Samstag, 7. April 2012

Ihr habt Angst vor meinem Pimmel

20 March 2012 ~ 1 Comment

Ihr habt Angst vor meinem Pimmel

Quelle: http://wortfluss.blog.com/2012/03/20/ihr-habt-angst-vor-meinem-pimmel/

Hirnfutter locker flockig prosa

Ich habe neulich eine Kurzdokumentation gesehen, über einen Mann, der für das Recht auf Nacktheit kämpft. Der Mann war hässlich und verteidigte sein Recht auf Nacktheit mit Aussagen wie: “Wenn heute selbst Schwule heiraten dürfen, dann sollte man doch auch nackt herumlaufen können!” Er hat offenbar keinen PR-Berater. Mir ist auch nicht ganz klar geworden, ob dieser Mann geistig noch auf der Höhe ist, aber seinen Kampf unterstütze ich trotzdem.

Ja, der Mann hat vollkommen recht sich aufzuregen. Nacktheit ist für uns ein Exklusivrecht, dass nur bestimmten Leuten an bestimmten Orten zugestanden wird. In der Öffentlichkeit wird sie eigentlich gar nicht toleriert, außer es geht darum, im Namen der Kunst möglichst viele nackte Ärsche auf einmal zu fotografieren. Das ist dann okay. Geduldet wird nackte Haut auch, wenn die Nackten weiblich, jung und knackig sind und vielleicht noch für Frauenrechte in Osteuropa demonstrieren. Dann sehen wir großzügig darüber hinweg, dass das ja eigentlich Schweinkram ist. Allgemein ist die Grenze wohl da zu ziehen, wo die Leute etwas nicht mehr ästhetisch finden. Nach dem Motto: “Nackt darf nur sein, wen man auch gern nackt sieht.”

Das zeigt sich besonders an unseren so genannten Popstars. Ohne in regelmäßigen Abständen fast nackt zu sein, geht da ja gar nichts. Betonung auf “fast” nackt. Wenn dann nämlich plötzlich mal ein Nippel zu sehen ist, dreht die Boulevardpresse am Rad und kriegt sich gar nicht mehr ein. Dann haben wir einen “Nippelgate-Skandal” oder so was ähnliches. Definition eines Nippelskandals: Alle haben den Nippel einer bekannten Frau gesehen, aber nicht im Playboy.

Ja, im Playboy ist das was anderes, denn da gehört die Nacktheit hin. Das stört auch nicht, wenn die da ein ganzes Magazin voller Nackter verkaufen. Weil die Fotos ja auch so ästhetisch sind. Und die Nackte sagt hinterher immer: “Wow, ich hätte nicht gedacht, dass ich so gut aussehen könnte. Die Fotos sind wirklich wundervoll und ich glaube darauf kann man stolz sein!” Rhetorische Pause… Merken wir eigentlich noch irgendwas?? Klar sind die Fotos ästhetisch und superschön, denn es gibt ja schließlich Photoshop. Und weil sich die Stars im Playboy nur nackt, aber nicht beim Ficken zeigen, tun wir so, als ob es dabei nicht um Wichsen und Geld geht. Für jeden Euro, den die holde Dame an Gage bekommt, wird ungefähr einmal auf ihre Bilder gewichst. Aber die Fotos sind ja “ästhetisch” und zählen eher als Kunst, denn als Wichsvorlage. Deswegen kaufen sich so viele den Playboy, das sind nämlich alles Kunstinteressierte. “Wow”, sagen die dann, wenn die den neuen Playboy sehen, “diese geilen Titten sind wahrlich ein Kunstwerk! Sie erinnern mich an Rubens…”

Aber einen fetten Mann mit Halbglatze, den will keiner nackt sehen, das geht nicht, das ist unästhetisch und unsittlich und eine Ordnungswidrigkeit. Das Wort ordnungswidrig bringt es auf den Punkt, denke ich. Die Ordnung bedeutet: Jeder ist gut verpackt. Jeder ist so gut verhüllt, dass man ja nicht zu viel Ehrlichkeit präsentiert bekommt. Das wäre ja schlimm, wenn die Reichen plötzlich nicht mehr hübscher wären, als die Armen. Und man sein wahres Alter kaum mehr vertuschen könnte…

Denn wenn man nackt ist, sind die Haare die einzige Ausdrucksmöglichkeit. Das ist eigentlich ein lustiger Gedanke: Wenn wir alle immer nackt wären, dann wäre die Welt der Frisuren ein hart umkämpftes Feld und Friseure wären die großen Helden der Modewelt.

Aber abgesehen von all diesen Dingen, ist Nacktheit für uns Menschen einfach zu etwas Fremdartigem geworden. Wir kommen zwar nackt auf die Welt, aber Kleider zu tragen, ist das Erste, was wir lernen. Nun gut, es ist auch nicht gerade schwierig und oft sogar nötig. Aber sobald man dann ein mündiger Teil der Gesellschaft geworden ist, kann man gar nicht mehr anders, als Kleidung als Norm zu empfinden und Nacktheit, als etwas, was es nur unter der Dusche und beim Sex gibt. So drastisch es klingen mag: Wir Menschen haben nicht nackt zu sein, außer wenn es nicht anders geht. Du bist nackt, obwohl du angezogen sein könntest? Du spinnst wohl! Zieh dir sofort etwas an! Außer, du siehst geil aus, dann tolerieren wir das vielleicht. Aber nur solange, bis wir uns an dir satt gesehen haben.

Vielleicht sollte ich an dieser Stelle erwähnen, dass mir durchaus klar ist, dass Kleidung einen Sinn hat. Ich will ja auch gar nicht gegen Kleidung hetzen. (Obwohl ich daran vielleicht auch meinen Spaß hätte.) Nein, gegen was ich anrede, ist das Gesetz der Bekleidung. Und vor allem die Doppelmoral dahinter.

Doppelmoral? Ja Doppelmoral! Die Lust sagt uns: Du willst nacktes Fleisch sehen, anfassen, schmecken. Die Lust ist in uns allen und oft genug erliegen wir ihr. Wir holen uns ja doch die Nacktheit wo und wie wir sie wollen, wenn wir sie brauchen. Aber es ist nicht nur die Lust. Wenn wir mal ehrlich sind, nervt Kleidung manchmal einfach nur ziemlich. Das fängt bei 40 Grad im Schatten im Hochsommer an und geht bis zum gemütlichen Zusammensitzen, wo der Hosenzwang eigentlich grundsätzlich aufgehoben gehört. Die Regeln unserer Gesellschaft aber sagen: Zieh dir was an, Junge, zieh dir was an, sonst bist du ja nackt und alle können sehen, wie du wirklich aussiehst! Alles ungefiltert, ungelogen, ohne Feigenblatt und doppelten Boden! Sei frei, aber verlogen. Das nenne ich Doppelmoral.

Klar, was Männer oft am nackt sein hindert, ist ihr Penis. Der könnte zu klein sein, die Hoden zu eckig, oder, oh Schreck, am Ende wird der steif und alle können das sehen. Was soll ich dazu sagen. Den Mythos vom Riesenschwanz, den kann man nicht so einfach aus der Welt schaffen. Ein Mann mit kleinem Schwanz nimmt sich nicht einmal selbst für voll, weil wir uns einreden, dass nur derjenige ein echter Kerl ist, der die Frau beim Sex aufspießen kann wie einen Dönerspieß. Ein Mann wäre erst dann vollends mit sich zufrieden, wenn er die Frau wie ein Brathähnchen an seiner Stange drehen könnte. Das ist unser Ideal. Und wenn mir einer sagt, das stimme nicht, dann will ich eine bessere Erklärung.

Bei Frauen könnte ich jetzt über Orangenhaut, Schwangerschaftsstreifen und kleine, ungleiche, oder hängende Brüste reden. Aber ich spare mir das. Denn all diese Schönheitsfragen führen beim Thema Nacktheit nur an einen Punkt: Wenn wir nackt sind, können wir nichts kaschieren. Und davor haben wir Angst. Wir haben Angst davor, ehrlich sein zu müssen, was unseren Körper betrifft. Ist so. Basta.

Zumindest ist das die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass wir vor der Nacktheit Anderer Angst haben. Manchmal ist es vielleicht Ekel, aber auch der schlägt schnell in Angst um. Ekel eben dann, wenn die Ästhetik fehlt. Und Ästhetik ist nur da, wo unser Schönheitsideal erfüllt wird. Schlank, Jugendlich, gepflegt. Und bei Frauen außerdem Titten. Ist jemand dick, oder faltig, oder sieht ungepflegt aus, dann wollen wir das nicht sehen. Und hässliche Titten wollen wir auch nicht unbedingt sehen. All diese Leute, die niemals im Playboy oder Playgirl sein werden, sollen sich mal schön verpacken. Diese Assis, bäh… Tja, die meisten dieser Assis sind wir. Du und ich, wir alle, bis auf ein paar Ausnahmen, die eben doch in Hochglanzmagazinen sein könnten. Doch das macht es ja nicht besser. Die Sache ist letztlich die, dass wir uns daran gewöhnt haben, dass alles, was wir sehen, dem Ideal möglichst nahe kommt. Denn alles, was dem Ideal nicht nahe kommt, das wird schön vor uns versteckt. Da kann jetzt nicht plötzlich ein fetter Mann mit Halbglatze nackt durch die Gegend spazieren. Das geht einfach nicht, das muss der doch auch einsehen.

Oder nicht? Nein, muss er nicht, sage ich. Und ich tue das auch nicht. Ich habe zwar nicht den Drang, ständig nackt zu sein, aber manchmal durchaus. Ich praktiziere aber nicht in der Öffentlichkeit, denn sonst kommt die Polizei. Das ist schon einmal passiert, das hat mich 105 Euro gekostet. Das mache ich so schnell nicht wieder.

Diese persönliche Erfahrung mit dem Nacktsein und den Gesetzeshütern, war einer von vielen Punkten, die mich zum Nachdenken über das Thema Nacktheit gebracht haben. Ich muss dazusagen, ich hatte schon immer ein recht geringes Schamgefühl, wenn es um so was ging und letztlich hat gerade das mich in diese Geschichte hineingezogen. Jedenfalls war das so: Es war mitten in der Nacht und kaum jemand hat uns gesehen, wie wir in diesem Brunnen Nacktbaden waren. Leider fuhr die Polizei zufällig vorbei. Die kamen dann her und meinten, wir sollten uns gefälligst anziehen. Die Beamten waren sichtlich genervt. Nachvollziehbar: Angetrunkene Nacktbader zu bändigen ist kein Traumjob. Meine Freunde haben sich angezogen, ich aber nicht. Ich fragte zurück, warum ich mich anziehen solle und meinte ein paarmal: “Ich bin doch nur nackt.” Ende der Geschichte: Ich werde in den Streifenwagen verfrachtet und zum Revier gefahren. Und hier beginnt der, aus meiner Sicht, interessante Teil. Der Plan von Freund und Helfer war offenbar, mich dadurch zu demütigen, dass ich erst einmal durch das halbe Revier geführt wurde, bevor ich mir etwas anziehen durfte. Ich will keineswegs darauf hinaus, diese Methode zu kritisieren, das ist mir egal. Nein, was ich interessant fand, war, dass die ernsthaft glaubten, dass ich jetzt, ohne meine Freunde und im hell erleuchteten Revier vor einem halben Dutzend Polizisten und Polizistinnen, plötzlich Schamgefühlte entwickeln würde. Naja, stattdessen habe ich den Moment irgendwie genossen. Eine der anwesenden Polizistinnen meinte herrlich überrascht: “Der ist ja GANZ nackt!” Ich wurde dann auch ganz klassisch gefragt, ob ich mich jetzt immer noch cool fände. Ich habe ihnen gesagt, das es mir nicht darum ginge, cool zu sein, aber das hat mir niemand geglaubt. Als sie dann meine Personalien hatten, durfte ich mich auch wieder anziehen und nach Hause gehen. Heute bereue ich das Ganze, aber nur, weil es mich 105 Euro gekostet hat. Das war ein teurer Spaß.

Naja, jedenfalls hat mir das gezeigt, wie sehr das Thema Nacktheit in unseren sozialen Praktiken seinen festen Platz hat. Denn selbst von einem Flitzer wird erwartet, dass er sich seiner Nacktheit schämt, sobald er festgenommen wurde. Das finde ich doch bemerkenswert. Außerdem fand ich interessant, wie viel Ekel und Verachtung aus dem Verhalten der Polizisten mir gegenüber sprach. Alles, weil ich keine Kleidung getragen hatte.

Was die Polizisten einfach nicht verstehen konnten, war mein mangelndes Schamgefühl. Wahrscheinlich geht es Ihnen, lieber Leser, gerade genauso. Und wahrscheinlich bin ich gerade in Ihrem Ansehen gesunken. Das wäre nur normal. Schade ist, dass ich sie jetzt wohl nur noch schwerlich davon überzeugen kann, das Thema Nacktheit mal ganz unbefangen zu überdenken. Aber noch gebe ich nicht auf!

Schamgefühl, soziologisch betrachtet, ist wohl die Erwartung, von anderen Leuten sozial diskriminiert zu werden, aufgrund von etwas, dass man getan hat, oder einem Zustand, in dem man sich befindet. Wir haben das Gebot der Bekleidung so verinnerlicht, dass wir automatisch Bestrafung erwarten, wenn wir es brechen. Grundsätzlich ist das sehr praktisch für uns Menschen, denn so versuchen wir automatisch, Situationen zu vermeiden, die unseren Status in der Gesellschaft gefährden. Meine Überzeugung aber ist es, dass nicht alles, was wir traditionell eben so machen, deshalb auch gut ist. Und das Gebot der Bekleidung ist ein ideales Beispiel. Ich schließe mich dem nackten, dicken Mann mit Halbglatze aus der Dokumentation an, wenn er proklamiert, dass in einer freien Gesellschaft, in der immer mehr Lebensformen ihre Berechtigung zugestanden wird, auch die Nacktheit ihren Platz haben sollte. Wenn jemand nackt sein möchte, dann soll man ihn doch lassen.

Jetzt komme ich wohl an den Punkt, wo ich das Argument dafür bringen müsste, warum wir eine so fest eingefahrene Tradition mit so viel Aufwand aufsprengen sollten. Denn der Weg ist sicherlich kein leichter. Ist das denn die Mühe überhaupt wert, selbst wenn man es wollte? Das ist eine schwierige Frage und um ehrlich zu sein habe ich nur das Argument der Freiheit und Natürlichkeit. Ich weiß nicht, ob die Welt besser wäre, wenn wir Nacktheit nicht mehr so sehr ächten würden. Aber sie wäre irgendwie freier und natürlicher. Das wäre sie ganz bestimmt. Und davor haben wir Angst. Nein, ihr habt davor Angst! Ihr habt Angst vor meinem Pimmel!

“Nackte Angst” ist dazu ein interessanter Ausdruck. Nackte Angst heißt, Angst, ohne Grenze, ohne Limit, ohne Trübung, ohne Hoffnung. Ich würde sagen: Nackte Angst, bedeutet ehrliche Angst. Nackt = ehrlich. Ich mache es mir vielleicht zu einfach.

Denn Nacktheit, das bedeutet auch Intimität. Man zeigt sich nicht vor jedem nackt, aber dem oder der Liebsten schon. Und das ist dann etwas besonderes. Ein Zeichen von Vertrauen und Zuneigung. Manchmal auch nur ein Zeichen übermäßiger, alkoholinduzierter Paarungsbereitschaft. Aber das kommt auf das gleiche heraus. Was würde es für Intimbeziehungen bedeuten, wenn wir alle ab und zu mal nackt durch die Gegend laufen würden? Ich wünschte, ich könnte dafür die Meinungen von FKK-Veteranen zu Rate ziehen, kann ich aber nicht. Dabei hätte ich so viele Fragen. Ziehen FKK-Frauen Reizwäsche an, wenn sie ihren Liebsten verführen wollen? Oder macht das keinen Sinn, wenn man FKK betreibt. Hat man in als FKKler öfter Sex? Warum ziehen manche zum Einkaufen in einem FKK-Campingplatz Klamotten an? Glaubt mir das jemand, wenn ich sage, ich habe mal eine Ankündigung für einen Miss-FKK-Campingplatz-Wettbewerb gesehen? Nun ja, ich muss zugeben, ich kann nicht sagen, was es für Intimbeziehungen bedeuten würde, wenn die Exklusivität des Nacktseins wegfiele. Ich bin allerdings fest davon überzeugt, dass Beziehungen über so was drüber stehen müssen. Ansonsten könnten wir, anstatt von Eheringen, ja auch gleich Schlüssel für des jeweils anderen Keuschheitsgürtel austauschen.

Das bringt mich zu einem anderen Punkt: Diese universale Geilheit, diese Sex-sells-scheiße an jeder Ecke, dieser gut unterdrückte, animalische Hang, alles zu begatten, was herumläuft, kommt das eventuell davon, dass im echten Leben alle angezogen, bieder und sexuell verschlossen sind? Haben wir es nur einer Begrenzung der Reize im öffentlichen Raum zu verdanken, dass das Lustventil dem Druck noch standhält … Wow. Falls dem so ist, dann argumentiere ich gerade dafür, den Trieben freien Lauf zu lassen. Kann ich nur bedingt gut heißen.

Ist aber auch interessant. Ist Kleidung Zeichen unserer Zivilisation? Werden wir zu Wilden, wenn wir nackt herumlaufen? Siegt der Trieb, wenn der Reiz allgegenwärtig ist? Nein, kann nicht sein, denn soweit ich weiß, sind FKK-Campingplätze keine Rudelbummsvereine.

Nun, wie man es auch dreht und wendet, am Ende steht eins fest: Wir pflegen ein seltsames Verhältnis zur Nacktheit. Wir lassen nur nackte Haut von schönen Menschen zu, sodass wir “nackt” mittlerweile fast schon mit “schön” sein gleichsetzen. Grundsätzlich aber wird Nacktheit geächtet und bestraft, ob nun mit sozialer Diskriminierung, oder durch die Polizei. Denn ihr habt Angst vor meinem Pimmel!

© Image by Thorben Luberg

Ein Essay, das ich einst für einen Wettbewerb schrieb. Und weil es einfach mal gesagt werden musste

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