Donnerstag, 3. Januar 2008

Bildungsmiserfolg von Jungen

Bildungs(Miss)erfolge von Jungen und Berufswahlverhalten bei Jungen/ männlichen Jugendlichen


1
. Zentrale Herausforderungen ........................... 4
2. Bildungsbeteiligung .................................. 6
Verteilung auf die Schulformen .......................... 6
Abschlüsse .............................................. 7
Schullaufbahnen und Bildungsverläufe .................... 8
Bildungsbeteiligung und besondere Risikolagen.............................................. 8
3. Schulische Fächer ....................................11
3.1 Leistungen im Fach Deutsch ......................... 11
Primarbereich .......................................... 11
Sekundarstufe .......................................... 12
Selbstkonzept und Motivation ........................... 13
3.2 Leistungen im fremdsprachlichen Bereich ............ 13
3.3 Leistungen in den Fächern Mathematik und Informatik ............................................. 14
Primarbereich .......................................... 15
Sekundarstufe .......................................... 15
Fremd- und Selbstkonzept ............................... 16
Computerkompetenz und Informatikunterricht ............. 17
3.4 Leistungen im naturwissenschaftlichen Bereich....... 17
Primarbereich .......................................... 17
Sekundarstufe .......................................... 18
Selbst- und Fremdkonzept ................................18
4.Übergang von der Schule in Ausbildung und Studium .....21
Berufs- und Zukunftswünsche von Schülern.................21
Übergänge nach der Sekundarstufe I ......................22
Übergang an Universität und Fachhochschule ..............23
5.Jungen, Männlichkeit und Schule .......................25
Interaktionen ...........................................25
Schulische Motivation ...................................27
Gewalt ................................................. 28
Mediennutzung ...........................................28
6. Aktuelle Diskurse: ...................................30
I. Jungen mit Migrationshintergrund .....................30
II. Die Bedeutung der Lehrkräfte ........................32
Geschlechterverteilungen im Lehrberuf ...................33
Interaktionen zwischen Lehrkräften und Jungen ...........33
Lehrkräfte als Vorbilder ................................33
III. Getrennter Unterricht als Chance für Jungen? .......35
Wissenschaftliche Erkenntnisse...........................35
Literatur ...............................................37


1. Zentrale Herausforderungen
Das Wichtigste in Kürze:

  • Je geringer qualifizierend die Schulform, desto höher der Anteil an Jungen, ca. jeder zehnte Junge bleibt ohne Schulabschluss.
  •   Jungen müssen häufiger eine Klasse wiederholen als ihre Mitschülerinnen, insbesondere am Gymnasium.
  • Besonders ungünstig ist der Bildungsverlauf bei Jungen mit Migrationshintergrund. Sie müssen in der Grundschule wesentlich öfter eine Klasse wiederholen und erreichen geringere Abschlüsse.
  • Vergleicht man in unterschiedlichen Fächern die Leistungen bei gleichem Interesse, zeigen sich nur geringe Kompetenzdifferenzen.
  • Im Fach Deutsch zeigen Jungen zu Beginn der Schullaufbahn gute Leistungen, in der 5. Klasse findet sich dann ein moderater Rückstand zu den Mädchen, der in der Jahrgangsstufe 9 zunimmt; in der Oberstufe findet sich wieder eine Annäherung.
  • Die guten Leistungen von Jungen in Mathematik weisen diesen Bereich als Jungendomäne aus. Die Leistungsvorsprünge der Jungen setzen zum Ende der Grundschule ein und verstärken sich in der Sekundarstufe I.
  • Jungen orientieren sich in ihren Berufswünschen sowie den Ausbildungswegen an tradierten Geschlechterbildern und ergreifen Berufe im handwerklichen und industriellen Bereich. Dies kann sich aufgrund des Wandels zur wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft zunehmend als riskante Strategie erweisen.
  • In der beruflichen Laufbahn schneiden junge Männer häufig erfolgreicher ab. Sie ergreifen meist besser bezahlte und karriereorientiertere Berufe.
  • Einige junge Männer haben sehr große Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Für Migranten verstärkt sich dieser Effekt.
  • Übermäßiger Medienkonsum und negative Schulleistungen korrelieren miteinander.
  • Seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der PISA-Studien sind die schulischen (Miss)erfolge von Jungen in das Blickfeld der (Fach-)Öffentlichkeit gerückt. Jungen erhalten in Pädagogik, Politik und Wissenschaft aktuell beachtliche Aufmerksamkeit. So summiert Karin Flaake: „Gegenwärtig geht es um die Jungen” (Flaake 2006: 3). Dabei fallen im Vergleich zu den Mädchen sowohl die Schulabschlüsse als auch die Leistungen tendenziell zu Ungunsten von Jungen aus. Von unterrichtlichen Disziplinierungen, negativen Sanktionen oder Klassenwiederholungen sind sie in höherem Maße betroffen. “Typisches Jungenverhalten” wie Konkurrenzorientierung, Quatsch-Machen, geringere soziale Einstellung usw. wird auf der einen Seite negativ gesehen und bewertet. Auf der anderen Seite wird genau dieses Verhalten aber auch für die Vorteile von Jungen verantwortlich gemacht, beispielsweise größeres Selbstbewusstsein und Dominanz im Unterrichtsgeschehen. So klar, wie es ist, dass auch Jungen besonderer Unterstützung in der Schule bedürfen, so unklar ist jedoch, in welche Richtung diese gehen soll. Die bislang vorliegenden Untersuchungen ermöglichen mittlerweile einige zentrale Aussagen zu Jungen im Bildungswesen.
  • Keine umfassende Antwort wird in den vorliegenden Untersuchungen auf die Frage nach den Gründen für die Bildungs-(miss)erfolge von Jungen gegeben. Es fehlt an empirischen Studien, die Jungen und Schule systematisch aufeinander beziehen, sowie eine Verknüpfung von Theorie, Empirie und Praxis. Ein wesentliches Ziel der vorliegenden Expertise ist, Forschungslücken aufzudecken und herauszufinden, inwiefern gezielte Studien dazu beitragen können, Handlungsansätze zu entwickeln, um mehr Chancengerechtigkeit im Bildungswesen zu bewirken. Folgende Bereiche weisen noch besonderen Forschungsbedarf auf:
  • Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen sind nur für einige Unterrichtsfächer erforscht.
  • Zwar sind die Leistungsunterschiede in den Kernfächern Mathematik und im sprachlichen Bereich hinreichend erforscht. Es besteht jedoch ein Bedarf an der Erforschung weiterer Fremdsprachen, Schulsport oder sozialwissenschaftliche und künstlerisch-musische Fächer.
  • Die Motivation für eine geschlechterstereotype Berufsorientierung bei Jungen ist bislang wenig untersucht.
  • Das weitestgehend geschlechterstereotype Berufswahlverhalten von Jungen und die damit verbundenen Chancen und Risiken sind bekannt. Ungeklärt ist jedoch, welche Faktoren Einfluss auf die Berufsorientierung der Jungen haben. Da ein Teil der Jungen Schwierigkeiten mit Berufs- und Lebensorientierung hat, sollte Schule stärker auf‚ ''das konkrete Leben''
  • Die Zusammenhänge zwischen der sozialen Dimension von Männlichkeit1 und Bildungs(miss)erfolg sind im Bezug auf ihre Ursachen noch wenig erforscht.
  • Das soziale Geschehen innerhalb der Klasse und insbesondere der männlichen Peer-Group bestimmt für Jungen maßgeblich den Schulalltag, in dem die Orientierung an Männlichkeitsnormen eine wichtige Rolle spielt. Leider geht diese Orientierung teilweise mit Desinteresse für Unterrichtsstoff oder geringerer Motivation einher. Die Angst, als 'Streber' zu gelten, führt zu weniger schulischem Engagement und geringerer Leistung, als zu erwarten wäre.
  • Über Jungen mit Migrationshintergrund im Bildungssystem existieren kaum Untersuchungen.
  • Zu erforschen ist, inwieweit neben migrationsbedingten Schwierigkeiten auch durch ungünstige Milieulagen, Selbst-und Fremdethnisierung, soziale Ausgrenzung und das selektive Schulsystem Bildungsungleichheiten verstärkt werden.
  • Die Relevanz männlicher Lehrkräfte für schulischen Erfolg von Jungen ist bislang spekulativ.
  • Lehrkräfte sind an den Bildungs(miss)erfolgen von Jungen aktiv beteiligt. Es wird häufig die Forderung nach mehr männlichen Lehrkräften gestellt, obwohl deren Relevanz unklar ist. Da genderkompetente Lehrkräfte aktuell nicht in dem erforderlichen Maße vorhanden sind, besteht ein erhöhter Bedarf an Fortbildungen, sowie an einer stärkeren Berücksichtigung der Lebenslagen von Jungen in der universitären Lehrkraftausbildung.
  • Nachhaltige Perspektiven sollten mittel- bis langfristig geplant werden.
  • Sinnvoll ist ein individualisierender, fehlerfreundlicher und ermutigender Unterricht.
  • Wichtiger als spektakuläre und aufwendige Maßnahmen ist die Umgestaltung des schulischen Alltags nach geschlechtergerechten Gesichtspunkten. Dazu gehört die Verankerung von Jungenarbeit als ein Baustein von gen-dersensibler Pädagogik als Querschnittsaufgabe in den Schulprofilen.
  • Die Lehrkräfte brauchen Unterstützung in Form von Aus-und Weiterbildungen in Genderkompetenz.
  • Da sich die Bedingungen für alle Schulen voneinander unterscheiden2, bietet die konkrete Einzelschule einen geeigneten und sinnvollen Rahmen für Veränderungen.
Der Expertise müssen mehrere grundsätzliche Überlegungen vorangestellt werden3.

  1. Eine ausschließliche Orientierung auf leistungsschwache und verhaltensproblematische Schüler wiederholt den negativen Blick der aktuellen (medialen) Debatte und übersieht, dass es ebenso durchschnittliche und erfolgreiche Schüler gibt. Zwar liegt der Anteil der Risikoschüler4 mit 11,9% um 2,2 Prozentpunkte über dem der Mädchen – darunter überdurchschnittlich viele Jungen mit Migrationshintergrund und aus kapitalienarmen5 Familien. Allerdings finden sich auch bei den kompetenzstarken Schülern – dies wird häufig vergessen – mit 11,8% mehr Jungen als Mädchen (10,4%). Um dieses Dilemma zu minimieren, stellt die Expertise ebenfalls Erfolge und Stärken von Jungen im Bildungssystem dar.
  2. Die Konzentration auf die Jungen kann Gemeinsamkeiten mit den Mädchen ebenso übersehen wie Differenzen zwischen unterschiedlichen Jungen. Es muss berücksichtigt werden, dass die folgenden Aussagen nie auf alle Jungen zutreffen, sondern durchschnittliche Werte und Tendenzaussagen sind. Deswegen werden einerseits Vergleiche zwischen Jungen aus unterschiedlichen Soziallagen und andererseits zum Leistungstand der Mädchen angestellt.
  3. Eine Expertise zu Bildungs(miss)erfolgen kann nicht nur Zahlen zu Kompetenzen, Wiederholerquoten oder Ausbildungsberufen dokumentieren, sie muss auch die Bedeutung von Schule als sozialem Ort miterfassen, in dem Männlichkeit her- und dargestellt wird.
  4. Die Expertise begreift Geschlecht und Männlichkeit nicht als naturgegebenen Fakt, sondern als soziale Tatsache. Gesellschaftliche Strukturen und alltägliches doing gender tragen zu "jungenspezifischen" Handlungsmustern, Geschlechternormen und Bildungserfolg bei.
Im Folgenden werden zuerst Bildungsverläufe von Jungen geschildert. Danach wird auf die Situation in sprachlichen und naturwissenschaftlichen Fächern eingegangen und ein Überblick über die Berufsorientierung von Jungen gegeben. Anschließend wird der Zusammenhang zwischen Männlichkeit und Schule dargestellt und zum Ende auf die drei aktuelle Diskurse um Jungen mit Migrationshintergrund, die Rolle der Lehrkräfte und getrennten Unterricht eingegangen.

http://www.wgvdl.de/forum/info/Politik/BildungsmisserfolgDerJungen.pdf

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