Löhne: Die Wahrheit über die Ungleichheit
- • Frauen und Männer verdienen in Österreich bei gleicher Arbeit ähnlich viel
- • Gleicher Lohn für gleiche Arbeit nahezu erreicht
Frauen verdienen in Österreich bei gleicher Arbeit um ein Viertel weniger, trommeln Politikerinnen seit Jahren. Gleich zwei Equal Pay Days pro Jahr und noch mehr Kampagnen verbreiten diese Botschaft. profil hat neueste Berechnungsmethoden und Studien analysiert: Die weit geöffnete Lohnschere ist ein Mythos.
Wir beginnen mit einer peinlichen Mitteilung: Der Anlass für  diese Geschichte ist längst vorbei. Es war noch nie der Fall, dass eine  profil-Coverstory mit einem solchen Satz anfängt, aber diesmal ist eine  Ausnahme gerechtfertigt. Der Anlass für diesen Artikel ist der so  genannte „Equal Pay Day“, auf Deutsch: „Tag der Einkommensgleichheit“.  An diesem Tag würden Frauen dasselbe Gehalt erreichen, das Männer für  die gleiche Arbeit bereits mit Ablauf des Vorjahrs eingestreift hätten.  Heuer wäre das der 5. April, der Donnerstag dieser Woche. So die  offizielle Darstellung. Bloß stimmt das nicht. Der tatsächliche Equal  Pay Day wäre irgendwann im Jänner gewesen, er verlief gänzlich  ereignislos und wurde weder von Frauennetzwerken noch von  Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek erwähnt.
Und das hat einen ganz einfachen Grund:  Die Behauptung, die Einkommensschere zwischen Frauen und Männern klaffe  bei gleicher Arbeit um von der Statistik Austria amtlich ermittelte  25,5 Prozent auseinander, macht in der Debatte naturgemäß mehr her als  der – wesentlich erfreulichere – weit niedrigere Prozentsatz, der den  Tatsachen entspricht. Die Klage, wonach Frauen in Österreich im selben  Job „um ein Viertel“ weniger verdienen, gehört zum Equal Pay Day wie die  Kreuzwegandacht zum Karfreitag. Und das, obwohl viele Studien und  Erhebungen längst andere Ergebnisse liefern. Wenn Ministerin  Heinisch-Hosek argumentiert, Frauen würden „weniger als Männer  verdienen, nur weil sie Frauen sind“, irrt sie. Die behauptete  skandalöse Lohndiskriminierung aufgrund des Geschlechts findet so nicht  statt.
Doch das Festhalten an der Opferrolle erleichtert es  Frauenpolitikerinnen aller Couleurs, politische Interessen  durchzusetzen. Die Anliegen mögen legitim sein, wie die Forderung nach  Quotenregelungen in Führungsetagen oder nach Mindestlöhnen. Sie ändern  aber nichts daran, dass Frauenpolitikerinnen bewusst mit falschen Zahlen  operieren. Die Gender-Pay-Gap-Folklore ist eine Waffe im aufgeheizten  Geschlechterkampf geworden.
profil befragte  Betriebsratsvorsitzende einiger der größten Unternehmen in Österreich  zum Thema Einkommensgerechtigkeit und bekam erstaunlich gleichlautende  Antworten: Es gebe keine Diskriminierung. Die Einzigen, die diese frohe  Nachricht nicht zur Kenntnis nehmen wollen, sind die Apologetinnen des  Mythos von der weiblichen Einkommensbenachteiligung bei gleicher Arbeit  um ein Viertel.
Dem Elan, mit dem der Equal Pay Day an diesem  Donnerstag gefeiert wird, tut derlei Kritik bestimmt keinen Abbruch. Zur  Sicherheit wird ohnehin schon im Herbst der nächste Equal Pay Day  ausgerichtet, dann nämlich von den Gewerkschaften (siehe Kasten Seite  23). Sich doppelt benachteiligt zu fühlen hält offenbar besser. Das  Festhalten an überkommenen Mythen grenzt freilich an  Realitätsverweigerung.
Mythos „Riesen-Lohnlücke“
In  der Stunde ihres Erfolgs wählte Frauenministerin Gabriele  Heinisch-Hosek, SPÖ, eine Kfz-Allegorie: „Wir haben auf der Autobahn der  Gleichstellung ein wichtiges Teilstück eröffnen können.“ Der neue  Schnellstraßenabschnitt fand legistischen Niederschlag in einer Novelle  des Gleichbehandlungsgesetzes. Seit März 2011 müssen Unternehmen mit  mehr als 1000 Mitarbeitern Berichte über die durchschnittlichen  Einkommen ihrer weiblichen und männlichen Beschäftigten vorlegen. Heuer  betrifft die Berichtspflicht auch Betriebe ab 500 Mitarbeitern und bis  zum Jahr 2014 alle Unternehmen mit über 150 Arbeitnehmern. Die  jeweiligen Adressaten: Betriebsräte und Mitarbeiter. Das Nahziel:  Lohntransparenz. Das Fernziel: gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Etwa  90 Prozent der 200 heimischen Großbetriebe erstellten die gesetzlich  vorgesehenen Einkommensberichte. In der Praxis bestehen die Reports aus  einer Anhäufung anonymisierter Zahlenreihen und Excel-Tabellen, gedacht  allein für den betriebsinternen Gebrauch. Weder Wirtschaftskammer und  Industriellenvereinigung noch ÖGB und Arbeiterkammer – und schon gar  nicht das Frauenministerium – verfügen über eine zusammenfassende  Analyse. Gabriele Heinisch-Hosek ist auch ohne Detailkenntnisse  zufrieden: „Mit den Einkommensberichten bringen wir Licht ins Dunkel der  Gehaltsunterschiede. Wenn es Lohnunterschiede im Unternehmen gibt, dann  wird keine Geschäftsführung mehr die Augen davor verschließen können.“
Angesichts  der Ergebnisse dürfte sich nun vielmehr die Frauenministerin selbst vor  Staunen die Augen reiben. Wahr ist: Es gibt keine wesentlichen  Lohnunterschiede. In den heimischen Großkonzernen ist die  frauenpolitische Langzeitforderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit  bereits betriebliche Realität, quer durch die Sparten: von  Finanzkonzernen wie der Wiener Städtischen Versicherung und der  Raiffeisen International Bank über Handelsriesen wie Spar bis zu  Industriebetrieben wie Voest, OMV, Infineon und Lenzing oder Österreichs  größtem Gastronomiekonzern McDonald’s (siehe hervorgehobene Zitate).  Exemplarisch die Stellungnahme von Fritz Hagl,  Zentralbetriebsratsvorsitzender der Siemens AG Österreich (12.000  Mitarbeiter): „Der Bericht zum Einkommens-Transparenzgesetz ergibt, dass  es de facto keine Unterschiede bei den Einkommen weiblicher und  männlicher Mitarbeiter gibt. Dort, wo noch marginale Unterschiede  auftreten, sind diese durch Montagearbeiten beziehungsweise die  unterschiedliche Abgeltung von Mehrleistungen erklärbar.“
Damit  hat wohl kaum jemand gerechnet. Gedacht waren die Einkommensberichte als  Druckmittel gegenüber Unternehmensführungen, denen  Geschlechterdiskriminierung bislang einfach egal war. Dass der Mythos  von den 25 Prozent Lohnunterschied bei gleicher Arbeit nicht länger zu  halten ist, war schon lange klar. Die Wissenschaft hat in dieser Frage  ziemliche Fortschritte gemacht und sich von der „unbereinigten“ zur  „bereinigten“ Lohnlücke vorgearbeitet. Gibt der unbereinigte Gender Pay  Gap bloß den Unterschied zwischen den Durchschnittseinkommen von Frauen  und Männern an, dann erlaubt die bereinigte Version, so genannte  erklärbare Unterschiede herauszurechnen. Das bedeutet, dass sowohl  persönliche als auch arbeitsplatzbezogene Faktoren, die einen Einfluss  auf den Lohn haben, berücksichtigt werden, sodass der  Einkommensunterschied am Ende nach Möglichkeit nur noch aus einem  „unerklärlichen“ Rest besteht, für den die Frauendiskriminierung  verantwortlich gemacht wird.
Laut einer Studie, die von vier  renommierten österreichischen Wissenschaftern der Universität Linz, der  Statistik Austria, des Wirtschaftsforschungsinstituts und der  Universität Wien erstellt wurde, schrumpft der österreichische Gender  Pay Gap von 25,5 Prozent auf diese Weise um mehr als die Hälfte, und  übrig bleiben etwa zwölf Prozent Lohnunterschied zwischen Männern und  Frauen, die mittels der vorhandenen Daten nicht erklärt werden können.  Die Studienautoren, darunter Christine Zulehner, eine Expertin für  feministische Ökonomie, halten fest, dass ein Teil der verbliebenen  zwölf Prozent des Gehaltsunterschieds durch Faktoren wie  Karrieremotivation und Engagement bedingt sein könnten. Nur für den Rest  gilt tatsächlich der Verdacht auf Frauendiskriminierung.
Das  deutsche Bundesamt für Statistik verfügt dank einer Stichprobe von 3,1  Millionen Beschäftigten über so detaillierte Daten, dass es nicht  weniger als 15 verzerrende Faktoren ausschalten kann – darunter neben  Qualifikation und Berufserfahrung auch Branche, Art des Arbeitsvertrags,  Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen, Unternehmensgröße, Zulagen,  Einfluss der öffentlichen Hand, regionale Unterschiede, Leistungsgruppen  und noch einige mehr. Auf diese Weise reduziert sich der  Lohnunterschied in Deutschland auf nur noch acht Prozent. Dabei sind  Babypausen als Ursache für geringere Einkommen noch gar nicht  berücksichtigt, weil ausgerechnet dazu die Daten fehlen.
Man sieht:  Von den 25 Prozent Lohnunterschied ist die Realität weit entfernt, die  Wahrheit ist einstellig. Es gibt jedoch auch Kritiker dieser  statistischen Bereinigung, die einwenden, einige der Faktoren hätten  sehr wohl diskriminierenden Charakter. So sei die Tatsache, dass einige  der typischen Frauenberufe besonders schlecht bezahlt sind, ein Beweis  dafür, dass die Benachteiligung auf umfassendere Weise wirke. Wann immer  Frauen einen Beruf für sich erobern, sinke die Entlohnung.
Würde  dies zutreffen, müssten etwa die Ärzte bereits schwere finanzielle  Einbußen hinnehmen, denn der Frauenanteil unter den Medizinern liegt bei  rund 40 Prozent und steigt ständig. Die Ärztekammer beobachtet auch  einen „großen Spardruck“, führt diesen jedoch auf generelle Reformen im  Gesundheitssystem und nicht etwa auf den Anstieg der Zahl weiblicher  Kolleginnen zurück. Tatsache ist, dass der bereinigte Wert von acht  Prozent Lohnunterschied sogar auf der Webseite der deutschen  Equal-Pay-Day-Initiative angeführt wird. Auf das Datum des Gedenktags  selbst hat dies allerdings keinen Einfluss.
Mythos „Managerinnen-Diskriminierung“
Egal,  wie weit hinauf Frauen die Karriereleiter steigen, die Benachteiligung  klettert mit, so will es das Gender-Pay-Gap-Klischee. Diesen Eindruck  erhärtete ein Rechnungshofbericht aus dem Jahr 2011, in dem unter  anderem Gehälter von Vorstandsmitgliedern in staatsnahen Betrieben  untersucht wurden. Demnach verdienen weibliche Manager bloß 64 Prozent  dessen, was männliche Manager bekommen. Dies stieß auf „Unverständnis“  bei den Abgeordneten des Rechnungshofausschusses, vermerkt die  Parlamentskorrespondenz.
Kein Wunder. Wie kann es sein, dass  trotz des gesetzlich festgelegten Grundsatzes gleicher Bezahlung  weibliche Manager um fast ein Drittel betrogen werden? Und das in  staatsnahen Unternehmen? Der ÖVP-Abgeordnete Gabriel Obernosterer zeigte  sich in der Debatte konsterniert, die Frauensprecherin der Grünen,  Judith Schwendtner, entrüstete sich in einer Aussendung.
Der  vermeintliche Skandal lässt sich relativ leicht aufklären. Einen ersten  Hinweis auf die Ursache unterschiedlicher Gehälter gibt die Auflistung  der Branchen, in denen die Vorstände am besten verdienen: Bergbau,  Finanzdienstleistungen, Energieversorgung, Land- und Forstwirtschaft  sowie Verkehr. In diesen fünf Branchen beträgt der Anteil der weiblichen  Vorstände im Schnitt 1,4 Prozent.
Daraus könnte man, einem alten  Topos der Einkommensscherendogmatik folgend, schließen, dass weiblich  dominierte Berufsfelder benachteiligt würden. Allein, die gibt es nicht.  Der höchste Frauenanteil in einer einzelnen Branche liegt bei etwa  einem Drittel (Einrichtungen künstlerischer Art). Das bedeutet, dass bei  jeder Diskriminierung mindestens zwei Drittel der Benachteiligten  Männer wären. Außerdem rangieren etwa die Vorstände der Einrichtungen  künstlerischer Art in den Verdienst-Charts auf dem guten siebten Rang  (von 22).
Der Rechnungshof hat die vorliegenden Zahlen nicht nach  Branchen ausgewertet. profil stellte dafür folgende Rechnung an:  Zunächst wurden aus der Gesamtheit der weiblichen Vorstandsmitglieder  diejenigen herausgefiltert, die in einem gemischt-geschlechtlichen  Vorstand sitzen. Danach wurden die Gehälter der Frauen und Männer im  selben Vorstand miteinander verglichen und errechnet, welchen  Prozentsatz die Frauen erreichen. Dabei wurde evident, dass es zwischen  den Gehältern der Vorstandsmitglieder in Einzelfällen erhebliche  Unterschiede – sowohl zugunsten von Männern als auch zugunsten von  Frauen – gibt. Wie nicht anders zu erwarten, verdient ein  Vorstandsvorsitzender weit mehr als ein einfaches Direktoriumsmitglied.
Überraschend  ist, dass Frauen im Schnitt etwa 95 Prozent dessen verdienen, was ihre  männlichen Kollegen im selben Vorstand erhalten. Diese Diskrepanz liegt  angesichts der geringen Grundgesamtheit unterhalb der statistischen  Signifikanz. Managerinnen verdienen also fürs Managen gleich viel wie  Manager.
Man könnte sich darüber empören, dass Vorstände in  Bergbau-Unternehmen besser bezahlt werden als zum Beispiel Vorstände im  Bereich Beherbergung und Gastronomie. Das hat jedoch kaum  Gender-Bedeutung oder Diskriminierungshintergrund und lässt somit  vermutlich sowohl die Abgeordneten des Rechnungshofausschusses als auch  die Frauensprecherinnen der Parlamentsparteien kalt.
Unbestreitbar  ist die Tatsache, dass nur sehr wenige Frauen – gerade einmal 15  Prozent – überhaupt in den Vorständen der untersuchten staatsnahen  Unternehmen zu finden sind. Ein Chancengleichheitsskandal gewiss, aber  kein Fall für die Lohnlückenpolizei.
Mythos „Teilzeitfalle“
Frauen  sitzen in der „Teilzeitfalle“, sagt Frauenministerin Heinisch-Hosek.  Mittels einer Informationskampagne möchte sie die Betroffenen aus ihrer  misslichen Lage befreien. Frauen in Teilzeit hätten laut SPÖ-Aussendung  „immer weniger Geld im Börsel als Frauen, die Vollzeit arbeiten können“.  Das stimmt. Ein großer Teil des unbereinigten Gender Pay Gap in  Österreich rührt daher, dass sehr viele Frauen Teilzeit arbeiten. Im  EU-Vergleich (Durchschnitt: 30,8 Prozent) liegt Österreich mit einer  Teilzeitquote von 44 Prozent im vorderen Drittel. Auch wieder ein  Anschlag frauenfeindlicher Kräfte gegen die Lohngerechtigkeit, könnte  man meinen. So ist es aber nicht. Die Forderung nach einem „gesetzlich  garantierten Anspruch auf Teilzeitarbeit für Eltern bis zum  Schuleintritt ihres Kindes mit Rückkehrrecht zur Vollzeitarbeit“ war der  Punkt acht des Frauenvolksbegehrens aus dem Jahr 1997. Als die  schwarz-blaue Regierung im Jahr 2004 dann endlich die Elternteilzeit  einführte, gingen die SPÖ-Gewerkschafterinnen fast auf die Barrikaden,  weil das Recht auf Inanspruchnahme Mitarbeitern von Unternehmen mit mehr  als 20 Angestellten vorbehalten bleiben sollte. Auch der  Grün-Abgeordnete Karl Öllinger wetterte im Parlament: „Recht auf  Teilzeit – super! Aber, bitte, für alle!“
Plötzlich ist alles  anders: Teilzeit gilt als Teufelszeug, das allzu viele Frauen in seinen  Bann zog. Und während noch 2008 von den ÖGB-Frauen die Broschüre  „Elternteilzeit“ unter dem Logo „Frauen haben Zukunft“ verteilt wurde,  schimpft jetzt Heinisch-Hosek: „Teilzeit ist eine Mogelpackung.“ Der  Schwindel bestünde darin, dass Teilzeitbeschäftigte weniger verdienen  als ihre Vollzeitkollegen (und -kolleginnen) und dass als Folge später  auch die Pensionen geringer ausfallen. Diese doch recht simplen  Zusammenhänge sollten eigentlich von Anfang an klar gewesen sein. Auch  dass im Regelfall eher Frauen das Recht auf Elternteilzeit, das immerhin  bis zum siebten Geburtstag des Kindes besteht, in Anspruch nehmen, kann  niemanden überrascht haben.
Der scheinbare Sinneswandel in der  Frauenpolitik ist polittaktisch zu erklären. Ideologisch war den  Feministinnen die Teilzeit wohl nie ganz geheuer, andererseits wollten  sie sich nicht gegen ein Recht stellen, das von vielen Frauen ersehnt  wurde. Das Ganze nun in einen Kampf um Lohngerechtigkeit neu zu  verpacken, scheint ein glorreicher Ausweg zu sein.
Mythos „Schlusslicht Österreich“
Die  nackte Statistik spricht eine klare Sprache: Österreich ist bei der  Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern so ziemlich das Letzte.  Präzise ist es das Vorletzte, denn zusammen mit unserem Nachbarland, der  Tschechischen Republik, liegt Österreich nur besser als Estland. In  diesem Elend suhlen sich heimische Gender-Pay-Gap-Fans gern, denn wenn  ein Land im europäischen Vergleich so mies abschneidet, muss einfach  alles im Argen liegen.
Für Selbsthass besteht freilich kein  Anlass. Alle seriösen Studien zum Gender Pay Gap weisen darauf hin, dass  sich eine hohe Frauenerwerbsquote tendenziell negativ auf den  statistischen Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen auswirkt.  Malta etwa erzielt beim Gender Pay Gap Traumwerte im einstelligen  Bereich. Gleichzeitig grundelt der Prozentsatz der erwerbstätigen Frauen  auf Malta im europäischen Vergleich bei 39 Prozent.
Ähnlich ist  es bei Polen oder Italien. Das Phänomen wird im Fachjargon „self  selection“ genannt. Arbeiten in einem Land vor allem Frauen, die  aufgrund höherer Qualifikation entsprechend motiviert sind, ergibt sich  ein höheres weibliches Durchschnittsgehalt, denn aufseiten der Männer  stehen auch die Unqualifizierten im Erwerbsleben. So handelt es sich bei  den auf Malta erwerbstätigen Frauen im EU-Vergleich überproportional um  besser gebildete Arbeitnehmerinnen, denen die Mittelmeerinsel auch den  guten Wert beim Gender Pay Gap verdankt (siehe Grafik rechts). In  Wirklichkeit handelt es sich bei Malta eher um ein unterentwickeltes  Land, was die Stellung von Frauen am Arbeitsmarkt betrifft.
In  Polen wiederum verdienen Frauen, die in den fünf am meisten von Männern  dominierten Branchen arbeiten, um fast 17 Prozent mehr als ihre  männlichen Kollegen. Auch da ist keine Diskriminierung am Werk: Während  die Masse der ungelernten Arbeiter männlich ist, finden sich in der  Verwaltung einige Frauen. So schlägt der Gender Pay Gap im Einzelfall in  die Gegenrichtung aus.
Doch eine Situation, in der nur wenige  Frauen arbeiten – und sei es auch in gut bezahlten Jobs –, ist weder aus  feministischer noch aus volkswirtschaftlicher Sicht wünschenswert.  Deshalb steht Österreich weit besser da, als es die Gender-Pay-Gap-Skala  vermuten lässt. Auch die Erwerbsquote von Müttern mit Kleinkindern  liegt laut Eurostat in Österreich bei 58 Prozent und damit bloß um zwei  Prozentpunkte hinter Frankreich, das gern als Paradies der  Kinderbetreuungseinrichtungen gepriesen wird.
Ohnehin liefern  internationale Studien zur finanziellen Gleichstellung von Mann und Frau  mitunter zweifelhafte Ergebnisse. Im viel zitierten Gender Gap Report  des World Economic Forum erreicht Österreich bei der Kennzahl  „Lohngerechtigkeit“ den 116. Platz. In nur 19 Ländern der Welt ist die  Gehaltsschere noch größer, darunter freilich nicht nur Tschechien,  sondern auch Spanien, Italien und Frankreich. Die Sieger in der  Kategorie „Lohngerechtigkeit“ sind eine Überraschung: Auf Platz 1 des  Rankings liegt Ägypten. Danach folgen Lesotho und Albanien.
Mythos „Die Frau – ein ewiges Opfer“
Die  Experten der Arbeiterkammer Niederösterreich wollten es genau wissen,  und jetzt ist es amtlich: In exakt 62 Jahren, im Jahr 2074, wird in  Österreich Lohngerechtigkeit zwischen den Geschlechtern herrschen. Die  Prognose der Arbeiterkämmerer kommt an Aussagekraft und Verlässlichkeit  dem Maya-Kalender nahe. Aber immerhin enthält die Berechnung die  Annahme, dass ein Fortschritt bei der Bezahlung von Frauen möglich sei.  Denn üblicherweise ist das Lamento, dass sich die Lohnschere nicht  schließe, ein Fixpunkt auf der Gerechtigkeits-Mängelliste von  Frauenpolitikerinnen aller Parteien. Doch auch das beliebte Postulat  „Nichts hat sich verbessert“ löst sich durch einfaches Fact-Checking  auf. Aus der oben zitierten Wifo-Studie zu den Lohnunterschieden geht  nicht nur hervor, dass der bereinigte Pay Gap weit kleiner ist als  bisher angenommen – er hat sich auch im Lauf der Jahre verringert.  Betrug der „unerklärliche“ Anteil beim Lohnunterschied 1983 noch 17  Prozent, so waren es 1997 noch 14 und zuletzt maximal zwölf Prozent.
Frauen  haben fast alle Bereiche des Arbeitsmarkts erobert, die  Frauenbeschäftigung nahm in den vergangenen 25 Jahren um 40 Prozent zu.  Mittlerweile sind 66,4 Prozent der Frauen berufstätig. Legistische  Meilensteine wie das Gleichbehandlungsgesetz aus dem Jahr 1993 sorgten  für eine Verringerung der Diskriminierung.
Seit dem Jahr 1999 ist  das Ausbildungsniveau von Frauen in Österreich höher als jenes der  Männer. Zusätzliche Hilfestellungen, wie die Bevorzugung von Frauen bei  Aufnahmetests zum Medizinstudium an der Medizinischen Universität Wien  dank „genderspezifischer Ermittlung der Testwerte“, sorgen dafür, dass  ein numerischer Gleichstand zwischen Männern und Frauen erzielt wird.
Die  Wifo-Studie hält dezidiert fest: „Wenn der Gender Wage Gap eine Folge  von Diskriminierung der Frauen ist und nicht eine Folge deren  unterschiedlicher Produktivität, dann erwarten wir, dass sich diese  Lücke mit der Zeit und dank der Einführung von Gleichbehandlungsgesetzen  schließt.“ Die Tendenz ist eindeutig und wohl unumkehrbar.
Doch  statt ihre Erfolge zu vermarkten, pflegen die heimischen Politikerinnen  lieber weiterhin den Mythos der immerwährenden Opferrolle der Frauen.  Anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Internationalen Frauentags  am 8. März 2011 wagte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer einen noch  weiteren Blick in die Zukunft als die Arbeiterkammer Niederösterreich:  Sie glaube, beim 200. internationalen Frauentag werde man staunen:  „2011! Nicht vorstellbar! Das war das Mittelalter!“
Die positive  Realität, dass Frauen hierzulande real eben nicht um ein Viertel weniger  verdienen, wird geleugnet. Die Vorsitzende der ÖGB-Frauen Brigitte  Ruprecht: „Wir bilden uns diese Unterschiede nicht ein. Es gibt sie.“
Richtig  ist: Beharrt man auf der Verwendung des unbereinigten Gender Pay Gap,  so wird die Lage weiterhin trist erscheinen. Es wird sich nicht ändern,  dass Frauen mit unterdurchschnittlicher Qualifikation und längeren  Erwerbspausen, die in Niedriglohnbranchen arbeiten, weniger verdienen  als höher qualifizierte Männer, die nicht in Karenz gehen und besser  bezahlte Berufe ergreifen.
Da taugt der Slogan „Gleicher Lohn für  gleiche Arbeit“ nichts, da bräuchte es kulturelle und gesellschaftliche  Veränderungen. Seit der legendären Johanna Dohnal scheiterten alle  Frauenministerinnen von SPÖ
und ÖVP daran, Mädchen für männlich  dominierte, besser bezahlte Lehrberufe zu begeistern. Die OMV schrieb  unlängst 15 Technik-Stipendien für Maturantinnen aus, um zukünftige  weibliche Ingenieure für das Unternehmen zu rekrutieren. Die Bewerbungen  halten sich dem Vernehmen nach in Grenzen. Weibliche Techniker im  Österreich des Jahres 2012 sind noch immer so selten wie männliche  Frauenminister. In den Familien mit Kindern geht weiterhin die Mutter  (länger) in Karenz und arbeitet danach eher Teilzeit als der Vater.
Dass  die gewaltigen Lohnlücken ein Mythos sind, gilt auf jeden Fall für die  Parteizentralen der Koalitionspartner. Bei der Einführung der  verpflichtenden Einkommensberichte vergangenes Jahr erklärte die ÖVP  stolz, „keinen Handlungsbedarf“ zu haben, da eine Überprüfung „keine  strukturellen Unterschiede bei der Bezahlung von Frauen und Männern“  ergeben habe.
Und auch Gabriele Heinisch-Hosek frohlockte: „Wir  haben es schwarz auf weiß: Keine Einkommensnachteile für Frauen in der  SPÖ.“ An den niedrigen Frauenquoten im roten und schwarzen  Parlamentsklub ändert das freilich nichts. Aber wenn es um den eigenen  Laden geht, ist die bereinigte Form des Gender Pay Gap höchst  willkommen.
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