Frauen verstehen
Dramen und Herren
Quelle: http://www.weltwoche.ch/ausgaben/2005-43/artikel-2005-43-dramen-und-herre.html
Es gibt nichts Gutes, ausser Frauen tun es. Denn wo Männer sind, herrscht das Unglück. Zu diesem Schluss gelangt, wer Gast war – sein durfte! – auf dem Weltkongress für Matriarchatsstudien. Hätte es anders kommen können, als es bleibt? Ein Rechenschaftsbericht von David Signer
Es gibt nichts Gutes, ausser Frauen tun es. Denn wo Männer sind, herrscht das Unglück. Zu diesem Schluss gelangt, wer Gast war – sein durfte! – auf dem Weltkongress für Matriarchatsstudien. Hätte es anders kommen können, als es bleibt? Ein Rechenschaftsbericht von David Signer
Am Ende bildeten sie alle einen Kreis –
zweihundert Frauen und drei Männer. Sie riefen die Geister der vier
Himmelsrichtungen an und die Mutter Erde. Die Frauen, die aus Mexiko und
aus der Sahara angereist waren, standen im Süden, jene aus Korea und
Indien im Osten, jene aus Deutschland im Norden und jene aus Kanada und
Kalifornien im Westen. Mitten im Ritual wollte ein Auto durchfahren. Der
Fahrer weigerte sich, auf die Wiese auszuweichen, und der ganze Kreis
musste verschoben werden. Nachdem das Auto durchgefahren war, hielt es
an, ein Geistlicher stieg aus und filmte das Ganze.
Je einer Vertreterin aus jeder Himmelsrichtung wurde ein Cape mit einer Krone umgehängt, und sie tanzte darin in der Mitte des Kreises. Dann berührten alle die Mutter Erde und verabschiedeten sich voneinander. Das war der Abschluss des zweiten Weltkongresses für Matriarchatsstudien, unter dem Titel «Gesellschaften des Friedens», in San Marcos, Texas.
Gab es je ein Matriarchat, existieren heute noch Gesellschaften, in denen die Frauen regieren?
Auf jeden Fall gibt es in der ganzen Welt Mythen, die von einer ursprünglichen Frauenherrschaft berichten. Einer ihrer grossen Sammler war der Basler Gelehrte Johann Jakob Bachofen, der 1861 mit seinem Buch «Das Mutterrecht» für Aufsehen sorgte, indem er postulierte, die ganze Menschheit sei anfangs matriarchal gewesen, bevor sie dann patriarchal wurde. Belege dafür glaubte er insbesondere im alten Ägypten, in Kreta, Lykien, aber auch bei den Hopi und den Irokesen zu finden. Richtig durchsetzen konnte sich seine These in der Wissenschaft nie, auch wenn sie zahlreiche Anhänger fand. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war es dann vor allem die Archäologin Marija Gimbutas, die die Ansicht vertrat, das neusteinzeitliche Europa (5. Jahrtausend v. Chr.) sei «mutterzentriert» gewesen. Insbesondere die zahlreichen Funde von Frauenstatuetten waren für sie der Beweis für einen weitverbreiteten Göttinnenkult. Während Bachofen das Ur-Matriarchat als barbarischen, vorzivilisatorischen Zustand betrachtete, war es für Gimbutas eine Art Paradies: pazifistisch, ohne Ausbeutung und Unterdrückung, im Einklang mit der Natur, ein goldenes Zeitalter der Künste und der Spiritualität. Invasionen von bewaffneten Viehzüchtergruppen aus Asien machten – gemäss Gimbutas – diese fruchtbare Ära dann zunichte. Die Idee eines europaweiten Kultes der Grossen Göttin war für ein paar Jahrzehnte in der Archäologie praktisch Mainstream, auch wenn Gimbutas’ Folgerungen daraus als überspannt galten. Inzwischen mehren sich aber die Stimmen, die auch die Deutung der Statuetten als Göttinnen in Frage stellen.
Seit den siebziger Jahren haben nun jedoch sowohl ein positiv uminterpretierter Bachofen wie auch Gimbutas neue Unterstützung aus feministischen und New-Age-Kreisen erhalten. Der Tenor beziehungsweise Sopran lautet: Das Matriarchat hat existiert, noch immer gibt es in zahlreichen Kulturen Spuren davon, wer das leugnet, ist der patriarchalen Ideologie aufgesessen; das Matriarchat war, ist und wäre natürlicherweise gut, weil die Frauen natürlicherweise gut, also friedliebend und ökologisch, sind. Und weil das Patriarchat nicht ewig und universal ist, wie es uns weismachen will, besteht eine gute Chance, dass das Matriarchat wiederkommen wird. Im Gegensatz zu Bachofens Theorie wird Matriarchat allerdings nicht mehr als «Weiberherrschaft» definiert, wofür es auch kaum Belege gibt und eine brutale Amazonendiktatur würde schlecht zur feministischen Utopie passen, sondern als mutterzentrierte Gesellschaft, wo die kreative Weiblichkeit im Mittelpunkt der Kultur steht und die Männlichkeit eher am Rand, jedoch ohne unterdrückt zu werden.
Die prominenteste Vertreterin eines so verstandenen Matriarchats ist die deutsche Heide Göttner-Abendroth, die ihre These seit Jahrzehnten in zahlreichen Büchern und mit ihrer «Internationalen Akademie Hagia für Matriarchatsforschung und matriarchale Spiritualität» vertritt. Sie war auch federführend beim Matriarchats-Kongress.
Obwohl der Kongress «Matriarchats-Studien» im Titel führte, ging es nicht einfach um das Studium von Gesellschaften mit einer starken Stellung der Frauen. Es ging um eine Beweisführung («matriarchale Gesellschaften» sind gut) und ein Programm (die Wiederherstellung des Matriarchats jetzt und hier und überall). Göttner-Abendroth (biografische Notiz: «Begründerin der modernen Matriarchatsforschung; Publikationen: «Das Matriarchat I», 1988; «Das Matriarchat II», 1999; «Das Matriarchat II,2», 2000; «Matriarchat in Südchina», 1998») sagte es in ihrem Eröffnungsvortrag: «Matriarchale Gesellschaften haben eine nichtgewalttätige Sozialstruktur; sie beruhen auf Geschlechtergleichheit; ihre politischen Entscheidungen werden im Konsens gefällt; einsichtsvolle und wohldurchdachte Prinzipien und soziale Leitlinien verschaffen ein friedliches Leben für alle. Möge das Beispiel der matriarchalen Gesellschaften uns den Weg weisen, das Patriarchat hinter uns zu lassen!»
Einen Schritt weiter ging Claudia von Werlhof, Professorin in Innsbruck; sie definierte das Patriarchat als Kriegssystem. «Krieg ist das Hauptprinzip der Sozialorganisation, der Wirtschaft, Politik, Technik, Wissenschaft und der Beziehung zur Natur und zum andern Geschlecht», sagte sie. «Die Entwicklung speziell der westlichen Gesellschaft in Richtung eines geschlossenen Kriegssystems ist heute spürbarer denn je, wo die Globalisierung, die letzte Phase des Patriarchats, immer mehr zu einem weltweiten Krieg auf allen Ebenen wird. Das zwingt uns dazu, umgehend zu handeln, wenn wir das Leben auf der Erde retten wollen.»
Als Frau von Werlhof spottete: «Männer glauben, sie könnten zugleich Mütter sein», gab es spontanen Beifall. «Der männliche Gott ist eine Fiktion», sagte sie, «während die weibliche Göttin eine Realität ist.» Und: «Der Kapitalismus und das moderne Patriarchat begannen mit der Hexenverfolgung.» Kurz: Die Ersetzung der natürlichen weiblichen Macht durch die unnatürliche männliche «Reproduktionsmedizin als Traum von einer mütterlosen Welt» sei eine schwarze Utopie, die zu einer künstlichen Hölle auf Erden führe. Beispiel: Hurrikan «Rita». Die Mutter Natur rächt sich, und darum: «Nehmt den Boys die Spielzeuge aus der Hand, bevor es zu spät ist!»
Die Verbindung von Patriarchat und Kapitalismus stand im Zentrum des Vortrages von Genevieve Vaughan. «Matriarchat ist die Alternative zur marktorientierten Gesellschaft. Die Männlichkeits-Agenda im Patriarchat auferlegt uns Ziele, die marktkonform sein müssen und dem mütterlichen Geschenkegeben entgegengesetzt sind.» Was aber ist, wenn Frauen – entgegen dem Modell – Machtgelüste zeigen oder sogar dominieren, siehe Condoleezza Rice? «Dann übernehmen sie das patriarchale Modell.» Was hier vorherrsche, sei Gleichheit auf männlicher Basis, was aber nie funktionieren könne. Deshalb bräuchten wir Gleichheit auf weiblicher Basis, denn, kurz und bündig: «Frauen sind die besseren Menschen, darum sollen sie bestimmen.»
In einem weiteren Vortrag wurde die sanfte, weibliche Heilkunst der patriarchalen Technomedizin gegenübergestellt. Als im Anschluss eine Zuhörerin fragte, ob das Beste nicht eine Kombination zwischen traditioneller und moderner Medizin wäre, wurde sie zurechtgewiesen: «Es kann keine Zusammenarbeit mit einem Gewaltsystem geben, sonst kommen wir unter die Räder», zischte es. «Die Männer sind noch nicht menschlich, sie müssen sich erst befreien.»
Das alles ist ein bisschen viel, vor allem in seiner Vermischung von Manifest und wissenschaftlichem Anspruch. Schon die Gegenüberstellung von Matriarchat und Patriarchat wirft Fragen auf, vor allem, weil die Begriffe etwas zirkulär definiert werden: Matriarchale Gesellschaften sind friedlich – kriegerische Aspekte, etwa bei den matriarchalen Irokesen oder afrikanischen Akan, werden ausgeklammert; friedliche Gesellschaften müssen deshalb matriarchal gewesen sein, auch wo das nicht so klar ist, etwa bei den Kung im südlichen Afrika, denn da nur Frauen friedlich sind, können diese Gesellschaften ja nicht patriarchal gewesen sein. Umgekehrt wurden als Beispiele für das Patriarchale eigentlich nur die Amerikaner, Bush, die Globalisierung, die Nazis und die kirgisischen Horden des 4. Jahrtausends vor Christus beigezogen. Im Umkehrschluss musste dann das Patriarchat als Erklärung für den Kapitalismus und den Irakkrieg herhalten. Ist der Penis wirklich der Schlüssel für alles Übel der Welt?
Das Studium der matriarchalen Gesellschaften werde systematisch unterdrückt, hiess es immer wieder am Kongress. «Die Diskriminierung der Matriarchatsforschung – Eine moderne Hexenjagd» lautet eine neue Publikation von Göttner-Abendroth, von Werlhof&Co. Es werde eine Atmosphäre von Hass, Zynismus und Gewaltbereitschaft erzeugt gegen Forscherinnen, welche die Universalität der männlichen Herrschaft in Frage stellten, heisst es dort. Den Gegnerinnen und Gegnern gehe es nicht um Diskussion, sondern um Abwertung, Diffamierung und Denunziation, womit sie dem patriarchalen System zudienten.
Zahlreiche Teilnehmerinnen sagten mir am Kongress, es sei sicher seltsam für mich als Ethnologen, plötzlich alle diese Informationen zu bekommen, die an der Universität zensuriert würden. So ein Mumpitz! Die Ethnologie beschäftigt sich seit ihrem Beginn mit diesen Fragen, und es ist selbstverständlich, dass es Kulturen gab und gibt, wo die Stellung der Frau gut ist und praktisch Gleichberechtigung herrscht. Da jedoch die Machtverteilung zwischen den Geschlechtern nicht immer so eindeutig festzustellen ist und es zwar klar Männerherrschaften, aber keine Frauenherrschaften im Sinne einer systematischen Unterdrückung des andern Geschlechts gibt, schliessen einige Forscher daraus, das Patriarchat sei universal, während andere eher die Gleichberechtigung in einigen Gesellschaften hervorheben und daraus schliessen, das Patriarchat sei genau nicht universal.
Und ein Mann verwirrt sie doch
Versuchen wir also einmal gelassen zusammenzutragen, was die Wissenschaft zur Frage des Matriarchats meint.
Im Prinzip machte Bachofen, was auch die heutigen Matriarchatsforscherinnen tun: Sie nehmen die Mythen für die Realität. So gab es etwa im alten Griechenland zahlreiche Mythen, die von einem ursprünglichen Matriarchat handeln, das dann von den Männern gestürzt wurde. Man kann diese Mythen aber anstatt als Erinnerungen auch als Legitimationen begreifen: Die Position der Frauen im antiken Athen war nämlich auch für damalige Verhältnisse extrem schlecht. In ideologischer Weise wird das Matriarchat dann abschreckend als vorzivilisatorischer Zustand präsentiert, der glücklicherweise von den Männern überwunden wurde.
Dasselbe gilt für die Interpretation der Religion. Göttinnen-Statuen und Mutterkult verweisen nicht zwangsläufig auf matriarchale Verhältnisse, man denke bloss an die Marienverehrung in Südeuropa, an die Freiheitsstatue oder an Helvetia. Überhaupt ist die Idealisierung der Frau oder der Mutter nicht gleichbedeutend mit ihrer real hohen Position; das patriarchale Südeuropa und Lateinamerika sind voll von Machos, die ihre Mama abgöttisch verehren und für die Frauen entweder Huren oder Heilige sind.
Für Verwirrung sorgten auch die frühen Geschichtsschreiber wie Herodot. Selbst die modernen Autorinnen beziehen sich immer wieder auf seine Berichte über Ägypten, Kreta und Lykien in Kleinasien. Über Ägypten heisst es in den antiken Quellen, der Mann sitze zu Hause und webe, während die Frau die öffentlichen Angelegenheiten erledige, und er müsse sie für alles um Erlaubnis fragen; die Kreter sprächen von Mutter- statt von Vaterland, und die Lykier würden sich nach der Mutter statt nach dem Vater nennen.
Was hier beschrieben wurde, war erstens die Tatsache, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung von Kultur zu Kultur variiert – mal gilt Weben als typisch weiblich, mal als typisch männlich –, und zweitens die Matrilinearität, das heisst die Vererbung in der weiblichen Linie, bei der die Kinder nur zur Verwandtschaftsgruppe der Mutter gehören. Diese Regelung (im Gegensatz zur griechischen Patrilinearität) existierte und existiert immer noch bei zahlreichen Gesellschaften, etwa im subsaharischen Afrika, ohne dass damit jedoch ein Matriarchat einhergeht.
In Ägypten waren die Eheverträge für die Frauen recht vorteilhaft; für Geschäfte brauchte der Mann ihre Zustimmung. Sowohl in Ägypten wie in Kreta wie in Lykien nahmen die Frauen rege am öffentlichen Leben teil, trotzdem: Dass Herodot angesichts dieser Verhältnisse von «Gynaikokratie» (Frauenherrschaft) sprach, hat mehr mit seinem eigenen patriarchalen Hintergrund als mit der Realität zu tun. Denn die Politik war in allen drei Gesellschaften fest in der Hand der Männer, und um eine allgemeine Stufe der kulturellen Entwicklung, wie Bachofen und in seinem Gefolge nun auch die Matriarchatsforscherinnen postulieren, handelte es sich erst recht nicht, sondern um konkrete historische Verbindungen: Ägypten wirkte kulturell auf das minoische Kreta, die Kultur Lykiens entstand wahrscheinlich als deren Ausläufer durch Migration. Die relativ gute Stellung der Frauen in Ägypten wurde durch die Ptolemäer beendet, jene in Kreta durch die Eroberung der Mykener. Mit einem Aufstand der Männer gegen die Amazonen, wie Herodot, auf die Mythen gestützt, glaubte, hatten die Veränderungen nichts zu tun.
Ein Volk, das von den Matriarchatsforscherinnen immer wieder als Beispiel für ihre Thesen ins Feld geführt wird, sind die Irokesen. Dieses Indianervolk war vielleicht die Gesellschaft mit der besten Stellung der Frau überhaupt. Aber nicht etwa, weil sie besonders «ursprünglich» wären, ein Überbleibsel aus der matriarchalen Frühgeschichte der Menschheit. Der Grund lag vor allem in der dauernden, kriegsbedingten Abwesenheit der Männer. Womit zugleich die These widerlegt ist, «matriarchale» Gesellschaften seien besonders friedfertig. Während die Männer auf ihren Kriegszügen unterwegs waren, pflanzten die Frauen Mais an, verarbeiteten und verteilten ihn – in Arbeitskollektiven. Diese ökonomische Verbundenheit der Frauen könnte die Ursache der Matrilokalität gewesen sein (wo der Mann zur Verwandtschaftsgruppe seiner Frau zieht). Denn die Frauen waren durch ihre Kooperativen an einen Ort gebunden, im Gegensatz zu den umherziehenden Männern. Die Irokesen lebten auch nicht in Einzelfamilien zusammen, sondern in «Langhäusern», was den Frauenzusammenhalt noch beförderte. Auch in politischer Hinsicht verfügten die Frauen, insbesondere die älteren «Matronen», über beträchtlichen Einfluss. Von «Frauenherrschaft» kann man trotzdem nicht sprechen, schon weil es sich um eine Gesellschaft handelt, in der verwandtschaftliche und soziale Organisation praktisch in eins fallen und keine institutionalisierte Herrschaft mit Sanktionsgewalt existiert. Als den Männern das Kriegsführen verboten wurde, drangen sie in die ehemalige Frauendomäne «Mais» ein, die weiblichen Arbeitskollektive lösten sich auf und damit die starke Stellung der Frauen.
Als ein weiteres Beispiel für eine matriarchale Gesellschaft werden oft die Hopi erwähnt. Auch bei diesen Indianern der Hochebenen der Region Arizona beruht die Stärke der Frauen zu einem grossen Teil auf der gemeinschaftlichen Maiszubereitung. Was die Besitzverhältnisse betrifft, ist ihre Stellung privilegiert: Haus und Land gehören ihnen. Das politische Leben, das mehrheitlich ins Rituelle verlagert ist, ist jedoch eher Männerdomäne. Unterm Strich könnte man etwa von einer geschlechtlichen Gleichberechtigung sprechen.
Es gab also durchaus Gesellschaften, die nicht patriarchal waren. Aber die Irokesen oder die Hopi sind kein Modell für eine ursprüngliche Kulturstufe, wie das von den Matriarchatsforscherinnen behauptet wird. Die meiste Zeit lebte die Menschheit nämlich als nomadische Jäger und Sammlerinnen; eine Vorstellung, wie dort die Geschlechterverhältnisse aussahen, geben uns immer noch existierende Völker wie die Kung («Buschmänner») im südlichen Afrika: Die Männer gehen auf die Jagd, die Frauen sammeln, jagen Kleintiere, kochen und sorgen für die Kinder; die geschlechtliche ist die einzige Arbeitsteilung. Sie ist bedingt durch die grössere Mobilität der Männer; die Frauen sind durch Schwangerschaft, lange Stillzeit und Pflegebedürftigkeit der Kinder nicht geeignet für lange Märsche. Auch in diesen Kulturen ist die Familie die Basiseinheit, Kinder gehören, wie bei uns, sowohl zur Gruppe der Mutter wie des Vaters. Grosso modo herrscht nur eine geringe Benachteiligung der Frauen.
Diese verstärkt sich erst im Übergang zur Sesshaftigkeit, von der «Nahrungssuche» zur «Nahrungsproduktion», mit der Erfindung von Viehzucht und Anbaumethoden. Hier findet auch der Übergang statt zu den «einseitigen» Verwandtschaftssystemen (Patrilinearität, Matrilinearität) und damit verbunden zu strengeren Heiratsregeln. Es geht dabei vor allem um die Kontrolle der Nachkommenschaft. Allerdings handelt es sich hier nicht primär um ein perfides patriarchales Manöver zur Unterdrückung der Frau, sondern darum, dass im Gefolge der neuen Wirtschaftsform langfristige Planung wichtiger wird. Die gesicherte Versorgung mit Nahrungsmitteln, wozu auch Saatgut und Jungtiere gehören, sowie mit Kindern, als zukünftige Produzenten und Versorger der Alten, wird dabei zentral. Diese Gemeinschaften beruhen auf einem zeitlich langgestreckten Tausch von Vorschüssen und Rückzahlungen, was eine komplexere, differenziertere Sozialstruktur und einen höheren Organisationsgrad mit sich bringt. Bei diesem Gesellschaftstyp findet man – selten – jene Kulturen, wie die Irokesen oder die Hopi, mit der besten Stellung der Frau, aber weitaus häufiger, insbesondere wenn zur männlichen Abstammungs- und Wohnsitzregel noch Polygamie und Brautpreis hinzukommen, auch das Gegenteil: ausgeprägte Patriarchate.
Was Frauen Frauen übel nehmen
In einem Satz: Es gibt keine einfache historische Entwicklung von Matriarchat zu Patriarchat. Weder finden sich die «frauenfreundlichsten» Gesellschaften am Anfang noch die «frau- enfeindlichsten» am Ende. Beide befinden sich, was die historische Entwicklung der Produktionsformen betrifft, in der «Mitte». Und «Patriarchat» und «Matriarchat» lassen sich auch nicht als radikale Alternativen gegeneinander ausspielen; sie sind zwei Pole eines Kontinuums, aus dem uns Geschichte und Ethnologie vielfältige Variationen präsentieren.
Interessant am Kongress in Texas waren die Beiträge von Vertreterinnen aus «matriarchalen» Gesellschaften. Interessant auch deshalb, weil sie die Verallgemeinerungen der Veranstalterinnen durch ihre konkreten Berichte oft relativierten. So zeichnete etwa eine Vertreterin der Khasi in Indien ein Bild ihres immer wieder als matriarchales Paradebeispiel zitierten Volkes, das nicht gerade Göttner-Abendroths Ideal entsprach.
Die Khasi sind nicht demokratisch, stellte sie lakonisch fest. Es herrscht eine ausgeprägte Oligarchie, nur gewisse Clans haben Zugang zur Macht. Es gibt grosse Spannungen zwischen den Geschlechtern; die Männer empfinden die Matrilokalität als drückend, wo sie unter der Kontrolle ihrer Schwiegerfamilie leben müssen. Sie versuchen ausserhalb der Khasi zu heiraten. Die Scheidungsrate ist hoch und häusliche Gewalt alltäglicher als in allen anderen Gesellschaften der Region; Alkoholismus auch. «Matriarchat», sagte die Khasi-Frau, ist ein patriarchaler Ausdruck (generalisierend, totalisierend, polarisierend). «Man sollte zuerst einzelne Kulturen studieren und dann verallgemeinern, und nicht umgekehrt.»
Das wurde ihr übel genommen. Wie kann sie es wagen, als eingeladener Gast, die Veranstalterin Heide Göttner-Abendroth so zu brüskieren, meinte etwa die feministische Theologin Christa Mulack in der anschliessenden Pause. Ihre Frustration ist verständlich. Denn sie ist die Autorin von «Natürlich weiblich», wo Sätze stehen wie: «Die biologische Forschung der jüngsten Zeit beweist, dass das Weibliche von der Natur eindeutig bevorzugt wird und die Frau lebenstüchtiger ist als der Mann. Psychologische Untersuchungen bestätigen die biologischen Fakten.» Oder: «Auch für Mädchen ist die Mutter die erste Geliebte, eine einseitige heterosexuelle Orientierung der Frau ist daher psychologisch nicht zu begründen.»
Die Ethnologin Peggy Reeves Sanday beschrieb die Minangkabau auf Sumatra, entgegen Göttner-Abendroths Gleichsetzung von «matriarchal» mit «herrschaftsfrei», als hierarchische Königtümer. Auch eine übergeordnete Göttin gibt es dort nicht, die oberste Gottheit ist geschlechtsneutral. Sie habe eben von der «matriarchalen Tiefenstruktur» geredet, entgegnete Göttner-Abendroth, was heisse: Die Götter waren ursprünglich überall weiblich, mussten sich dann jedoch zwangsläufig an die patriarchale Umwelt anpassen. Allerdings berichtete auch eine Vertreterin der «matriarchalen» Akan in Ghana von ihrer Religion, das höchste Wesen heisse dort Nyame und sei männlich. Sie relativierte auch die immer wieder bemühte «Naturanbetung» der matriarchalen Völker. «Wir beten nicht die Natur an», erklärte sie, «sondern beispielsweise einen bestimmten Geist in einem bestimmten Baum, was etwas anderes ist.»
Immer wieder wurde die Globalisierung reflexhaft als letztes teuflisches Machwerk des Patriarchats präsentiert. Zur allgemeinen Verwunderung berichtete aber eine Vertreterin der Minangkabau, dass der Einbezug Indonesiens in den Weltmarkt eher zu einer Stärkung der matrilinearen Traditionen bei ihrem Volk geführt habe (der Markt wurde dereguliert, die Politik dezentralisiert, was zu mehr regionaler und auch kultureller Selbstbestimmung führte).
Eines der beliebtesten Themen am Kongress war die «visiting marriage», ebenfalls angeblich ein universales Kennzeichen des Matriarchats, die eine Referentin folgendermassen auf den Punkt brachte: «Die Frauen leben zusammen, sie haben Babys, und die Männer können kommen und wieder gehen, was sie sowieso tun» (rauschender Applaus). Die einzige Teilnehmerin, die wirklich von einer Heiratsform berichten konnte, bei der die Ehepaare nicht zusammenwohnen, sondern der Mann lediglich nachts zu Besuch kommt, war eine Vertreterin der Mosuo in China. Und sie präzisierte, dass dieses Arrangement bei lediglich sechzehn Prozent der dortigen Ehepaare praktiziert werde.
«Schweig und fühle»
Veronika Bennholdt-Thomsen berichtete von den mexikanischen Zapoteken. Als Kennzeichen ihrer «matriarchalen» Kultur machte sie aus: die Wertschätzung der Gabe und des Verteilens, das Misstrauen gegen Akkumulation, der Glaube an die Beseeltheit der Natur, die Privilegierung des Sozialen gegenüber dem Individuellen. «Wir Frauen wissen, wie eine gute Wirtschaft funktioniert», schloss sie ihr Referat. Bloss, diese Attribute sind mehr oder weniger charakteristisch für alle traditionellen Gesellschaften, unabhängig von der Stellung der Frau, was der Ethnologieprofessorin bekannt sein müsste. Und ob sie als Organisationsprinzipien für unsere postindustriellen Gesellschaften hinreichend sind – in der zum Beispiel internationale Kongresse durchgeführt werden –, wäre zu diskutieren.
Von jeglicher wissenschaftlicher Bodenhaftung befreit war der Beitrag von Prof. Lucia Chiavola Birnbaum, in dem behauptet wurde, das Bild der «Schwarzen Madonna», wie es in diversen Ländern Europas gefunden wird, sei ein Überbleibsel der afrikanischen «Dunklen Mutter», die, wie übrigens auch «die Hexen», auf frühe afrikanische Migrationen zurückgehe.
In vielen Gesellschaften wird die Frau mit der Natur und der Mann mit der Kultur assoziiert und solcherart die Männerherrschaft legitimiert. Nicht umsonst hat deshalb die erste Generation von Feministinnen, beispielsweise Simone de Beauvoir, das Augenmerk darauf gelegt, dass Geschlechterverhältnisse vor allem soziale und nicht naturgegebene Verhältnisse sind («Man wird nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht»). Daneben gab es jedoch schon bald einen zweiten Feminismus-Diskurs, der alte Zuschreibungen wiederaufnahm, sie jedoch ins Positive umdeutete: Ja, die Frau ist näher an der Natur, aber es ist genau das, was sie zu einem besseren Menschen macht. Insbesondere wurde das Mutter-Sein, im Gegensatz zur Beauvoir-Fraktion, ins Zentrum der Argumentationen gestellt. Das spiegelte sich auch am Matriarchatskongress. «Wir stammen alle von Müttern, und deshalb ist die Mütterfrage die Grundfrage jeder Gesellschaft», sagte Claudia von Werlhof. Und Christa Mulack schrieb über die Ur-Mutter in der matriarchalen Mythologie: «Es wäre in diesem Vorstellungsrahmen undenkbar, an die Stelle der Mutter den biologischen Vater treten zu lassen. Er ist im matriarchalen Weltbild entweder unbekannt oder aber uninteressant – das heisst sozial unbedeutend.» Von Werlhof behauptete sogar, es gebe in matriarchalen Gesellschaften keinen Begriff für «Vater». Das ist radikalfeministisches Wunschdenken. Es gab keinen einzigen Vortrag von Vertreterinnen aus «matriarchalen» Gesellschaften, in denen der Vater nicht vorkam. Und wenn in matrilinearen Gesellschaften normalerweise der Bruder der Mutter die Rolle unseres «Vaters» einnimmt (der biologische Vater ist dann wiederum zuständig für die Kinder seiner Schwester), warum sollte dieses Arrangement ursprünglicher, natürlicher oder normaler als irgendein anderes sein?
Wenn in dieser militant-feministischen Sicht die Geschlechter als absolut und naturgegeben verschieden aufgefasst werden, gibt es für Männer auch keine Möglichkeit, Frauen zu verstehen, und kein Recht, über sie zu schreiben (der umgekehrte Fall wurde verständlicherweise weniger problematisiert). Ich war gerade dabei, einer amerikanischen Hebamme, die über «Frauensolidarität und natürliche Geburt in Afrika» schreiben wollte, zu berichten, dass es in Burkina Faso viele männliche Hebammen gebe und diese bei den Gebärenden beliebter seien, weil sie als rücksichtsvoller und mitfühlender als ihre Kolleginnen gelten, als eine Teilnehmerin aus Israel mein Gegenüber aus ihrer Sprachlosigkeit erlöste, indem sie mir erwiderte: «Wie kommen Sie dazu, Aussagen über Afrikanerinnen zu machen?»
Sie war der Ansicht, nur andere Afrikanerinnen hätten das Recht dazu. «Das wäre das Ende der Ethnologie», sagte ich, «und auch des Journalismus.»
«Sie könnten über ihresgleichen schreiben», meinte sie.
Aber die Konsequenz aus dieser Political Correctness wäre, dass nur noch Autobiografien übrig blieben. Langweilig wie Onanie.
Nichtsdestotrotz: Da wir in einem Patriarchat leben, soll das letzte Wort ein Mann haben, einer der wenigen, die am Kongress teilnahmen. Wolfgang Nebmaier lehrt mit seiner Frau zusammen eine tantrische Meditation, bei der man sich auf seine Gebärmutter konzentriert.
«Und was machen die Männer?», fragte ich.
Er blickte mich mitleidig an. «Auch Männer haben eine Gebärmutter. Genetisch ist sie immer noch da; es geht darum, sie zu spüren.» Für weitere Informationen verwies er mich auf seine Homepages: www.sexandpeace.com und www.starke-knochen.de.
«Auf welchem spirituellen Weg bist du?», fragte er mich. Ich zuckte mit den Schultern.
«Ich glaube, du bist hier in etwas geraten, was dich überfordert, und du weisst noch gar nicht, was mit dir passiert», sagte er.
«Zweifellos», antwortete ich. «War seit meiner Geburt so.»
«Hör auf philosophisch zu sein», rief er streng. «Das ist bloss eine Abwehr. Schweig und fühle.»
Was ich hiermit tue.
Je einer Vertreterin aus jeder Himmelsrichtung wurde ein Cape mit einer Krone umgehängt, und sie tanzte darin in der Mitte des Kreises. Dann berührten alle die Mutter Erde und verabschiedeten sich voneinander. Das war der Abschluss des zweiten Weltkongresses für Matriarchatsstudien, unter dem Titel «Gesellschaften des Friedens», in San Marcos, Texas.
Gab es je ein Matriarchat, existieren heute noch Gesellschaften, in denen die Frauen regieren?
Auf jeden Fall gibt es in der ganzen Welt Mythen, die von einer ursprünglichen Frauenherrschaft berichten. Einer ihrer grossen Sammler war der Basler Gelehrte Johann Jakob Bachofen, der 1861 mit seinem Buch «Das Mutterrecht» für Aufsehen sorgte, indem er postulierte, die ganze Menschheit sei anfangs matriarchal gewesen, bevor sie dann patriarchal wurde. Belege dafür glaubte er insbesondere im alten Ägypten, in Kreta, Lykien, aber auch bei den Hopi und den Irokesen zu finden. Richtig durchsetzen konnte sich seine These in der Wissenschaft nie, auch wenn sie zahlreiche Anhänger fand. In der Mitte des 20. Jahrhunderts war es dann vor allem die Archäologin Marija Gimbutas, die die Ansicht vertrat, das neusteinzeitliche Europa (5. Jahrtausend v. Chr.) sei «mutterzentriert» gewesen. Insbesondere die zahlreichen Funde von Frauenstatuetten waren für sie der Beweis für einen weitverbreiteten Göttinnenkult. Während Bachofen das Ur-Matriarchat als barbarischen, vorzivilisatorischen Zustand betrachtete, war es für Gimbutas eine Art Paradies: pazifistisch, ohne Ausbeutung und Unterdrückung, im Einklang mit der Natur, ein goldenes Zeitalter der Künste und der Spiritualität. Invasionen von bewaffneten Viehzüchtergruppen aus Asien machten – gemäss Gimbutas – diese fruchtbare Ära dann zunichte. Die Idee eines europaweiten Kultes der Grossen Göttin war für ein paar Jahrzehnte in der Archäologie praktisch Mainstream, auch wenn Gimbutas’ Folgerungen daraus als überspannt galten. Inzwischen mehren sich aber die Stimmen, die auch die Deutung der Statuetten als Göttinnen in Frage stellen.
Seit den siebziger Jahren haben nun jedoch sowohl ein positiv uminterpretierter Bachofen wie auch Gimbutas neue Unterstützung aus feministischen und New-Age-Kreisen erhalten. Der Tenor beziehungsweise Sopran lautet: Das Matriarchat hat existiert, noch immer gibt es in zahlreichen Kulturen Spuren davon, wer das leugnet, ist der patriarchalen Ideologie aufgesessen; das Matriarchat war, ist und wäre natürlicherweise gut, weil die Frauen natürlicherweise gut, also friedliebend und ökologisch, sind. Und weil das Patriarchat nicht ewig und universal ist, wie es uns weismachen will, besteht eine gute Chance, dass das Matriarchat wiederkommen wird. Im Gegensatz zu Bachofens Theorie wird Matriarchat allerdings nicht mehr als «Weiberherrschaft» definiert, wofür es auch kaum Belege gibt und eine brutale Amazonendiktatur würde schlecht zur feministischen Utopie passen, sondern als mutterzentrierte Gesellschaft, wo die kreative Weiblichkeit im Mittelpunkt der Kultur steht und die Männlichkeit eher am Rand, jedoch ohne unterdrückt zu werden.
Die prominenteste Vertreterin eines so verstandenen Matriarchats ist die deutsche Heide Göttner-Abendroth, die ihre These seit Jahrzehnten in zahlreichen Büchern und mit ihrer «Internationalen Akademie Hagia für Matriarchatsforschung und matriarchale Spiritualität» vertritt. Sie war auch federführend beim Matriarchats-Kongress.
Obwohl der Kongress «Matriarchats-Studien» im Titel führte, ging es nicht einfach um das Studium von Gesellschaften mit einer starken Stellung der Frauen. Es ging um eine Beweisführung («matriarchale Gesellschaften» sind gut) und ein Programm (die Wiederherstellung des Matriarchats jetzt und hier und überall). Göttner-Abendroth (biografische Notiz: «Begründerin der modernen Matriarchatsforschung; Publikationen: «Das Matriarchat I», 1988; «Das Matriarchat II», 1999; «Das Matriarchat II,2», 2000; «Matriarchat in Südchina», 1998») sagte es in ihrem Eröffnungsvortrag: «Matriarchale Gesellschaften haben eine nichtgewalttätige Sozialstruktur; sie beruhen auf Geschlechtergleichheit; ihre politischen Entscheidungen werden im Konsens gefällt; einsichtsvolle und wohldurchdachte Prinzipien und soziale Leitlinien verschaffen ein friedliches Leben für alle. Möge das Beispiel der matriarchalen Gesellschaften uns den Weg weisen, das Patriarchat hinter uns zu lassen!»
Einen Schritt weiter ging Claudia von Werlhof, Professorin in Innsbruck; sie definierte das Patriarchat als Kriegssystem. «Krieg ist das Hauptprinzip der Sozialorganisation, der Wirtschaft, Politik, Technik, Wissenschaft und der Beziehung zur Natur und zum andern Geschlecht», sagte sie. «Die Entwicklung speziell der westlichen Gesellschaft in Richtung eines geschlossenen Kriegssystems ist heute spürbarer denn je, wo die Globalisierung, die letzte Phase des Patriarchats, immer mehr zu einem weltweiten Krieg auf allen Ebenen wird. Das zwingt uns dazu, umgehend zu handeln, wenn wir das Leben auf der Erde retten wollen.»
Als Frau von Werlhof spottete: «Männer glauben, sie könnten zugleich Mütter sein», gab es spontanen Beifall. «Der männliche Gott ist eine Fiktion», sagte sie, «während die weibliche Göttin eine Realität ist.» Und: «Der Kapitalismus und das moderne Patriarchat begannen mit der Hexenverfolgung.» Kurz: Die Ersetzung der natürlichen weiblichen Macht durch die unnatürliche männliche «Reproduktionsmedizin als Traum von einer mütterlosen Welt» sei eine schwarze Utopie, die zu einer künstlichen Hölle auf Erden führe. Beispiel: Hurrikan «Rita». Die Mutter Natur rächt sich, und darum: «Nehmt den Boys die Spielzeuge aus der Hand, bevor es zu spät ist!»
Die Verbindung von Patriarchat und Kapitalismus stand im Zentrum des Vortrages von Genevieve Vaughan. «Matriarchat ist die Alternative zur marktorientierten Gesellschaft. Die Männlichkeits-Agenda im Patriarchat auferlegt uns Ziele, die marktkonform sein müssen und dem mütterlichen Geschenkegeben entgegengesetzt sind.» Was aber ist, wenn Frauen – entgegen dem Modell – Machtgelüste zeigen oder sogar dominieren, siehe Condoleezza Rice? «Dann übernehmen sie das patriarchale Modell.» Was hier vorherrsche, sei Gleichheit auf männlicher Basis, was aber nie funktionieren könne. Deshalb bräuchten wir Gleichheit auf weiblicher Basis, denn, kurz und bündig: «Frauen sind die besseren Menschen, darum sollen sie bestimmen.»
In einem weiteren Vortrag wurde die sanfte, weibliche Heilkunst der patriarchalen Technomedizin gegenübergestellt. Als im Anschluss eine Zuhörerin fragte, ob das Beste nicht eine Kombination zwischen traditioneller und moderner Medizin wäre, wurde sie zurechtgewiesen: «Es kann keine Zusammenarbeit mit einem Gewaltsystem geben, sonst kommen wir unter die Räder», zischte es. «Die Männer sind noch nicht menschlich, sie müssen sich erst befreien.»
Das alles ist ein bisschen viel, vor allem in seiner Vermischung von Manifest und wissenschaftlichem Anspruch. Schon die Gegenüberstellung von Matriarchat und Patriarchat wirft Fragen auf, vor allem, weil die Begriffe etwas zirkulär definiert werden: Matriarchale Gesellschaften sind friedlich – kriegerische Aspekte, etwa bei den matriarchalen Irokesen oder afrikanischen Akan, werden ausgeklammert; friedliche Gesellschaften müssen deshalb matriarchal gewesen sein, auch wo das nicht so klar ist, etwa bei den Kung im südlichen Afrika, denn da nur Frauen friedlich sind, können diese Gesellschaften ja nicht patriarchal gewesen sein. Umgekehrt wurden als Beispiele für das Patriarchale eigentlich nur die Amerikaner, Bush, die Globalisierung, die Nazis und die kirgisischen Horden des 4. Jahrtausends vor Christus beigezogen. Im Umkehrschluss musste dann das Patriarchat als Erklärung für den Kapitalismus und den Irakkrieg herhalten. Ist der Penis wirklich der Schlüssel für alles Übel der Welt?
Das Studium der matriarchalen Gesellschaften werde systematisch unterdrückt, hiess es immer wieder am Kongress. «Die Diskriminierung der Matriarchatsforschung – Eine moderne Hexenjagd» lautet eine neue Publikation von Göttner-Abendroth, von Werlhof&Co. Es werde eine Atmosphäre von Hass, Zynismus und Gewaltbereitschaft erzeugt gegen Forscherinnen, welche die Universalität der männlichen Herrschaft in Frage stellten, heisst es dort. Den Gegnerinnen und Gegnern gehe es nicht um Diskussion, sondern um Abwertung, Diffamierung und Denunziation, womit sie dem patriarchalen System zudienten.
Zahlreiche Teilnehmerinnen sagten mir am Kongress, es sei sicher seltsam für mich als Ethnologen, plötzlich alle diese Informationen zu bekommen, die an der Universität zensuriert würden. So ein Mumpitz! Die Ethnologie beschäftigt sich seit ihrem Beginn mit diesen Fragen, und es ist selbstverständlich, dass es Kulturen gab und gibt, wo die Stellung der Frau gut ist und praktisch Gleichberechtigung herrscht. Da jedoch die Machtverteilung zwischen den Geschlechtern nicht immer so eindeutig festzustellen ist und es zwar klar Männerherrschaften, aber keine Frauenherrschaften im Sinne einer systematischen Unterdrückung des andern Geschlechts gibt, schliessen einige Forscher daraus, das Patriarchat sei universal, während andere eher die Gleichberechtigung in einigen Gesellschaften hervorheben und daraus schliessen, das Patriarchat sei genau nicht universal.
Und ein Mann verwirrt sie doch
Versuchen wir also einmal gelassen zusammenzutragen, was die Wissenschaft zur Frage des Matriarchats meint.
Im Prinzip machte Bachofen, was auch die heutigen Matriarchatsforscherinnen tun: Sie nehmen die Mythen für die Realität. So gab es etwa im alten Griechenland zahlreiche Mythen, die von einem ursprünglichen Matriarchat handeln, das dann von den Männern gestürzt wurde. Man kann diese Mythen aber anstatt als Erinnerungen auch als Legitimationen begreifen: Die Position der Frauen im antiken Athen war nämlich auch für damalige Verhältnisse extrem schlecht. In ideologischer Weise wird das Matriarchat dann abschreckend als vorzivilisatorischer Zustand präsentiert, der glücklicherweise von den Männern überwunden wurde.
Dasselbe gilt für die Interpretation der Religion. Göttinnen-Statuen und Mutterkult verweisen nicht zwangsläufig auf matriarchale Verhältnisse, man denke bloss an die Marienverehrung in Südeuropa, an die Freiheitsstatue oder an Helvetia. Überhaupt ist die Idealisierung der Frau oder der Mutter nicht gleichbedeutend mit ihrer real hohen Position; das patriarchale Südeuropa und Lateinamerika sind voll von Machos, die ihre Mama abgöttisch verehren und für die Frauen entweder Huren oder Heilige sind.
Für Verwirrung sorgten auch die frühen Geschichtsschreiber wie Herodot. Selbst die modernen Autorinnen beziehen sich immer wieder auf seine Berichte über Ägypten, Kreta und Lykien in Kleinasien. Über Ägypten heisst es in den antiken Quellen, der Mann sitze zu Hause und webe, während die Frau die öffentlichen Angelegenheiten erledige, und er müsse sie für alles um Erlaubnis fragen; die Kreter sprächen von Mutter- statt von Vaterland, und die Lykier würden sich nach der Mutter statt nach dem Vater nennen.
Was hier beschrieben wurde, war erstens die Tatsache, dass die geschlechtliche Arbeitsteilung von Kultur zu Kultur variiert – mal gilt Weben als typisch weiblich, mal als typisch männlich –, und zweitens die Matrilinearität, das heisst die Vererbung in der weiblichen Linie, bei der die Kinder nur zur Verwandtschaftsgruppe der Mutter gehören. Diese Regelung (im Gegensatz zur griechischen Patrilinearität) existierte und existiert immer noch bei zahlreichen Gesellschaften, etwa im subsaharischen Afrika, ohne dass damit jedoch ein Matriarchat einhergeht.
In Ägypten waren die Eheverträge für die Frauen recht vorteilhaft; für Geschäfte brauchte der Mann ihre Zustimmung. Sowohl in Ägypten wie in Kreta wie in Lykien nahmen die Frauen rege am öffentlichen Leben teil, trotzdem: Dass Herodot angesichts dieser Verhältnisse von «Gynaikokratie» (Frauenherrschaft) sprach, hat mehr mit seinem eigenen patriarchalen Hintergrund als mit der Realität zu tun. Denn die Politik war in allen drei Gesellschaften fest in der Hand der Männer, und um eine allgemeine Stufe der kulturellen Entwicklung, wie Bachofen und in seinem Gefolge nun auch die Matriarchatsforscherinnen postulieren, handelte es sich erst recht nicht, sondern um konkrete historische Verbindungen: Ägypten wirkte kulturell auf das minoische Kreta, die Kultur Lykiens entstand wahrscheinlich als deren Ausläufer durch Migration. Die relativ gute Stellung der Frauen in Ägypten wurde durch die Ptolemäer beendet, jene in Kreta durch die Eroberung der Mykener. Mit einem Aufstand der Männer gegen die Amazonen, wie Herodot, auf die Mythen gestützt, glaubte, hatten die Veränderungen nichts zu tun.
Ein Volk, das von den Matriarchatsforscherinnen immer wieder als Beispiel für ihre Thesen ins Feld geführt wird, sind die Irokesen. Dieses Indianervolk war vielleicht die Gesellschaft mit der besten Stellung der Frau überhaupt. Aber nicht etwa, weil sie besonders «ursprünglich» wären, ein Überbleibsel aus der matriarchalen Frühgeschichte der Menschheit. Der Grund lag vor allem in der dauernden, kriegsbedingten Abwesenheit der Männer. Womit zugleich die These widerlegt ist, «matriarchale» Gesellschaften seien besonders friedfertig. Während die Männer auf ihren Kriegszügen unterwegs waren, pflanzten die Frauen Mais an, verarbeiteten und verteilten ihn – in Arbeitskollektiven. Diese ökonomische Verbundenheit der Frauen könnte die Ursache der Matrilokalität gewesen sein (wo der Mann zur Verwandtschaftsgruppe seiner Frau zieht). Denn die Frauen waren durch ihre Kooperativen an einen Ort gebunden, im Gegensatz zu den umherziehenden Männern. Die Irokesen lebten auch nicht in Einzelfamilien zusammen, sondern in «Langhäusern», was den Frauenzusammenhalt noch beförderte. Auch in politischer Hinsicht verfügten die Frauen, insbesondere die älteren «Matronen», über beträchtlichen Einfluss. Von «Frauenherrschaft» kann man trotzdem nicht sprechen, schon weil es sich um eine Gesellschaft handelt, in der verwandtschaftliche und soziale Organisation praktisch in eins fallen und keine institutionalisierte Herrschaft mit Sanktionsgewalt existiert. Als den Männern das Kriegsführen verboten wurde, drangen sie in die ehemalige Frauendomäne «Mais» ein, die weiblichen Arbeitskollektive lösten sich auf und damit die starke Stellung der Frauen.
Als ein weiteres Beispiel für eine matriarchale Gesellschaft werden oft die Hopi erwähnt. Auch bei diesen Indianern der Hochebenen der Region Arizona beruht die Stärke der Frauen zu einem grossen Teil auf der gemeinschaftlichen Maiszubereitung. Was die Besitzverhältnisse betrifft, ist ihre Stellung privilegiert: Haus und Land gehören ihnen. Das politische Leben, das mehrheitlich ins Rituelle verlagert ist, ist jedoch eher Männerdomäne. Unterm Strich könnte man etwa von einer geschlechtlichen Gleichberechtigung sprechen.
Es gab also durchaus Gesellschaften, die nicht patriarchal waren. Aber die Irokesen oder die Hopi sind kein Modell für eine ursprüngliche Kulturstufe, wie das von den Matriarchatsforscherinnen behauptet wird. Die meiste Zeit lebte die Menschheit nämlich als nomadische Jäger und Sammlerinnen; eine Vorstellung, wie dort die Geschlechterverhältnisse aussahen, geben uns immer noch existierende Völker wie die Kung («Buschmänner») im südlichen Afrika: Die Männer gehen auf die Jagd, die Frauen sammeln, jagen Kleintiere, kochen und sorgen für die Kinder; die geschlechtliche ist die einzige Arbeitsteilung. Sie ist bedingt durch die grössere Mobilität der Männer; die Frauen sind durch Schwangerschaft, lange Stillzeit und Pflegebedürftigkeit der Kinder nicht geeignet für lange Märsche. Auch in diesen Kulturen ist die Familie die Basiseinheit, Kinder gehören, wie bei uns, sowohl zur Gruppe der Mutter wie des Vaters. Grosso modo herrscht nur eine geringe Benachteiligung der Frauen.
Diese verstärkt sich erst im Übergang zur Sesshaftigkeit, von der «Nahrungssuche» zur «Nahrungsproduktion», mit der Erfindung von Viehzucht und Anbaumethoden. Hier findet auch der Übergang statt zu den «einseitigen» Verwandtschaftssystemen (Patrilinearität, Matrilinearität) und damit verbunden zu strengeren Heiratsregeln. Es geht dabei vor allem um die Kontrolle der Nachkommenschaft. Allerdings handelt es sich hier nicht primär um ein perfides patriarchales Manöver zur Unterdrückung der Frau, sondern darum, dass im Gefolge der neuen Wirtschaftsform langfristige Planung wichtiger wird. Die gesicherte Versorgung mit Nahrungsmitteln, wozu auch Saatgut und Jungtiere gehören, sowie mit Kindern, als zukünftige Produzenten und Versorger der Alten, wird dabei zentral. Diese Gemeinschaften beruhen auf einem zeitlich langgestreckten Tausch von Vorschüssen und Rückzahlungen, was eine komplexere, differenziertere Sozialstruktur und einen höheren Organisationsgrad mit sich bringt. Bei diesem Gesellschaftstyp findet man – selten – jene Kulturen, wie die Irokesen oder die Hopi, mit der besten Stellung der Frau, aber weitaus häufiger, insbesondere wenn zur männlichen Abstammungs- und Wohnsitzregel noch Polygamie und Brautpreis hinzukommen, auch das Gegenteil: ausgeprägte Patriarchate.
Was Frauen Frauen übel nehmen
In einem Satz: Es gibt keine einfache historische Entwicklung von Matriarchat zu Patriarchat. Weder finden sich die «frauenfreundlichsten» Gesellschaften am Anfang noch die «frau- enfeindlichsten» am Ende. Beide befinden sich, was die historische Entwicklung der Produktionsformen betrifft, in der «Mitte». Und «Patriarchat» und «Matriarchat» lassen sich auch nicht als radikale Alternativen gegeneinander ausspielen; sie sind zwei Pole eines Kontinuums, aus dem uns Geschichte und Ethnologie vielfältige Variationen präsentieren.
Interessant am Kongress in Texas waren die Beiträge von Vertreterinnen aus «matriarchalen» Gesellschaften. Interessant auch deshalb, weil sie die Verallgemeinerungen der Veranstalterinnen durch ihre konkreten Berichte oft relativierten. So zeichnete etwa eine Vertreterin der Khasi in Indien ein Bild ihres immer wieder als matriarchales Paradebeispiel zitierten Volkes, das nicht gerade Göttner-Abendroths Ideal entsprach.
Die Khasi sind nicht demokratisch, stellte sie lakonisch fest. Es herrscht eine ausgeprägte Oligarchie, nur gewisse Clans haben Zugang zur Macht. Es gibt grosse Spannungen zwischen den Geschlechtern; die Männer empfinden die Matrilokalität als drückend, wo sie unter der Kontrolle ihrer Schwiegerfamilie leben müssen. Sie versuchen ausserhalb der Khasi zu heiraten. Die Scheidungsrate ist hoch und häusliche Gewalt alltäglicher als in allen anderen Gesellschaften der Region; Alkoholismus auch. «Matriarchat», sagte die Khasi-Frau, ist ein patriarchaler Ausdruck (generalisierend, totalisierend, polarisierend). «Man sollte zuerst einzelne Kulturen studieren und dann verallgemeinern, und nicht umgekehrt.»
Das wurde ihr übel genommen. Wie kann sie es wagen, als eingeladener Gast, die Veranstalterin Heide Göttner-Abendroth so zu brüskieren, meinte etwa die feministische Theologin Christa Mulack in der anschliessenden Pause. Ihre Frustration ist verständlich. Denn sie ist die Autorin von «Natürlich weiblich», wo Sätze stehen wie: «Die biologische Forschung der jüngsten Zeit beweist, dass das Weibliche von der Natur eindeutig bevorzugt wird und die Frau lebenstüchtiger ist als der Mann. Psychologische Untersuchungen bestätigen die biologischen Fakten.» Oder: «Auch für Mädchen ist die Mutter die erste Geliebte, eine einseitige heterosexuelle Orientierung der Frau ist daher psychologisch nicht zu begründen.»
Die Ethnologin Peggy Reeves Sanday beschrieb die Minangkabau auf Sumatra, entgegen Göttner-Abendroths Gleichsetzung von «matriarchal» mit «herrschaftsfrei», als hierarchische Königtümer. Auch eine übergeordnete Göttin gibt es dort nicht, die oberste Gottheit ist geschlechtsneutral. Sie habe eben von der «matriarchalen Tiefenstruktur» geredet, entgegnete Göttner-Abendroth, was heisse: Die Götter waren ursprünglich überall weiblich, mussten sich dann jedoch zwangsläufig an die patriarchale Umwelt anpassen. Allerdings berichtete auch eine Vertreterin der «matriarchalen» Akan in Ghana von ihrer Religion, das höchste Wesen heisse dort Nyame und sei männlich. Sie relativierte auch die immer wieder bemühte «Naturanbetung» der matriarchalen Völker. «Wir beten nicht die Natur an», erklärte sie, «sondern beispielsweise einen bestimmten Geist in einem bestimmten Baum, was etwas anderes ist.»
Immer wieder wurde die Globalisierung reflexhaft als letztes teuflisches Machwerk des Patriarchats präsentiert. Zur allgemeinen Verwunderung berichtete aber eine Vertreterin der Minangkabau, dass der Einbezug Indonesiens in den Weltmarkt eher zu einer Stärkung der matrilinearen Traditionen bei ihrem Volk geführt habe (der Markt wurde dereguliert, die Politik dezentralisiert, was zu mehr regionaler und auch kultureller Selbstbestimmung führte).
Eines der beliebtesten Themen am Kongress war die «visiting marriage», ebenfalls angeblich ein universales Kennzeichen des Matriarchats, die eine Referentin folgendermassen auf den Punkt brachte: «Die Frauen leben zusammen, sie haben Babys, und die Männer können kommen und wieder gehen, was sie sowieso tun» (rauschender Applaus). Die einzige Teilnehmerin, die wirklich von einer Heiratsform berichten konnte, bei der die Ehepaare nicht zusammenwohnen, sondern der Mann lediglich nachts zu Besuch kommt, war eine Vertreterin der Mosuo in China. Und sie präzisierte, dass dieses Arrangement bei lediglich sechzehn Prozent der dortigen Ehepaare praktiziert werde.
«Schweig und fühle»
Veronika Bennholdt-Thomsen berichtete von den mexikanischen Zapoteken. Als Kennzeichen ihrer «matriarchalen» Kultur machte sie aus: die Wertschätzung der Gabe und des Verteilens, das Misstrauen gegen Akkumulation, der Glaube an die Beseeltheit der Natur, die Privilegierung des Sozialen gegenüber dem Individuellen. «Wir Frauen wissen, wie eine gute Wirtschaft funktioniert», schloss sie ihr Referat. Bloss, diese Attribute sind mehr oder weniger charakteristisch für alle traditionellen Gesellschaften, unabhängig von der Stellung der Frau, was der Ethnologieprofessorin bekannt sein müsste. Und ob sie als Organisationsprinzipien für unsere postindustriellen Gesellschaften hinreichend sind – in der zum Beispiel internationale Kongresse durchgeführt werden –, wäre zu diskutieren.
Von jeglicher wissenschaftlicher Bodenhaftung befreit war der Beitrag von Prof. Lucia Chiavola Birnbaum, in dem behauptet wurde, das Bild der «Schwarzen Madonna», wie es in diversen Ländern Europas gefunden wird, sei ein Überbleibsel der afrikanischen «Dunklen Mutter», die, wie übrigens auch «die Hexen», auf frühe afrikanische Migrationen zurückgehe.
In vielen Gesellschaften wird die Frau mit der Natur und der Mann mit der Kultur assoziiert und solcherart die Männerherrschaft legitimiert. Nicht umsonst hat deshalb die erste Generation von Feministinnen, beispielsweise Simone de Beauvoir, das Augenmerk darauf gelegt, dass Geschlechterverhältnisse vor allem soziale und nicht naturgegebene Verhältnisse sind («Man wird nicht als Frau geboren, sondern dazu gemacht»). Daneben gab es jedoch schon bald einen zweiten Feminismus-Diskurs, der alte Zuschreibungen wiederaufnahm, sie jedoch ins Positive umdeutete: Ja, die Frau ist näher an der Natur, aber es ist genau das, was sie zu einem besseren Menschen macht. Insbesondere wurde das Mutter-Sein, im Gegensatz zur Beauvoir-Fraktion, ins Zentrum der Argumentationen gestellt. Das spiegelte sich auch am Matriarchatskongress. «Wir stammen alle von Müttern, und deshalb ist die Mütterfrage die Grundfrage jeder Gesellschaft», sagte Claudia von Werlhof. Und Christa Mulack schrieb über die Ur-Mutter in der matriarchalen Mythologie: «Es wäre in diesem Vorstellungsrahmen undenkbar, an die Stelle der Mutter den biologischen Vater treten zu lassen. Er ist im matriarchalen Weltbild entweder unbekannt oder aber uninteressant – das heisst sozial unbedeutend.» Von Werlhof behauptete sogar, es gebe in matriarchalen Gesellschaften keinen Begriff für «Vater». Das ist radikalfeministisches Wunschdenken. Es gab keinen einzigen Vortrag von Vertreterinnen aus «matriarchalen» Gesellschaften, in denen der Vater nicht vorkam. Und wenn in matrilinearen Gesellschaften normalerweise der Bruder der Mutter die Rolle unseres «Vaters» einnimmt (der biologische Vater ist dann wiederum zuständig für die Kinder seiner Schwester), warum sollte dieses Arrangement ursprünglicher, natürlicher oder normaler als irgendein anderes sein?
Wenn in dieser militant-feministischen Sicht die Geschlechter als absolut und naturgegeben verschieden aufgefasst werden, gibt es für Männer auch keine Möglichkeit, Frauen zu verstehen, und kein Recht, über sie zu schreiben (der umgekehrte Fall wurde verständlicherweise weniger problematisiert). Ich war gerade dabei, einer amerikanischen Hebamme, die über «Frauensolidarität und natürliche Geburt in Afrika» schreiben wollte, zu berichten, dass es in Burkina Faso viele männliche Hebammen gebe und diese bei den Gebärenden beliebter seien, weil sie als rücksichtsvoller und mitfühlender als ihre Kolleginnen gelten, als eine Teilnehmerin aus Israel mein Gegenüber aus ihrer Sprachlosigkeit erlöste, indem sie mir erwiderte: «Wie kommen Sie dazu, Aussagen über Afrikanerinnen zu machen?»
Sie war der Ansicht, nur andere Afrikanerinnen hätten das Recht dazu. «Das wäre das Ende der Ethnologie», sagte ich, «und auch des Journalismus.»
«Sie könnten über ihresgleichen schreiben», meinte sie.
Aber die Konsequenz aus dieser Political Correctness wäre, dass nur noch Autobiografien übrig blieben. Langweilig wie Onanie.
Nichtsdestotrotz: Da wir in einem Patriarchat leben, soll das letzte Wort ein Mann haben, einer der wenigen, die am Kongress teilnahmen. Wolfgang Nebmaier lehrt mit seiner Frau zusammen eine tantrische Meditation, bei der man sich auf seine Gebärmutter konzentriert.
«Und was machen die Männer?», fragte ich.
Er blickte mich mitleidig an. «Auch Männer haben eine Gebärmutter. Genetisch ist sie immer noch da; es geht darum, sie zu spüren.» Für weitere Informationen verwies er mich auf seine Homepages: www.sexandpeace.com und www.starke-knochen.de.
«Auf welchem spirituellen Weg bist du?», fragte er mich. Ich zuckte mit den Schultern.
«Ich glaube, du bist hier in etwas geraten, was dich überfordert, und du weisst noch gar nicht, was mit dir passiert», sagte er.
«Zweifellos», antwortete ich. «War seit meiner Geburt so.»
«Hör auf philosophisch zu sein», rief er streng. «Das ist bloss eine Abwehr. Schweig und fühle.»
Was ich hiermit tue.
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