Dienstag, 5. Juli 2011

Die Macht der Frauen

Berliner Zeitung Politik

Geschlechterverhältnisse

Die Macht der Frauen

Frauen dürfen heute alles zeigen, was sie haben. Sie wissen, dass sie die Männer damit erregen. Foto: Getty Images
Frauen dürfen heute alles zeigen, was sie haben. Sie wissen, dass sie die Männer damit erregen.

von Regine Sylvester

Berlin - Unter meinem Fenster rollen geschmückte Kremser mit singenden Männern. So ein Tag, so wunderschön wie heute. Halbnackte Rudel taumeln am Abend durch die Stadt, knallen leere Flaschen auf Bürgersteige, trinken immer weiter, kotzen sich das Gesöff aus dem Leib, schnarchen auf Bänken und Verkehrsinseln.

Feiertag, Vatertag, Herrentag.

Männer - nur einige, keineswegs alle, und eher jüngere als ältere - zeigen die alberne, die rüpelhafte Seite ihres Selbstverständnisses. Diese Gruppen können auch gefährlich werden. Am kleinen Müggelsee gab es dieses Jahr eine Keilerei. In Warnemünde starb ein Familienvater wegen nichts aus dem Nichts: Zwei konkurrierende Wandergruppen hatten sich gestritten, welche den schöneren Karren zog: einen Einkaufswagen oder einen Bollerwagen. Unter Männern kann eine seltsame Gewalt gären, die sie plötzlich aufeinander richten. Bei Kneipenschlägereien, Kriegen zwischen Fußballfans oder Rockern haben Frauen nichts zu suchen.

Die taz griff den Fall Strauss-Kahn auf und schrieb in dem Zusammenhang, dass sich das männliche sexuelle Privileg in unzähligen Formen wie Junggesellenabschieden, Vatertagen oder Bordellbesuchen ausdrückt. Das ist nicht korrekt. Was ist das männliche sexuelle Privileg bei Junggesellenabschieden oder Vatertagen? Dass Freundinnen heutzutage auch exzessive Junggesellinnenabschiede feiern, dass sich Frauen Callboys mieten und für sexuelle Dienste bezahlen, darf das unerwähnt bleiben? Außerdem werde ich misstrauisch, wenn sich etwas in "unzähligen Formen" ausdrücken soll. Unzählig ist ungenau und oft die reine Ablenkung. Man sollte damit rechnen, dass sehr Verschiedenes zusammengebraut wird, um ein Fass vollzumachen.

In diesem Fall geht es um ein verallgemeinertes, nachteiliges Männerbild.

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In den letzten Monaten gerieten bekannte, manchmal auch mächtige Männer in den Verdacht, Frauen sexuell missbraucht zu haben. Israels Präsident Moshe Katzav wurde deshalb zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Meteorologe Jörg Kachelmann bekam nach vier Monaten Untersuchungshaft einen Freispruch aus Mangel an Beweisen, den Alice Schwarzer als "Freispruch dritter Klasse" interpretierte, die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin legten Revision ein. Dem Franzosen Dominique Strauss-Kahn, zuvor Chef des Internationalen Währungsfonds, wurde in dieser Woche in New York die Anklage verlesen: Er soll ein Zimmermädchen zum oralen Sex gezwungen haben, ihm drohen in den USA 25 bis 74 Jahre Gefängnis.

In dem Zusammenhang rückten diverse Medien auch andere Männer in einen sexuellen Kontext, Männer, die wahrscheinlich, ein umtriebiges Leben führen, aber keine Straftat begangen haben: König Carl XVI. Gustaf von Schweden soll im Bordell gewesen sein. Er leugnet. Arnold Schwarzenegger betrog seine Frau und verheimlichte einen außerehelichen Sohn. Er bereut und will seine Frau zurück. Dem italienischen Regierungschef Silvio Berlusconi schmeichelt sein Image als Sexprotz. Er erzählte Journalisten den folgenden Witz: "Unter jungen Frauen wurde eine Umfrage gemacht. Die Frage lautete: Würdet ihr mit Berlusconi schlafen? 70 Prozent haben geantwortet: Warum nicht? Die anderen 30 Prozent haben gesagt: Nicht schon wieder!"

Nach diesen Fällen entstand, verständlich, eine aufgeregte Debatte über die sexuelle Macht der Männer. Wer viel gesehen und gelesen hat, empfängt die Signale einer fatalen Warnung: Männer können zu Monstern werden, besonders mächtige Männer sind besonders gefährlich für Frauen. Bei der Arbeit sind Frauen den sexuellen Übergriffen männlicher Kollegen ausgesetzt. Man muss die Frauen schützen.

Sie sind "wehrlos".

Das Wort fällt auch in einem Kommentar der Chefredakteurin der taz. Die Journalistin wird noch schärfer: Im Fall Strauss-Kahn kritisiert sie die Wortwahl der Öffentlichkeit: "Und die vergewaltigte Frau? Sie wird zum Zimmermädchen degradiert - zu einer Person also, die durch diese Bezeichnung zu einem Kind gemacht wird, das nicht im Vollbesitz ihrer Urteilskraft ist."

Diese Frau, die sich an einem unbekannten Ort aufhält und vor der Öffentlichkeit geschützt wird, arbeitete im Hotel als Zimmermädchen. Nun soll man "Zimmermädchen" nicht mehr sagen dürfen, weil man dabei an ein unmündiges Kind denkt und nicht an einen anständigen Beruf. Das Wort "Missbrauchsopfer" akzeptiert die Kollegin aber auch nicht: "Der Annahme, dass ich etwas missbrauchen kann, liegt immer zugrunde, dass ich etwas gebrauchen kann. Frauen werden dadurch einmal mehr zu Objekten die je nach Gusto benutzt werden dürfen."

Das ist nun wirklich Unsinn.

Die Chefredakteurin von Bunte schrieb im Mai ein Editorial über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz: "Männer sollten Sensibilität dafür entwickeln, dass Frauen an manchen Tagen Zweideutigkeiten lässig hinnehmen und am nächsten Tag schockiert sind."

Was mich bei solchen Texten aufregt, ist das reduzierte Frauenbild.

Im Zusammenhang mit der Sexualität der Männer wird die moderne Frau zum Weibchen erklärt - schwach, bedrängt, ängstlich abwehrend und einer mentalen Tagesform ausgeliefert, in der es "Zweideutigkeiten" mal lässig hinnimmt, mal einen Schock bekommt.

Alice Schwarzer schrieb vor einem Jahr in Emma: "Im Namen der Liebe neigen Frauen zur Selbstaufgabe, Gratisarbeit und Relativierung ihrer eigenen Existenz. Darauf baut die ganze männlich-weibliche Arbeitsteilung auf."

Wie passt dieser tägliche Opfergang zu den feministischen Bilanzen, in denen Frauen zu den Siegerinnen der Geschichte werden - stark, klug unabhängig, selbstbestimmt, mutig? Das alles kann durch die Sexualität der Männer untergraben werden? Mit dieser Angst leben meine Freundinnen nicht, ich auch nicht und meine Tochter schon gar nicht.

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Ich komme aus dem Osten.

1993 schrieb ich eine Kolumne in der Wochenpost. Mir war im Westen eine diffuse Unsicherheit im Umgang zwischen Frauen und Männern aufgefallen: "Könnte es sein, dass der feministische Aufbruch auch Verluste brachte? Zerfall der Geschlechterrollen ohne erkennbare lebenslustige Alternative? Verunsicherte Männer trauen sich nicht, einer Frau in den Mantel zu helfen. Anerkennende Pfiffe auf der Straße gelten als Sexismus. Ich denke da anders: So lange einer pfeift, ist alles in Ordnung. Will wirklich keine angesprochen werden? Man kann doch Nein sagen. Ich frage mich, wie die Frauen im Westen überhaupt Männer kennenlernen."

Nach diesem Text, an dem ich auch heute kein Wort ändern möchte, erhielt ich viele Briefe, die empörten kamen alle aus dem Westen. Eine Frau fragte, ob ich auch das Taschenbillard von Männern begrüße, mit dem sie Passantinnen einschüchtern. Taschenbillard? Ach so.

Eine andere Leserin schrieb, ich sei verantwortlich für zukünftige Vergewaltigungen, weil ich sexuelle Belästigungen herunterspiele und die Männer zu Schlimmerem ermutige. Das waren unerwartete Kriegserklärungen. Danach habe ich wütend beschlossen, den Erfahrungen meines erwachsenen Frauenlebens zu vertrauen. Dazu gehörte eine einfache Feststellung: Frauen sind nicht die besseren Menschen.

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Frauen haben andere Mittel und können große Verführerinnen sein. Die Macht, die sie damit über Männer gewinnen, ist Geschichte geworden, Kunst, Literatur, Theater. Die ägyptische Königin Kleopatra wollte ihr Land vor den römischen Eroberern retten. Sie verführte zuerst Julius Caesar und nach dessen Ermordung Marcus Antonius. Für längere Zeit konnte sie Ägyptens Machtstellung erhalten. Helenas Schönheit führte verblendete Männer in den Trojanischen Krieg. Mätressen verdrehten Kaisern und Königen den Kopf. Huren, Diven, Abenteurerinnen setzen verlockende Körper ein, um ihre Ziele zu erreichen. Junge reizvolle Mädchen suchen sich Sugar-Daddys, damit jemand die Kosten eines anspruchsvollen Lebenswandels übernimmt.

Die Kunst der Verführung, heute weitgehend heruntergekommen zur sexuellen Anmache, drängelt sich auf der Rampe der Aufmerksamkeit. Man kann gar nicht wegsehen, Hintern und Brüste auf der Titelseite, auf dem Plakat. Tussis mit gürtelbreiten Röcken steigen vor dir die S-Bahn-Treppe hoch. Frauen dürfen heute alles zeigen, was sie haben. Sie wissen, dass sie die Männer damit erregen, aber die dürfen sich nicht aufgefordert fühlen.

Wann ist der Mann ein Mann?

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2004 erschien die erste sozialwissenschaftliche Studie über Gewalt gegen Männer. Sie wurde in der Berliner Zeitung ausgewertet: "Gewalt gegen Männer, sofern sie von Frauen ausgeht, gilt immer noch als Tabu. Männer wollen nicht wahrhaben, dass sie Opfer von Gewalt geworden sind. Sie bagatellisieren, halten sich aus Scham bedeckt. Jeder vierte Mann hat in seiner Partnerschaft mindestens einmal Gewalt erfahren - physische oder psychische." 2010 zeigte eine Studie der evangelischen Kirche, dass beide Geschlechter fast gleich häufig Täter sind, etwa 30 Prozent der Frauen und 34 Prozent der Männer üben Gewalt aus. Wenn Männer gewalttätig werden, sind sie es meist gegen Fremde. Gewalt von Frauen richtet sich gegen den eigenen Partner.

Diese Zahlen könnte ich vergessen, diese Erlebnisse nicht: Als mein Cousin seine Frau nach langer, unglücklicher Ehe verlassen wollte, versteckte sie eine Rasierklinge in seiner Nagelbürste. Ein anderer Mann aus meiner Familie heiratete eine Frau, die immer ausrastete, wenn er sich anerkennend über eine andere Frau äußerte, auch wenn es nur eine Schauspielerin im Fernsehen war. Einmal schlug sie ihm einen Telefonhörer auf den Kopf, bis Blut kam. Er wusste nicht, wie er sich hätte wehren können ohne zurückzuschlagen, und das konnte er nicht.

Ich habe noch öfter und aus anderen Gründen Männer bedauert. Es gab einen verzweifelten Freund in Stuttgart, den seine Frau betrogen hatte. Sie zog aus und ließ sich scheiden. Durch eine Gesetzesänderung von 1977 war das Scheidungsrecht vom Verschuldens- zum Zerrüttungsprinzip übergegangen. Danach konnte eine Frau ihren Mann betrügen, ihn verlassen und die Hälfte vom Zugewinn und Versorgungsanspruch erhalten. Dazu, wenn sie nicht arbeitete, drei Siebtel vom Nettoeinkommen des Verlassenen als Unterhalt. Die Frau aus Stuttgart war nun mit dem anderen Mann zusammen, zog aber nicht in eine gemeinsame Wohnung, nur damit der Ex-Ehemann, der Dumme, weiterzahlen musste.

Ein geschiedener Mann war verpflichtet, mit seinen Zahlungen seiner geschiedenen Frau die Aufrechterhaltung des ehelichen Standards zu ermöglichen. Wenn sie vorher zwei Mal im Jahr Skiurlaub gemacht hatte, sollte sie das auch weiter machen können.

Das ist inzwischen geändert, aber jahrelang bedeutete Heirat und Scheidung die weit und breit in der Bundesrepublik einzige sichere, lebenslange, luxuriöse Versorgung einer Frau, sofern sie sich vorher einen vermögenden Mann geangelt hatte. Der konnte nun frei sein und arm werden.

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Ich stelle mir vor, ich wäre ein Mann, und zwar einer von den netten.

Ich bin bindungsfähig, geduldig und fürsorglich. Ich bin dieser Typ mit Schultern zum Anlehnen. Ich halte Versprechen, kann zuhören und finde Worte für meine Gefühle. Ich bin ein wilder und zärtlicher Liebhaber. Ich habe Freunde.

Wo kommt so ein Mann vor, wenn über Männer geschrieben wird? Mal ganz abgesehen von diesen Frauenbüchern, die sich vor Lachen nicht halten können, wenn sie männliche Details wie einen Schwanz aus der Nähe betrachtet haben wollen. Es gibt zu viele hämische, dumme, verbissene Bücher.

Und es gibt Sibylle Berg und ihren weisen Roman "Der Mann schläft". Eine Frau liebt einen Mann, weil der Mann diese Frau liebt. "Er war nicht auffallend schön oder reich, kein guter Redner oder charmant auf eine Art, die ihm Bewunderung einbrachte. Außer dass er mir das Gefühl gab, ich sei liebenswert, tat er sich in keinem Bereich mit Glanzleistungen hervor."

Der Mann und die Frau - beide haben keine Namen und sind schon älter - sind freundlich zueinander. Dann verschwindet der Mann. Man liest das Buch mit Demut. Sibylle Berg kann zaubern.

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Natürlich - furchtbare Vorstellung - könnte mir ein körperlich überlegener Mann etwas Schlimmes antun. Noch jahrelang trug ich als junges Mädchen eine Trillerpfeife an einer Kette um den Hals. Sie sollte mir mehr Sicherheit geben, nachdem ich vor einem polizeilich gesuchten Vergewaltiger wegrennen konnte. Ich schaffte es gerade so ins Haus, der Mann versuchte, die Tür einzutreten. Beim Prozess sah ich ihn das erste Mal bei Licht, er war groß und stark. Vergewaltigung war lange Zeit meine entsetzlichste Vorstellung von einem Unglück, das mich treffen könnte.

Im letzten Maiheft des Spiegel gab die Schriftstellerin Catherine Millet ein Interview -"Sex ist ein Modus des Lebens" -, das kühn und kühl gegen den Strom schwimmt. Eine Vergewaltigung, sagt sie, könne den Körper einer Frau nicht unheilbar beschädigen, Sperma ließe sich abwaschen. Ein Mann könne sich des Körpers einer Frau bemächtigen, aber nicht ihrer Persönlichkeit, weil die sich nicht auf den Körper reduzieren lasse. Millet wagt einen verstörenden Vergleich: "Für mich ist eine Vergewalti-gung weniger schlimm, als ein Auge zu verlieren, voilà."

Könnte so sein, denke ich.

In einem Alter, das sich bestimmte Sätze fürs ganze Leben merkt, habe ich den Film "Spiel mir das Lied vom Tod" gesehen, den berühmten Italo-Western. Claudia Cardi-nale spielt eine junge schöne Witwe zwischen unberechenbaren Männern. Einer droht, sie zu vergewaltigen. Sie reagiert mit einer kurzen Ansprache: Sie könne sich nicht gegen ihn wehren. Aber danach würde sie in einen großen Eimer viel heißes Wasser gießen und sich waschen. Und alles wäre wie vorher.

Mir ist das nie passiert, aber ich hoffe, dass ich mit so einer Situation ähnlich stark umgehen könnte.

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Wenn mir jemand uneingeladen auf die Pelle rückt, helfen Ironie und Gelächter.

1994 hatte mein damaliger Chefredakteur ein Interview mit Alexander Schalck-Golodkowski verabredet: Der Devisenbeschaffer der DDR war im Dezember 1989 in den Westen geflüchtet und sollte jetzt vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestags über seine frühere Tätigkeit aussagen.

Der Chef hatte mich zum Interview mitgenommen, weil ich mich in Ostangelegenheiten besser auskannte als er. Während des Gesprächs gab es eine Pause. Mein Chef ging zum Fenster und sah hinaus. Ich lehnte an der Wand. Ohne Scham und Überleitung fing Schalck-Golodkowski an, mich zu betatschen. Mein Chef blickte kurz herüber und wendete sich wieder dem Fenster zu. Ich schob die fremden Hände beiseite, sagte dem fleischigen Mann, er wäre nicht mein Typ und gab ihm einen kräftigen Schubs. Wir führten das Gespräch ohne Aufregung zu Ende.

Vielleicht hat sich der Chefredakteur nicht eingemischt, weil er Angst um das Interview hatte, das unserer Zeitung Aufmerksamkeit bringen sollte. Aber ich glaube, er wusste, dass ich mir nichts gefallen lassen werde. Ich war sogar dankbar, dass er mir das allein zutraute und nicht eingriff, was die Sache wichtiger und peinlicher gemacht hätte. Ich wollte kein Opfer sein.

Auf der Rückfahrt haben wir nur in Andeutungen über die Sache gesprochen und sie fortan beschwiegen.

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"Beinschuss, Bauchschuss, Kopfschuss!", drohte ein früherer Bild-Chef seinen vermeintlich unfähigen Mitarbeitern an. Legendär war auch die Mitarbeitererniedrigungskreativität eines Stern-Chefredakteurs. "Finden Sie Ihre Texte eigentlich gut?", fragte er einen seiner Journalisten, der eben den Bericht von einer großen Reise abgegeben hatte. Der nickte vorsichtig. "Da sind Sie aber der Einzige", dröhnte der Chef.

Mir fällt noch eine Begegnung bei den Internationalen Filmfestspielen von Karlovy Vary ein, Jahre vor der Wende: Ich wurde dem tschechoslowakischen Filmminister vorgestellt, setzte mich zu ihm und anderen Gästen an den Tisch. Er sprach etwas Deutsch, und ich fragte, ob er gute Filme gesehen habe. Er antwortete: "Ich bin nicht hier, um Filme zu sehen. Ich bin hier, um zu saufen." Er sprach laut und genierte sich nicht.

Der Mächtige geht oft zu weit. Kränkt Leute. Benimmt sich schlecht. Lässt sich huldigen. Findet sich gut. Ist keinen Widerstand gewohnt.

Wissenschaftliche Studien ergaben - nach Focus -, dass sexuelle Gewalttäter meistens aus den unteren sozialen Schichten kommen, wenig Bildung haben und ein unstetes Leben führen. Sie kompensieren mit der Demütigung einer Frau ihre eigene Ohnmacht. Bei mächtigen Männern passiert das selten. Sie brauchen es nicht.

Nach Henry Kissinger ist Macht das stärkste Aphrodisiakum. Das gilt aber nur für Männer: Eine Regierungschefin oder die Aufsichtsratsvorsitzende eines Dax-Konzerns ist es nicht gewohnt, dass hysterische junge Männer ihr Telefonnummern zustecken oder stundenlang im Vorgarten der Familienvilla lauern, um sich der Dame anzubieten.

Mächtige Positionen, Prominenz, Reichtum locken Frauen an. Regisseure, Chefärzte, bekannte Schauspieler, Verlagsleiter, Bestsellerautoren sind eine begehrte Beute und erhalten Angebote. Es folgen sexuelle Attacken. Das spricht nicht für uns Frauen, es ist aber so wegen einer steinzeitlichen Veranlagung: Frauen suchen nach einem guten Ernährer. Und den finden sie dann, sofortiger Überlebensreflex, attraktiv.

Ich kannte eine hübsche junge Frau, die bei der Ostberliner Akademie der Künste arbeitete. Ein Bürojob, aber mit direktem Zugang zu Akademiemitgliedern. Über die vielversprechendsten Künstler führte sie eine Liste und näherte sich ihnen Mann für Mann mit einem einzigen Ziel: "Perlen und Pelze!" Keiner ist verlässlich darauf eingegangen. Zu Mauerzeiten hat sie sich in den Westen geheiratet.

Sehr speziell sind die Groupies. Junge Mädchen gehen zu einem Konzert und verlieren den Verstand. Sie geben ihre Arbeit oder Ausbildung auf, um Musikern zur Verfügung zu stehen. Sie werden abgewiesen und fahren trotzdem nicht nach Hause. Wenn sie gut aussehen und dranbleiben, gehören sie vielleicht irgendwann zum Tross. Die Allerschönsten oder Interessantesten werden zu Ikonen, die von dem Ruhm leben, einmal ein sexuelles Anhängsel gewesen zu sein.

Groupies leben zur selben Zeit auf unserem Planeten wie Feministinnen. Die Welt ist arbeitsteilig.

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Busfahrer oder Agrartechniker kennen keinen weiblichen Massenansturm. Der kleine Mann von nebenan hat es leicht, treu zu bleiben, weil sich die Versuchung in Grenzen hält. Ähnliches galt für die ältere Frau, die während einer Berlinale im Kino neben mir saß. Vorne hatte ein Moderator die Zuschauerinnen scherzhaft gefragt, ob sie einen Mann wie George Clooney etwa gut fänden. Nach einem aufspringenden Händewald verließ er perplex und düpiert die Bühne. Ich hatte mich auch gemeldet. Die Frau neben mir, leichter Damenbart, stieß mich an und sagte: "Clooney finden Sie gut? Bei mir hätte der keine Chance."

Für beide Geschlechter gilt: Es ist leicht, Angebote abzulehnen, die man nicht erhalten hat. Nicht so einfach ist es dagegen, viele Angebote immer abzulehnen.

Ich wage Verallgemeinerungen, aber sie sind gespeist aus Erfahrung: Männer sind schlicht gestrickte, gutmütige Vorwärtsstrategen. Sie können mühelos mit einer Frau ins Bett gehen, ohne sich verlieben zu wollen. Sie sind Streuner, kehren aber in die bekannte Hütte zurück. Intelligente Männer betrügen großartige Frauen mit einer passablen Schnitte: Das läuft bei ihnen auf einem anderen Kanal.

Eine Frau, die Männer eine Weile mit grundsätzlicher Sympathie betrachtet hat, erwartet nichts Unmögliches und wird nicht so leicht enttäuscht werden.

Man könnte sich arrangieren.

Was denn sonst?

Berliner Zeitung, 11.06.2011

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