Dienstag, 23. Januar 2007

diepresse.com
zurück | drucken

12.01.2007 - Tech&Science / Science-News
Biomedizin: Geschlechter und Geschlechterrollen
VON JUDITH LECHER
Historikerin Eder erkundet die Geburt des "Gender"-Begriffs.

1955 führten der Psychologe John Money und die Psychiater Joan und John Hampson die Trennung von "Sex" und "Gender" ein, um zwischen dem biologischen Geschlecht und der sozialen Geschlechtsrolle zu unterscheiden. Doch wieso schuf gerade die Biomedizin Kategorien, die zur Speerspitze der Frauenbewegung wurden? Darüber sprach am Institut für Geschichte der Uni Wien Sandra Eder, eine in Wien studierte Historikerin, die derzeit an der Johns Hopkins University, Baltimore, forscht.

Dort war 1955 der "Gender"-Begriff eingeführt worden, für eine klinische Studie intersexueller Patienten - Menschen, die Merkmale beider Geschlechter aufweisen. Man unterschied sechs Variablen - externe Genitalien, innere Sexualorgane, hormonelles und genetisches Geschlecht, Geschlechtsdrüsen (Hoden, Eierstöcke), Geschlecht, in dem eine(r) erzogen wurde -, die bei Intersexuellen im Widerspruch zueinander stehen. Wie konnte man solchen Patienten ein eindeutiges Geschlecht zuweisen?

Money prägte den Begriff "Gender Role". So nannte er all das, was jemand sagt oder tut, um sich als männlich oder weiblich darzustellen. Er verglich die biologischen Variablen mit dem Geschlecht, in dem das Kind erzogen wurde. Ergebnis: Die "anerzogene" Geschlechtsrolle sei der wichtigste Faktor dafür, welches Geschlecht sich jemand selbst zuordnet.

Dies hatte einschneidende Auswirkungen auf die Behandlung von Intersexuellen: Babys, deren Penis kleiner als 2,5 Zentimeter war, wurden weibliche äußere Geschlechtsorgane verpasst - auch wenn die männlichen Variablen überwogen. Motto: Besser ein Mädchen als ein Mann ohne "funktionsfähigen" Penis.

Money hielt diesen Widerspruch zum biologischen Geschlecht für kein Problem: Wichtig sei nur, dass die Operation innerhalb der ersten zwei Lebensjahre stattfindet. Und er forderte in Anlehnung an das, was Konrad Lorenz bei Graugänsen "Prägung" nannte, dass die Eltern das Kind von Anfang an konsequent nach der Rolle des gewählten Geschlechts erzogen. Klar, Menschen seien keine Vögel, doch der Einfluss von Eltern und Umwelt sei so stark, dass sie über das Geschlecht des Kindes entscheiden könnten . . . Diese Auffassung musste freilich aufgrund etlicher Fallstudien längst revidiert werden.

© diepresse.com | Wien

Keine Kommentare: