Samstag, 26. Dezember 2009

Der entfremdete Mann

Universität Potsdam
Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät
Institut für Frauen- und Geschlechterforschung
Seminar: Geschlechterverhältnisse heute Hochschulsemester: 4

Seminararbeit

Der entfremdete Mann -
Für eine Emanzipation der Männer

Verfasserin: Manuela Fiedler

M.A. Linguistik; Soziologie, Medienwissenschaften

Abgabe: 31.03.2003

Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung 3
1.2 Der Weg zum Mann 5

2.1 Geschlechterpolarisation 5
2.2. Traditionelle Männlichkeit 6

3. Wandlungsprozesse 7
3.1 Auswirkungen traditioneller Männlichkeit 7
3.2 Männer im Wandel 12

4. Ausblicke 16

5. Literaturverzeichnis 20

1. Einleitung:
Helen Franks schrieb noch 1985 in ihrem Werk ,,Goodbye Tarzan. Der endgültige Abschied vom Macho-Mann.": ,,Es ist eine Ironie, aber vielleicht keine Überraschung, daß ich bei den Nachforschungen zu diesem Buch gezwungen war, unter dem Stichwort ,Frauenforschung` nachzuschlagen, um etwas über die heutigen Männer zu erfahren."1
Das Thema Männlichkeiten und Mannsein war in den 70ern ein noch so gut wie unbekanntes Thema. Dies jedoch änderte sich in den letzten 20 Jahren, denn seit Anfang der 90er boomt die Männerbewegung, die akademische Forschung sowie die Zahl der Veröffentlichungen.2 Der feministische bzw. akademische Blick allgemein wurde seitdem auf die Männer ausgeweitet, auf deren Rolle innerhalb des Prozesses der Gleichberechtigung und Konzeption eines neuen Geschlechterverhältnisses sowie ihre spezifischen Lebenszusammenhänge und -umstände.

Denn heute scheint nicht länger eindeutig zu sein, was ein ,,richtiger" Mann ist oder zu sein hat oder was Männer überhaupt auszeichnet. Was sich in den letzten Jahren entwickelte, war ein kritischer Blick auf den Mann, woraus sich einige Fragen ergaben: Welchen Veränderungsprozessen sehen sich Männer heute gegenüber und wie gestalten sich diese aus der Perspektive der Männer? Wie sehen deren Reaktionen darauf aus? Welche Auswirkungen haben die Vorstellungen von traditioneller Männlichkeit auf die Männer selbst? Was bedeutet dieser Umwälzungsprozess konkret für Männer? Gibt es sie - die ,,neuen Männer"? Was bedeuten die Veränderungen zwischen den Geschlechtern für den Prozess der Gleichberechtigung wie für die akademische Forschung?

Meine Thesen dazu sind folgende:
Erstens: Die Umbrüche, die wir momentan miterleben, bergen auch ein für Männer immenses Potenzial an Befreiung von Zwängen und zur Neufindung einer positiven Männlichkeit.
Zweitens: Dieser selbstreflexive Prozess, auf den die Männer zusteuern, ist eine notwendige Bedingung für das Gelingen der Gleichstellung.

Im Folgenden werde ich zur Klärung dieser Fragen und Thesen anhand ausgewählter Fachliteratur einen kurzen Überblick über traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit und deren Ursprünge geben. Daran anschließend werde ich kurz beschreiben, welchen sozialen Umwälzungsprozessen sich Männer und Frauen seit einigen Jahrzehnten gegenüber sehen. Im Hauptteil meiner Arbeit geht es darum zu beschreiben, welche Auswirkungen die an die Männer gestellten traditionellen Rollenerwartungen auf diese selbst haben (deren Auswirkungen auf Frauen sind ja bereits deutlich dargelegt), wie sich die Reaktionen auf diese Umwälzungsprozesse darstellen und wie sich Ansätze einer konstruktiven Auseinandersetzung damit gestalten. Schließlich wird es in meiner Arbeit auch darum gehen, einen Blick auf die daraus entstehenden Chancen - für Männer selbst, für Frauen, die Gesellschaft allgemein - zu werfen.

2. Der Weg zum Mann:

Das folgende Kapitel soll einen kurzen Überblick über die Ursprünge jener Rollenerwartungen geben, denen sich Männer heute gegenüber sehen.

2.1 Geschlechterpolarisierung:
Es ist nachgewiesen, dass sich Frauen und Männer in den ersten Jahrtausenden unserer Geschichte ,,charakterlich und in ihrem humanen Potenzial nicht voneinander unterschieden."3 Der Polarisierung der Geschlechter ging dabei nach Karin Hausen4 die Herausbildung von Geschlechtscharakteren voraus, die sie als die ,,mit den physiologisch korrespondierend gedachten psychologischen Geschlechtsmerkmale" bezeichnet, deren Kraft darin bestehe, bestimmte Verhaltensmuster gesellschaftlich vorgeben zu können. Den Hintergrund hierfür bildete der ,,Übergang vom ,ganzen′ Haus zur ,bürgerlichen Familie′" im Zuge der Auflösung agrarischer Gesellschaften mit Beginn der Industrialisierung, mit dem sich eine tendenzielle Auflösung der Ehe und Familie als Institution und damit auch der Rolle des Mannes als Haushaltsvorstands verband. In der Folge kam es aufgrund eines ,,akuten Orientierungs-bedürfnisses" zu einer Suche nach einem restaurativen Familienbegriff, in der den ,,natur-gegebenen Gattungsmerkmalen" die Funktion des die Familienverhältnisse restabilisierenden Orientierungsmusters zukam. Die Konstruierung einer unterschiedlichen, besser : hierarchischen Qualität der Geschlechter diente dabei auch ,,zweifellos" der ,,Absicherung von patriarchalischer Herrschaft" bzw. der rechtlichen Privilegierung der Männer. Das dialektische Wechselspiel zwischen Normativität und Realität und die damit einhergehende tatsächliche Auseinander-entwicklung von Verhaltensweisen boten sich im Anschluss an, das bestehende System zu legitimieren.

Für unsere Gesellschaft ist Geschlecht heute eines der zentralen Ordnungskriterien überhaupt, welches die Interpretation jeglichen Verhaltens steuert und spezifische Zuwendungs- und Verhaltensmuster herausbilden lässt. Hier ist es der große Zweig der Sozialisationsforschung, der sich der Untersuchung der Einflüsse gesellschaftlicher Erwartungshaltungen und Ideologien auf das Individuum selbst widmet.

Bevor ich kurz zusammenfasse, welche Bilder traditionelle Ideologien von Männlichkeit malen, möchte ich noch kurz darauf eingehen, was den Hintergrund der Vorstellungen von hegemonialer Maskulinität bildet. Denn wie sich noch deutlicher zeigen wird, basieren diese an erster Stelle auf der Abwertung und Abspaltung alles weiblich Konnotierten. Zur Erklärung dieser Tatsache werden von der Literatur zwei Erklärungsansätze geboten.5 Zum einen sei diese Herabsetzung begründet in der archaischen Angst vor den kreativen weiblichen Fähigkeiten des Empfangens, Gebärens und Stillens. Zum zweiten wird der Prozess der Sozialisation der Jungen zur Erklärung herangezogen:
Die räumliche, geistige und emotionale Entfernung des Vaters in der Industriegesellschaft hat eine wachsende Abhängigkeit des Jungen von der Mutter zur Folge. Das Fehlen des Vaters als wichtiges Rollen-Modell zwinge den Jungen zu einer ,,Umweg-Identifikation", das heißt, er müsse ,,unmännliche" (sprich: ,,weibliche") Eigenschaften opfern, um sich abzugrenzen. Die Mutter wird für den aufwachsenden Jungen also zunehmend zu einer ambivalenten Figur, zu der er sich einerseits stark hingezogen fühlt, sich andererseits jedoch gezwungen sieht, sich aus dieser Symbiose zu verabschieden. Dies habe die Verleugnung der zentralen Abhängigkeit von der Mutter zur Bildung eines als ,,nicht-weiblich" verstandenen Männlichkeitskonzeptes zur Folge. Das heißt, als männlich gilt, was nicht weiblich ist.6

2.2 Traditionelle Männlichkeit:
Traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit, die vor diesem Hintergrund geprägt worden sind, werden in wenigen treffenden Worten anhand der 7 männlichen Imperative von Herb Goldberg beschrieben, die da sagen: 1. Je weniger Schlaf ich benötige, 2. je mehr Schmerzen ich ertragen kann, 3. je mehr Alkohol ich vertrage, 4. je weniger ich mich darum kümmere, was ich esse, 5. je weniger ich jemanden um Hilfe bitte, 6. je mehr ich meine Gefühle unterdrücke und kontrolliere, 7. je weniger ich auf meinen Körper achte, desto männlicher bin ich.7 Oder wie Robert Brannon und Deborah David das männliche Leitbild beschreiben: ,,No sissy stuff" (die Ablehnung alles weiblich Konnotierten), ,,the big wheel" (Erfolgszwang, Leistung, Kampf, Status, Wettbewerb), ,,the sturdy oak" (Unbesiegbarkeit, Zähigkeit, Standfestigkeit) und ,,giv′em hell" (Aggressivität, Mut, Durchsetzungskraft).8

Und so ist Männlichkeit historisch schließlich zusammengewachsen mit dem Bild eines ,,Homo faber, (...) der kein Risiko scheut und jeder Gefahr mutig entgegentritt, der Herausforderungen als selbstverständlich annimmt und die äußere Welt mit seiner Leistung prägt."9

3. Wandlungsprozesse:

3.1 Auswirkungen traditioneller Männlichkeit:

Traditionelle Männlichkeit beinhaltet zwar auch heute durchaus noch solche Aspekte wie Macht, Gehorsam, Prestige und Status, doch übersehen wird leicht, dass nur eine Minderheit von Männern in den ungeteilten Genuss solcher Privilegien gelangt, sich jedoch jeder Mann an den Maßstäben jener gesellschaftlichen Rollenerwartungen messen lassen muss. Für die Mehrheit der Männer ist daher aufgrund der gesellschaftlichen Strukturen nicht etwa Überlegenheit, sondern Unterlegenheit eine charakteristische Lebenserfahrung.
Der Begriff ,Patriarchat` verdeckt diesen Umstand, da er suggeriert, alle Männer seien gleich in ihrer Privilegiertheit, weswegen heute auch eher die der Versämtlichung entgegentretende Bezeichnung der ,,hegemonialen Männlichkeit"10 von Robert Connell bevorzugt wird.
Zwar profitiert gegenüber einer Frau auch der rangniedrigste Mann noch von seiner Rolle als derselbige, jedoch hat traditionelle Männlichkeit auch ihren Preis:

Mit dem bereits umrissenen Prozess der Geschlechterpolarisierung und der damit einhergehenden Polarisierung der Lebenssphären in ,Innen` und ,Außen` wurde Erwerbstätigkeit eines der zentralen Momente der Konstitierung von männlicher Identität. Und auch heute noch ließe sich nach Möller bei den meisten Männern eine starke Erwerbszentrierung in deren Lebensplanung feststellen, d.h. bei Männern gehört Berufstätigkeit zur Normalbiographie und wird - anders als bei Frauen - schlichtweg von ihnen erwartet.11 In unserer durch die Industrialisierung geprägten Arbeitswelt bedeutet dies jedoch ein Gefangensein in den Anforderungen einer ,,Disziplinargesellschaft"12, die gekennzeichnet sei durch die Vorgaben des maschinellen Rhythmus, von der ,,Gesetzlichkeit von Ökonomie, Präzision, Effizienz, Organisation und standardisierten Leistung"13, der Trennung von Lebens- und Arbeitsort, von technisierten und standardisierten Arbeitsabläufen, der Unterwerfung unter industriellen Zeitplan (Hollstein 53) und Bürokratie zur Kontrolle und fremdbestimmten Einordnung des Individuums in einen von ihm abgespaltenen Lebensrahmen.14

Diese einseitige Fixierung des Mannes auf den Bereich der Erwerbstätigkeit läßt ihn schließlich die in dieser Sphäre hinderlichen Fähigkeiten abspalten und vergessen; der Mann habe dabei seine Ganzheit ebenso aufgeben müssen wie das die Frau auf ihre Weise zu tun gezwungen war.15 Die in der Frauenforschung durch Elisabeth Beck-Gernsheim entstandene Bezeichnung des ,,halbierten Lebens"16 läßt sich somit für die Beschreibung männlicher Lebenswelten weiter verwenden.

Es wird also hier schon deutlicher, dass auch Jungen und Männer in einem Gesellschaftssystem aufwachsen, das ihnen nicht schrankenlos die Möglichkeit der freien Entfaltung bietet. Wie Helen Franks formuliert, vergessen wir oftmals, dass es nicht leicht für diese ist, jenen ,,Vorstellungen nachzueifern, und sie haben einen ziemlich üblen Einfluß sowohl auf jene, die tatsächlich danach leben können, als auch auf jene, die es nicht können."17 Die rigide geschlechtsspezifische Zuschreibung bringe ,,Pervertierungen des menschlichen Wesens in zwei einander gegenüberliegende Richtungen" hervor.18 In der Konsequenz daraus verzerrt ein derart entstelltes Bild von Männlichkeit auch jeden Mann durch dessen Bemühen, diesem zu entsprechen.
Es geht also darum zu verstehen, wie anstrengend die traditionelle Männerrolle von Leistung, Macht, Konkurrenz und Härte gerade auch für ihre männlichen Träger ist. Das heißt, es wird immer klarer, dass das männliche Prinzip in seiner Vereinseitigung sich als Bürde für den Mann selbst erweist.
Mittlerweile hebt die Männerforschung die Zwanghaftigkeit männlicher Verhaltensweisen als deutlichsten Indikator der männlichen Krise in unserer spätindustriellen Gesellschaft hervor. Die Forschung des amerikanischen Sozialmediziners James O′Neil fasst die Schattenseiten des Männerlebens so zusammen19:

Eingeschränktes Gefühlsleben:
Erkenntnisse der Erziehungsforschung zeigen, dass bereits in den frühesten Sozialisationsphasen Jungen wie Mädchen entsprechend herrschender Geschlechterstereotypen erzogen werden. Das beinhaltet zum Beispiel auch, dass Jungen bedeutend seltener als Mädchen umarmt, geküßt und festgehalten, dafür aber mehr als doppelt so viel geschlagen und geprügelt werden.20
Eine Abspaltung aller Eigenschaften vom Männlichen, die im modernen Arbeitsleben nicht förderlich wären, wie Verletzlichkeit, Emotionalität, Hingabe, Fürsorge oder Mitgefühl ließe sich im weiteren Verlauf der Sozialisierung feststellen.21 Betrachtet man des Mannes Stellung innerhalb der Familie, zeigt sich daher oft, dass der traditionelle Familienvater eine Außenseiterrolle in der eigenen Familie ,,mit sporadischen Auftritten als Disziplinaragent oder als Freizeiterscheinung"22 einnimmt.
Zusammengefasst bedeutet dies, dass die traditionelle männliche Rolle eine Entfernung von den sozialen und emotionalen Bedürfnissen der Zwischenmenschlichkeit und die Opferung eigener Bedürfnisse, Ideale und Werte zugunsten Hierarchiedenken und Verpflichtung erfordert. Traditionelle Männlichkeit verlangt im Grunde also die Beherrschung der eigenen vitalen Kräfte, hat aber letztlich Isolation, Entfremdung, Zwang zu emotionaler Kontrolle, Genussunfähigkeit sowie Verzicht auf Vielfalt und Selbstentwicklung zur Folge.23 Die ,emotionale Verkrüpplung` als Bestandteil des traditionellen Männerbilds, die Anforderungen nach Autonomie, Stärke und Unempfindlichkeit bezeichnet Cheryl Benard demnach als ,,destruktive und falsche Elemente in der Pervertierung des männlichen Menschen."24

Homophobie:
Dieser Begriff bezeichnet die viele Männer beherrschende Angst vor Nähe zu anderen Männern. Es ist die strikte Heterosexualitätsnorm unserer Gesellschaft als Ausdruck der Abwehr alles ,,Weiblichen", die schließlich Intoleranz gegenüber Zärtlichkeiten zwischen Männern hervorruft. Dadurch wird echte Intimität und Vertrauensbindung zu anderen Männern verhindert.

Kontroll-, Macht- und Wettbewerbszwänge:
Dies meint, dass sich traditionelle männliche Identität ihren Selbstwert über Erfolg, Leistung, Konkurrenz und Herrschaft bezieht und dies solchen Aspekte wie Ethos, Mitmenschlichkeit, Fürsorge, Empathie und Liebe entgegentritt. Es bezeichnet auch die herrschende Rationalitäts- und Machbarkeitsorientierung sowie den Zwang, Situationen und Mitmenschen beherrschen zu müssen. Die Delegierung und Umwertung seiner abgespaltenen Persönlichkeitsmerkmale an die Frau und die daraus enststehende Abhängigkeit von ihrer Beziehungsarbeit bedeute daher einen Machtverlust für Männer (Hollstein 59), was den Zwang zur Disziplinierung und Unterwerfung der Frauen als Garanten für emotionale Kompensation nur befördere.25

Gehemmte Sexualität und Affektivität:
Auch Sexualität und Erotik werden von Zärtlichkeit und Emotionalität abgespaltet und erlebt unter dem Aspekt von Dominanz und Aggressivität. Viele Männer betrachten Sex daher weniger als Kommunikation, sondern eher als Reiz-Reaktionsgeschehen, was auch der zunehmend kritisierten instrumentellen Leistungs- und Genitalfixierung vieler Männer entspricht.

Sucht nach Leistung und Erfolg:
,,Ihr Leben ist Tun und Haben, nicht Lassen und Sein." schreibt Walter Hollstein über Männer.26 Das Mann-Sein muss immer wieder neu erfahren und bewiesen werden, es ist abhängig von äußeren Beweisen des Erfolgs. Macht schaffe Privilegien, jedoch seien Mächtige oft Sklaven ihrer Macht, workaholics und fühlten sich nur während exzessiver Arbeit lebendig.27 Es bleibt also wenig Zeit für Entspannung, Muße, Kreativität oder Besinnung. ,,Die amerikanische Männerforschung weist aus, daß heute gerade jene Männer, die noch immer das traditionelle Erwartungsprofil von Erfolg, Ehrgeiz, Unverletzlichkeit und Panzerung zu leben versuchen, die allerkränksten sind. Da sich diese Männlichkeitsmaschinen des weiblichen Prinzips völlig entledigt haben und von daher keine Innerlichkeit mehr besitzen, sind sie zur Organisationsschraube verkommen."28 Dieses aktionistische Männerbild wird von Hollstein durch den Begriff der ,,Männlichkeitsmaschine" gebrochen: ,,Er macht das, was von ihm erwartet wird; er stellt öffentliche Notwendigkeiten vor seine persönlichen Bedürfnisse und dementsprechend letztere immer zurück. Der Mann als Männlichkeitsmaschine ist dafür ,konstruiert`, konsequent zu arbeiten, Leistung effizient zu erbringen, objektive Schwierigkeiten zu überwinden, alle Probleme zu lösen, jede Aufgabe willensstark anzugehen und richtig zu erledigen. Sieg ist der Männlichkeitsmaschine alles."29

Mangelndes Körperbewusstsein:
Wie bereits durch die ,,7 männlichen Imperative" Goldbergs angedeutet, mangelt es vielen Männern an Wertschätzung für ihre eigene Körperlichkeit. Die Mißachtung körperlicher Signale, der psychischen wie physischen Gesundheit gilt als männlich, Arztbesuche dagegen werden eher als Schwäche begriffen. Männer betrachten ihren Körper oft als Maschine, die zu funktionieren habe. Die Apparatemedizin gilt an dieser Stelle als ein schönes Beispiel für diese Instrumentalisierung des eigenen Körpers. Das heißt, die des öfteren - gerade von Männern - belächelte Vorstellung von der Ganzheit von Körper, Seele und Geist` ist ihnen genommen worden. Die Folge: Männer sind öfter und schwerer krank als Frauen und sterben durchschnittlich acht Jahre früher.

Gewalt:
Hier möchte ich noch einen siebten - von O`Neil nicht explizit erwähnten - Aspekt einfügen, den der Gewalt. Hierzu meint Möller, dass die auf der Abwertung von Frauen und Jüngeren basierende hegemoniale Männlichkeit unseres Systems Gewalt mit dem Mann-Sein kopple.30 Nehme man sozio-demographische Daten zu Alter und Geschlecht von TäterInnen zur Grundlage, so handele es sich besonders deutlich bei Gewalt und Rechtsextremismus anscheinend um Männlichkeitsprobleme, da rund 90% - beim Rechtsextremismus sogar ca. 95% - der TäterInnen männlich seien. Diese männliche Dominanz im Bereich der Gewalttätigkeit sei für ihn ,,gänzlich unübersehbar."31.

Alle diese Symptome ließen sich grundsätzlich auf die Angst des Mannes vor Weiblichkeit zurückführen.32 Die Definition von Männlichkeit bedingt die Distanz zur Weiblichkeit und verlangt dementsprechend, was gesamtgesellschaftlich als nicht weiblich gilt: Kontrolle, Härte, Unerschütterlichkeit, Wettbewerb, Leistung und Herrschaft. Traditionelle Männlichkeit sei daher ,,erkauft durch den Verzicht auf weibliche Eigenschaften."33
Der Männerforscher Herb Goldberg meinte hierzu: ,,Es ist für Männer eine tragische Tatsache, daß Einstellungen und Verhaltensmuster, die einen Menschen zerstören, für ausgesprochen männlich gelten, während das, was für persönliche Verwirklichung und Menschsein wichtig ist, weiblich genannt wird."34 Männer mögen daher von außen noch als das erfolgreiche Geschlecht bezeichnet werden, ein glückliches Geschlecht sind sie wahrscheinlich nicht. Die Männerforschung ist darum mittlerweile zu der Einsicht gelangt, daß die männliche Rolle gefährlich ist - nicht nur für Frauen, Kinder und die Natur, sondern auch für ihre Träger selber.
Es nimmt daher nicht wunder, dass sogar die Frage nach der sozialen Verträglichkeit von Männern aufkommt.35 Bei Cheryl Benard lässt sich sehr gut nachlesen, mit welcher Ironie und negativer Kritik heute bereits traditionelle Männlichkeit bedacht wird:

,,Sie mögen einem leid tun, aber trotzdem ist es nicht angenehm, mit ihnen zusammenzuleben. Ihre immer gleichen Witze sind langweilig. Sie sind ständig beleidigt, gekränkt oder zornig. Sie fühlen sich immer herabgesetzt. Sie wieder zu beruhigen und psychisch wieder aufzubauen, ist anstrengend und zeitraubend. (...) Unter sich sind sie hilflos. Sie verfallen in hysterische Zustände. Glotzäugig und heiser starren sie Kellnerinnen nach und brüllen einander an. Ständig reden sie über Busen und Beine. Sie kaufen sich Bilderbücher, in denen sie selbige anschauen können.Manchmal stundenlang. Wenn sie nicht bekommen, was sie haben wollen, klopfen sie auf den Tisch und rufen Sätze wie: Hier habe immer noch ich die Hosen an! Diese modischen Hinweise sollen dazu beitragen, eine Konfliktfrage zu lösen. Oder sie sagen: Schließlich bringe ich das Geld nach Hause. Sie sind oftmals sehr unausgeglichen. Es muß schwierig sein, als Person dieser Art durchs Leben zu gehen."36

Konnten sich Männer also noch bis vor wenigen Jahrzehnten kritiklos mit der männlichen Rolle und ihrem Rollenbild identifizieren, so scheinen Frauen, die Frauenbewegung, Wissenschaften, Medien und bisweilen die breite Öffentlichkeit nur noch negative Assoziationen mit traditioneller Männlichkeit zu verbinden. Ein Blick in die Medien, und der Mann tritt uns unübersehbar oft als Zerstörer, Kriegstreiber, Vergewaltiger, Kinderschänder oder Pornograph entgegen. ,,Was also gegenwärtig an Männerbildern kursiert, lädt nicht mehr zur Orientierung und Identifikation ein."37
Diese Umstände und die Tatsache, dass sich immer mehr Männer ihrer enteigneten und entleerten Persönlichkeit bewusst werden, scheinen die Voraussetzungen dafür zu sein, dem von der Frauenbewegung initiierten Wandel seine Eigendynamik zu verleihen.

An dieser Stelle sei noch kurz auf die Forschung des Sozialkonstruktivismus verwiesen, die bereits in Bezug auf Frauen aufzeigte, dass Vorstellungen von Geschlechtstypik und dementsprechendem Verhalten in der Regel anerzogen und erlernt sind, was sich in der Trennung von biologischem ,,sex" und sozial konstruiertem ,,gender" auch begrifflich niederschlug. Die Bedeutung dessen liegt vor allem darin, dass jene Verhaltensweisen daher größtenteils keine festen, biologisch verankerten Wesensmerkmale aller Männer, sondern durchaus zur Revision fähig sind.38 Die Chance darin liegt, wie Carol Hagemann- White es formuliert, dass wenn ,,sich das, was uns als normal, natürlich, unhinterfragt erscheint, als selbstgemachte Konstruktion erweist, sind diese Konstruktionen auch veränderbar."39

3.2 Männer im Wandel:

Der Wandel im Selbstbild der Frauen und der Sicht auf die sie umgebenden Männer und die von ihnen gebildeten Strukturen, die gesellschaftlichen Prozesse der Individualisierung und Pluralisierung und nicht zuletzt die zunehmende Entwertung der männlichen Erwerbsbiografie40 setzten in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine Umwälzung in Gang, die Männer verunsichert, ihre bisherige Rolle angreift und zum Einstürzen bringt. Die bisherige Ordnung wankt, das Korsett traditioneller Männlichkeit hält nicht länger.
Auf Druck der Frauen- und Schwulenbewegung, der Modernisierungs-, Pluralisierungs- und Individualisierungstendenzen lösen sich bisherige Selbstverständlichkeiten auf; das heißt: Normalarbeitsverhältnisse, die Normalität der Ernährerrolle des Mannes, Normalfamilien, die Normalität des männlichen Bildungsvorsprungs, die Normalität deren politischer Dominanz, ebenso wie die Normalität der das System stützenden Werte- und Normensysteme.41
Und es zeigt sich dabei immer deutlicher: ,,Wir kennen uns kaum. (...) Nachdem sich die traditionelle Männlichkeit immer mehr auflöst, können wir auch nicht mehr beantworten, was das Mannsein eigentlich beinhaltet. Wir sind zum unbekannten Wesen geworden."42

Mit der zunehmenden Kritik an traditioneller Männlichkeit sehen sich Männer dem Zusammenbruch eines Geschlechtervertrages gegenüber, auf den nichts sie vorbereitet hat und dem sie nichts entgegenzusetzen haben. Identität hieße nach den Worten des Männerforschers Tim Rohrmann, das eigene Handeln in der Sicherheit über die eigenen Gefühle verankert zu sehen. Fehle diese jedoch, so würden Veränderungen an Bedrohlichkeit zunehmen.43 Die derzeit statt findende Konfrontation mit dem mehr als wackligen männlichen Selbstkonzept und die dadurch entstandene Rollenunsicherheit provozieren verschiedenste männliche Reaktionsformen. Walter Hollstein fasst dieses Spektrum so zusammen: ,,Es gibt ein Lager, das will, ein Lager, das nicht will, und ein Lager, das nicht so recht will, aber weiß, daß es irgendwie wollen muß."44

Viele Männer reagieren zum Beispiel, als hätten Feministinnen vorgeschlagen, von nun an die Männer zu Hausarbeit zu verdammen und Frauen die Dominanz in Politik, Wirtschaft und Medien zu verschaffen, doch nur wenige haben sich bis jetzt tatsächlich ohne solche Verzerrungen mit deren Vorschlägen befasst. Erst wenige haben sich dazu durchgerungen, an mögliche Alternativen bezüglich ihrer eigenen Person zu denken, das heißt, die Inhalte der feministischen Argumente im Hinblick auf ihr eigenes Leben zu untersuchen.
,,Eine soziale Revolution spielt sich ab, und doch tun die Männer alles, um sie zu ignorieren, in der Hoffnung, daß sie eine vorübergehende Modeerscheinung ist und verschwinden wird. (...) Obwohl sich hier und da einige männliche Stimmen diesen Herausforderungen stellen, besteht die typische Reaktion, sich der Veränderung zu widersetzen, darin, sich über die Frauenbewegung zu ärgern, sie zu ignorieren oder zu verachten."45 (Franks 13)

Diese Ängste und Verunsicherungen sind nur allzu verständlich, wenn man bedenkt, in welche Abhängigkeit von der emotionalen Versorgung durch Frauen das vereinseitigende männliche Identitätskonzept die Männer getrieben hat.

,,Hier holt uns die Geschichte wieder ein: Was wir einst im Prozeß männlicher Beherrschung der Welt an Qualitäten der Pflege, Liebe, Emotionalität und Besinnung auf uns selbst an die Frauen delegiert haben, können wir nun nicht mehr selber (...) Deshalb ängstigt uns über alle Maßen die Emanzipation unserer Frauen."46

Nicht selten führen derartige Verunsicherungen auch zu Phänomenen, die als Überkompensation von Männlichkeit oder auch Pseudo-Maskulinität bezeichnet werden. Diese sind bezeichnenderweise gerade bei ihrer Maskulinität sehr unsicheren Männern festzustellen, was sich unter anderem in verstärkter Verteidigung männlicher Hegemonie und der Zurschaustellung (überkommener) Maskulinitätsmuster wie Territorialkämpfen, sexueller Konkurrenz, Männlichkeitsbeweisen, etc. äußere.47

Während Feministinnen allerdings bereits aufgezeigt haben, wie verdummend und hemmend dergestalte stereotype Bilder auf das Leben von Frauen wirken, scheint es den meisten Männern entgangen zu sein, daß auch sie meist banal und eingeschränkt gezeigt werden.
Und so liegt auch eine große Chance für Männer in diesem Prozess, da sie zum ersten Mal seit Jahrhunderten die Möglichkeiten haben, das einengende und selbstschädigende Korsett ihrer Rolle in Frage zu stellen, aus ihm auszubrechen und sich damit auch zum ersten Mal so zu erleben, wie sie wirklich sind, statt sich von außen definieren zu lassen und so gesellschaftlichen Zwängen und Erwartungen zu unterliegen. Sie könnten diese Gelegenheit nutzen, um sich auf die Suche nach ihrem gesellschaftlich verwehrten Innen zu begeben. Ihnen eröffnet sich hier die Möglichkeit, den gravierenden Mangel an Selbstreflexion, dieses männliche Defizit an Selbstkritk, Introspektion und auch Besinnung auf sich selbst auszugleichen48, denn nicht etwa vorgegebene Verhaltensmuster, sondern das Fehlen von eben solchen erlaubt erst die Entwicklung einer eigenen Persönlichkeit. Das heißt - um gemäß den Worten von Rosa Mayreder zu sprechen - man wird erst wissen, was die Männer sind, wenn ihnen nicht länger vorgeschrieben wird, was sie sein sollen.49
Zugleich zeichnet sich mit diesen Gedanken bereits das Bild einer Neuordnung männlicher Beziehungen zu anderen Menschen ab: In diesem Zusammenhang sei unter anderem der Männertyp des ,neuen Vaters` erwähnt50, die Aussicht auf das Entstehen von konkurrenzfreien Freundschaftsbeziehungen zwischen Männern und nicht zuletzt die Hoffnung auf ein partnerschaftlicheres und kreativeres Verhältnis zwischen Männern und Frauen, geprägt von gleichberechtigtem finanziellen wie emotionalen Austausch.

Nicht unerwähnt bleiben darf an dieser Stelle jedoch, dass dieser Prozess erstens nur allmählich seinen Weg nimmt und darüber hinaus von einigen Schwierigkeiten begleitet wird. Denn Männer sehen sich drei Dilemmata gegenüber, von denen sie bei einer Neukonzeption ihrer Identität behindert werden:51
Erstens: Jungen und Männer müssen sich zum Teil auch heute noch an hegemonialer Männlichkeit und der damit einhergehenden Zerstörung des sozialen Zusammenhalts sowie der eigenen wie der Gesundheit anderer orientieren, da ihnen sonst die gesellschaftliche Desintegration bei Abwendung von derselben droht, da sich Mann-Sein ja gerade auf Basis der Abwehrens alles weiblich Konnotierten gründet und daher Änderungsversuche von Männern stärker als bei Frauen noch sanktioniert werden.
Zweitens: Die gleichzeitig immer stärkere Stigmatisierung traditioneller Männlichkeit als sozial unverträglich und dysfunktional schafft ein Paradoxon der Integration beider Modelle in einem Individuum.

,,Litten bis dahin nicht wenige Männer bewußt oder unbewußt an der Eindimensionalität ihrer Rolle von Härte, Leistung, Erfolg und ,Pokerface`, so gerieten sie jetzt vermehrt in das Dilemma, diese harte Rolle im Berufsleben weiterhin einnehmen zu müssen, aber zu Hause eine neue, teils verdrängte, auf jeden Fall weichere Rolle des Einfühlens, der Flexibilität, des Nachgebens, ja des Erduldens lernen zu müssen."52

Dieser Ambivalenz der an Jungen und Männer gestellten Erwartungen sehen sich diese mehr und mehr ausgesetzt.
Drittens: Was die Situation noch verschärft ist die Tatsache, dass derzeit noch keine oder nur dürftige Alternativen, das heißt gesellschaftlich entsprechend anerkannte Männlichkeitsbilder und Orientierungsmuster, vorhanden sind.
Möller umschreibt die heutige Situation mit dem treffenden Begriff des ,,Männlichkeits-Spagats" : ,,Auf der einen Seite soll man(n) jemand sein, der man nicht sein kann; auf der anderen Seite kann man(n) nicht jemand sein, der man nicht sein will."53

4. Ausblicke:

Auf den ersten Blick mag manchem oder mancher eine an dieser Stelle vorgeschlagene spezielle Männerforschung überflüssig vorkommen, da der Wissenschaftsbetrieb doch sowieso eine fast ausschließlich männlich geprägte Angelegenheit zu sein scheint. Dies drückt den Verdacht aus, Männerforschung wolle der Aufrechterhaltung der männlichen Hegemonie noch zuarbeiten und diese noch zementieren.54 Diese Ansicht widerspricht völlig deren Anliegen, denn das Ziel kritischer Männerforschung ist es vor allem, etwas bisher fast vollkommen Vernachlässigtes zu vollbringen: Männer und ihre Lebenszusammenhänge kritisch und selbstreflexiv zu betrachten. Weshalb dies so immens wichtig ist - für Männer selbst und ebenso für Frauen - erklärt Kurt Möller so: ,,Die geschlechtsspezifischen Ungleichgewichte hängen basal damit zusammen, daß immer noch weithin das Männliche mit dem Menschlichen schlechthin gleichgesetzt wird." Das Männliche erscheine so als das ,,Geschlecht ohne Geschlecht."55 Erst dieser neuartige Prozess männlicher Selbstreflexion und damit Infragestellung der männlichen Suprematie kann dem ein Ende setzen. Ohne beginnende männliche Selbstreflexion könnte Feminismus also auch weiterhin als Revolte einer ewig nörgelnden ,,Minderheit" mißverstanden werden.

Das meiste Wissen über die Lebenszusammenhänge und -zwänge von Männern ist durch die Öffnung des feministischen Blicks auf eben jene erarbeitet worden. Verändert hat sich hier vor allem eines: ,,Wurde in den Anfängen feministischer Forschung davon ausgegangen, die Frauen seien als Problemgruppe zu begreifen, so besteht heute Konsens darüber, daß die in unserer Gesellschaft dominante Vorstellung von Männlichkeit problematisch ist."56 Dass die meisten Männer nicht merken wie unsozial und einsam, lustfeindlich, unglücklich und gefühlsarm sie sind, liegt jedoch auch daran, dass Frauen sich mitunter daran beteiligen, alte Männerbilder zu stützen. Nicht unerwähnt bleiben soll an dieser Stelle ebenfalls, dass durchaus auch auf akademischer Seite die Tendenz zum Festhalten an einem negativen Männerbild und zur Weigerung, einen differenzierten Blick auf unterschiedliche Männlichkeiten zu werfen, festzustellen ist. In der Konsequenz für die feministische Forschung bedeutet dies, dass die Notwendigkeit besteht, von alten geschlechtsspezifischen Feindbildern oder Zuschreibungen57 abzukehren, denn die an mancher Stelle vertretene Position, ,,daß jeder Mann zwangsläufig Unterdrücker oder gar Vergewaltiger ist, ... [führt] letztlich zu politischer Handlungsunfähigkeit."58

Geschlechterforschung wird jedoch zunehmend auch von Männern und von Frauen betrieben. Diese - historisch betrachtet - neue Tendenz, macht es erst möglich, die Geschlechterverhältnisse aus unterschiedlichen Perspektiven und Blickwinkeln - will sagen: vollständig - erfassen zu können. Wenn beide Geschlechter über beide Geschlechter forschen, so besteht die Chance, der Vernachlässigung relationaler Perspektiven entgegenwirken und ebenso eine erneute Trennung nach Geschlecht verhindern zu können.

Die zweite Ebene, die mit der vorherigen in Austauschbeziehung steht, ist die ,,Männerszene". Sie besteht hauptsächlich aus Vereinigungen wie Männergruppen, Beratungstellen oder politischen Initiativen. In diesen Treffpunkten für Männer geht es darum, deren soziale Einsamkeit, ihr Konkurrenzverhalten, etc., welche ihm durch die gesellschaftlich herrschenden Vorstellungen von Männlichkeit auferlegt werden, kritisch zu diskutieren und aufzuarbeiten. Der Erfahrung von erlebter Solidarität, Mitgefühl und Offenheit unter Männern kommt hier eine wesentliche Rolle in der Erweiterung deren Erfahrungswelten zu. Der daran anschließende Schritt müsse nach Walter Hollstein sein, aus dem ,,Ghetto" bewusster Männer hervorzukommen und auch jene mit Argumenten der Männerszene zu konfrontieren, die einer Auseinandersetzung mit der männlichen Rolle bisher ausgewichen sind. Wichtig dabei sei es immer, es nicht bei bei bloßer Kritik zu belassen, sondern immer auch konstruktive Vorschläge zur alternativen Gestaltung des männlichen Selbst zu machen sowie aufzuzeigen, mit welchen Gewinnen eine Revision der männlichen Rolle verbunden sein kann.59

Veränderungen bestehender Verhältnisse, die durchaus zu entdecken sind, bedürfen jedoch nicht nur akademischer oder männerbewegter, sondern auch politischer Hilfestellung. Denn es zeigt sich, dass Fortschritte zwar eher im privaten denn im öffentlichen Raum statt finden, dort jedoch einigen institutionellen Behinderungen ausgesetzt sind.60 Neben der grundsätzlich aufgestellten Forderung, diese Problematik anhand der Medien im öffentlichen wie vor allem auch im persönlichen Bewusstsein zu verankern, ist es die Förderung von geschlechtssensibler Politik und Jungenarbeit, der in dieser Hinsicht eine wesentliche Rolle zukommt.

Geschlechtssensible oder auch ,,patriarchatskritische" Jungenarbeit61 zeichnet sich dabei nicht dadurch aus, bestimmte Methoden oder Inhalte zu verwenden, sondern eine bestimmte Sichtweise zu vertreten. Eine Jungenarbeit, die dabei gesellschaftliche Machtverhältnisse nicht explizit mit einbezieht, greift zu kurz und neigt dazu, geschlechtshierarchische Strukturen und Tendenzen bei Jungen zu verstärken. Den Nutzen und die Zwänge, die innerhalb bestehender Verhältnisse existieren, bewusst zu machen - genau das jedoch ist die Herausforderung, der zu stellen sich die geschlechtssensible Jugenarbeit zur Aufgabe gemacht hat. Denn nur so könne sich eine innere Motivation zur Veränderung der eigenen Rolle und des Verhaltens herausbilden.62 Ziele und Herangehensweisen können dabei folgende sein: Jungen müssen in ihren Entwicklungsmöglichkeiten unterstützt werden, wobei erkannt werden muss, dass sich traditionelle und emanzipatorische Muster von Männlichkeit oftmals im Widerstreit miteinander befinden. Diese Ambivalenzen anzuerkennen wird als zentral betrachtet. Diskriminierendes Verhalten gilt es dabei zwar zu kritisieren, gleichzeitig jedoch gilt es zunächst einmal, die Angst vor der eigenen Unmännlichkeit abzubauen und Jungen darin zu bestärken, alternative Ausdrucksmittel der Männlichkeit zu wählen und Kritik an bestehenden Strukturen und Vereinseitigungen öffentlich auszudrücken. Das heißt, ,,die Empörung über die Ungerechtigkeit von Herrschaft über Frauen muss erst in das eigene männliche Erleben integriert sein, sonst wird sie von ersten konkreten Interessenkonflikt mit Frauen hinweggespült."63 Ein solches Hinterfragen sei allerdings nicht mit Frauenfreundlichkeit zu verwechseln. Es ginge vielmehr zunächst um die Situation des männlichen Geschlechts. ,,Jungen- und Männerarbeit hegt nicht den Anspruch, Feministen heranzuziehen."64
An anderer Stelle wird die Forderung nach männlichen Bezugspersonen laut, deren nicht zu unterschätzende Bedeutung schon in Kapitel 2 angedeutet wurde. Und nicht zuletzt müsse Gewalt endlich als jungenspezifisches Problem thematisiert werden, denn die zurzeit ausschnitthafte Behandlung dieses Problems werde den tatsächlichen Ursachen nicht gerecht.65

In diesem Zusammenhang ist auch die Bedeutung der Umformung unserer Institutionen zu sehen, da alle gesellschaftlichen Einrichtungen entsprechend der Vorstellung von hegemonialer Männlichkeit geprägt sind. Daher sei es zu kurz gegriffen, Förderungs- und Maßnahmenkataloge zur Gleichstellung von Frauen bereit zu stellen, umgekehrt jedoch keine Konzepte zur Ablösung männlicher Herrschaftsformen anzubieten.66
So ist es nicht verwunderlich, dass der Gleichstellungsprozess stagniert. Fortschritte lassen sich daher nur erzielen, wenn Frauenpolitik in Zukunft durch Männerpolitik ergänzt wird. Deren Ziel dürfte es vor allem sein, der noch immer herrschenden Ungleichverteilung gesellschaftlicher Arbeit entgegen zu wirken, denn noch finden Kindererziehung, Haus- und Erwerbsarbeit zumeist in den alten Bahnen der Geschlechtsstereotype statt.67 Erhebliche Bedeutung wird hierbei unter anderem der Förderung aktiver Vaterschaft beigemessen. Ein neues Verständnis von Elternschaft als Aufgabe zweier Personen, die Rolle der Männer im Familienbereich, deren Beziehung zu ihren Kindern, ihre Rolle als Väter gehört auf die Tagesordnung der Gleichstellungspolitik.

Wie also könnte der neue Mann aussehen? Eine Utopie von Anthony Astrachan möchte ich an dieser Stelle statt eines Schlusswortes setzen:68

,,Nach meiner Definition hat der neue Mann die meisten traditionellen männlichen Geschlechterrollen und den Versuch, die Macht zu monopolisieren, aufgegeben oder überwunden. Er besteht nicht mehr darauf, der einzige oder dominante Verdiener des Familieneinkommens zu sein und weigert sich, zum Sklaven seiner Arbeit zu werden, obwohl er Kompetenz und Leistung schätzt. Er glaubt daran, daß Männer ebenso gefühlvoll sind wie Frauen und lernen sollten, ihre Gefühle auszudrücken. Er ist fähig, über seine eigenen Probleme und Schwächen zu reden. Der neue Mann unterstützt die Suche der Frauen nach Unabhängigkeit und Gleichheit nicht nur verbal. Er setzt sich an seinem Arbeitsplatz für gleichen Lohn, für gleiche oder vergleichbare Arbeit und für gleiche Beförderungschancen seiner Kolleginnen ein. Er nimmt seinen Beruf nicht wichtiger als seine Familie. (...)
Der allerwichtigste Punkt ist allerdings, daß er die halbe Verantwortung für die Hausarbeit und die Kindererziehung zusätzlich zur Hälfte der Arbeit übernimmt."

5. Literaturverzeichnis:

Astrachan, Anthony Wie Männer fühlen. Ihre Reaktionen auf emanzipierte Frauen. Ein Report.

Kösel Verlag: München, 1992

Beck-Gernsheim, Elisabeth Vom ,Dasein für andere` zum Ansprcuh auf ein Stück ,eigenes Leben`. Individualisierungsprozesse im weiblichen Lebenszusammenhang.

In: Soziale Welt 34, 1988

Benard, Cheryl Der Mann auf der Straße. Über das merkwürdige Verhalten von Männern in ganz alltäglichen Situationen.

Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH: Reinbek bei Hamburg, 1980

Bisinger, Matthias u.a. (Hg.) Der ganz normale Mann. Frauen und Männer streiten über ein Phantom. Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH: Reinbek bei Hamburg, 1992
Böhnisch, Lothar Möglichkeitsräume des Mannseins: Zur sozialisationstheoretischen und historischen Begründung einer Jungen- und Männerarbeit

In: Möller, Kurt (Hrsg.): Nur Macher und Macho? Geschlechtsreflektierende Jungen- und Männerarbeit. Juventa Verlag: Weinheim und München, 1997

Brannon, Robert The forty-nine percent majority - The male sex role.
und David, Deborah Reading (Mass.)
Connell, Robert Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten.

Leske + Budrich: Opladen, 1999

Engelfried, Constance Männlichkeiten. Die Öffnung des feministischen Blicks auf den Mann.

Juventa Verlag: Weinheim und München, 1997

Ev. Akademie Baden Und Mann bewegt sich doch ... Auf dem Weg zu einem neuen Selbstverständnis der Männer.

Verlag Evangelischer Presseverband für Baden e.V.: Karlsruhe, 1992

Foucault, Michel Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses.

Suhrkamp: Frankfurt am Main, 1976

Franks, Helen Goodbye Tarzan. Der endgültige Abschied vom Macho-Mann.

Econ Verlag GmbH: Düsseldorf und Wien, 1985

Gildemeister, Regine Die soziale Konstruktion von Geschlechtlichkeit.

In: Hark, Sabine (Hrsg.): Dis/Kontinuitäten. Feministische Theorie. Leske + Budrich: Opladen, 2001

Goldberg, Herb Der verunsicherte Mann.

Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH: Reinbek bei Hamburg, 1986

Hagemann-White, Carol Wir werden nicht zweigeschlechtlich geboren.

In: Hark, Sabine (Hrsg.): Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie. Leske + Budrich: Opladen, 2001

Hausen, Karin Die Polarisierung der ,,Geschlechtscharaktere. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben.

In: Hark, Sabine (Hrsg.): Dis/Kontinuitäten: Feministische Theorie. Leske + Budrich: Opladen, 2001

Hollstein, Walter Männerdämmerung: Von Tätern, Opfern, Schurken und Helden. Vandenhoek & Ruprecht: Göttingen, 1999
Mayreder, Rosa Zur Kritik der Weiblichkeit.

Diederichs: Jena und Leipzig, 1905

Meyer, Heinz Emanzipation von der Männlichkeit. Genetische Dispositionen und gesellschaftliche Stilisierungen der Geschlechtsstereotype.

Ferdinand Enke Verlag: Stuttgart, 1993

Möller, Kurt Merkmale und Konturen sozialer und pädagogischer Arbeit am Männlichkeits-Spagat.

In: Möller, Kurt (Hrsg.): Nur Macher und Macho? Geschlechtsreflektierende Jungen- und Männerarbeit. Juventa Verlag: Weinheim und München, 1997

Möller, Kurt Männlichkeit und männliche Sozialisation. Empirische Befunde und theoretische Erklärungsansätze.

In: Möller, Kurt (Hrsg.): Nur Macher und Macho? Geschlechtsreflektierende Jungen- und Männerarbeit. Juventa Verlag: Weinheim und München, 1997

Rohrmann, Tim Junge, Junge - Mann, o Mann. Die Entwicklung zur Männlichkeit.

Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH: Reinbek bei Hamburg, 1994


1 Franks, H. 1985, S. 13

2 Möller, K. 1997, S. 23

3 Hollstein, W. 1999, S. 50

4 Hausen, K. 2001, S. 162-177

5 Möller, K. 1997, S. 44f.

6 Hollstein, W. 1999, 66f.

7 Goldberg, H. 1986, S. 42

8 Brannon, R. 1976, S. 11

9 Hollstein, W. 1999, S. 62

10 Connell, Robert

11 Möller, K. 1997, S. 23

12 Foucault, M.

13 Hollstein 1999, 53f.

14 ebd.

15 Hollstein, W. 1999, S. 35

16 Beck-Gernsheim, E. 1988, S. 308

17 Franks, H. 1985, S. 19

18 Benard, Ch. 1980, S. 262

19 vgl. hierzu O′Neil, J.

20 Hollstein, W. 1999, S. 29

21 Hollstein, W. 1999, S. 53

22 Engelfried, C. 1997, S. 75

23 Hollstein, W. 1999, S. 60

24 Benard, Ch. 1980, S. 262

25 Hollstein, W. 1999, 59

26 Ev. Akademie Baden Forum 1992, S. 15

27 Hollstein, W. 1999, S. 29

28 Hollstein, W. 70

29 Hollstein, W. 1999, S. 69

30 Möller, K. 1997, S. 73

31 ebd., S. 37

32 Hollstein, W. 1999, S. 40

33 Hollstein, W. 1999, S. 68

34 Goldberg, H. 1986, S. 53

35 Bisinger, M. 1992, S. 20

36 Benard, Ch. 1980, S. S. 268

37 Hollstein, W. 1999, S. 13

38 zu biologischen Konstanten vgl. Möller, K. 1997, S. 37ff.

39 Hagemann-White, C. 2001, S. 20

40 Möller, K. 1997, S. 166

41 vgl. Möller, K. 1997, S. 51f.

42 Hollstein, W. 1999, S. 9

43 Rohrmann, T. 1994, S. 213f.

44 Hollstein, W. 1999, S. 104. Zur Typisierung jener Reaktionsformen vgl. auch S. 102ff.

45 Franks, H. 1985, S. 13

46 Hollstein, W. 1999, S. 17

47 Möller, K. 1997, S. 13f.

48 vgl. Hollstein, W. 1999, S. 8

49 Mayreder, R. 1905, S. 199

50 vgl. hierzu Fthenakis, W.

51 vgl. Möller, K. 1997, S. 53

52 Hollstein, W. 1999, S. 18

53 Möller, K. 1997, S. 11

54 Möller, K. 1997, S. 7f.

55 ebd.

56 Engelfried, C. 1997, S. 40

57 vgl. hierzu Engelfried, C. 1997, S. 19ff. sowie 56ff.

58 Rohrmann, T. 1994, S. 64f.

59 vgl. Hollstein, W. 1999, S. 110

60 vgl. Hollstein, W. 1999, S. 25

61 Bisinger, M. 1992, S. 188

62 Zieske, A. 1997, S. 186

63 Bisinger, M. 1992, S. 51

64 Möller, K. 1997, S. 11

65 vgl. hierzu Weidner 1997, S. 257ff.

66 hierzu ausführlich Sauerborn, W. 1997

67 Möller, K. 1997, S. 32

68 Astrachan, A. 1992, S. 47

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich habe tatsächlich nicht alles gelesen, weil es mir schon am Anfang gereicht hat,

Aber es ist der gesamte Blödsinn der heutigen Zeit auf einen Haufen.

/ajk

Anonym hat gesagt…

Ich mache ein Buchprojekt zum Thema Männlichkeiten und freue mich über neue Beiträge!

Siehe http://maennlichkeiten.blogspot.com ..

LG Andreas Berger