische Lösung der Frauenfrage nie nur additiv als Nischenfrage verstanden haben, die man anderen, allgemein-theoretischen Entwürfen hinzufügen kann, wollten wir der Sache auf den Grund gehen. Und dieser Grund, das wurde uns bald klar, ist in der Tatsache zu sehen, daß, wie Engels richtig erkannt hatte, Menschen zuerst einmal materiell-körperlich da sein müssen, ehe sie Geschichte machen und produzieren können. Dieses Da-Sein aber fällt nicht einfach vom Himmel.

Es sind Frauen, Mütter, die die Menschen hervorbringen und dieses Hervorbringen ist nicht einfach ein unbewußter Akt der Natur als solcher, sondern es ist Arbeit (Mies 1983/1992, S. 164 ff). Und Frauen verausgaben unendlich viel Arbeit, bis diese kleinen Menschen groß sind und dann schließlich vor einem Fabriktor oder einem Büro stehen können, um "ihre Arbeitskraft" zu verkaufen, die Arbeitskraft, die nicht sie, sondern ihre Mutter zu einem großen Teil produziert hat.


Hier zeigt sich der skotomisierte Blick der Autorin, so als seien alle Frauen Selbstbefruchter und Alleinerziehende. Denn damit ein Mensch entsteht bedarf es Mann und Frau. Und selbst wenn eine Frau Alleinerziehend ist, so greift sie doch auf Infrastruktur und ggf. soziale Leistungen zurück, was beides überwiegend von Männern bereitgestellt wird. Männer als Familienmitglied, Männer als Steuerzahler, Männer als Leistungserbringer.

Wie kommt es, so fragten wir uns, daß diese ganze Mütter- und Hausfrauenarbeit keinen Wert im Kapitalismus hat? Warum ist die Arbeit, die ein Auto produziert, wertvoll, aber die, die einen Menschen produziert, wertlos? Wieso wird die Arbeit bei der Herstellung von Waren Produktion genannt und die Arbeit einer Hausfrau und Mutter nur Reproduktion?

Die gute Mies hat ihren Marx nicht gelesen, sonst wüßte sie um den Unterschied zwischen Nutz- und Tauschwert. Die Hausfrauenarbeit hat aber sowohl einen Nutz- als auch einen Tauschwert. Es gibt jemanden, sei es der Ehemann, sei es der Staat über Sozialleistungen, welcher die Frau mit Kind bezahlt. Männer bezahlen für Frauen und Kinder einen sehr hohen Preis.

Als wir bei Marx eine Antwort auf solche Fragen suchten, merkten wir bald, daß er den selben Arbeitsbegriff benutzte wie die bürgerlichen Nationalökonomen, insbesondere Adam Smith. Produktion war die Herstellung von Waren, bezw. Tauschwerten zwecks Mehrwertgewinnung. Nur die Arbeit gilt als produktiv, die dieser Mehrwertgewinnung dient. Was die Frauen machen ist Reproduktion, insbesondere Reproduktion der Arbeitskraft. Dabei ist die Produktion von Waren/Mehrwert eindeutig der sog. Reproduktion übergeordnet, denn nur sie erzeugt "Wert", sprich Kapital. Also: das Kapital braucht zwar immer wieder neue, lebendige, gesunde, kräftige, satte, gewaschene, sexuell befriedigte Menschen, aus denen es Arbeitskraft aussaugen kann, aber die Arbeit, die bei der Schaffung solcher Menschen verausgabt wird, gilt als bloße Wiederholung, ja schlimmer, als quasi Naturprozeß, der sich von selbst vollzieht, wie die Zyklen von Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und angeblich kommt bei dieser Wiederholung, dieser Reproduktion nichts Neues heraus. Neues, stets neue Automodelle, Computergenerationen, geklonte Schafe, genmanipulierte Nahrungsmittel u. dergl. kommen nur bei der mehrwertorientierten Warenproduktion heraus.

Das Problem der Reproduktionsleistung der Frau ist, dass sie diese überhaupt nicht am Markt anbietet. Wo sie dies tut, z.B. bei Leihmutterschaft, hat diese Leistung sehr wohl einen Wert. Auch die sexuelle Leistung, so am Markt angeboten, hat einen Wert, was man an den Tarifen gewisser Etablissements ablesen kann. Auch Kinderpflege- und aufzucht hat einen Wert, wie man bei Kinderkrankenschwestern, Kindergärtnerinnen und Tagesmüttern erkennen kann.

Wir hatten aber gar nichts gegen das, was da Reproduktion genannt wurde, ich bestand vielmehr darauf, daß dies die eigentlichste Produktion ist, nämlich die Produktion des Lebens, oder der Subsistenz, die im Gegensatz zur Produktion von Waren zum Zwecke der Profitmaximierung steht.

Produktion trifft nicht, eher Anbau. Das Leben wächst aus sich selbst heraus, wie das Samenkorn, die Frau ist nur der Acker, das Brutgefäß.

Doch es genügte nicht, einfach festzustellen, daß in der kapitalistischen Wirtschaft Hausarbeit - speziell Mütterarbeit - keinen Wert hat. Es genügte nicht, diese Tatsache einfach der Bosheit der Männer zuzuschreiben oder sie, wie etliche linke Männer versuchten, sie als feudalen Rest zu interpretieren. Wieso braucht das Kapital diese unbezahlte, unbezahlbare, wertlose Arbeit?

Wie gesagt, diese Arbeit (der Reproduktion) wird bezahlt und hat selbst am Markt einen Preis (Leihmutterschaft). Das Problem ist, dass diese Leistung am Markt nicht gehandelt wird. Man darf nie vergessen, Präferenzen haben ihren Preis. Wenn ich nur bereit bin, mit einem ganz bestimmten Marktteilnehmer in kontrakt zu treten, dann ist sein Angebot mein Preis.

Hier half uns Rosa Luxemburgs "Akkumulation des Kapitals" weiter. Sie hatte dieses ökonomische Hauptwerk geschrieben, als sie sich politisch und theoretisch mit dem Imperialismus auseinandersetzte und gegen die Kriegstreiberei des Deutschen Kaiserreichs kämpfte. Es erschien zuerst 1913. In diesem Werk kritisierte sie Marx, der in Kapital Bd. II dargelegt hatte, daß die "erweiterte Reproduktion des Kapitals", also der unendliche Prozeß der Kapitalakkumulation, heute sagt man Wachstum, sich allein durch die Ausbeutung der Lohnarbeiterklasse durch das Kapital vollzieht. Der vollentwickelte Kapitalismus braucht nach Marx dazu keine zusätzliche, außerökonomische Gewalt, noch zusätzliche Gebiete, sprich Kolonien, die er ausbeuten kann. Da der Kapitalist den Arbeitern nie den ganzen Mehrwert, den diese geschaffen haben als Lohn zurückzahlt, sondern nur soviel, wie sie für die Reproduktion ihrer Arbeitskraft brauchen, bleibt nach Marx am Ende jedes Produktionszyklus immer mehr übrig als in ihn hineingesteckt wurde, ein Mehr, das wieder investiert werden kann.

Rosa Luxemburg weist jedoch nach, daß das Kapital zur Aufrechterhaltung seiner ständigen Akkumulationsbewegung stets zusätzliche Produktionsmittel und Rohstoffe, zusätzliche Arbeitskräfte und zusätzliche Märkte braucht, die es in seinen Kerngebieten nicht mehr vorfindet und nicht mehr herstellen kann. Rosa Luxemburg nennt dies "nichtkapitalistische Produktionsformen", die das Kapital auch in seiner höchstentwickelten Form ständig braucht, wenn es weiter wachsen bzw. akkumulieren will.

"Wir sehen jedoch, daß der Kapitalismus auch in seiner vollen Reife in jeder Beziehung auf die gleichzeitige Existenz nichtkapitalistischer Schichten und Gesellschaften angewiesen ist." (R. Luxemburg 1913 / 1975, S. 313)

Diese "nichtkapitalistischen" Gesellschaften und Schichten waren ursprünglich die Bauern in England und Europa, die Indianer in den USA, die Sklavinnen und Sklaven aus Afrika in der Karibik und den USA und schließlich alle Kolonien, die das westliche Kapital sich überall unterwarf.

Schon an dieser Stelle wird R. Luxemburg durch die Realität widerlegt. Der Beweis sind die Südstaaten der USA, eine Sklavenhaltergesellschaft, die durch den kapitalistischen Norden besiegt wurde, die Sklaven befreit wurden. Es lag im Interesse der kapitalistischen Nordstaaten, die Sklaven zu befreien. Anders als in feudalen Gesellschaften zieht der Kapitalist seinen Gewinn nicht aus (vom Herrscher) verliehenen Privilegien, sondern aus den (freiwilligen) Leistungen vertraglich gebundener Arbeitnehmer. Die Stärke des Kapitalismus ist nicht die Ausbeutung, sondern die Organisation. Der Kapitalist vermietet Arbeitsplätze.

Rosa Luxemburg stellt ebenfalls fest, daß die Ausbeutung und Ausplünderung dieser "nichtkapitalistischen" Schichten und Gesellschaften nicht, wie Marx die kapitalistische Ausbeutung definiert, durch das "zivile" Kapital-Lohn-Verhältnis erfolgt, das keine "außerökonomische Gewalt" mehr erforderlich macht, sondern durch direkte, brutalste Gewalt, durch Eroberung, Krieg, Piraterie, willkürliche Aneignung. Marx war der Meinung, daß diese direkte Gewalt zur Genesis, zu den Geburtswehen und zu der Vorgeschichte des eigentlichen Kapitalismus gehöre, die er die Periode der "ursprünglichen Akkumulation" genannt hat. Rosa Luxemburg weist jedoch nach, daß diese Gewalt ständig notwendig ist:

Der Nettogewinn der Kolonien war in der Regel negativ. Kapital ziehen Industriestaaten aus dem Warenaustausch untereinander. Das war so und ist auch heute so. Japan, Deutschland und die USA sind große Industrienationen ohne Kolonien. Kolonien mögen dem nationalen Ego schmeicheln, profitabel sind und waren sie nie, zumindest nicht auf Dauer. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Kolonien keine Absatzgebiete für die im Kapitalismus immer im Überschuss produzierten Waren und Dienstleistungen sind.

"Nur durch ständige Expansion auf neue Produktionsdomänen und neue Länder ist die Existenz und Entwicklung des Kapitalismus seit jeher möglich gewesen. Aber die Expansion führt in ihrem Weltdrang zum Zusammenstoß zwischen dem Kapital und den vorkapitalistischen Gesellschaftsformen. Daher Gewalt, Krieg, Revolution: kurz Katastrophe, das Lebenselement des Kapitalismus von Anfang bis zu Ende:" (R. Luxemburg 1913 / 1975 S. 518)

Das ist wahr, der Kapitalismus ist ein Feind vorkapitalistischer Gesellschaftsformen, er ist nicht weniger revolutionär als der Kommunismus, dessen Bruder er ist. Und dazu gehört auch Gewalt, man denke an die französische Revolution und die Revolutionskriege. Man denke an die gewaltsame Öffnung Japans für den Welthandel.

Das heißt, die Kapitalakkumulation bedarf zu ihrem Fortgang der "fortgesetzten ursprünglichen Akkumulation" und ihrer Methoden, nämlich der Gewalt.

Eine weitere, zentrale Einsicht ergab sich aus dieser Analyse für Rosa L., nämlich, daß der Kapitalismus von Anfang bis zum Ende auf die Ausplünderung der ganzen Welt aus ist, oder, wie Wallerstein sagte, ein "Weltsystem" ist. (1974)


Da ist er wieder, der große Irrtum. Die Stärke von Kapitalismus ist nicht Ausbeutung und Ausplünderung, denn solche Methoden sind nicht nachhaltig. Der Kapitalist ist im Grunde ein Makler, der Produzenten und Kunden zusammenbringt indem er die Produktion organisiert, die notwendigen Produzenten (Arbeiter) beschafft, sie mit den notwendigen Werkzeugen versieht, die Rohstoffe beschafft und die Endprodukte zum Kunden bringt. Der Gewinn wird um so größer, je billiger Leistungserstellung und Bereitstellung für den Kunden ist und je mehr der Kunde bereit ist für das Produkt (=Dienstleistung) zu bezahlen. Da die kapitalistische Produktion immer Überschussproduktion ist, ist der Hunger nach Kunden unbegrenzt. Kurzfristig kann in einer Weltgegend produziert, in einer anderen konsumiert werden, aber nur kurzfristig. Denn ohne Produktion geht den Konsumenten langfristig das Geld aus, d.h. das System läuft langfristig nur rund, wenn Produzenten (Arbeiter) und Konsumenten identisch sind, d.h. wenn die Arbeite so viel verdienen, dass sie die Produkte auch kaufen können.

"Das Kapital kann ohne die Produktionsmittel und die Arbeitskräfte des gesamten Erdballs nicht auskommen, zur ungehinderten Entfaltung seiner Akkumulationsbewegung braucht es die Naturschätze und die Arbeitskräfte aller Erdstriche. . . . die tatsächliche Vorherrschaft nichtkapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse in den Ländern jener Produktionszweige ergibt für das Kapital die Bestrebung, jene Länder und Gesellschaften unter seine Botmäßigkeit zu bringen, wobei die primitiven Verhältnisse allerdings so rasche und gewaltsame Griffe der Akkumulation ermöglichen, wie sie unter rein kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen ganz undenkbar wären." (R. Luxemburg 1913 / 1975, S. 314)

Als ich das wieder las, dachte ich sofort an die Länder in Süd- und Ostasien, an die sogenannten Tigerstaaten wie Süd-Korea, Thailand, Malaysia, die bis vor einigen Jahren noch Wachstumsraten aufwiesen, die die kapitalistischen Kernländer nur vor Neid erblassen ließen. Ich dachte aber auch an die Gewalt, vor allem gegen junge Frauen in und außerhalb der Freien Produktionszonen (FPZs) in Bangladesch, Hongkong, Thailand, Indien, kurz in der ganzen Region, die ich im November 1997 konkret kennengelernt hatte. Gewalt und zwar vor allem Gewalt gegen Frauen in diesen Regionen - ich nenne sie weiter ökonomische Kolonien - ist das Geheimnis der Akkumulation und nicht nur die ordentliche, meist männliche, arbeitsrechtlich und gewerkschaftlich geschützte Lohnarbeit. Gewalt ist ein ökonomischer Faktor, das hat Rosa Luxemburg schon erkannt. Sie ist nicht einfach durch männlichen Sadismus begründet, sie ist nichts Natürliches, "eine Geburtswehe", wie Marx meinte, die den Kapitalismus durch Blut und Tränen zur Welt gebracht habe, so Christel Neusüß, die verstorbene Interpretin von Rosa Luxemburg. Mit Rosa Luxemburg kritisiert sie die Auffassung von Marx, der diese Geburtsmetapher mißbraucht, um die anfängliche Gewalt des Kapitalismus zu erklären.

Ja jetzt beißt sich die Katze in den Schwanz. Erstens sind überall auf der Welt Männer die Hauptgewaltopfer. Zweitens ist die Arbeit in den Freien Produktionszonen bestimmt keine ordentliche, arbeitsrechlich und gewerkschaftlich geschützte Lohnarbeit und drittens sind in diesen Produktionszonen auch zu einem ganz erklecklichen Teil Frauen beschäftigt, gerade in der Schuh- und Textilproduktion aber auch bei der Produktion von medizinischen Artikeln. Ein wichtiger Aspekt des chinesischen Wirtschaftswachstums ist die Energiegewinnung. Und wer sieht, unter welchen Bedingungen chinesische Männer hier beschäftigt sind, wieviel Tote der Kohlebergbau fordert, der erkennt, welches Geschlecht das Hauptopfer solcher Entwicklungen ist.



"Später, wenn er mal richtig da sei, brauche er die Gewalt nicht mehr, da funktioniere er produktiv - friedlich, wenn auch ein bißchen zerstörerisch gegen die Arbeitskraft, aber so etwas wie die Mordzüge der spanischen Konquistadoren habe er nicht mehr nötig. Die Genossin (Luxemburg M.M.) weigert sich an diesem Punkt strikt Marx zu glauben, sie sieht ja, es stimmt nicht, die Gewalt hat weltweit Hochkonjunktur, Riesenwaffenarsenale wurden im Laufe der Zeit aufgehäuft, ein Kolonialkrieg jagte den anderen, ganze afrikanische Stämme wurden mal schnell im Vorübergehen liquidiert . . . und da findet sie halt, so lange kann die Geburtsstunde nicht dauern, 400 Jahre, und immer noch blut- und schmutztriefend, und das, wo der Sozialismus schon vor der Tür stehen soll! Nein, da muß der alte Genosse systematisch Falsches gedacht haben." (Neusüß 1985, S. 298)

Schon wieder der nächste Irrtum. Die guten Konquistatorden waren einfache Banditen und keine Kapitalisten. Zu dieser Zeit war der Kapitalismus noch gar nicht erfunden.


Frauen, die letzte Kolonie, oder: die Hausfrauisierung der Arbeit

Wie schon gesagt, Rosa L. hat nicht an die Frauen gedacht. Doch ihre Analyse der Kapitalakkumulation hat uns, meinen Freundinnen und mir die Augen geöffnet für den Stellenwert der Hausarbeit im Kapitalismus. Diese Arbeit, die wie die der Bauern, der Kolonien oder anderer "nichtkapitalistischer Milieux", wie Rosa sie nennt, keinen Wert hat, als nicht-produktiv gilt, wie die Natur als "freies Gut" zur Verfügung steht, nicht durch Arbeitsrecht und Tarifverträge geschützt ist, rund um die Uhr zur Verfügung steht, ist für das Kapital die billigste und politisch effizienteste Form der Reproduktion der Arbeitskraft. Darüber hinaus, das habe ich in meinen Forschungen über Spitzenhäklerinnen in Indien festgestellt, als Heimarbeit auch die billigste und effizienteste Form der Produktionsarbeit. (s.u. Mies 1982)


Billig - Ja! Effizient - Nein! Für solche Heimarbeit eignen sich Aufgaben, die sich zu einem Lohn, von dem es sich (bescheidenst) leben lässt, nicht durchzuführen sind (weil kein Kunde bereit ist, dafür den entsprechenden Preis zu bezahlen). Die Frauen machen eine Deckungsbeitragsrechnung, d.h. da die Fixkosten durch den Mann schon gedeckt sind, können sie die Arbeitszeit zu einem niedrigeren Lohn anbieten. Aber mit solchen Methoden ist nicht das große Geld zu machen, weder für die Frauen noch für die Kapitalisten.

Wenn wir die Wirtschaft von der Perspektive der Frauen und der Frauenarbeit her betrachten, und wenn wir die Hausarbeit in diese Betrachtung einbeziehen, dann sehen wir, daß 50% der Weltbevölkerung 65% der produktiven Arbeit leisten und weniger als 10% des Weltlohn-einkommens dafür erhalten. (Salleh 1997 S. 77) Dies wird ermöglicht dadurch, daß Hausarbeit, einschließlich der Mütterarbeit zur Nicht-Arbeit erklärt und so unsichtbar gemacht wird. Dieses Unsichtbarmachen dessen, was lebensnotwendig und lebenserhaltend ist, der Frauen, der Natur, der unterdrückten Völker, Klassen und Stämme ist Teil einer patriarchalen Kolonisierungspolitik, die unter dem Kapitalismus ihren Höhepunkt gefunden hat. Sie wurde aber auch durch den realexistierenden Sozialismus nicht aufgehoben. Auch die sozialistische Akkumulation setzt, wie ich 1988 aufgezeigt habe, Kolonisierungen und Hausfrauisierung der Arbeit voraus.

Jetzt wird es ganz verrückt. Hausarbeit wird in der Regel extrem unproduktiv erbracht, selbst eine Manufaktur arbeitet effektiver, um wieviel mehr eine moderne Produktionsanlage. Ein Arbeiter wird letztlich nicht dafür bezahlt, wieviel Zeit er bei der Arbeit zubringt, auch wenn das manche glauben, sondern für die Leistung, das Ergebnis, das er erbringt. Wie die gute Frau darauf kommt, dass Frauen 65% der produktiven Leistung erbringen, das bleibt mir völlig schleierhaft. Niemand erklärt Hausarbeit zur Nichtarbeit, so etwas gibt es im Kapitalismus nicht. Die Frau hat in der Regel mit einem Kunden einen Vertrag gemacht, der diesem die ausschließliche Nutzung ihres Gebärapparates zusichert unter der Verpflichtung, dass dieser seine Arbeitskraft und seine Einkünfte mit ihr teilt. Und so kommt es, dass 70% der Kaufentscheidungen von Frauen getroffen werden, obwohl diese nach dem ausgewiesenen Einkommen über eine solche Kaufkraft gar nicht verfügen können. Und hier die Frauen auf die gleiche Ebene zu stellen wie die ausgebeutete Natur, unterdrückt Völker und Stämme, das ist schon peinlich. Feministischer Kommunismus ist wie feministische Theologie einfach nur absurd.

Die Neudefinition der geschlechtlichen Arbeitsteilung im Kapitalismus, insbesondere die Definition der Frau als Hausfrau ist nicht das Resultat einer eingeborenen männlichen Misogyny sondern eine strukturelle Notwendigkeit des Prozesses der Kapitalakkumulation. Feministinnen haben nachgewiesen, dass die Hausfrau, die die Arbeitskraft der männlichen Lohnarbeiter "reproduziert", zur Produktion des Mehrwerts beiträgt, vor allem deshalb, weil ihrer eigenen Arbeit überhaupt kein Wert im Sinne von Geld zugesprochen wird. Sie bleibt unbezahlt und wird daher auch nicht in die Berechnung des Bruttosozialprodukts aufgenommen. Sie wird nicht einmal als Arbeit definiert sondern gilt entweder als Ausdruck der weiblichen Anatomie oder als "Liebe". Sie ist zeitlich unbegrenzt, scheint in Überfülle verfügbar, wie Sonne und Luft, wie eine Naturressource oder, wie die Ökonomen sagen, als "freies Gut", das Mann und die Kapitalisten sich einfach aneignen können. Nach feministischer Analyse ist es aber vor allem diese nicht bezahlte Hausarbeit, zusammen mit der Subsistenzarbeit von Kleinbauern, vor allem in der Dritten Welt, deren Ausbeutung das Geheimnis der fortgesetzten Kapitalakkumulation darstellt (Dalla Costa 1973, Federici 1975, Bock & Duden1977, v. Werlhof 1992, Bennholdt-Thomsen 1983, Mies 1986, Waring 1989). Ohne diese inzwischen internationale "Hausfrauisierung" von Frauen wären die Produktionszuwächse und das Wirtschaftswachstum im Norden nicht aufrechtzuerhalten (Bennholdt-Thomsen, Mies, v. Werlhof 1983/1992)

Wenn dem so wäre, wie hier behauptet, dann müssten die Kapitalisten höchstes Interesse daran haben, dass möglichst viel Frauen hausfrauisiert werden. - Das Gegenteil ist der Fall. Mit allen Mitteln versuchen Politik und Unternehmen Frauen in den Erwerbsprozess zu ziehen, aus purem Eigeninteresse.

Ich habe den Begriff der Hausfrauisierung 1978/79 im Zusammenhang meiner Forschung über Spitzenhäklerinnen in Narsapur, in Südindien, geprägt. Schottische Missionare hatten im 19. Jh. die Spitzenindustrie in dieses Gebiet eingeführt und die armen Landfrauen gelehrt, in Heimarbeit Spitzen zu häkeln, die dann in Europa, USA und Australien verkauft wurden. Diese Frauen verdienten einen Bruchteil des Mindestlohnes, der ansonsten für Landarbeiterinnen gezahlt wurde, nämlich 0,58 Rupien. Die Ausbeutung dieser Frauen, die nach dem Verlagssystem und für Stücklohn arbeiteten, funktionierte, weil die Exporteure, die inzwischen Millionäre geworden waren, diese Frauen als Hausfrauen ansahen, die sowieso zu Hause säßen und ihre freie Zeit produktiv nützen könnten. Hausfrauisierung bedeutete also nicht nur kostenlose Reproduktion der Arbeitskraft durch private Hausarbeit, sondern auch die billigste Art der Produktionsarbeit in der Form von Heimarbeit oder ähnlichen Arbeitsverhältnissen, speziell für Frauen (Mies 1981/82).

Das Streben jedes Kapitalisten ist, die Leute dazu zu bringen, etwas herzustellen, mit dem man Handel treiben kann. Und für den Kapitalisten ist eine Frau die zu Hause Spitzen häkelt immer noch besser als eine, die ihren privaten Acker bestellt und von den Erdbeeren für ihre Familie Marmelade kocht. Aber solche Arbeitnehmer sind nicht die, mittels derer große Vermögen gemacht werden.

Diese Hausfrauisierung der Frauen wird aber auch nicht in Frage gestellt, wenn Frauen erwerbstätig sind, oder wenn sie die einzigen Ernährerinnen der Familien sind, was zunehmend der Fall ist. Frauenlöhne sind fast überall auf der Welt niedriger als Männerlöhne: In Deutschland betragen sie 60 - 70% der Männerlöhne. Begründet wird diese Lohndifferenz u.a. mit dem Argument, das Einkommen der Frauen sei nur eine Ergänzung zum Einkommen des männlichen Familienernährers. Frauen bekommen häufig keine sicheren Jobs, weil die Arbeitgeber erwarten, dass sie bei Schwangerschaften oder in Krisenzeiten zurück zu Haus und Herd gehen. Die Kategorie der "geringfügigen Beschäftigung" und der "Leichtlohngruppen" wurden vor allem für Hausfrauen erfunden. Zu Zeiten der Rezension sind sie die ersten, die entlassen werden. Ihre Aufstiegschancen sind gegenüber den Männern drastisch reduziert, selbst in akademischen Berufen. In den höheren Sparten des Managements oder den Universitäten gibt es kaum Frauen.

Frauen sind bereit zu niedrigeren Löhnen zu arbeiten, weil ihr Gehalt nur eine Ergänzung zum Lohn des Mannes ist. Daher können sie Arbeiten annehmen, die ein Mann nicht annehmen könnte. Sie können auch prekäre Jobs annehmen, weil ihr Gehalt nur eine Ergänzung ist. Würden sich keine Arbeitnehmer(innen) finden, die diese Jobs zu den genannten Konditionen ausführen, würde man die Tätigkeiten entfallen oder von weniger, dafür aber besser bezahlten Kräften ausführen lassen, die dann länger und härter arbeiten müssten, als Frauen bereit sind es zu tun. Das schöne am Kapitalismus ist, dass (außer im öffentlichen Dienst) jeder verdient, was er verdient.

Die Analyse der Hausfrauisierung wäre jedoch unvollständig, wenn wir sie nicht im Zusammenhang der Kolonisierung oder wie man heute sagt, der internationalen Arbeitsteilung betrachteten. Hausfrauisierung und Kolonisierung sind nicht nur zwei Prozesse, die historisch zeitgleich - nämlich im 18. und im 19.Jh. - abliefen. Sie sind auch inhaltlich miteinander verknüpft. Ohne die Eroberung von Kolonien, die Ausbeutung ihrer Rohstoffe und der dortigen menschlichen Arbeit wäre die europäische Unternehmerklasse nicht in der Lage gewesen, ihre industrielle Revolution zu beginnen; die Wissenschaftler hätten kaum Kapitalisten gefunden, die an ihren Erfindungen interessiert gewesen wären, die bürgerlicher Klasse der Gehaltsempfänger hätte kaum genug Geld gehabt, sich eine "nicht-arbeitende Hausfrau" und Dienstpersonal zu leisten und die Arbeiter hätten weiterhin ein miserables Proletarierleben geführt.

Die Kolonisierung kam erst nach der industriellen Revolution in Gang. Die frühen Kolonialmächte wie Portugal und Spanien profitierten nicht, von der industriellen Revolution, blieben arm. Die USA entwickelten sich ohne Kolonien prächtig. Der Kapitalismus zog seine Kraft aus bahnbrechenden Erfindungen und den Arbeitskräften im Lande. Die Kolonien blieben für den industriellen Fortschritt und die Kapitalakkumulation unbedeutend. Im Frühkapitalismus waren die Gehaltsempfänger in ihrer Masse keineswegs bürgerlich und an Hausfrauen war nicht zu denken und schon gar nicht an Dienstpersonal. Wie auf dem Bauernhof arbeiteten Mann, Frau und Kinder. Die Verbote von Kinderarbeit und Maßnahmen zum Schutz der Frauen folgten später, für Männer noch später.


Hausfrauisierung international

Inzwischen ist aber deutlich geworden, dass die Erfindung der "Hausfrau" nicht nur die beste Methode war/ist, um die Kosten für die Reproduktion der Arbeitskraft so gering wie möglich zu halten, sondern dass sie auch die optimale Arbeitskraft in der Warenproduktion ist. Das ist zunächst einmal in der Dritten Welt deutlich geworden, wohin seit Mitte der siebziger Jahre zentrale westliche Produktionsbereiche verlegt wurden, wie Textilien, Elektronik, Spielwaren usw. Etwa 80% der Arbeitskräfte in diesen Weltmarktfabriken sind junge, unverheiratete Frauen. Die Löhne dieser Frauen betragen ein Zehntel der entsprechenden Löhne in den Industrieländern. Die Bezeichnung dieser Länder als Billiglohnländer hängt wesentlich von der Rekrutierung junger, weiblicher Arbeitskräfte ab, die meist nicht gewerkschaftlich organisiert sind, häufig entlassen werden, wenn sie heiraten oder Kinder haben, die unter ausbeuterischen Arbeitsbedingungen arbeiten. Die klassische Form der hausfrauisierten Produktionsarbeit im Weltmarkt ist jedoch die Heimarbeit, bei der Frauen ihre Haus- und Familienarbeit mit der Herstellung von Produkten für den Weltmarkt verbinden können, keinerlei Arbeitsschutz unterliegen, total vereinzelt arbeiten, die geringsten Löhne und oft die längsten Arbeitszeiten haben. Auch in anderen Produktionsbereichen: in der Landwirtschaft, im Handel, in den Dienstleistungen werden weibliche Arbeitskräfte nach dem Modell der Hausfrau engagiert (v. Werlhof 1985, Mies 1988).


Die Hausfrau als Lebensform für die Masse ist eine späte Erfindung. Die Bauersfrau war nicht das, was wir unter einer Hausfrau verstehen, sie arbeitete, ihren Kräften entsprechend, wie der Mann. Das gleiche galt für die Frau des Häuslers und Tagelöhners. Das gleiche bei den Kleingewerbetreibenden. In Großbürgerhaushalten konnte man Hausfrauen antreffen. Das waren aber dann Haushaltsvorstände, die Gesinde zu überwachen und anzuleiten hatten. Was wir als Hausfrau kennen, ist ein Phänomen das nach dem 1. Weltkrieg in der Masse aber eigentlich nach dem 2. Weltkrieg auftrat. In der Hochzeit der Massenproduktion (Fordismus) verdienten erstmals auch Arbeiter so viel, dass der Verdienst der Frau zur Haltung des Lebensstandards nicht mehr oder nur eingeschränkt notwendig war, worauf sich viele Frauen aus dem Erwerbsleben zurückzogen, teilweise auch gefördert durch die Politit (Nationalsozialismus).

Globalisierung der Wirtschaft und Hausfrauisierung

Die Relevanz dieser Analyse heute.

Was wir vor etlichen Jahrzehnten über den Zusammenhang zwischen der Ausbeutung der hausfrauisierten weiblichen Arbeitskraft und der Kapitalakkumulation geschrieben haben, zeigt gerade heute, im Zeitalter der sog Globalisierung der Wirtschaft, seine eigentliche Relevanz. Man könnte sogar sagen, dass in der globalisierten Wirtschaft diese Form der Ausbeutung das Modell geworden ist für die Ausbeutung von Arbeit überhaupt.


Das Normalarbeitsverhältnis ist heute nicht mehr das zwischen einem (männlichen) "freien Lohnarbeiter" und dem Kapital sondern das zwischen "flexibilisierten", "untypischen", "drittweltisierten", "ungeschützten","prekären", kurz: hausfrauisierten ArbeiterInnen und dem Kapital. Kein Wunder, dass die Unternehmerseite offen das Lob dieser nun "öffentlich freigesetzten, global(isierten) angewandten Hausfrau" (v. Werlhof 1999:81) singt. Claudia v. Werlhof zitiert Christian Lutz, einen Herausgeber der Schweizer Managerzeitschrift "Impuls", der das Ende der freien Lohnarbeit begrüßt und in seinem Beitrag: "Die Zukunft der Arbeit ist weiblich" weibliche (hausfrauliche) Qualifikationen für die Arbeitnehmer der Zukunft fordert. Der "Megatrend", der heute "alle Wertschöpfungsnetzwerke durchziehe" erfordere "Eigeninitiative, Ideen, Verantwortungsbereitschaft und soziale Kompetenz", wie sie eher bei Frauen als bei Männern zu finden seien. "Der Arbeitnehmernachfolger ist weiblichen Geschlechts" (Ch. Lutz 1997, zitiert bei v. Werlhof 1999 S. 81).

Das besondere an der Hausfrauenarbeit ist, dass sie eben nicht prekär, weil abgesichert durch das Einkommen des Mannes ist. Wenn die Familie ein Standbein hat, kann das andere das Spielbein sein. Selbstverständlich giert die Industrie nach billigen, extrem flexiblen Arbeitskräften, nur setzt sie voraus, dass diese Arbeitskräfte in der Zeit ihrer Anstellung so engagiert sind, wie die Vollzeitdauerkräfte seligen angedenkens. Und das geht eben nicht. Wenn auch die Arbeit des Mannes prekär wird, dann müssen Mann und Frau nach festen Plätzen suchen, die "Flexibilität" der Frau, die nun eben nicht mehr Hausfrau sein kann, verschwindet.


Damit sagt die Kapitalseite nun offen, was Claudia von Werlhof schon 1983 als die Zukunft der Arbeitskraft beschrieb, nämlich die Hausfrauisierung auch der männlichen Arbeitskraft. In ihrem Aufsatz: "Der Proletarier ist tot, es lebe die Hausfrau" wies sie nach, dass nun nicht länger der männliche, tariflich abgesicherte, gewerkschaftlich organisierte Arbeiter die optimale Arbeitskraft fürs Kapital darstellt, sondern die Hausfrau. Ihre Arbeitskraft ist im Gegensatz zu der des Proletariers, flexibel, ist rund um die Uhr verfügbar, ist unbezahlt, ist zuverlässig und fällt in Krisenzeiten dem Kapital nicht zur Last. Auch Männer würden in Zukunft auf diese Weise "hausfrauisiert" werden (v. Werlhof 1983, Neuauflage 1992).

Wie gesagt, das wird aus obengenannten Gründen so nicht funktionieren.

1983/84 wurde diese Strategie noch unter dem Begriff der "Flexibilisierung der Arbeit" diskutiert. Sie wurde als notwendige Folge der Arbeitsrationalisierung durch Mikroelektronik und Computer angepriesen. Der ehemalige Wirtschaftsminister Rexrodt schlug aber schon damals offen vor, innerhalb der deutschen Wirtschaft einen "Billiglohnsektor" zu etablieren.

Der Ruf der Industrie nach Flexibilität der Arbeitnehmer ist groß, bis diese plötzlich dem Unternehmen davonlaufen. Dann ist das Geschrei groß. Feste Einbindung der Arbeitnehmer in Dauerarbeitsverhältnisse ist eine Erfindung der Kapitalisten. Die Proletarier der Vergangenheit waren nämlich sehr flexibel, so dass von 100 Eingestellten am Jahresende noch 20 übrigblieben.

Nach dem Vorherigen braucht es uns nicht zu wundern, dass Rexrodt diesen neu zu errichtenden "Billiglohnsektor" vor allem den Frauen zugedacht hat. Sie wären durch ihre Hausfrauentätigkeit ja großartig qualifiziert für diesen Sektor. Was Herr Rexrodt jedoch nicht sagte, wird heute durch Abkommen wie das MAI und die WTO klar: die ganze Welt, auch die reichen Industrieländer, sollen zu einer einzigen Freihandelszone werden, in der die TNKs Arbeits- und Umweltverhältnisse schaffen wollen, wie wir sie aus in Asien und Mexiko kennen (s.u.) (Mies, v. Werlhof 1998).

Wie gesagt, Frauen sind bereit in einem Billiglohnsektor tätig zu werden, solange der Mann mit seinem Gehalt die Fixkosten der Familie trägt, aber auch genau so lange.

Obwohl der Kapitalismus bereits seit seinen kolonialen Anfängen als Weltsystem angelegt ist, wie Marx, Rosa Luxemburg und Wallerstein nachweisen, bezieht sich die heutige Rede von der Globalisierung auf Prozesse, die seit Ende der Achtziger Jahre durch Institutionen wie das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das Multilaterale Abkommen über Investitionen (MAI), die Weltbank, den Internationalen Währungsfonds (IMF) und das US-Wirtschaftsministerium vorangetrieben werden. Die GATT-Verhandlungen fanden 1995 ihren Abschluss in der Gründung der World Trade Organisation (WTO).

Der Kapitalismus hat keine kolonialen, sondern industrielle Anfänge.

Was oben über die Hausfrauisierung international gesagt wurde, ist besonders relevant für die Analyse des Erfolgs der jetzigen Phase der Globalisierung, nämlich die Einrichtung von Weltmarktfabriken, Freien Produktionszonen (FPZs) in Asien und "Macquilas" in Mexiko. Die Tatsache, dass die Löhne in diesen FPZs und Weltmarktfabriken so gering waren/sind, ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass etwa 80% der Arbeitskräfte in diesen Industrien, junge, meist unverheiratete Frauen sind, sondern dass diese als "Hausfrauen" definiert sind. Sie werden eingestellt wegen ihrer Hausfrauenqualifikationen: ihrer "geschickten Finger", ihrer Fügsamkeit, Sorgfalt, ihrer Nähkenntnisse und der Tatsache, dass sie nach der Heirat entlassen werden können. Damit vermeiden die Unternehmer alle Ansprüche auf Mutterschaftsurlaub und Arbeitsschutz. Außerdem waren Gewerkschaften in diesen Fabriken verboten. Die Gewinne konnten zu 100% exportiert werden. Da die meisten Arbeiterinnen in diesen Fabriken aus armen ländlichen Familien stammen, ihre Rechte nicht kannten, keine Erfahrung mit Arbeitskämpfen hatten, akzeptierten sie oft inhumane Arbeits- und Wohnbedingungen, Arbeitszeiten bis zu 14 Stunden, ein unmenschliches Arbeitstempo, sexuelle Belästigung, Sicherheits- und Gesundheitsrisiken, die in den alten Industrieländern verboten sind. In Südkorea z.B. wurden Arbeiterinnen eingesperrt, bis sie ein bestimmtes Produktionsquantum erreicht hatten.

Niemand will solche Methoden schön reden. Aber sie treffen Männer und Frauen in gleichem Maße. (vergl. Beispiel China)


Das Eisberg-Modell der Kapitalistisch-Patriarchalen Wirtschaft

Eine solche Wirtschaft lässt sich am besten im Bilde eines EISBERGS darstellen. Nur der Teil des Eisbergs, der aus dem Wasser herausragt, nämlich Kapital und Lohnarbeit gilt bei uns üblicherweise als WIRTSCHAFT. Alle Nicht-Lohnarbeit –Hausarbeit, aber auch die Subsistenzarbeit von Bauern und anderen Selbstversorgern werden nicht zur Wirtschaft gezählt. Zu der „unsichtbaren Ökonomie" zählen aber auch die Arbeit im sog.informellen Sektor, aber auch alle Kolonien und auch die Natur und ihre Produktion. Auf diese unsichtbare Ökonomie werden alle Kosten abgeschoben oder „externaliert", die das Kapital nicht zahlen will.


Das Kapital zahlt niemals. Zahlen tut immer nur ein Kunde. Und Kunde sind in der westlichen Welt wir alle, die z.B. das günstige Hemd für 7,50€ bei NKD kaufen, das wir zu einem höheren Preis nicht gekauft hätten. Was nicht gekauft werden kann (Lebensmittel, die der Bauer für sich produziert) erscheint nicht auf dem Markt, hat also auch keinen Marktwert.

Im Eisberg-Modell (siehe Grafik am Ende des Artikels) jeder herrschenden Wirtschaft gilt "Wirtschaft" nur als der sichtbare Teil der Ökonomie, nämlich die auf Warenproduktion und -handel beschränkte Wachstumswirtschaft, die das Ziel hat, immer mehr Geld und Kapital anzuhäufen. Die Befriedigung menschlicher Bedürfnisse ist ein Nebeneffekt dieser Waren- und Geldakkumulation. Nur dieser "Über-Wasser"-Teil der Wirtschaft erscheint in der nationalen Gesamtrechnung, die im Bruttosozialprodukt (BSP) oder Brutto Inlandprodukt (Gesamtmenge der jährlich produzierten Waren und Dienstleistungen - in Geld ausgedrückt) dargestellt wird (Waring 1989).

Diese Aussagen sind richtig, weswegen das Bruttoinlandsprodukt auch nichts über unseren Lebensstandard und unseren Wohlstand aussagt.

Das ist jedoch keineswegs die gesamte kapitalistische Wirtschaft, sonder nur der sichtbare Teil. Doch diese sichtbare Ökonomie wird getragen und subventioniert von der unsichtbaren Ökonomie. Generell gilt, dass alle Tätigkeiten in der "unsichtbaren Ökonomie" "naturalisiert" worden sind, weil sie (angeblich) nicht dem Zweck der Kapitalverwertung dienen, sondern das Ziel haben, das eigene Leben, die eigene Subsistenz herzustellen und zu erhalten. Darum wird, nach Claudia von Werlhof, alles zur Natur "erklärt", was fürs Kapital gratis sein soll. Während den Menschen in der „sichtbaren" wie der"unsichtbaren Ökonomie" weisgemacht wird, das eigentliche Leben sei "oben" oder in der "sichtbaren Ökonomie" - der Geldökonomie - hängt aber letztere von der ersteren ab. Der wichtigste Mythos des Kapitalismus besagt, dass alle irgendwann, im Zuge der „nachholenden Entwicklung" zu dieser „sichtbaren Ökonomie"gehören würden, zu den Lohn-Arbeitern, geschützt von Arbeitsgesetzen, Arbeitsverträgen, gut bezahlten und sicheren Arbeitsplätzen usw. In der Eisbergökonomie es aber keine "nachholende Entwicklung" für alle - höchstens für einige - sondern es ist umgekehrt, die unteren Schichten subventionieren die sichtbare Ökonomie.

Nun, dieser Absatz ist wieder der reine Unsinn. Niemand erklärt irgendwas zu Natur. Wenn ein Mann in Eigenarbeit das Haus ausbaut oder renoviert, dann erscheint diese Arbeitsleistung in keiner Statistik, obwohl diese Tätigkeit durchaus die Lebensqualität und den Lebensstandard seiner Familie gehoben hat. Die Zahl der Baumärkte und ihre Größe zeigt, wieviel kostenlose Familienarbeit von Männern erbracht wird. Aber das ist keine Subvention der "sichtbaren" Ökonomie. Es ist und bleibt Konsum.

Darum nennen wir sie auch Kolonien. Ohne diese koloniale Basis gäbe es den Kapitalismus nicht.

Wie oben bereits bewiesen: diese Aussage ist barer Unsinn.


Die Globalisierung bringt es an den Tag

Was unter dem Einfluss der Globalisierung jedoch wirklich geschieht, ist nicht das, was alle Zukurzgekommenen bisher erwartet haben, nämlich, dass sie per "nachholender Entwicklung" aufsteigen würden, sondern sie erleben das Gegenteil: Mehr und mehr Lohnarbeiter und Lohnarbeiterinnen in der sichtbaren Ökonomie verlieren ihren Job und sinken ab in die unsichtbare Ökonomie. Das heisst aus festen Arbeitsplätzen wird Gelegenheitsarbeit, aus Fabrikarbeit Heimarbeit, aus gewerkschaftlich und rechtlich geschützter Arbeit werden ungeschützte, hausfrauisierte, heute nennt man das „prekäre" Arbeitsverhältnisse.

Auch hier wieder Unsinn pur. Solange die Menschen ein Einkommen erzielen, bleiben sie in der sichtbaren Ökonomie. Ansonsten fallen sie in Deutschland in Hartz IV und werden zu Empfängern von Transferleistungen. Und wie gesagt, das besondere der Hausfrau ist und war, dass ihre Situation nicht als prekär bezeichnet werden kann, da ihr Lebensunterhalt durch den Mann gesichert wird. Denn ist sie gezwungen, von ihren Einkünften zu leben, kann man sie schwerlich als Hausfrau bezeichnen.
Was bei der Globalisierung tatsächlich passiert ist, dass teuere Arbeitskräfte in westlichen Ländern ihren Job verlieren und dafür billige Arbeitskräfte in unterentwickelten Ländern eine Job bekommen. Es ist echte Entwicklungshilfe, nämlich Hilfe zur Selbsthilfe. Dass diese Menschen bereit sind, und es als Fortschritt sehen, unter Arbeitsbedingungen zu arbeiten, die uns erschreckend erscheinen ist ihr Glück und unser Pech.


Dabei ist es genau umgekehrt, wie uns die herrschende Wirtschaftstheorie weismacht, nämlich, dass es einen "trickle-down"-Effekt von oben nach unten gäbe, ein Durchsickern des Reichtums von der Spitze der Pyramide zu den Zukurzgekommenen an ihrem Fuß. Die Realität ist genau umgekehrt. Immer mehr Reichtum wird in der Spitze des "Eisbergs" angehäuft, der den verschiedenen Schichten der "Unter-Wasser"-Ökonomie abgepresst wurde und dort dann eben nicht mehr vorhanden ist.

Global stimmt die Aussage nicht. Es kommt sehr viel Geld bei den Zukurzgekommenen an, nur da das Gefälle zwischen Produktion und Verkauf so hoch ist, streichen die Makler (Kapitalisten) einen entsprechend hohen Reibach ein.

Inzwischen wurde schon im UNDP-Bericht von 1996 zugegeben, dass globales Wachstum dazu geführt hat, dass der Anteil der Wohlhabenden dieser Welt, die 20% der Weltbevölkerung ausmachen, innerhalb von 30 Jahren von 70% auf 85% des Reichtums gestiegen ist, während der Anteil der 20% der Ärmsten im selben Zeitraum von 2,3% auf 1,4% gesunken ist. Auch der United Nations Human Development Report von 1998 berichtet, dass das Realeinkommen in 100 Ländern heute niedriger ist als vor 10 Jahren. Die wachsende Kluft zwischen reichen und armen Ländern, Klassen und Geschlechtern wird zugegeben. Man zweifelt sogar daran, dass Wirtschaftswachstum diese Kluft verkleinern würde, aber man gibt immer noch nicht zu, dass diese Kluft eine notwendige, strukturelle Folge von permanentem Wachstum in einer begrenzten Welt ist. Im globalen kapitalistischen Patriarchat kann es nicht Gleichheit für alle geben. Dies gibt selbst die Weltbank indirekt zu, wenn sie sagt, dass Ungleichheit der Löhne, des Einkommens, des Wohlstandes eine notwendige Begleiterscheinung des "Übergangs" von der sozialistischen zur kapitalistischen Wirtschaft ist ("A Global Poverty Gap", in: The Economist, 20. July 1996, S. 36).

Wenn manche Länder rasant aufsteigen und andere Länder z.B. in Afrika zurückbleiben, dann öffnet sich natürlich die Schere zwischen Arm und Reich. Arme Geschlechter, das ist natürlich wieder ein Witz. Wenn Männer reicher werden, werden automatisch auch Frauen reicher, nämlich die Frauen der reichen Männer. Das ist ja die Krux des Feminismus, dass es für Frauen so leicht ist, den Lebensunterhalt zu sichern und sogar reich zu werden, wenn nur genügend finanziell und auch sonst potente Männer verfügbar sind. So fehlt bei vielen der Drive, um sich selber ins Geschirr zu spannen.



Globalisierung ohne "menschliches Gesicht"

Während die Menschen bis zum Fall der Berliner Mauer noch die Illusion haben konnten, dass die exportorientierte Industrialisierung in der Dritten Welt nicht nur den KonsumentInnen in den reichen Ländern, sondern auch den armen Ländern selbst zugute kommen würde - also, dass alle irgendwann ein wirtschaftliches Niveau wie etwa das Schwedens erreichen würden - ist diese Illusion mit der neoliberalen Umstrukturierung der Weltwirtschaft, wie sie sich seit 1990 vollzieht, nicht mehr aufrechtzuerhalten.

In jetzigen Phase der Globalisierung werden die Prozesse, die schon Mitte der siebziger Jahre begannen, nicht nur fortgesetzt und erweitert, sondern auch qualitativ verschärft. So wird die Strategie, Produktionsstätten in Billiglohnländer zu verlagern, durch GATT und WTO praktisch auf fast alle Länder der Welt ausgedehnt. Außerdem werden nun nicht mehr nur bestimmte arbeitsintensive, auf hohen Löhnen basierende Industrien ausgelagert, sondern auch umweltverschmutzende Schwerindustrien wie Stahl-, Schiffs- und Autobau, Kohleförderung usw. Hinzukommt, ermöglicht durch die neuen Kommunikationstechnologien, die Verlagerung ganzer Dienstleistungsbereiche in Billiglohnländer. So lassen eine Reihe von Fluggesellschaften ihre Abrechnungen bereits in Indien durchführen. Und indische Software-Firmen konkurrieren erfolgreich mit solchen in den USA und Europa.


Die Folgen dieser neuen globalen Umstrukturierung für die alten Industrieländer sind nicht mehr nur Verlust von Arbeitsplätzen, auf denen vormals Frauen gearbeitet haben, sondern nun sind auch die männlichen Lohnarbeiter, und zwar die Stammarbeiter, von Firmenverlagerungen und Firmenzusammenschlüssen betroffen.

Ja, so ist das und die Folge ist, dass die Hausfrau ein Auslaufmodell ist, weil der festbesoldete Partner fehlt.

Es ist erstaunlich, dass weder die Politiker noch die Gewerkschaften die Konsequenzen der Globalisierungspolitik, die durch die Weltbank, MAI, GATT/WTO und die Transnationalen Konzerne (TNKs) betrieben wird, für die Arbeiter, die Verbraucher und die Umwelt erkannt haben, oder auch heute erkennen. Alle Industrieländer halten die Globalisierung der Wirtschaft und die Öffnung aller Märkte für eine gute Sache, zumindest für unumkehrbar. Alle Regierungen dieser Länder haben GATT und der WTO zugestimmt - Proteste gab es nur in einigen armen Ländern und von Bauern z.B. in Indien. Alle scheinen zu glauben, dass der sogenannte Freihandel auch mehr Handlungsfreiheit für den einzelnen bedeutet. Und doch hätte jedes Kind wissen können, wie der kapitalistische Freihandel funktioniert. Dass das Kapital stets dahin geht, wo es die geringsten Lohnkosten zu zahlen hat, wo es die Umwelt ungestraft ausbeuten kann, wo es möglichst keine Gewerkschaften

gibt - wie z.B. in China - durch die bestimmte Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten werden müssen. Das Dogma der komparativen Kostenvorteile, das die herrschende neoliberale Wirtschaftspolitik bestimmt, wird vor allem durch die Lohnkostenvorteile in den Billiglohnländern realisiert. Nach Pam Woodall waren die Stundenlöhne für Produktionsarbeiter 1994 im Durchschnitt wie folgt:

in Deutschland US$ 25,--

in USA US$ 16,--

in Polen US$ 1,40

in Mexiko US$ 2,40

In Indien, China,

Indonesien US$ 0,50

(Wodall 1994)

So beschreibt Pam Woodall dann auch die komparativen Kostenvorteile der Dritten Welt im Rahmen des globalen Freihandels folgendermaßen:

"Die Vorteile des internationalen Handels bestehen darin, dass die Länder ihre komparativen Kostenvorteile ausbeuten können, nicht darin, dass sie versuchen, "gleich" zu sein. Und ein großer Teil der komparativen Kostenvorteile der Dritten Welt besteht in der einen oder anderen Weise in der Tatsache, dass sie arm sind, besonders in der billigen Arbeitskraft und der größeren Toleranz in Bezug auf Umweltverschmutzung" (Woodall 1994, S.42).

So weit, so gut.

Was aber auch Pam Woodall vom Economist nicht als zentralen Teil der komparativen Kostenvorteile erwähnt, ist die Tatsache, dass die billigsten der billigen Arbeitskräfte weltweit Frauen sind, und zwar Frauen, die als Hausfrauen "konstruiert" worden sind. Die globale Umstrukturierung hat nun alle Länder, alle Sektoren der Wirtschaft, einschließlich der Landwirtschaft und alle Arbeitsverhältnisse erfasst. Unter anderen eben auch die Frauen, die in den exportorientierten Textil-, Elektronik-, Spielzeug-, Schuhindustrien arbeiteten. Hatten diese Arbeiterinnen bis vor kurzem noch gehofft, dass sie durch heroische Arbeitskämpfe halbwegs menschliche Arbeitsverhältnisse durchsetzen könnten, so wie die von der International Labour Organisation (ILO) geforderten Kernarbeitsstandards, so müssen sie jetzt feststellen, dass die TNKs, für die sie bisher gearbeitet haben, entweder einfach ihr Land verlassen und in noch billigere Länder umziehen, z.B. von Südkorea nach Bangladesch oder nach China; oder dass sie, in Hongkong etwa, billigere Arbeiterinnen aus China anheuern. Die Hauptstrategie zur Verbilligung der weiblichen Arbeitskraft ist jedoch eindeutig eine weitere Hausfrauisierung und Globalisierung.

Der Begriff der Hausfrauisierung ist auch hier nicht angebracht. Und was die Verlagerung betrifft, so beschränkt sich diese nicht auf Frauenarbeitsplätze.

Das Committee for Asian Women (CAW) hat 1995 eine datenreiche Analyse der Folgen der globalen Umstrukturierung für die Arbeiterinnen in asiatischen Industriezentren, vor allem in den Export Processing Zones (EZPs) in den Philippinen, Südkorea, Hongkong, Singapur und Bangladesh herausgegeben. Die Autorinnen beschreiben nicht nur die Zunahme sexistischer Diskriminierung - Männer bekommen feste Jobs, Frauen nur noch Teilzeit- und ungesicherte Arbeit - sondern vor allem auch, dass verheiratete Frauen vom formalen Arbeitsmarkt ausgeschlossen werden,

"denn Manager wollen die Kosten für Mutterschaftsurlaub und andere Vergünstigungen vermeiden. Sie argumentieren meist, dass verheiratete Frauen zu viele Familienpflichten hätten und sich nicht auf ihre Arbeit konzentrieren könnten" (CAW) 1995, S. 31).


Arbeit ist für den, der sie kauft, eine Ware wie jede Ware und wie jeder Käufer vergleicht der Arbeiteinkäufer Kosten und Nutzen. Wenn Frauen Vergünstigungen erhalten, die das Unternehmen zahlen soll, dann wird Frauenarbeit teurer im Vergleich zu Männerarbeit und die Nachfrage sinkt. Wenn sowieso schon Arbeitskräfteüberschuss herrscht, dann ist es nur vernünftig, verheiratete Frauen vom Arbeitsmarkt auszuschließen, denn ihre Versorgung ist durch den Ehemann gesichert. Ihr gesellschaftlicher Status leidet nicht durch diesen Ausschluss und da in diesen Ländern noch ausreichend Kinder geboren werden, ist die Frau mit diesen Kindern auch entsprechend ausgelastet. Der gesellschaftliche Status arbeitsloser Männer ist in der Regel niedrig. Selten findet sich eine Frau, die wegen der Schönheit der Männer, diesen den Lebensunterhalt bezahlt, also ist die Situation dieser Männer prekär und das kann einem Staat das Genick brechen.


Das heißt aber keineswegs, dass diese verheirateten Frauen nun von einem Ehemann "ernährt" werden und nicht mehr weiter fürs Kapital auch direkt arbeiten müssen. Der Druck, der durch die Verlagerung von EZPs in noch billigere Länder auf die Arbeiterinnen ausgeübt wird, hat zu einer weiteren "Casualization" von Frauenarbeit geführt, d.h. aus festen werden unsichere, aus geschützten ungeschützte, aus Ganztagsarbeit- werden Teilzeitjobs, aus Vollzeitarberinnen werden Gelegenheitsarbeiterinnen, Fabrikarbeit wird vor allem ausgelagert in Heimarbeit. Diese verrichten dann die nach Hause geschickten verheirateten Frauen, neben ihrer Familienarbeit und der Betreuung ihrer Kinder. Oder sie sind gezwungen, stundenweise irgendwelche Dienstleistungen zu erbringen. 70% der aus dem produzierenden Bereich entlassenen Frauen wurden Gelegenheitsarbeiterinnen im Dienstleistungssektor. Die Unternehmer betreiben eine bewusst sexistische oder patriarchale Strategie der Umstrukturierung der Arbeitsverhältnisse:

"Arbeitsprozesse werden so aufgeteilt, dass sie stundenweise bezahlt werden können, denn die Arbeit wird als Frauenarbeit gesehen. Frauen, die verheiratet sind, können geringere Löhne bekommen, denn man denkt, dass sie von einem Ehemann abhängig sind. Die rapide Vergelegentlichung (casualization) von Arbeit ist geschlechtsbedingt. (Chan Kit Wa, Fong Yenk Hang, Fung Kwok Kin, Hung Sent Lin, Ng Chun Hung, Pun Ngai, Wong Man Wan, 1995, S. 54).

Und wo arbeiten diese Gelegenheitsarbeiterinnen? Bei McDonalds, Spaghetti House, Maxim, in Supermärkten, als Putzfrau, als Hausangestellte, als Prostituierte und in Büros.

Frauen sind bereit für niedrigere Löhne zu arbeiten, weil der Ehemann den Lebensunterhalt der Familie erwirtschaftet. Aus diesen Gründen können Frauen auch flexibel am Arbeitsmarkt agieren. Auch Löhne bilden sich durch Angebot und Nachfrage, zumindest wenn keine Gewerkschaften herumspuken. Frauen einzustellen bringt für ein Unternehmen Risiken mit sich, weil die Mehrzahl der Frauen ihren Lebensschwerpunkt im häuslichen Bereich sieht. Daher arbeiten viele Frauen gerne teilzeit oder variabel. Für jeden Nutzen, den man erhält, muss man zahlen, in diesem Fall durch einen niedrigeren Lohn.



Die Gesamtanalyse der Autorinnen von "Silk and Steel" zeigt nicht nur die Tendenz zur Hausfrauisierung von Arbeit auf, die mit der Globalisierung einhergeht, sondern vor allem, dass diese Strategie für Frauen zu einer allgemeinen Verschlechterung ihrer Arbeits- und Lebensbedingungen geführt hat. Hinzu kommt, dass auch die Männer sich immer weniger verantwortlich für ihre Familien fühlen und Frauen und Kinder verlassen. Hausfrauisierung ist fürs Kapital die beste Strategie im Zuge der Globalisierung komparative Kostenvorteile zu realisieren. Für Frauen ist sie eine Katastrophe.

Immer und immer wieder: der Begriff Hausfrauisierung ist unbrauchbar. Klar ist, das Hausfrauenmodell funktioniert nur, wenn da ein Mann ist, der bereit ist sich zu knechten und das Geld zuhause abzuliefern.


Was bedeutet das für uns?

Sie können nun sagen: O.K. das ist Asien, Südkorea, Hongkong, . . . Was geht uns das an? Unser Problem ist, dass wir die Prozesse , die sich jetzt hier abspielen nicht verstehen, wenn wir glauben, das Kapital hätte andere Strategien, die Arbeit hier zu verbilligen als die, die es in den Billiglohnländern anwendet. Die früheren 630-DM-Jobs in Deutschland,heute den 500 Euro Jobs, die die Hartz-Kommission vorschlägt, basieren auf demselben Konzept der Hausfrauisierung von

Arbeit. Dieses Konzept geht davon aus, dass der Lohn für einen eine Arbeiterin nicht mehr die Reproduktionskosten dieser Person abdecken müsse, denn, ihre Arbeit sei ja nur „zusätzlich" zum Einkommen des Haupternährers

Doch wo sind die „Haupternährer" heute?

Man kann nicht beides haben. Wenn immer mehr Frauen auf den Arbeitsmarkt drängen, dann fällt der eine oder andere Haupternährer aus zugunsten der bessergebildeten Doppelverdiener.

Die alten Gegenstrategien reichen nicht mehr aus

Angesichts der Globalisierung und Liberalisierung des Weltmarkts, verbunden mit der oben beschriebenen "Deregulierung", "Flexibilisierung" bzw. "Hausfrauisierung" von Arbeitskraft reicht die traditionelle Gewerkschaftsstrategie nicht mehr aus. Für Frauen hat sie nie ausgereicht. Sie basiert nicht nur auf der patriarchalisch-kapitalistischen Trennung von bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Hausarbeit, sondern auch auf der Annahme, dass das Modell der westlichen Industriegesellschaft, sein Produktions- und Konsummuster im Zuge der "nachholenden Entwicklung" zu verallgemeinern sei. Alle bisher angeblich "rückständigen" Gesellschaften, Klassen, Rassen, Völker - und Frauen - sollten nach und nach auf den Stand der reichen Klassen in den reichen Ländern gebracht werden. Die Frauen sollten statusmäßig den privilegierten Männern "gleichgestellt" werden.


Ein interessanter Schlusssatz, die rückständigen Gesellschaften, Klassen, Rassen, Völker -und Frauen, das heißt doch, dass mit den Begriffen Gesellschaften, Klassen, Rassen und Völker die Frauen nicht beeinhaltet sind. Frauen sind also nicht Teil von Gesellschaften, Klassen, Rassen und Völkern, ein erstaunlicher Standpunkt.

Auch würde mich mal das Privileg der chinesischen Bergleute interessieren.

Und auch die Aussage, dass Frauen statusmäßig den privilegierten Männern gleichgestellt werden sollen, also nicht den Männern insgesamt, also den nicht privilegierten und den privilegierten, sondern ausschließlich den privilegierten Männern, das ist sehr erhellend.


Eine Strategie, die jedoch nur eine Umverteilung des ökonomischen Kuchens einfordert, z.B. von oben nach unten, oder größere Anteile für Frauen verlangt, ohne zu fragen, wie denn dieser Kuchen überhaupt zustande gekommen ist, welches seine Bestandteile sind, welche Bereiche unserer Realität kolonisiert werden müssen, um ihn backen zu können, eine solche Strategie macht sich Illusionen über die Wirklichkeit.

Für Frauen und Männer kann es angesichts der neuen weltweiten, patriarchalen Kapitalstrategie nicht mehr ausreichen, nur weiterhin mehr geschützte Lohnarbeitsplätze auf der Grundlage von Wirtschaftswachstum zu fordern. Innerhalb einer globalisierten kapitalistischen Wirtschaft können die Forderungen und Rechte bestimmter ArbeiterInnen stets unterlaufen werden durch ein Ausweichen auf billigere Arbeitskräfte in anderen Ländern und Regionen, durch weitere Ausplünderung der Natur und durch weitere Kolonisierung und Kriege.

Was mir immer noch nicht klar ist, wieso die Kapitalstrategie patriarchal sein soll? Die Kapitalstrategie ist weder patriarchal noch matriarchal, es ist die reine Gier und die ist bei Männern und Frauen in gleicher Weise vertreten. Und durch Kriege sind schon lange keine Völker mehr reich geworden.


Wir müssen uns Gedanken über ein ganz anderes Wirtschaftsmodell machen. Wir brauchen eine Wirtschaft, die nicht den einen das Brot stiehlt, damit andere Kuchen essen können. Eine solche Wirtschaft kann aber nicht mehr auf permanentem Wachstum, sei es kapitalistischer oder sozialistischer Natur, und darum auf der Kolonisierung von Frauen, Natur und fremden Völkern basieren (Mies 1988).Sie ist auch nicht durch „nachholende Entwicklung" oder eine blosse Verteilung des „gesellschaftlichen Reichtums" zu realisieren, wie viele immer noch glauben. Die Produktion dieses „gesellschaftlichen Reichtums" beruht immer auf Gewalt, Raub, und Ausbeutung von Mensch und Natur.

Frau Mies hat es nicht begriffen: Die Globalisierung stiehlt der 1. Welt den Kuchen, damit die 2. Welt genug Brot zum essen hat. So wird ein Schuh draus.

Eine solche nicht-wachstumsorientierte, nicht-koloniale, nicht-kapitalistische nicht-patriarchale Wirtschaft und Gesellschaft müsste auf grundlegend anderen Prinzipien als den uns bekannten aufgebaut sein. Dabei stehen nicht nur die Grenzen unseres Planeten im Vordergrund, sondern das Prinzip der Selbstversorgung, ein anderer Begriff von "gutem Leben", eine Kritik des Konsumismus, die Respektierung natürlicher Zyklen und die Schaffung neuer Verhältnisse zwischen Mensch und Natur, Mann und Frau, Stadt und Land, zwischen verschiedenen Völkern, Rassen und Ethnien (vgl. Bennholdt-Thomsen, Mies, v. Werlhof 1992, Mies/Shiva 1995). Um eine solche Wirtschaft zu konzipieren ist zunächst ein anderer Blick auf die Wirklichkeit notwendig. Wir nennen diesen Blick die Subsistenzperspektive (Bennholdt-Thomsen/Mies 1997).

Ach du gute Güte - Selbstversorgung. Die Zeit als Selbstversorgung das Prinzip der (dann wohl zwingenden) bäuerlichen Lebensform waren, das war die Zeit der regelmäßigen Hungersnöte, des Mangels, der Not. Was das gute Leben betrifft, da stimme ich zu. Zum guten Leben sollte die Hausfrau (oder der Hausmann) gehören. Das Glück nämlich gründet immer im Privaten. Die Produktion ist Mittel zum Zweck, kann ein Ort der Selbstentfaltung sein, ist es meist aber nicht. Sowohl Kapitalismus als auch Kommunismus überschätzen die Bedeutung des Kollektiven und Verachten das Private. Das Private, also die Familie, ist aber der lebendige Kern eines Volkes.
Neue Verhältnisse lassen sich schwer schaffen. Sie entstehen, wenn viele diese neuen Verhältnisse wollen und entsprechend leben. Sie entstehen nicht, wenn wenige eine Vision haben, die sie vielen aufzwingen wollen.