Professor Dr. Gerhard Amendt
Institut für Geschlechter- und Generationenforschung
Universität Bremen
amendt@uni-bremen.de
Offener Brief an die Justizministerin der Bundesrepublik Deutschland
Frau Brigitte Zypries
Sehr geehrte Frau Ministerin Zypries,
wenn mir auch nicht ganz klar ist, ob Ihr Aufruf zur öffentlichen Diskussion über Vaterschaftstests wirklich ernst gemeint ist, oder ob er lediglich eine Abwehrgeste gegen eine Sturm auslösende Diskriminierung von Männern darstellt, so teile ich doch mit Ihnen das Erstaunen über die Einhelligkeit, mit der Männer sich Ihrem Gesetzesentwurf durchweg entgegenstellen. Und dies obwohl sie in ihrer Mehrheit gar nicht davon berührt sind. Was ich mit Wohlgefallen betrachte, scheint Sie wohl eher mit politischem Graus zu erfüllen. Wo ich die Politisierung des Väterlichen begrüße, scheint für Sie eher das Ende jener komfortablen Ära von Zumutbarkeiten gekommen, in der man Männern umstandslos die Alleinverantwortung für und die historische Schuld an der Geschichte aufbürden konnte, damit Frauen für ihren Teil der Verantwortung am Geschehen, angefangen beim Nationalsozialismus über Gewalttätigkeiten zwischen Partnern bis hin zu familiären Streitigkeiten nicht einstehen mußten.
An dieser Mythenbildung haben nicht nur Politikerinnen und Wissenschaftlerinnen, sondern, durch beschweigendes Bystandertum, ebenso Männer mitgewirkt. Dass Sie in kindlich-naiver Arglosigkeit fragen, warum Männer den Frauen gegenüber so misstrauisch seien - so als würden Ihre lebensgeschichtlichen Erfahrungen nicht ausreichen, einen einzigen triftigen Grund dafür zu benennen - hat meine Wunschvorstellung, Sie möchten Geschlechterbeziehungen subtiler denken als üblich, schnell verscheucht.
Dass auch Ihre Koalitionspartner Alltagstugenden bemühen und vollmundig fordern: "Es darf keinen Bonus für männliche Feigheit geben!" ist kein Zufall, sondern lässt auf tiefe Zuversicht und ein tiefes historisch begründetes Vertrauen in männlichen Mut schließen. Die schiere Angst, dass sich daran in Zukunft etwas ändern könnte, ist allerdings nicht zu verkennen. Nur: als brandneuer Entwurf für die Beziehungen zwischen Männern und Frauen lässt sich diese Konzeption nicht ausgeben, denn sie bleibt bei der Zuweisung und Zuschreibung von Qualitäten an Männer, die auch von Frauen zu erwarten sind. Männliche "Feigheit" (sei es der kleine Junge, der nicht weint, oder der Soldat, der vor dem Feind nicht flieht...) unter Strafe zu stellen, sind Männer gewohnt. Jetzt kommt zu den bisherigen Sanktionen eine neue hinzu, eine Freiheitsstrafe, die sie davon abhalten soll, die Ungewissheit ihrer Vaterschaft aufzuheben. Als feige soll gelten, wer den intimen Zweifel, ohne ihn an die große Glocke zu hängen, ohne Gerichte und partnerschaftliches Plazet ausräumen will. Dass alle Staatsbürger, Männer wie Frauen, Betrug weder praktizieren noch decken sollen, so der demokratische und ethische Anspruch, der ganz gewiss auch für die intimsten Beziehungen gilt, dieser Anspruch scheint durch die nachsichtige Psychologisierung der betrügenden Ehefrau seine Geltung verlieren zu sollen.
Zwischen Ihrer arglosen Entgeisterung über das Misstrauen der Männer gegenüber Frauen und den Ahnungen einer grünen Abgeordneten von einer rasant um sich greifenden männlichen Feigheit besteht ein verblüffender Zusammenhang. In beidem drückt sich eine Befürchtung aus; die Befürchtung, dass eintritt, was beide, die Ministerin und die Abgeordnete, wünschen: Männer ändern sich; aber sie ändern sich nicht, wie sie sollen, sondern wie sie es wollen - nicht mehr an weiblichen Wünschen orientiert. Das lässt Furcht aufkommen, die auch vor Politikerinnen nicht halt macht, denn die Veränderung enthält Wagnisse. Die Folge: ärgerliche Hilflosigkeit, die im gegebenen Fall zum entsetzten Beschwören schwindender männlicher Tugenden führt.
Deutet Ihre Reaktion, Frau Ministerin, auf misstrauische Männer aber nicht auf etwas sehr viel Näherliegendes hin? Nämlich auf eine profunde Irritation darüber, dass Männer beginnen, weibliches Verhalten und mütterliche Tugendhaftigkeit in Frage zu stellen und zu hinterfragen? Indem sie Frauen zum Beispiel Kuckucksmanöver unterstellen! Obwohl Männern doch seit Jahr und Tag die Verantwortung für den "Opferzustand der Frau" nahegelegt wird. Statt dessen entziehen sie sich dieser tätlich-täterhaften Geschichtsrolle und behaupten, gar nicht die Täter zu sein, als die Frauen sie ausgeben, allerdings nur diejenigen Frauen, die das für sich brauchen.
Ist es die Tatsache, dass eine Schuldzuschreibung per Gesetz und auf dem Wege der politischen Meinungsbildung nicht gleichbedeutend damit ist, dass Beschuldigte sich schuldig fühlen und das Spiel zum gewünschten Ende bringen, indem sie sich als Täter begreifen, sich reuig geben und Besserung geloben, die Sie entsetzt? So gesehen, ist Ihr gespieltes Unverständnis eine Aufforderung an die Männer, sich der Tatsache ihres ihnen kollektiv zugewiesenen Täterstatus neu zu erinnern. Sie sollen nicht aufmucken, denn das wäre, man wird es dieser Tage gewiss vernehmen, eine neue Form männlicher Gewalt!
Bislang sind die wenigsten Männer kollektiven Gewaltvorwürfen explizit entgegengetreten. Jeder Mann kennt zwar seine aggressiven Impulse, auch seine aggressiven Handlungen, hat aber angesichts der ungewissen Bewertung seines Verhaltens zu der wabernden Verdammungskultur alles Männlichen geschwiegen. Nun scheint der Krug nicht mehr zum Brunnen zu gehen, weil er zerbrochen ist. Ihre mit Freiheitsstrafe bewehrte Gesetzesabsicht hat den Krug zerbrechen lassen. Männern den Wunsch nach Gewissheit ihrer Vaterschaft abzusprechen und das natürliche Recht, sich der Folgen ihrer Sexualität gewiss zu sein, dass Frauen diesen Gewissheitswunsch billigen und ein Gericht sich dem anschließt, hat fast einhellig unter Männern wie Frauen einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Der Grund dafür könnte sein, dass Ihr Ansinnen den Kern der Elterlichkeit angreift, nämlich die Gewissheit über Väterlichkeit. Denn was Sie Männern anzutun gedenken, das erinnert Frauen mit Schrecken an Zeiten, als sie gezwungen wurden, Schwangerschaften auszutragen, gleich von wem und in welchen Situationen sie entstanden waren.
Für viele Männer verkörpert Ihr Gesetzesvorhaben nicht nur den Einzug des Staates in die Privatheit ihrer Beziehungen, sondern auch die Privilegierung jenes weiblichen Verhaltens, das - jenseits der Vernutzung von Männern als Dukatenesel - die Väterlichkeit gering schätzt und letztlich sogar für beliebig erklärt. Darüber hinaus tut es so, als sei es zum Besten der Kinder, wenn die Mutter ihnen ihren leiblichen Vater vorenthält und einen anderen Mann dafür ausgibt. Damit erhebt sich diese Mutter zur Hüterin eines von ihr selbst produzierten folgenschweren Familiengeheimnisses. Sie erklärt sich damit und ist Hüterin über die Identitätsentwicklung sämtlicher Familienmitglieder. Ob sie diese Macht auf die Dauer beglückt, erscheint indes zweifelhaft, denn sie muß ihren Partner und ihre Kinder so lange immer neu belügen, solange sie die Macht ihres Geheimnisses nicht verlieren möchte.
Vielleicht wäre Ihnen, Frau Ministerin, die Ungeheuerlichkeit der den Männern verweigerten Identitätsgewissheit leichter begreiflich, wenn Sie sich vorstellten, dass Frauen Entsprechendes zugemutet würde? Zu bedenken ist außerdem, dass untreue Frauen selber Gewissheit über den Erzeuger ihrer Schwangerschaft erlangen möchten, weil sie mit ihrem Partner und den Kindern nicht im Zustand einer existentiellen Lüge ihr Leben führen möchten. Ihr Gesetz verbietet dies auch Frauen. Sie sprechen von "Vertrauen" und "Misstrauen" - eine überraschende Wortwahl; ich deute sie als kluge Umgehung des Jargons vom weiblichen Opfer, dem Generalschlüssel, mit dem Männer bislang kollektiv degradiert und Frauen folgerichtig kollektiv idealisiert werden konnten.
Mit dem von Ihnen - gegen die öffentliche Meinung, die Ihr Gesetz ablehnt - vorgesehenen Gesetzes scheinen Sie Männer zu Verbrechern am informationellen Selbstbestimmungsrecht von Frauen stilisieren zu wollen, wobei Sie, Flexibilität signalisierend, das Strafmaß im Gestus des absolutistischen self-aggrandizement mal anheben oder absenken. Die ursächliche Schuldhaftigkeit, ohne die diese Dynamik überhaupt nicht entstehen könnte, übersehen Sie. Nicht die Identitätsvorspiegelung soll unter Strafe und öffentliche Mißbilligung gestellt werden, sondern ihre Öffentlichmachung. Damit wird die Vaterschaftsgewissheit dem egoistischen Kalkül verantwortungsscheuer Frauen unterworfen. Deren Feigheit, hier beschreibt der Begriff das Wesentliche, wird zum Anlaß genommen, den Ehemann oder Partner wie auch die Kinder in die illusionäre Welt vermeintlich identitätsvergewissender Familienbeziehungen zu nötigen. So schmerzlich für Männer wie Kinder die Wahrheit hinter der Ursprungslüge sein mag, so ist ihre Verheimlichung allemal folgenschwerer. Denn die fortgesetzte Lüge verhindert die Auseinandersetzung, den Zorn über die Unwahrheit wie auch die Trauer und die Möglichkeiten der Versöhnung jenseits des Vertrauensbruchs. Die Ursprungslüge ist der schwerste Vertrauensbruch, den man sich vorstellen kann. Und doch ist die Schöpferin der Ursprungslüge nicht nur eine Lügnerin, sondern auch eine Frau mit guten mütterlichen und partnerschaftlichen Seiten. Je länger aber die Lüge währt, um so mehr wird die gemeinsame Lebenszeit dem rückwirkenden Sog der Entwertung ausgesetzt. Treffen die Kinder erst mit 18 auf die Wahrheit, so entwertet das die gesamte Kindheit. Andererseits lässt sich das Festhalten an der Unwahrheit nicht damit rechtfertigen, dass der getäuschte Mann seine Beziehung zu seinem Kind abbrechen wird. Diese Annahme ist realitätsfremd und deutet auf eine verschwiegene Identifikation mit der schuldigen Frau hin. Vielmehr wird es so sein, dass der hintergangene Mann trotz Zorn auf seine Ehefrau nicht das ebenfalls hintergangene Kind straft, sondern an seiner Liebe zu ihm festhält. Schließlich teilen sie ein gemeinsames Schicksal und gemeinsames Zusammenleben. Was früher Ausdruck seiner leiblichen Vaterschaft war, wird in Zukunft mit großer Wahrscheinlichkeit freiwillige Väterlichkeit sein.
Aber vielleicht ist Ihr Übergehen der ursächlichen Schuldhaftigkeit gar kein Versehen, sondern drückt ein Familienverständnis aus, wonach Frauen die Familie und Mütterlichkeit der Maßstab des Humanen überhaupt sind. Dann wären Männer nur Abzugsbilder dieser Maßstäbe. Eine eigene Väterlichkeit, die grundverschieden von der Mütterlichkeit ist, gäbe es dann nicht mehr. Der qualitative Unterschied zwischen dem Mütterlichen und dem Väterlichen, der die Differenzierungsmatrix für die Entwicklung der kindlichen Persönlichkeit abgibt, wäre überflüssig. Diese Vorstellung gibt es mittlerweile als Theorie einer zweiten Feminisierung der Mütterlichkeit sowohl in Ihrer Partei wie bei Ihrem Koalitionspartner. Diesmal nicht als widriges und nachteilig gedeutetes Frauenschicksal, sondern als Ausgrenzung der Väter durch Familienpolitik. Das würde den väterfeindlichen Bias Ihrer Sicht als Teil eines geschlossenen Systems zukünftiger Familienpolitik erkennbar machen!
Der DNA-Code ist als organisch-biologisches Substrat Teil der gelieferten Individualität. Er ist aber nicht das Wertvollste, was der Mensch hat. Trotzdem gehört dieser Code geschützt. Nicht jedoch in jeder Situation und nicht um jeden Preis. Ich denke hier an die Abtreibungsregelung. Hier wird die Schutzwürdigkeit des Lebens, die in der Situation der einzigartigen Intimität von Frau und Kind während der Schwangerschaft gründet, aufgehoben, damit eine Tötung auf Wunsch der Frau möglich wird. Warum lassen wir diese Logik schützenswerter Intimität von Eltern und Kindern, die dem aufpassenden Staat Grenzen setzt, trotz der Unvergleichlichkeit ihrer Auswirkungen, nicht bei der DNAAnalyse ebenso gelten? Zumal die Selbstgewissheit des Kindes über seinen leiblichen Vater hier keineswegs schon gesichert ist, sondern vom zweifelnden Vater erst hergestellt wird, was ständig übersehen wird. Es ist der Vater, der durch seinen Versuch der Selbstvergewisserung zugleich die Ungewissheit seines Kindes ausräumt, indem er die Lebenslüge beendet. Dadurch wird es ebenso wenig zu einem Dammbruch gegenüber einem hohen Rechtsgut wie bei der streng umgrenzten Freigabe der Kindestötung durch Schwangerschaftsabbruch kommen. Es werden in beiden Fällen aber die Besonderheiten des Elternkindverhältnisses und seiner emotionalen Anforderungen geschützt.
Was soll daran abwegig sein? Abwegig ist ihr Gesetzesvorhaben. Es verschüttet nicht nur Kinderwünsche von Männern, es ist zudem eine Facette der Kinderfeindlichkeit, deren Folgen wir nicht müde werden zu beklagen
Hochachtungsvoll
gez. Prof. Dr. Gerhard Amendt
Institut für Geschlechter und Generationenforschung
Universität Bremen
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